Die große Welt der kleinen Chips
In Chicago fand zwischen dem 15. und 17. September die erste Konferenz zur "Vernetzung aller Dinge" statt. Gastgeberin war das Auto ID Center, ein Konsortium von führenden Firmen und dem Massachusetts Institute of Technologie getragen. Das Konsortium will die Vernetzung sämtlicher Dinge des alltäglichen Lebens. Vom Müsli zur Rasierklinge, mittels "Radio Frequency Identification" Chip RFID. Folge davon sind Massenentlassungen, aber auch eine latente Gefahr des Missbrauchs.
Im Wal-Mart, dem Einkaufszentrum von Kimberton, einem kleinen Nest unweit von Philadelphia, hat die Zukunft bereits als Pilotprojekt begonnen. Rund zwanzig Kassenstationen mit zumeist farbigen Kassiererinnen und zu jedem Check Out die dazugehörende Einpackerin, kämpfen sich Stunde um Stunde durch die riesigen Mengen an Lebensmitteln, die von Kunden auf ihre Fliessbänder gelegt werden. 24 Stunden und 365 Tage ist Wal-Mart geöffnet. Alleine an den Kassen bietet Wal-Mart wohl an die 60 Jobs. Schlecht bezahlt und wer nicht lächelt fliegt, aber immerhin ist da ein Brotverdienst für Leute die keine Aussicht auf bessere Arbeit haben oder neben der Ausbildung jobben. Auf der einen Seite des Centers, weckt eine zügig voranschreitende Kolonne meine Aufmerksamkeit. Tatsächlich gehen da die Kunden mit ihren überdimensionierten Einkaufswagen durch das Tor der Zukunft. Auf einem Schild steht da: "To make shopping friendlier and easier for our customers".
RFID heißt das Zauberwort. Der Einkaufskorb wird, dank der kontaktlosen Radiofrequenz Technik automatisch gescannt, beim einführen der Kreditkarte wird der Kassenzettel ausgedruckt und fertig. Kein mühsames ausladen und auftürmen auf dem Fliessband, kein erzwungenes Lächeln, kein Smalltalk mehr. Für die Kassiererinnen wird es sich über kurz oder lang ausgelächelt haben. Millionen von Jobs werden der Vergangenheit angehören. Alternative? Wohl keine.
Wal-Mart in den Staaten und Tesco in England, sind Einkaufsketten der Superlative und Mitglieder des Auto ID Centers[1] die für das Konsortium Feldversuche mit den Chips machen; auch im Bereich Überwachung. Davon ausgehend, dass tagtäglich Ware gestohlen und veruntreut wird, ist der Kunde nicht mehr König, sondern potentieller Dieb und zwar solange, bis der Chip die Meldung an den Zentralcomputer des Geschäftes "Gegenstand vom Kunden bezahlt" weiterleitet. Als Beispiel dient Gillette.[2]
Männer wissen es, eine Packung mit vier MACH3 Klingen für die tägliche Rasur ist unglaublich teuer. In England und den USA fast ein doppelter Stundenlohn, in der Schweiz mehr als ein Kioskverkäufer in der Stunde verdient. Nimmt der Kunde innerhalb 34 Sekunden drei oder mehr solcher MACH3 Packungen vom Regal, geht unverzüglich eine Meldung an den Computer das hier etwas unerhörtes geschieht und der Kunde mit 70%er Wahrscheinlichkeit ein Dieb ist. Automatisch zoomt die nächstgelegene Kamera auf den Kunden. Der Kunde geht nun zielstrebig zwischen den Regalen Richtung Ausgang, passiert weitere RFID lesende Schranken, die wiederum eine Meldung machen. Die Chance ein Dieb zu sein erhöht sich auf 75%. Bevor sie die Kassen passiert haben werden - die Chance eines Diebstahls ist nun auf 85% gestiegen - wird der Computer bereits einen Wachmann avisiert haben, der weiß wie sie aussehen und darauf wartet ob sie die Klingen ordnungsgemäß bezahlen oder nicht.[3] In einem Zukunftsladen in Rheinberg – einem Gemeinschaftsprojekt von Metro, SAP und Intel, das Ende April startete – kommen die smarten Regale erstmals auch in Deutschland zum Einsatz und kommunizieren dort mit Rasierklingen, Shampoo und Frischkäse.
Soho in Lower Manhatten N.Y. Der lauschige Altstadtteil der Millionenweltstadt hat den Ruf der extravaganten jungen Designermode, das neuste und frechste im Trend. Einer der Läden, wartet mit einem speziellen Gag der RFID Technologie auf. Sobald ein Kleid in die Garderobe mitgenommen wird, präsentiert der Fernseher in der Garderobe das Designerstück von verschiedenen Models vorgeführt, zeigt die dazupassende Unterwäsche oder Krawatte. RFID macht’s möglich.
