Kriegsverbrechen? In diesem Fall ein Ding der Unmöglichkeit
Norman Solomon - Hat sich Präsident Bush mehrerer Kriegsverbrechen schuldig gemacht?
Allein schon diese Frage geht weit über das (erlaubte) Limit der Mainstream-Medien Amerikas hinaus.
Vor einigen Wochen bereitete eine Klasse von Oberschülern an der New Jersey Parsippany High School ein "Tribunal" vor, mit dem die Schüler entscheiden wollten, ob Bush Kriegsverbrechen begangen hat. Ein Mediensturm brach los.
Typisch die Reaktion von Tucker Carlson auf MSNBC - der allein schon die Idee einer solchen Anklage gegen Bush unglaublich fand. Das Klassen-Projekt "bedeutet doch, dass Leute ihn (Bush) zeihen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben", so MSNBC-Host Carlson. "Das ist lächerlich".
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In Tennessee gibt es die Chattanooga Times Free Press. In einem Leitartikel der Zeitung wird gewettert: "Dass einige amerikanische "Erzieher" ihre Schüler in Zeiten des Kriegs dazu bringen, unseren amerikanischen Präsidenten wegen "Kriegsverbrechen vor Gericht zu stellen", zeigt uns, dass wir nicht nur im Ausland ein Problem mit Terroristen haben".
Ein Beispiel für die Standard-Linie, wie in US-Medien mit dem Thema Bush/Kriegsverbrechen umgegangen wird, wenn beide Begriffe in einem Atemzug genannt werden, ist die Einleitung zu einem "American Morning" Report auf CNN, der Ende März 2006 gesendet wurde: "Der Oberste Gerichtshof steht kurz davor, einen Fall zu entscheiden, der zu einem Meilenstein, mit möglicherweise weitreichenden Konsequenzen, werden könnte. Es geht um Präsident Bushs mögliche Befugnis, ein Kriegsverbrecher-Tribunal für Guantanamo-Gefangene einzurichten".
Also: Wenn in Medienland das Thema 'Kriegsverbrechen' aufkommt, geht es um Präsident Bush, wie er mit dem Finger auf andere weist. Jede Mutmaßung, Bush selbst könnte einer entsprechenden Anklage entgegensehen, gilt den Medien als Oxymoron.
Es bleibt einigen wenigen Journalisten, die sich außerhalb der Strukturen der Konzern-Medien befinden, vorbehalten, sich ernsthaft mit der Frage zu befassen, ob Bush ein Kriegsverbrecher ist. Einer dieser Journalisten ist Robert Parry.
In den 80ger Jahren berichtete Parry für AP und Newsweek über amerikanische Außenpolitik. In diesem Zusammenhang veröffentlichte er auch zahlreiche Stories im Zusammenhang mit der Iran-Contra-Affäre. Seit zehn Jahren gibt es die Website Consortiumnews.com - eine Internetseite, die wenig auf die engen Vorgaben des Pennsylvania-Avenue-Journalismus gibt. Ihr Gründer und Redakteur heißt Robert Parry.
Kürzlich schrieb Parry in einem Artikel: "In einer Welt, in der sich Macht nicht auf richtig reimen würde, stünden George W. Bush, Tony Blair und ihre wichtigsten Unterstützer in Handschellen vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, stattdessen befinden sie sich im Weißen Haus, in Downing Street No. 10 oder an anderen komfortablen Orten von Washington bis London".
Übertrieben? Finde ich keineswegs. Die Belege und Analysen, die Parry bringt, scheinen mir weit stichhaltiger - und relevanter im Hinblick auf unsere tatsächliche Situation - als all das wunderbare Zeugs, das die vielen, vielen liberalen Pundits so von sich geben; zwar beschweren sich diese Leute, Bush habe im Zusammenhang mit dem Irakkrieg getäuscht, sich verrechnet und taktische Fehler begangen, aber weiter wollen sie nicht gehen.
