Deutscher Sektenführer in Argentinien gefasst
Der Gründer der deutschen Sekte Colonia Dignidad in Chile, Paul Schäfer, ist im Nachbarland Argentinien verhaftet worden. Der 84-Jährige war fast ein Jahrzehnt auf der Flucht.
Schäfer wurde in seiner Wohnung am Rand von Buenos Aires festgenommen und noch am Donnerstagabend im Rollstuhl sitzend in ein Untersuchungsgefängnis gebracht. Mit einem Lächeln und in Handschellen schoben ihn Beamte durch ein Spalier von Journalisten. Fragen beantwortete er nicht.

Sexueller Missbrauch von 27 Kindern...u.a.
Grund der Verhaftung ist ein Haftbefehl des chilenischen Richters Joaquín Billard gegen den 84-Jährigen wegen des Verschwindens eines Dissidenten zu Beginn der Militärherrschaft von Augusto Pinochet. Der Mann war in Schäfers Siedlung gebracht worden. Sowohl Schäfer als auch andere Mitglieder der von Colonia Dignidad sind mehrfach beschuldigt worden, ihre Siedlung dem Pinochet-Regime als Folter- und Hinrichtungszentrum zur Verfügung gestellt zu haben. In Abwesenheit ist Schäfer im vergangenen November zudem wegen des sexuellen Missbrauchs von 27 Kindern verurteilt worden.
Die Sekte hatte sich 1956 auf Betreiben von Paul Schäfer (Jahrgang 1921) vom "Bund evangelisch-freikirchlicher Gemeinden in Deutschland" abgespaltet. Unter dem Namen "Private Sociale Mission" gründete Schäfer in Siegburg ein Erziehungsheim, in dem die Kinder der Mitglieder der Sekte untergebracht waren. Nachdem die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Paul Schäfer wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs der von ihm abhängigen Kinder aufnahm, floh ein Teil der Sekte im Januar 1961 nach Chile. Bei der Wahl des Zufluchtsortes waren der damalige chilenische Botschafter Arturo Masche und der Botschaftsangestellte Guillermo Osorio behilflich, beide ausgemachte Rechtsextremisten. Die Kolonie auf chilenischem Boden wurde als Kopie des Führerstaates konzipiert. Sie liegt in der Nähe der Kleinstadt Parral, mehr als 200 Kilometer südlich der chilenischen Hauptstadt Santiago. Das Areal hat die Größe des Saarlandes und ist von Stacheldrahtzäunen gesichert. Offiziell nennt sich die Sekte "Vereinigung für Wohltätigkeit und Erziehung ("Sociedad Benefactora Y Educional") und will sich angeblich um bedürftige chilenische Kinder kümmern.
Nach dem Militärputsch von 1973 entwickelte sich die "Kolonie der Würde" unter Pinochet zu einem Folterlager des ehemaligen chilenischen Geheimdienstes DINA. Die Colonia Dignidad war der Ort, an dem die Abteilung der DINA, die für die spurenlose Ermordung politischer Gefangener zuständig war, die meisten Menschen "verschwinden" ließ. Sie war zudem an einem Arbeitslager für "verschwundene" politische Gefangene beteiligt. Das Arbeitslager Monte Maravilla, in dem bis zu 100 Gefangene inhaftiert waren, führte die "Colonia Dignidad" zusammen mit chilenischen Streitkräften. Sie war die Folterschule der DINA und bildete "Verhörspezialisten" aus. Sie war ein Zentrum der Auslandsspionage der DINA. Sie war einer von fünf geheimen chilenischen Militärstützpunkten, die nach dem chilenischen Militärputsch mit Hilfe des deutschen Obersts Hans-Ulrich Rudel eingerichtet worden waren, um einen militärischen Gegenschlag gegen Argentinien führen zu können. Rudel, ein aktiver Neonazi, den Hitler hoch geschätzt hat, war persönlich in der Colonia Dignidad.