Irgendwo im Hintergrund, vom Kunden nicht einsehbar, werden Daten ausgetauscht. Was der Kunde in die Hand nimmt, ob der Kunde ein potenzieller Dieb ist was er anprobiert und anschließend kauft. Mittels einer Datenbank ließen sich alle diese Informationen zu detaillierten Kundenprofilen verdichten. Vorstellbar ist, dass dies zu Szenarien führt wie sie der Zukunftsforscher Kevin Kelly für den Film "Minority Report" entworfen hat: Dort wird Protagonist Tom Cruise bei einem Gang durchs Shopping Center ständig mit Werbebotschaften beballert, die auf seine Konsumgewohnheiten zugeschnitten sind. Technisch durchaus möglich. Was für Tom Cruise nach 145 Minuten zu ende ist, beginnt für die Bürger, nicht nur in den Industrienationen, gerade erst Realität zu werden.
Die Transponder sind schon längst im Alltag integriert. Seit in Europa eine elektronische Wegfahrsperre Pflicht ist, stecken in den meisten Neuwagen Chips in den Autoschlüsseln und funken ein Echtheitszertifikat ans Zündschloss. Sie leisten ihren Dienst in Millionen berührungsloser Chip-Karten mit denen die Bürger Londons, Sao Paulos, Bombays, Pekings, des Ruhrgebiets und früher oder später auch auf den SBB Strecken, den öffentlichen Verkehr nutzen.[4] Die meisten Einwohner Hongkongs besitzen eine kontaktlose Karte für Transport und Einkauf, in Moskau dient ein ähnliches System zusätzlich als Gesundheitskarte, in Beijing wird damit bei den Parteitagen überwacht, ob die 30'000 Mitglieder nicht schummeln. Sie stecken in Handys, in Uhren, an Brieftauben, Skipässen und im Fleisch der Familie Jacobs aus Florida, die RFID lesbare Chips mit ihren medizinischen Daten von Verichip implantieren ließ.[5]
RFID ist, laut Auto ID Center, die neue industrielle Revolution, die den mittlerweile gut akzeptierten aber "dummen" Barcode ablösen wird. Ein "Internet aller Dinge" soll es werden frohlockt Kevin Ashton, exekutiv Direktor des im Massachusetts Institute of Technologie MIT in Cambridge Boston integrierten Auto ID Centers. Das Center versteht sich als globales Forschungshirn mit der Mission jedes Etwas das irgendwo, irgendwann, gefertigt, verschifft, verladen, verkauft und gekauft wird, automatisch identifizieren kann. Das Center arbeitet weltweit mit sechs führenden Universitäten zusammen. Unter anderem mit dem am 8. April 2003 neu gegründeten M-Lab an der Universität St. Gallen in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich.[6] Zu den 90 Sponsoren der Denkfabrik gehört Kellogg’s und Kodak, Metro und Wal-Mart, Coca-Cola und Pepsi, Gillette und Nestlé, Intel, SAP und IBM. Die illustre Runde hat dem Center den Auftrag erteilt, mit Hilfe der Funk-Chips "an der Vernetzung von einfach allem" zu arbeiten. Seine Mitarbeiter nehmen das wörtlich: "Mit 54 Bit können Sie jedes Reiskorn durchnummerieren, das auf der Welt produziert wird", rechnet einer vor, "mit 138 Bit jedes Molekül auf der Oberfläche des Planeten." Eine Art individueller Funk-Barcode für einfach alles wäre so gesehen kein Problem. Selbst dümmste Chip-Karten haben heute einige Tausend Bits an Bord und eine große Anzahl an High-tech Firmen experimentiert mit den verschiedensten Spielereien der RFID Technik.