Ist der US-Kongress bereit, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Commander in Chief während der letzten Jahre Kriegsverbrechen begangen hat? Die Antwort lautet natürlich nein. Aber kann es Aufgabe des Journalismus sein, die mentale Grenzziehung von Capitol Hill zu übernehmen? Nein. Was wir brauchen, sind Nachrichtenmedien, die sich mit dem Thema Wahrheit furchtlos auseinandersetzen und sich nicht ängstlich an pragmatische Grenzen halten.
Als damals hohe Offizielle der Lyndon-Johnson-Administration sagten, Nordvietnam hat zwei unprovozierte Angriffe auf US-Schiffe im Golf von Tonkin durchgeführt, glaubte ihnen das Pressekorps unbesehen. Als hohe Offizielle der George-W.-Bush-Administration sagten, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen, glaubte ihnen unser Pressekorps ebenso unbesehen.
Nur ein sehr unwesentlicher Teil des Washingtoner Pressekorps stellt sich bislang der Frage: Hat der Präsident Kriegsverbrechen begangen? Und sehr, sehr Wenige würden es wagen, so weit zu gehen wie Robert Parry in seinem Artikel vom 28. März: 'Time to Talk War Crimes'.
In diesem Artikel zitiert Parry einige Schlüsselaussagen des US-Vertreters Robert Jackson (Richter am Obersten Gerichtshof der USA) vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal, das kurz nach dem Zweiten Weltkrieg stattfand. "Es ist unsere Haltung", so Jackson damals, "ganz gleich, welchen Problemen sich eine Nation auch gegenübersehen mag und wie zuwider ihr der (herrschende) Status quo sein mag, ein aggressiver Krieg stellt ein illegales Mittel zur Lösung dieser Probleme oder zur Änderung der Umstände dar".
Am 26. März trat US-Außenministerin Condoleezza Rice bei NBC "Meet the Press" auf. Folgendermaßen versuchte sie, den Einmarsch im Irak zu rechtfertigen: "Wir sahen uns mit den Folgen einer Ideologie des Hasses im gesamten Mittleren Osten konfrontiert, mit denen man sich befassen musste. Saddam Hussein war Teil dieses alten Mittleren Ostens. Der neue Irak wird Teil des neuen Mittleren Ostens sein, und dann werden wir alle sicherer sein".
In seinem neuen Essay vom 3. April weist Robert Parry darauf hin: "Diese Doktrin - nämlich, dass die Bush-Administration das Recht hat, aufgrund so vager Begründungen wie soziales Engineering in andere Länder einzumarschieren -, ist eine Zurückweisung der Nürnberger Prinzipien und des Verbots des Aggressionskriegs, wie es die Charta der Vereinten Nationen formuliert hat. Beides wurde - vor allem von amerikanischen Führern - vor sechs Jahrzehnten formuliert."
Parry richtet unser Augenmerk auf das taktische Kernstück der US-Administration: "Langsam aber sicher haben Rice und andere hohe Bush-Gehilfen ihre Begründung verschoben - von Husseins Massenvernichtungswaffen hin zu einer mehr strategischen Rechtfertigung, nämlich, dass es um die politische Transformierung des Mittleren Ostens gehe". Parrys Schlussfolgerung: "Die Nichtberichterstattung der US-Nachrichtenmedien über die neue Rice-Kriegsbegründung bedeutet implizit: Es ist nicht alarmierend, man muss nichts dagegen unternehmen, wenn die Bush-Administration sich von den Prinzipien zivilisierten Verhaltens verabschiedet, Prinzipien, wie sie amerikanische Staatsmänner vor sechs Dekaden vor dem Nürnberger Gerichtshof vertreten haben".
Es gibt genügend Beweise, dass es Präsident Bush auf einen Aggressionskrieg gegen den Irak angelegt hatte. Doch die US-Nachrichtenmedien gehen nach wie vor davon aus, dass Bush beim Thema Kriegsverbrechen die Rolle des Anklägers wohl ansteht und man ihn nicht in der Rolle eines zurecht Beschuldigten sehen darf, niemals.
Dieser Artikel erschien in der deutschen Übersetzung von Andrea Noll erstmalig bei Zmag.de
Norman Solomons aktuelles Buch 'War Made Easy: How Presidents and Pundits Keep Spinning Us to Death'
Allein schon diese Frage geht weit über das (erlaubte) Limit der Mainstream-Medien Amerikas hinaus.