Damals wurde die Siedlung mit unterirdischen Bunkern, Kommandozentralen, einem umfassenden geheimen Warn- und Überwachungssystem und einem unterirdischen Flugplatz ausgestattet. Das Stützpunktsystem gehörte zu einem "Projekt Andrea", in dessen Rahmen in großen Mengen Giftgas eingesetzt werden sollte. Die damalige Ehefrau eines beteiligten Agenten schrieb, das Gas sei zuerst an politischen Gefangenen ausprobiert worden. Offenbar war die Colonia Dignidad am Schmuggel von Komponenten für das Gas beteiligt. Die Colonia Dignidad war Anlaufstelle und Zufluchtort für NS-Verbrecher und für rechte Terroristen. Sie war ein Schmuggelzentrum für Waffen und andere Güter. Sie war in Geldwäsche verwickelt. Die Colonia Dignidad war jahrelang ein politisches Scharnier zwischen der CSU, dem Freistaat Bayern, der Hanns-Seidel-Stiftung, dem Bundesnachrichtendienst (so die regierungsamtliche chilenische Zeitung La Nación del Domingo vom 3. 10. 2004) und der ontakte bestanden zu Rechtsextremisten wie Hugo Roggendorf, einem SS-Mann, der sich nach 1945 in Concepcion als Bäcker niedergelassen hatte, dem dubiosen Geschäftsmann und Geheimdienstler Hans Albrecht Loeper, zu Anhängern der Thule-Mythologie wie dem esoterischen Nazi Juan Maler (alias Reinhard Kopps), dem Waffenhändler Gerhard Mertins, während des 2. Weltkriegs Fallschirmjäger, späterer Sympathisant der neonationalsozialistischen Sozialistischen Reichspartei (SRP), dann der CDU. Ebenfalls bekannt wurden Kontakte des Soziologieprofessors Lothar Bossle und des Völkerrechtlers Dieter Blumenwitz zur "Colonia Dignidad". 1997 lobte der Neonazi-Scharfmacher "Schinderhannes" alias Hans-Josef Mack im Thule-Netz die "Colonia Dignidad" in höchsten Tönen. Das Leben dort sei "ein Traum, zumindest, was die menschliche, deutsche Seite betrifft! Land und Leute ... muss man natürlich mögen".
Die Strafverfahren, die Schäfers Opfer nach erfolgreicher Flucht gegen ihn wegen sexuellem Missbrauch und Freiheitsentziehung eingeleitet haben, sind zwischenzeitlich allesamt verjährt. Den chilenischen Behörden wurde vorgeworfen, die gerichtlich angeordneten Durchsuchungen des Sektengeländes nicht sonderlich effizient durchgeführt zu haben, weshalb man Schäfer nicht habhaft werden konnte. Wie dpa im Januar 2000 meldete, haben 15 Folter-Opfer der Colonia Dignidad Strafanzeige gegen Ex-Diktator Augusto Pinochet gestellt. Die 15 Betroffenen schrieben in einer Erklärung, ihre Anzeigen richteten sich gegen Pinochet, aber auch "gegen den chilenischen Staat und gegen die Verantwortlichen einschließlich der deutschen Regierung". Ermittlungsrichter Juan Guzmán eröffnete damit das 57. Ermittlungsverfahren gegen Pinochet wegen Verbrechen unter der Militärdiktatur zwischen 1973 und 1989.
Paul Schäfer ist seit 1996 untergetaucht. Nach Schäfers Flucht leitete sein ehemaliger Stellvertreter und Sicherheitschef Gerhard Mücke die Kolonie. Mücke wurde im September 2000 festgenommen. Er soll an politisch motivierten Morden auf dem Gelände der Sekte beteiligt gewesen sein. Im Dezember 2001 wurde bekannt, dass Mücke nun aus Chile ausgewiesen werden sollte. Das Berufungsgericht in Santiago de Chile wies einen Einspruch Mückes gegen ein entsprechendes Urteil aus dem Jahr zuvor zurück. Auch Mücke stand unter dem Verdacht, während der Pinochet-Diktatur an Repressionen gegen Oppositionelle beteiligt gewesen zu sein.
Mitglieder der "Colonia Dignidad" waren auch an dem seit langem geplanten NS-Kongress in Chile beteiligt, der im Januar 2000 trotz internationaler Proteste von der Öffentlichkeit unbemerkt stattfinden konnte. Auch die in konspirativen Zellen operierenden Vorbereitungsgruppen des Kongresses waren in vielen Fällen gleichzeitig Mitglieder der Freundeskreise der "Colonia Dignidad".
Ab etwa 2003 schien sich die Colonia Dignidad ohne öffentliche Skandale vom Folterlager einer Psychosekte zu einer normalen Agrarkooperative umzuwandeln. Es gab eine stillschweigende Übereinkunft zwischen der chilenischen Regierung, den Streitkräften und der Colonia Dignidad, bei der der Arzt Hartmut Hopp, vormals Stellvertreter von Schäfer, Mittelsmann seitens der Siedlung war. Sie besagte, dass die Colonia Dignidad demokratisiert wird, Schäfer aus der Siedlung zu verschwinden hat und die Siedlungsbewohner freien Zugang zu Informationen haben. Die strikte Geschlechtertrennung wurde für einige Bewohner aufgehoben. Schäfer befand sich, falls er noch lebte, außerhalb des Geländes. Der Radiosender und der Flughafen der Colonia Dignidad, die auch als Infrastruktur der Spionage und des Waffenhandels benutzt worden waren, wurden deaktiviert. Die technische Zusammenarbeit mit den Streitkräften wurde eingestellt.