Die kontaktlose Datenübertragung durch RFID Technologie ist ein einfaches Konzept mit enormen Auswirkungen. Mit Hilfe eines Transponders, eines Mikrochips mit Antenne, der auf einer Dose Cola, einer Hose oder einer Fahrzeugachse platziert wird, ist ein Computer plötzlich imstande diese Gegenstände zu "sehen". Platziert man nun auf jeder Dose Cola, in jeder Hose und auf jeder Fahrzeugachse einen solchen Transponder weiß man zu jeder Zeit, wo sich was und wie viel befindet. Keine Warenbestandesaufnahme mehr, keine verlorenen oder fehlgeleiteten Versandposten, kein raten darüber, wie viel Material innerhalb einer Lieferkette im Umlauf ist oder die Regale des Geschäfts füllt. Das Auto ID Center betreibt den Bau, die Überprüfung und den Einsatz einer globalen Infrastruktur – einer weiteren Schicht oberhalb des Internets -, die es ermöglichen wird, dass Computer überall auf der Welt in Sekundenschnelle identifizieren können. Die Vision ist einfach: Eine Welt, in der jeder produzierte Gegenstand durch preiswerte RFID Transponder gekennzeichnet werden kann und sich sein Aufenthaltsort mit Hilfe eines einzigen globalen Netzwerks über Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg bestimmen lässt. Das Herzstück des neuen Netzwerks ist der elektronische Produktcode EPC. Wie ein Barcode verwendet der 96-Bit-EPC eine Kette von Ziffern, um den Hersteller und die Produktkategorie eines Artikels zu identifizieren. Der EPC fügt jedoch eine dritte Ziffernfolge hinzu- eine Seriennummer, die jeden einzelnen Artikel bezeichnet. Diese Nummer stellt die einzige auf dem Mikrochip des RFID Transponders gespeicherte Information dar. Der EPC kann jedoch mit enormen Mengen von Daten innerhalb einer Datenbank verknüpft werden. Wo und wann der entsprechende Artikel hergestellt wurde, sein Verfallsdatum, wohin der Versand erfolgen soll usw. Die Daten lassen sich in Echtzeit aktualisieren, während der Artikel verlagert oder weiterverarbeitet wird.
Das Auto ID Center hat, um das schlechte Image der Technologie zu verbessern, extra eine der führenden Public Relation Firmen angeheuert. Fleishman & Hillard, zu deren Kunden die größten der Pharmaindustrie und das Department of Defense zählen, kam zum Schluss, dass die Technologie für den Bürger ein rotes Tuch darstellt. So erwartet der Bürger vor allem von den Firmen offensichtlich keine Rücksichtsnahme was die Privatsphäre betrifft. Im Weiteren machen die Fleishman Experten Vorschläge, wie man das lästige Problem beseitigen kann: "Die RFID Opposition gilt es zu neutralisieren." Dazu sollten der Öffentlichkeit in steter Regelmäßigkeit Anwendungsbeispiele präsentiert werden, denn "keine Nachrichten sind schlechte Nachrichten". Es müsse gezeigt werden, wie RFID Behinderten, alten Menschen oder Kranken helfe – bedenken tragende Datenschützer sollen dadurch ins Abseits manövriert werden. Ein weiterer Baustein der Fleishman Truppe ist gezielte Desinformation.[7] RFID soll dem Bürger als Barcode II verkauft werden, oder gar als Green Tag, um dadurch das Umweltbewusstsein der Bürger zu aktivieren, was in der Regel funktioniert.
Die deutsche Firma Flexchip, eine jener Technologiefirmen die dem Auto ID Centers angeschlossen ist, hat die positiv Image Werbung wohl richtig verstanden: Big Brother, Staffel II. Im Originalwortlaut der Münchner Firma heißt es da:
"Webcams im Wohn- und Gartenbereich zeigen, was im Big-Brother-Haus abgeht. Doch diesmal gibt es für Voyeure einen besonderen Service. Über den so genannten Locator lässt sich jederzeit nachvollziehen, wo sich die zwölf neuen Kandidaten gerade aufhalten. Vorbei sind die Zeiten, wo Fans hofften, Sabrina unter der Dusche zu sehen und die Webcam dann doch nur eine leere Nasszelle präsentierte.
Die Webseite zu Big Brother zeigt ab sofort nicht nur den Grundriss des Hauses mit den Webcam-Positionen. Im Locator, einem separaten Fenster, das einen verkleinerten Grundriss des Big-Brother-Hauses abbildet, sind die Kandidaten als farbige Lichtpunkte zu sehen. Eine Namensliste unter dem Locator erschließt, welche Person sich hinter welchem Farbpunkt verbirgt. Die Daten werden alle 15 Sekunden aktualisiert, so dass Fans die Bewegungen der Container-Bewohner fast in Echtzeit verfolgen können. Wer auf diese Weise seinen Lieblings-Kandidaten aufgespürt hat, klickt jetzt im großen Grundriss des Big-Brother-Hauses die Webcam an, die diesen Bewohner gerade im Bild hat."[8]
Ähnlich aber weniger spielerisch geht es in der Realität amerikanischer Gefängnisse zu und her. Die beiden großen Firmen Wackenhut Corporation und Correction Corporation of America, welche private Gefängnisse betreuen und leiten, schwören auf RFID Technologie um Sträflinge zu überwachen. Diese Technik wird von Alanco Technologies angeboten.[9] Laut Firmenschrift, funktioniert das System bei "markierten" Personen folgendermaßen:
- Bestimmung des Aufenthaltsortes aller markierten Personen im 15 Sekunden Takt.
- Zählung aller Markierten im Sekundentakt und Auslösung des Alarms wenn jemand fehlt.
- Auslösung des Alarms, wenn die Markierung abgenommen oder manipuliert wird.