Vor einigen Wochen bereitete eine Klasse von Oberschülern an der New Jersey Parsippany High School ein "Tribunal" vor, mit dem die Schüler entscheiden wollten, ob Bush Kriegsverbrechen begangen hat. Ein Mediensturm brach los.
Typisch die Reaktion von Tucker Carlson auf MSNBC - der allein schon die Idee einer solchen Anklage gegen Bush unglaublich fand. Das Klassen-Projekt "bedeutet doch, dass Leute ihn (Bush) zeihen, Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen zu haben", so MSNBC-Host Carlson. "Das ist lächerlich".
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In Tennessee gibt es die Chattanooga Times Free Press. In einem Leitartikel der Zeitung wird gewettert: "Dass einige amerikanische "Erzieher" ihre Schüler in Zeiten des Kriegs dazu bringen, unseren amerikanischen Präsidenten wegen "Kriegsverbrechen vor Gericht zu stellen", zeigt uns, dass wir nicht nur im Ausland ein Problem mit Terroristen haben".
Ein Beispiel für die Standard-Linie, wie in US-Medien mit dem Thema Bush/Kriegsverbrechen umgegangen wird, wenn beide Begriffe in einem Atemzug genannt werden, ist die Einleitung zu einem "American Morning" Report auf CNN, der Ende März 2006 gesendet wurde: "Der Oberste Gerichtshof steht kurz davor, einen Fall zu entscheiden, der zu einem Meilenstein, mit möglicherweise weitreichenden Konsequenzen, werden könnte. Es geht um Präsident Bushs mögliche Befugnis, ein Kriegsverbrecher-Tribunal für Guantanamo-Gefangene einzurichten".
Also: Wenn in Medienland das Thema 'Kriegsverbrechen' aufkommt, geht es um Präsident Bush, wie er mit dem Finger auf andere weist. Jede Mutmaßung, Bush selbst könnte einer entsprechenden Anklage entgegensehen, gilt den Medien als Oxymoron.
Es bleibt einigen wenigen Journalisten, die sich außerhalb der Strukturen der Konzern-Medien befinden, vorbehalten, sich ernsthaft mit der Frage zu befassen, ob Bush ein Kriegsverbrecher ist. Einer dieser Journalisten ist Robert Parry.
In den 80ger Jahren berichtete Parry für AP und Newsweek über amerikanische Außenpolitik. In diesem Zusammenhang veröffentlichte er auch zahlreiche Stories im Zusammenhang mit der Iran-Contra-Affäre. Seit zehn Jahren gibt es die Website Consortiumnews.com - eine Internetseite, die wenig auf die engen Vorgaben des Pennsylvania-Avenue-Journalismus gibt. Ihr Gründer und Redakteur heißt Robert Parry.
Kürzlich schrieb Parry in einem Artikel: "In einer Welt, in der sich Macht nicht auf richtig reimen würde, stünden George W. Bush, Tony Blair und ihre wichtigsten Unterstützer in Handschellen vor dem Kriegsverbrechertribunal in Den Haag, stattdessen befinden sie sich im Weißen Haus, in Downing Street No. 10 oder an anderen komfortablen Orten von Washington bis London".
Übertrieben? Finde ich keineswegs. Die Belege und Analysen, die Parry bringt, scheinen mir weit stichhaltiger - und relevanter im Hinblick auf unsere tatsächliche Situation - als all das wunderbare Zeugs, das die vielen, vielen liberalen Pundits so von sich geben; zwar beschweren sich diese Leute, Bush habe im Zusammenhang mit dem Irakkrieg getäuscht, sich verrechnet und taktische Fehler begangen, aber weiter wollen sie nicht gehen.
Ist der US-Kongress bereit, die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass der Commander in Chief während der letzten Jahre Kriegsverbrechen begangen hat? Die Antwort lautet natürlich nein. Aber kann es Aufgabe des Journalismus sein, die mentale Grenzziehung von Capitol Hill zu übernehmen? Nein. Was wir brauchen, sind Nachrichtenmedien, die sich mit dem Thema Wahrheit furchtlos auseinandersetzen und sich nicht ängstlich an pragmatische Grenzen halten.
