Die neue (Un)Sicherheitspolitik Deutschlands (2) Das lukrative Bild vom bösen Mann
Michael Schulze von Glaßer – Nach den Terroranschlägen in den USA vom 11. September 2001 brach eine damals noch ungeahnte Hysterie aus. Das Bild vom bösen Mann mit brauner Haut, schwarzem Bart und islamischen Glauben wurde überall als neues Feindbild propagiert. Die Jahrzehnte lange Suche nach einem neuen Feind fand damit ein Ende. Mancher Militär mag sich heimlich die Hände gerieben haben – endlich herrschte wieder Kriegsstimmung und das Militär erhielt erneut seine Daseinsberechtigung. Die Bedrohung, die für die Bundesregierung zusammen mit der Globalisierung kam, kann demnach nur der Terrorismus sein.
Das Bundeswehr-Weißbuch 2006 ist in dieser Beziehung - auf Seite 20 - gehorsam:
„Internationaler Terrorismus bedroht Freiheit und Sicherheit und ist eine zentrale Herausforderung. Die Anschläge vom 11. September 2001 sowie die seither verübten Terrorakte in Europa, Asien und Nordafrika haben dies deutlich gemacht.“
Dass der Internationale Terrorismus aber nicht nur eine, sondern sogar die zentrale Herausforderung für Regierung und Bundeswehr ist, lässt sich in dem Weißbuch wegen der Nichtnennung eines anderen Feindes festmachen. Der Grund hierfür liegt vor allem an der neuen Taktik der westlichen Gemeinschaft, vornehmlich der NATO. Es geschieht nur noch selten, dass ein souveräner Staat einen anderem den Krieg erklärt und angreift, aber Staaten beschuldigen sich gegenseitig des Terrorismus‘.
Ein gutes Beispiel hierfür ist die Krise zwischen den USA und dem Irak im Jahr 2003: Die Amerikaner beschuldigten den Golf-Staat, sich am internationalen Terrorismus zu beteiligen. Dem Diktator des Iraks, Saddam Hussein, wurde vorgeworfen mit der terroristischen Organisation Al-Kaida zusammen zu arbeiten und Massenvernichtungswaffen zu horten. Sie zwängten ihn in die Terroristen-Ecke. Durch den von ihnen selbst geschaffenen „Krieg gegen den Terror“ legitimierten sich die USA sowie deren Verbündeten dazu, den vermeintlichen „Terroristen“ Saddam Hussein zu attackieren und festzunehmen. Diese Selbstlegitimation führte weit über Staatsgrenzen hinaus, wie der Irak-Krieg, der als ein „Krieg gegen den Terror“ tituliert wurde, zeigte.
Unter den Oberbegriff „Terrorismus“ fällt auch der Abschnitt „Die Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen und ihrer Trägermittel (Proliferation)“ im Weißbuch der Bundeswehr, ebenfalls auf Seite 20, wie auch der Versuch der Aneignung von „Hochtechnologiegütern zu kriminellen Zwecken“.
Leider wird das Wort „kriminell“ in dem Weißbuch nicht definiert. Die Einstufung als kriminell scheint darin sogar willkürlich zu sein. So bleibt offen wann Rüstungserwerb anderer Staaten als kriminell gewertet wird und wann nicht. Auffallend ist allerdings, wie einige Länder, beispielsweise der Iran, für die Beschaffung von Hochtechnologiegütern gerügt werden und andere, wie Indien, nicht. Die Missbilligungen erfolgen oft unter Führung der USA – Deutschland ist dabei entweder nur Mitläufer oder bezieht nicht klar und deutlich Stellung zu den Themen. Somit stellt sich immer häufiger auch in der deutschen Politik die Frage, wem der Besitz von Massenvernichtungswaffen zugesprochen werden soll und wem nicht. Doch welcher deutsche Politiker wagt es dies zu klären? Immerhin trägt Deutschland selbst zur Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen bei. Das ist ein weiteres grundlegendes Problem der heutigen Politik.
Gegenüber dem Jahr 2004 stieg der deutsche Kriegswaffenexport im Jahr 2005 um 44,3 Prozent (von 1,13 auf 1,63 Milliarden Euro). Das ist der höchste Wert seit 1996, dem Jahr in dem die Regierung erstmals offizielle Angaben zu den deutschen Waffenexporten machte.
Zu den Empfängern deutscher Rüstungsgüter - die von der Bundesregierung abgesegnet werden müssen - zählen unter anderem Chile, Bolivien, Peru, Indien und Pakistan, Israel, Jemen, Jordanien, Katar, Kuwait, Oman, Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Kolumbien, Südkorea und Taiwan. Von den 11.855 Anträgen auf Rüstungsexporte für das Jahr 2005 wurden lediglich 58 abgelehnt. Um nicht für die Verschrottung aufzukommen, verkaufte die Bundeswehr 2005 ausrangiertes Kriegsgerät für 87,8 Millionen Euro an andere Staaten.
„Made in Germany“ scheint auch bei der Rüstung für hohe Qualität zu stehen, wie zahlreiche Exporte aus jüngerer Zeit belegen. So hat Griechenland neben 170 brandneuen „Leopard 2“-Panzern auch zwei U-Boote aus der deutschen HDW-Werft bestellt. Auch Israel orderte gleich zwei der hochmodernen mit Wasserstoff angetriebenen U-Boote. Der Kauf wird mit 300 Millionen Euro vom deutschen Steuerzahler subventioniert. Das Kritische daran: Die extrem leisen U-Boote können auch mit Atomraketen, die Israel nun auch offiziell besitzt, bestückt werden.