- Auslösung des Alarms wenn ein Insasse eine verbotene Zone betritt.
- Identifizierung und Nachverfolgung von Individuen, die sich während einer Alarmauslösung in der Nähe befunden haben.
- Lokalisierung von Individuen auf Anfrage.
- Identifizierung von Insassen, die Versuchen sich im Essensraum zweimal zu bedienen.
- Identifizierung von Insassen beim Einkauf im Anstaltsshop.
Die Firma ist Inhaberin der US Patentnummer 5.218.344 mit dem Titel "Methode und System zur Überwachung eingegrenzter Individuen" und ist Lizenzträger bei Motorola Inc. für die "Technologie zur Lokalisierung mittels Raiofrequenzen, mit exklusivem Recht auf dem Gebiet des Strafvollzuges". Dazu kommt ein Lizenz Patent von BI Inc., das bei einer mutwilligen Entfernung, Manipulation oder gar der Zerstörung des Chips einen Alarm aussendet.
Checkpoint Erez, zwischen dem Gazastreifen und Israel.
Die israelische Firma OTI On Track Innovations Inc.[10] installiert hier das Basel Grenzprojekt. Das Projekt, das vom Israelischen Verteidigungsministerium und der Israelischen Polizei unterstützt wird, ist das erste Grenzkontrollsystem der Welt, das sowohl biometrische Hand- als auch Gesichtsmerkmale in Verbindung mit der kontaktlosen Chiptechnologie zur Identifikation einsetzt. Die Basel Lösung gewährleistet höchste Sicherheitsstandards und kann in verschiedenen Formen, auch als Aufkleber, eingesetzt werden um beispielsweise vorhandene Reisedokument wie Pässe oder Visa zu ergänzen. Die für diese Technologie anwendbaren Applikationen können ausgedehnt werden auf Zutrittskontrollsysteme, auf nationale ID-Karten-Programme sowie auf Ausweise, die mit der SmartID-Lösung zur Identifikation nach biometrischen Merkmalen auf kontaktloser Basis ausgestattet sind. Nach der vollständigen Installation wird das System die Ein- und Ausreise von täglich etwa 120.000 Arbeitern überwachen, wobei eine absolut sichere und außerordentlich schnelle Abfertigung ermöglicht wird. 1993 erhielt OTI ein US-Patent für "System und Methode der kontaktlosen Übertragung von Daten" und damit eine Schlüsselstellung.
Beijing, China.
Auch im Milliarde Menschen zählenden Land wird OTI’s Hilfe gebraucht. Bis ins Jahr 2006 sollen hier sämtliche, zurzeit noch auf Papier gedruckte Ausweise digitalisiert und als SmartCard neu herausgegeben werden. Ein Markt von sage und schreibe 1,26 Milliarden Menschen und die Verdoppelung sämtlicher sich zurzeit im Umlauf befindenden SmartCards. Der Glücksschrei kam nicht nur von OTI sondern auch vom französischen Rüstungsunternehmen Thales SA. Die beiden Firmen sind auserkoren den riesigen Markt zu befrieden. Im Juni 2001 gründete Thales SA ein Tochterunternehmen mit dem amerikanischen Rüstungsgiganten Raytheon namens ThalesRaytheonSystems TRS. Das Konsortium fertigte das Air Command Systems International (ACSI) für die NATO und das Luftverteidigungssystem FLORAKO für die Schweiz. Raytheon seinerseits, gilt als eine der dunkelsten Rüstungsbuden der Welt. RaytheonMicroelectronics Espana, zum Beispiel ist der Produzent des implantierbaren Chips DigitalAngel von Applied Digital Solutions Inc.
RFID Technologie wurde ursprünglich für militärische Bedürfnisse entwickelt. Bereits im zweiten Weltkrieg vermochten die alliierten ihre heimkehrenden Kampfflugzeuge von Freund und Feind zu unterscheiden und RFID ist noch immer in der Hand des militärisch industriellen Komplexes. Wer hat schlussendlich die Kontrolle über diese Daten? Wer garantiert dem Bürger dass FLORAKO in einem Kriegsfall nicht von "außen" übernommen werden kann? Wer garantiert, dass RFID Chips und die Daten in international vernetzten Computern in Verwaltung und Polizei nicht einem orwellschen Diktat unterworfen werden?