Als damals hohe Offizielle der Lyndon-Johnson-Administration sagten, Nordvietnam hat zwei unprovozierte Angriffe auf US-Schiffe im Golf von Tonkin durchgeführt, glaubte ihnen das Pressekorps unbesehen. Als hohe Offizielle der George-W.-Bush-Administration sagten, der Irak besitze Massenvernichtungswaffen, glaubte ihnen unser Pressekorps ebenso unbesehen.
Nur ein sehr unwesentlicher Teil des Washingtoner Pressekorps stellt sich bislang der Frage: Hat der Präsident Kriegsverbrechen begangen? Und sehr, sehr Wenige würden es wagen, so weit zu gehen wie Robert Parry in seinem Artikel vom 28. März: 'Time to Talk War Crimes'.
In diesem Artikel zitiert Parry einige Schlüsselaussagen des US-Vertreters Robert Jackson (Richter am Obersten Gerichtshof der USA) vor dem Nürnberger Kriegsverbrechertribunal, das kurz nach dem Zweiten Weltkrieg stattfand. "Es ist unsere Haltung", so Jackson damals, "ganz gleich, welchen Problemen sich eine Nation auch gegenübersehen mag und wie zuwider ihr der (herrschende) Status quo sein mag, ein aggressiver Krieg stellt ein illegales Mittel zur Lösung dieser Probleme oder zur Änderung der Umstände dar".
Am 26. März trat US-Außenministerin Condoleezza Rice bei NBC "Meet the Press" auf. Folgendermaßen versuchte sie, den Einmarsch im Irak zu rechtfertigen: "Wir sahen uns mit den Folgen einer Ideologie des Hasses im gesamten Mittleren Osten konfrontiert, mit denen man sich befassen musste. Saddam Hussein war Teil dieses alten Mittleren Ostens. Der neue Irak wird Teil des neuen Mittleren Ostens sein, und dann werden wir alle sicherer sein".
In seinem neuen Essay vom 3. April weist Robert Parry darauf hin: "Diese Doktrin - nämlich, dass die Bush-Administration das Recht hat, aufgrund so vager Begründungen wie soziales Engineering in andere Länder einzumarschieren -, ist eine Zurückweisung der Nürnberger Prinzipien und des Verbots des Aggressionskriegs, wie es die Charta der Vereinten Nationen formuliert hat. Beides wurde - vor allem von amerikanischen Führern - vor sechs Jahrzehnten formuliert."
Parry richtet unser Augenmerk auf das taktische Kernstück der US-Administration: "Langsam aber sicher haben Rice und andere hohe Bush-Gehilfen ihre Begründung verschoben - von Husseins Massenvernichtungswaffen hin zu einer mehr strategischen Rechtfertigung, nämlich, dass es um die politische Transformierung des Mittleren Ostens gehe". Parrys Schlussfolgerung: "Die Nichtberichterstattung der US-Nachrichtenmedien über die neue Rice-Kriegsbegründung bedeutet implizit: Es ist nicht alarmierend, man muss nichts dagegen unternehmen, wenn die Bush-Administration sich von den Prinzipien zivilisierten Verhaltens verabschiedet, Prinzipien, wie sie amerikanische Staatsmänner vor sechs Dekaden vor dem Nürnberger Gerichtshof vertreten haben".
Es gibt genügend Beweise, dass es Präsident Bush auf einen Aggressionskrieg gegen den Irak angelegt hatte. Doch die US-Nachrichtenmedien gehen nach wie vor davon aus, dass Bush beim Thema Kriegsverbrechen die Rolle des Anklägers wohl ansteht und man ihn nicht in der Rolle eines zurecht Beschuldigten sehen darf, niemals.
Dieser Artikel erschien in der deutschen Übersetzung von Andrea Noll erstmalig bei Zmag.de
Norman Solomons aktuelles Buch 'War Made Easy: How Presidents and Pundits Keep Spinning Us to Death'
sfux - 6. Apr, 08:41 Article 2256x read