Auch wenn der Staat Israel nach dem Sprachgebrauch der „Anti-Terroristen“ kein so genannter „Schurkenstaat“ ist und auch demnach nicht auf der „Achse des Bösen“ liegt, kollidiert dieser Rüstungsexport gegen den Grundsatz, den sich die Bundesregierung in ihrem Weißbuch selbst auferlegt hat, der Nicht-Weiterverbreitung von Trägern für Massenvernichtungswaffen.
Zu den größten deutschen Rüstungskonzernen gehören EADS (Airbus, Eurocopter), Heckler & Koch, Krauss-Maffei Wegmann, die Rheinmetall sowie die ThyssenKrupp AG (HDW, Blohm & Voss). Manche dieser Konzerne produzieren beinahe ausschließlich für den Export. Schon die Entwicklung des Kampfflugzeuges „Eurofighter“ wurde von den mutmaßlichen Bedürfnissen möglicher Käufer-Staaten geprägt. Die Zerstörungskraft dieser modernen Kampfflugzeuge und anderer deutscher Rüstungsgüter gilt als gewaltig. Dass aber ein „Leopard-2“-Panzer mit seinen hochexplosiven Geschossen des Kalibers 120 mm, die bis zu 2.500 Meter weit fliegen können, nicht als Massenvernichtungswaffe eingeordnet wird, ist unfassbar.
Was die Bundesregierung also unter „Massenvernichtungswaffen“ versteht, bleibt sie Lesern des Weißbuchs schuldig. Eine einfache Erklärung wäre die Möglichkeit mit solchen Waffen viele Menschen töten zu können. Fürs Militär aber sind Menschen nur „weiche Ziele“. Da scheint die Zahl der Opfer egal zu sein. Es geht nur um die Effizienz, nicht um Opfer. Und immer noch sollen die Waffen der Militärs töten und vernichten.
Allgemein werden vor allem atomare- (a), biologische- (b) und chemische- (c) Waffen, so genannte ABC-Waffen als Massenvernichtungswaffen bezeichnet. Länder, die über solche Waffen verfügen oder im Verdacht stehen solche Waffen zu besitzen, sind Syrien (bc), Ägypten (bc), Indien (a), Pakistan (a), Frankreich (a), Großbritannien (a), Nordkorea (abc), China (abc), Iran (abc), Israel (abc), Russland (abc) und die USA (abc).
Doch auch Deutschland verfügt über chemische Waffen. Sich häufende Leukämiefälle bei ehemaligen, im Kosovo stationierten Bundeswehrsoldaten brachten zutage, dass auch die Bundeswehr, wie so viele andere Armeen, abgereichertes Uran in ihrer Munition verwendet. Die dafür Verantwortlichen ließen negierende Propaganda in die Medien streuen und leugneten eine Kausalität von Leukämie mit dieser speziellen Munition.
Abgereichertes Uran hat eine sehr hohe Dichte und ist daher ideal für die Spitze von Munition, die dicke Panzerung durchschlagen soll. Als Abfallprodukt aus der Urananreicherung ist das abgereicherte, aber immer noch leicht strahlende Uran preisgünstig fürs Militär erhältlich.
Die Schlagkraft der Uran-Munition braucht die Bundeswehr wohl auch für ihre neuen Missionen.
Prävention
Ob es nun an der Globalisierung oder einfach an der gegenwärtigen Politik liegt, ist strittig: Sicher ist, dass die Bundeswehr mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes weitaus aktiver ist als jemals zuvor. Wie schon erwähnt, sehen die Bundesregierung und die Bundeswehr die neue Bedrohung vor allem in der Gestalt von Terroristen. In allen Industriestaaten sind Hysterie und blanke Panik vor Terroranschlägen so groß wie niemals zuvor. Im Verlauf des Rundumschlags gegen alles Fremde, den so genannten „Krieg gegen den Terror“, werden freiheitliche Grundrechte eingeschränkt, Minderheiten diskriminiert und präventive Kriege geführt.
Dieser Taktik hat sich auch die Bundesregierung verschrieben. Zwar ist die Regierung mit offensiven Einsätzen sehr zurückhaltend, zumindest werden diese verschleiert, aber der Bundeswehreinsatz in Afghanistan ist die Folge eines solchen präventiven Vorgehens.
Das nachfolgende Bombardement von imposanten Worthülsen auf Seite 21 im Weißbuch zeigt dies:
„Die in der Vergangenheit bewährten Strategien zur Abwehr äußerer Gefahren – wie Abschreckung und Einhegung – reichen gegen die neuen asymmetrischen, häufig auch durch nichtstaatliche Akteure verursachten Bedrohungen nicht aus. Deshalb bedarf es für eine wirksame Sicherheitsvorsorge eines präventiven, effektiven und kohärenten Zusammenwirkens im nationalen wie internationalen Rahmen, einschließlich einer wirksamen Ursachenbekämpfung.“
Offensichtlich zählt auch eine schwer verdauliche Sprache zu den neuen Waffen der Bundeswehr. Wahrscheinlich sollen Leser über solche Passagen möglichst hinweglesen, um die Aussage nicht zu hinterfragen. Soll hinterher niemand sagen, die Bundeswehr hätte gewisse Dinge verschwiegen!
Die mehrteilige Serie wird morgen weitergeführt
© by Michael Schulze von Glaßer
sfux - 8. Jan, 08:09 Article 3796x read