Dieser Artikel erschien zum ersten mal im FACTUM Magazin
[1] http://www.autoidcenter.org/
[2] http://www.boycottgillette.com/letters.html
[3] http://www.autoidcenter.org/media/fmi_2002.pdf
[4] http://www.aimglobal.org/technologies/rfid/casestudy/Swissrailway.htm
[5] http://www.wired.com/news/privacy/0,1848,50187,00.html
[6] http://www.m-lab.ch/press/PressRelease01.html
[7] http://www.privacydigest.com/2003/08/08
[8] http://www.flexchip.de/deutsch/News/Frame/newframbigbr.html
[9] http://www.tsilink.com
[10] http://www.oti.co.il
Im Wal-Mart, dem Einkaufszentrum von Kimberton, einem kleinen Nest unweit von Philadelphia, hat die Zukunft bereits als Pilotprojekt begonnen. Rund zwanzig Kassenstationen mit zumeist farbigen Kassiererinnen und zu jedem Check Out die dazugehörende Einpackerin, kämpfen sich Stunde um Stunde durch die riesigen Mengen an Lebensmitteln, die von Kunden auf ihre Fliessbänder gelegt werden. 24 Stunden und 365 Tage ist Wal-Mart geöffnet. Alleine an den Kassen bietet Wal-Mart wohl an die 60 Jobs. Schlecht bezahlt und wer nicht lächelt fliegt, aber immerhin ist da ein Brotverdienst für Leute die keine Aussicht auf bessere Arbeit haben oder neben der Ausbildung jobben. Auf der einen Seite des Centers, weckt eine zügig voranschreitende Kolonne meine Aufmerksamkeit. Tatsächlich gehen da die Kunden mit ihren überdimensionierten Einkaufswagen durch das Tor der Zukunft. Auf einem Schild steht da: "To make shopping friendlier and easier for our customers".
RFID heißt das Zauberwort. Der Einkaufskorb wird, dank der kontaktlosen Radiofrequenz Technik automatisch gescannt, beim einführen der Kreditkarte wird der Kassenzettel ausgedruckt und fertig. Kein mühsames ausladen und auftürmen auf dem Fliessband, kein erzwungenes Lächeln, kein Smalltalk mehr. Für die Kassiererinnen wird es sich über kurz oder lang ausgelächelt haben. Millionen von Jobs werden der Vergangenheit angehören. Alternative? Wohl keine.
Wal-Mart in den Staaten und Tesco in England, sind Einkaufsketten der Superlative und Mitglieder des Auto ID Centers[1] die für das Konsortium Feldversuche mit den Chips machen; auch im Bereich Überwachung. Davon ausgehend, dass tagtäglich Ware gestohlen und veruntreut wird, ist der Kunde nicht mehr König, sondern potentieller Dieb und zwar solange, bis der Chip die Meldung an den Zentralcomputer des Geschäftes "Gegenstand vom Kunden bezahlt" weiterleitet. Als Beispiel dient Gillette.[2]
Männer wissen es, eine Packung mit vier MACH3 Klingen für die tägliche Rasur ist unglaublich teuer. In England und den USA fast ein doppelter Stundenlohn, in der Schweiz mehr als ein Kioskverkäufer in der Stunde verdient. Nimmt der Kunde innerhalb 34 Sekunden drei oder mehr solcher MACH3 Packungen vom Regal, geht unverzüglich eine Meldung an den Computer das hier etwas unerhörtes geschieht und der Kunde mit 70%er Wahrscheinlichkeit ein Dieb ist. Automatisch zoomt die nächstgelegene Kamera auf den Kunden. Der Kunde geht nun zielstrebig zwischen den Regalen Richtung Ausgang, passiert weitere RFID lesende Schranken, die wiederum eine Meldung machen. Die Chance ein Dieb zu sein erhöht sich auf 75%. Bevor sie die Kassen passiert haben werden - die Chance eines Diebstahls ist nun auf 85% gestiegen - wird der Computer bereits einen Wachmann avisiert haben, der weiß wie sie aussehen und darauf wartet ob sie die Klingen ordnungsgemäß bezahlen oder nicht.[3] In einem Zukunftsladen in Rheinberg – einem Gemeinschaftsprojekt von Metro, SAP und Intel, das Ende April startete – kommen die smarten Regale erstmals auch in Deutschland zum Einsatz und kommunizieren dort mit Rasierklingen, Shampoo und Frischkäse.
Soho in Lower Manhatten N.Y. Der lauschige Altstadtteil der Millionenweltstadt hat den Ruf der extravaganten jungen Designermode, das neuste und frechste im Trend. Einer der Läden, wartet mit einem speziellen Gag der RFID Technologie auf. Sobald ein Kleid in die Garderobe mitgenommen wird, präsentiert der Fernseher in der Garderobe das Designerstück von verschiedenen Models vorgeführt, zeigt die dazupassende Unterwäsche oder Krawatte. RFID macht’s möglich.