Noch 2002, also 12 Jahre nach dem Auflösungsdekret der ersten demokratisch gewählten Regierung nach Pinochet, vereitelte jedoch die Colonia Dignidad mit scharfen Hunden und Geländewagen den bisher letzten Fluchtversuch einer Frau. Die stillschweigende Übereinkunft zwischen der Colonia Dignidad und der chilenischen Regierung hatte die Unterdrückungsstrukturen im großen Ganzen bestehen lassen. Die Siedler konnten telefonieren und sich partiell informieren, die Geschlechtertrennung wurde aufgehoben, aber Gehirnwäsche, Sektenwahn und Medikamentenmissbrauch gab es weiterhin.
Die finanziellen Schwierigkeiten schienen bewirken zu können, was die Politik nicht leisten konnte oder wollte; die Colonia Dignidad lebte von der Substanz. Sie musste Paul Schäfer und seine engsten Gefolgsleute in einem Versteck in Chile aushalten und Schäfers Arztrechnungen wegen eines Lungenleidens bezahlen. Sie musste das Schweigen zweier ausgestiegener Familien, die es sich in Südchile gut gehen ließen, mit hohen Summen bezahlen. Wegen Dutzender von Prozessen musste sie eine Schar hochkarätiger Anwälte honorieren. Dazu musste sie den Weggang Dutzender der 250 Bewohner verkraften. Eine der wichtigsten Einnahmequellen, der Waffenschmuggel, war seit dem Ende der Pinochetdiktatur geschmälert, und statt den Staat um die Steuern zu betrügen, hatte die Siedlung große Steuerschulden zu begleichen.
Die Führungsclique saß in der Falle; jeder der etwa 15 Männer hatte Prozesse am Hals. Wer untertauchte oder Chile heimlich verlassen würde, würde dann per internationalem Haftbefehl gesucht werden. Auch die Staatsanwaltschaft Bonn ermittelte weiter. Die Sektenführer blieben also auf in der Colonia.
Die Alterspyramide der Siedlung entwickelte sich extrem ungünstig. Diejenigen, die 1961 im besten Alter mit Schäfer, gegen den die Staatsanwaltschaft wegen Kindesmissbrauchs ermittelte, nach Chile flohen, waren durch schwerste Arbeit, körperliche Misshandlungen und Medikamentenmissbrauch ausgelaugt. Die nicht mehr Arbeitsfähigen vegetierten im oberen Stockwerk des behördlich geschlossenen Krankenhauses unter erbärmlichen Bedingungen vor sich hin. Viele Bewohner hatten gravierende psychische Probleme. Wegen der von der Sektenführung verhängten Strafen waren Wirbelsäulen ruiniert, Trommelfelle geplatzt und Kieferknochen gebrochen.
Nach der Lockerung der Geschlechtertrennung verschafften sich Frauen und Männer von 40 oder 50 Jahren Zugang zu Sexualaufklärung und heirateten. Aus diesen Ehen gab es etwa 20 Kinder, von denen im Jahre 2004 noch keines im Kindergartenalter war. Dazwischen fehlte jedoch eine komplette Generation. Es gab immer weniger Bewohner, die durch Arbeitskraft und Initiative die Wirtschaftsbetriebe der Siedlung hätten am Laufen halten und einen Machtwechsel erreichen können. Mit jedem, der die Colonia verließ, wurde die Situation dramatischer.
Die sich absetzten, hatten keine Schul- oder Berufsabschlüsse, hatten nie Lohn erhalten und keine Sozial- oder Rentenansprüche. Viele hatten auch keine Verwandte, die sie hätten aufnehmen können. In Chile gab es für sie keine Anlaufstellen. Um die deutsche Botschaft in Santiago machten die Ausgestiegenen einen Bogen, da Schäfer sich bester Beziehungen zu ihr gerühmt hatte. Tatsächlich waren die Beziehungen zur Pinochet-Zeit gut. Briefe von Ausgestiegenen an den chilenischen Präsidenten Lagos mit der Bitte um kleinste Hilfeleistungen blieben unbeantwortet. Auch in Deutschland gab es keine Anlaufstelle. Die Wenigen, die die Siedlung verlassen hatten, hingen in einem dünnen Netz freiwilliger Helfer. Das trug nicht dazu bei, den Schritt in die Freiheit zu wagen.
Schäfer wurde in seiner Wohnung am Rand von Buenos Aires festgenommen und noch am Donnerstagabend im Rollstuhl sitzend in ein Untersuchungsgefängnis gebracht. Mit einem Lächeln und in Handschellen schoben ihn Beamte durch ein Spalier von Journalisten. Fragen beantwortete er nicht.