Irgendwo im Hintergrund, vom Kunden nicht einsehbar, werden Daten ausgetauscht. Was der Kunde in die Hand nimmt, ob der Kunde ein potenzieller Dieb ist was er anprobiert und anschließend kauft. Mittels einer Datenbank ließen sich alle diese Informationen zu detaillierten Kundenprofilen verdichten. Vorstellbar ist, dass dies zu Szenarien führt wie sie der Zukunftsforscher Kevin Kelly für den Film "Minority Report" entworfen hat: Dort wird Protagonist Tom Cruise bei einem Gang durchs Shopping Center ständig mit Werbebotschaften beballert, die auf seine Konsumgewohnheiten zugeschnitten sind. Technisch durchaus möglich. Was für Tom Cruise nach 145 Minuten zu ende ist, beginnt für die Bürger, nicht nur in den Industrienationen, gerade erst Realität zu werden.
Die Transponder sind schon längst im Alltag integriert. Seit in Europa eine elektronische Wegfahrsperre Pflicht ist, stecken in den meisten Neuwagen Chips in den Autoschlüsseln und funken ein Echtheitszertifikat ans Zündschloss. Sie leisten ihren Dienst in Millionen berührungsloser Chip-Karten mit denen die Bürger Londons, Sao Paulos, Bombays, Pekings, des Ruhrgebiets und früher oder später auch auf den SBB Strecken, den öffentlichen Verkehr nutzen.[4] Die meisten Einwohner Hongkongs besitzen eine kontaktlose Karte für Transport und Einkauf, in Moskau dient ein ähnliches System zusätzlich als Gesundheitskarte, in Beijing wird damit bei den Parteitagen überwacht, ob die 30'000 Mitglieder nicht schummeln. Sie stecken in Handys, in Uhren, an Brieftauben, Skipässen und im Fleisch der Familie Jacobs aus Florida, die RFID lesbare Chips mit ihren medizinischen Daten von Verichip implantieren ließ.[5]
RFID ist, laut Auto ID Center, die neue industrielle Revolution, die den mittlerweile gut akzeptierten aber "dummen" Barcode ablösen wird. Ein "Internet aller Dinge" soll es werden frohlockt Kevin Ashton, exekutiv Direktor des im Massachusetts Institute of Technologie MIT in Cambridge Boston integrierten Auto ID Centers. Das Center versteht sich als globales Forschungshirn mit der Mission jedes Etwas das irgendwo, irgendwann, gefertigt, verschifft, verladen, verkauft und gekauft wird, automatisch identifizieren kann. Das Center arbeitet weltweit mit sechs führenden Universitäten zusammen. Unter anderem mit dem am 8. April 2003 neu gegründeten M-Lab an der Universität St. Gallen in Zusammenarbeit mit der ETH Zürich.[6] Zu den 90 Sponsoren der Denkfabrik gehört Kellogg’s und Kodak, Metro und Wal-Mart, Coca-Cola und Pepsi, Gillette und Nestlé, Intel, SAP und IBM. Die illustre Runde hat dem Center den Auftrag erteilt, mit Hilfe der Funk-Chips "an der Vernetzung von einfach allem" zu arbeiten. Seine Mitarbeiter nehmen das wörtlich: "Mit 54 Bit können Sie jedes Reiskorn durchnummerieren, das auf der Welt produziert wird", rechnet einer vor, "mit 138 Bit jedes Molekül auf der Oberfläche des Planeten." Eine Art individueller Funk-Barcode für einfach alles wäre so gesehen kein Problem. Selbst dümmste Chip-Karten haben heute einige Tausend Bits an Bord und eine große Anzahl an High-tech Firmen experimentiert mit den verschiedensten Spielereien der RFID Technik.
Die kontaktlose Datenübertragung durch RFID Technologie ist ein einfaches Konzept mit enormen Auswirkungen. Mit Hilfe eines Transponders, eines Mikrochips mit Antenne, der auf einer Dose Cola, einer Hose oder einer Fahrzeugachse platziert wird, ist ein Computer plötzlich imstande diese Gegenstände zu "sehen". Platziert man nun auf jeder Dose Cola, in jeder Hose und auf jeder Fahrzeugachse einen solchen Transponder weiß man zu jeder Zeit, wo sich was und wie viel befindet. Keine Warenbestandesaufnahme mehr, keine verlorenen oder fehlgeleiteten Versandposten, kein raten darüber, wie viel Material innerhalb einer Lieferkette im Umlauf ist oder die Regale des Geschäfts füllt. Das Auto ID Center betreibt den Bau, die Überprüfung und den Einsatz einer globalen Infrastruktur – einer weiteren Schicht oberhalb des Internets -, die es ermöglichen wird, dass Computer überall auf der Welt in Sekundenschnelle identifizieren können. Die Vision ist einfach: Eine Welt, in der jeder produzierte Gegenstand durch preiswerte RFID Transponder gekennzeichnet werden kann und sich sein Aufenthaltsort mit Hilfe eines einzigen globalen Netzwerks über Unternehmens- und Ländergrenzen hinweg bestimmen lässt. Das Herzstück des neuen Netzwerks ist der elektronische Produktcode EPC. Wie ein Barcode verwendet der 96-Bit-EPC eine Kette von Ziffern, um den Hersteller und die Produktkategorie eines Artikels zu identifizieren. Der EPC fügt jedoch eine dritte Ziffernfolge hinzu- eine Seriennummer, die jeden einzelnen Artikel bezeichnet. Diese Nummer stellt die einzige auf dem Mikrochip des RFID Transponders gespeicherte Information dar. Der EPC kann jedoch mit enormen Mengen von Daten innerhalb einer Datenbank verknüpft werden. Wo und wann der entsprechende Artikel hergestellt wurde, sein Verfallsdatum, wohin der Versand erfolgen soll usw. Die Daten lassen sich in Echtzeit aktualisieren, während der Artikel verlagert oder weiterverarbeitet wird.
Das Auto ID Center hat, um das schlechte Image der Technologie zu verbessern, extra eine der führenden Public Relation Firmen angeheuert. Fleishman & Hillard, zu deren Kunden die größten der Pharmaindustrie und das Department of Defense zählen, kam zum Schluss, dass die Technologie für den Bürger ein rotes Tuch darstellt. So erwartet der Bürger vor allem von den Firmen offensichtlich keine Rücksichtsnahme was die Privatsphäre betrifft. Im Weiteren machen die Fleishman Experten Vorschläge, wie man das lästige Problem beseitigen kann: "Die RFID Opposition gilt es zu neutralisieren." Dazu sollten der Öffentlichkeit in steter Regelmäßigkeit Anwendungsbeispiele präsentiert werden, denn "keine Nachrichten sind schlechte Nachrichten". Es müsse gezeigt werden, wie RFID Behinderten, alten Menschen oder Kranken helfe – bedenken tragende Datenschützer sollen dadurch ins Abseits manövriert werden. Ein weiterer Baustein der Fleishman Truppe ist gezielte Desinformation.[7] RFID soll dem Bürger als Barcode II verkauft werden, oder gar als Green Tag, um dadurch das Umweltbewusstsein der Bürger zu aktivieren, was in der Regel funktioniert.
Die deutsche Firma Flexchip, eine jener Technologiefirmen die dem Auto ID Centers angeschlossen ist, hat die positiv Image Werbung wohl richtig verstanden: Big Brother, Staffel II. Im Originalwortlaut der Münchner Firma heißt es da:
"Webcams im Wohn- und Gartenbereich zeigen, was im Big-Brother-Haus abgeht. Doch diesmal gibt es für Voyeure einen besonderen Service. Über den so genannten Locator lässt sich jederzeit nachvollziehen, wo sich die zwölf neuen Kandidaten gerade aufhalten. Vorbei sind die Zeiten, wo Fans hofften, Sabrina unter der Dusche zu sehen und die Webcam dann doch nur eine leere Nasszelle präsentierte.
Die Webseite zu Big Brother zeigt ab sofort nicht nur den Grundriss des Hauses mit den Webcam-Positionen. Im Locator, einem separaten Fenster, das einen verkleinerten Grundriss des Big-Brother-Hauses abbildet, sind die Kandidaten als farbige Lichtpunkte zu sehen. Eine Namensliste unter dem Locator erschließt, welche Person sich hinter welchem Farbpunkt verbirgt. Die Daten werden alle 15 Sekunden aktualisiert, so dass Fans die Bewegungen der Container-Bewohner fast in Echtzeit verfolgen können. Wer auf diese Weise seinen Lieblings-Kandidaten aufgespürt hat, klickt jetzt im großen Grundriss des Big-Brother-Hauses die Webcam an, die diesen Bewohner gerade im Bild hat."[8]
Ähnlich aber weniger spielerisch geht es in der Realität amerikanischer Gefängnisse zu und her. Die beiden großen Firmen Wackenhut Corporation und Correction Corporation of America, welche private Gefängnisse betreuen und leiten, schwören auf RFID Technologie um Sträflinge zu überwachen. Diese Technik wird von Alanco Technologies angeboten.[9] Laut Firmenschrift, funktioniert das System bei "markierten" Personen folgendermaßen:
- Bestimmung des Aufenthaltsortes aller markierten Personen im 15 Sekunden Takt.
- Zählung aller Markierten im Sekundentakt und Auslösung des Alarms wenn jemand fehlt.
- Auslösung des Alarms, wenn die Markierung abgenommen oder manipuliert wird.
- Auslösung des Alarms wenn ein Insasse eine verbotene Zone betritt.
- Identifizierung und Nachverfolgung von Individuen, die sich während einer Alarmauslösung in der Nähe befunden haben.
- Lokalisierung von Individuen auf Anfrage.
- Identifizierung von Insassen, die Versuchen sich im Essensraum zweimal zu bedienen.
- Identifizierung von Insassen beim Einkauf im Anstaltsshop.
Die Firma ist Inhaberin der US Patentnummer 5.218.344 mit dem Titel "Methode und System zur Überwachung eingegrenzter Individuen" und ist Lizenzträger bei Motorola Inc. für die "Technologie zur Lokalisierung mittels Raiofrequenzen, mit exklusivem Recht auf dem Gebiet des Strafvollzuges". Dazu kommt ein Lizenz Patent von BI Inc., das bei einer mutwilligen Entfernung, Manipulation oder gar der Zerstörung des Chips einen Alarm aussendet.
Checkpoint Erez, zwischen dem Gazastreifen und Israel.
Die israelische Firma OTI On Track Innovations Inc.[10] installiert hier das Basel Grenzprojekt. Das Projekt, das vom Israelischen Verteidigungsministerium und der Israelischen Polizei unterstützt wird, ist das erste Grenzkontrollsystem der Welt, das sowohl biometrische Hand- als auch Gesichtsmerkmale in Verbindung mit der kontaktlosen Chiptechnologie zur Identifikation einsetzt. Die Basel Lösung gewährleistet höchste Sicherheitsstandards und kann in verschiedenen Formen, auch als Aufkleber, eingesetzt werden um beispielsweise vorhandene Reisedokument wie Pässe oder Visa zu ergänzen. Die für diese Technologie anwendbaren Applikationen können ausgedehnt werden auf Zutrittskontrollsysteme, auf nationale ID-Karten-Programme sowie auf Ausweise, die mit der SmartID-Lösung zur Identifikation nach biometrischen Merkmalen auf kontaktloser Basis ausgestattet sind. Nach der vollständigen Installation wird das System die Ein- und Ausreise von täglich etwa 120.000 Arbeitern überwachen, wobei eine absolut sichere und außerordentlich schnelle Abfertigung ermöglicht wird. 1993 erhielt OTI ein US-Patent für "System und Methode der kontaktlosen Übertragung von Daten" und damit eine Schlüsselstellung.
Beijing, China.
Auch im Milliarde Menschen zählenden Land wird OTI’s Hilfe gebraucht. Bis ins Jahr 2006 sollen hier sämtliche, zurzeit noch auf Papier gedruckte Ausweise digitalisiert und als SmartCard neu herausgegeben werden. Ein Markt von sage und schreibe 1,26 Milliarden Menschen und die Verdoppelung sämtlicher sich zurzeit im Umlauf befindenden SmartCards. Der Glücksschrei kam nicht nur von OTI sondern auch vom französischen Rüstungsunternehmen Thales SA. Die beiden Firmen sind auserkoren den riesigen Markt zu befrieden. Im Juni 2001 gründete Thales SA ein Tochterunternehmen mit dem amerikanischen Rüstungsgiganten Raytheon namens ThalesRaytheonSystems TRS. Das Konsortium fertigte das Air Command Systems International (ACSI) für die NATO und das Luftverteidigungssystem FLORAKO für die Schweiz. Raytheon seinerseits, gilt als eine der dunkelsten Rüstungsbuden der Welt. RaytheonMicroelectronics Espana, zum Beispiel ist der Produzent des implantierbaren Chips DigitalAngel von Applied Digital Solutions Inc.
RFID Technologie wurde ursprünglich für militärische Bedürfnisse entwickelt. Bereits im zweiten Weltkrieg vermochten die alliierten ihre heimkehrenden Kampfflugzeuge von Freund und Feind zu unterscheiden und RFID ist noch immer in der Hand des militärisch industriellen Komplexes. Wer hat schlussendlich die Kontrolle über diese Daten? Wer garantiert dem Bürger dass FLORAKO in einem Kriegsfall nicht von "außen" übernommen werden kann? Wer garantiert, dass RFID Chips und die Daten in international vernetzten Computern in Verwaltung und Polizei nicht einem orwellschen Diktat unterworfen werden?
Dieser Artikel erschien zum ersten mal im FACTUM Magazin
[1] http://www.autoidcenter.org/
[2] http://www.boycottgillette.com/letters.html
[3] http://www.autoidcenter.org/media/fmi_2002.pdf
[4] http://www.aimglobal.org/technologies/rfid/casestudy/Swissrailway.htm
[5] http://www.wired.com/news/privacy/0,1848,50187,00.html
[6] http://www.m-lab.ch/press/PressRelease01.html
[7] http://www.privacydigest.com/2003/08/08
[8] http://www.flexchip.de/deutsch/News/Frame/newframbigbr.html
[9] http://www.tsilink.com
[10] http://www.oti.co.il
sfux - 5. Dez, 20:32 Article 5633x read