Sexueller Missbrauch von 27 Kindern...u.a.
Grund der Verhaftung ist ein Haftbefehl des chilenischen Richters Joaquín Billard gegen den 84-Jährigen wegen des Verschwindens eines Dissidenten zu Beginn der Militärherrschaft von Augusto Pinochet. Der Mann war in Schäfers Siedlung gebracht worden. Sowohl Schäfer als auch andere Mitglieder der von Colonia Dignidad sind mehrfach beschuldigt worden, ihre Siedlung dem Pinochet-Regime als Folter- und Hinrichtungszentrum zur Verfügung gestellt zu haben. In Abwesenheit ist Schäfer im vergangenen November zudem wegen des sexuellen Missbrauchs von 27 Kindern verurteilt worden.
Die Sekte hatte sich 1956 auf Betreiben von Paul Schäfer (Jahrgang 1921) vom "Bund evangelisch-freikirchlicher Gemeinden in Deutschland" abgespaltet. Unter dem Namen "Private Sociale Mission" gründete Schäfer in Siegburg ein Erziehungsheim, in dem die Kinder der Mitglieder der Sekte untergebracht waren. Nachdem die Staatsanwaltschaft Ermittlungen gegen Paul Schäfer wegen des Vorwurfs des sexuellen Missbrauchs der von ihm abhängigen Kinder aufnahm, floh ein Teil der Sekte im Januar 1961 nach Chile. Bei der Wahl des Zufluchtsortes waren der damalige chilenische Botschafter Arturo Masche und der Botschaftsangestellte Guillermo Osorio behilflich, beide ausgemachte Rechtsextremisten. Die Kolonie auf chilenischem Boden wurde als Kopie des Führerstaates konzipiert. Sie liegt in der Nähe der Kleinstadt Parral, mehr als 200 Kilometer südlich der chilenischen Hauptstadt Santiago. Das Areal hat die Größe des Saarlandes und ist von Stacheldrahtzäunen gesichert. Offiziell nennt sich die Sekte "Vereinigung für Wohltätigkeit und Erziehung ("Sociedad Benefactora Y Educional") und will sich angeblich um bedürftige chilenische Kinder kümmern.
Nach dem Militärputsch von 1973 entwickelte sich die "Kolonie der Würde" unter Pinochet zu einem Folterlager des ehemaligen chilenischen Geheimdienstes DINA. Die Colonia Dignidad war der Ort, an dem die Abteilung der DINA, die für die spurenlose Ermordung politischer Gefangener zuständig war, die meisten Menschen "verschwinden" ließ. Sie war zudem an einem Arbeitslager für "verschwundene" politische Gefangene beteiligt. Das Arbeitslager Monte Maravilla, in dem bis zu 100 Gefangene inhaftiert waren, führte die "Colonia Dignidad" zusammen mit chilenischen Streitkräften. Sie war die Folterschule der DINA und bildete "Verhörspezialisten" aus. Sie war ein Zentrum der Auslandsspionage der DINA. Sie war einer von fünf geheimen chilenischen Militärstützpunkten, die nach dem chilenischen Militärputsch mit Hilfe des deutschen Obersts Hans-Ulrich Rudel eingerichtet worden waren, um einen militärischen Gegenschlag gegen Argentinien führen zu können. Rudel, ein aktiver Neonazi, den Hitler hoch geschätzt hat, war persönlich in der Colonia Dignidad.
Damals wurde die Siedlung mit unterirdischen Bunkern, Kommandozentralen, einem umfassenden geheimen Warn- und Überwachungssystem und einem unterirdischen Flugplatz ausgestattet. Das Stützpunktsystem gehörte zu einem "Projekt Andrea", in dessen Rahmen in großen Mengen Giftgas eingesetzt werden sollte. Die damalige Ehefrau eines beteiligten Agenten schrieb, das Gas sei zuerst an politischen Gefangenen ausprobiert worden. Offenbar war die Colonia Dignidad am Schmuggel von Komponenten für das Gas beteiligt. Die Colonia Dignidad war Anlaufstelle und Zufluchtort für NS-Verbrecher und für rechte Terroristen. Sie war ein Schmuggelzentrum für Waffen und andere Güter. Sie war in Geldwäsche verwickelt. Die Colonia Dignidad war jahrelang ein politisches Scharnier zwischen der CSU, dem Freistaat Bayern, der Hanns-Seidel-Stiftung, dem Bundesnachrichtendienst (so die regierungsamtliche chilenische Zeitung La Nación del Domingo vom 3. 10. 2004) und der ontakte bestanden zu Rechtsextremisten wie Hugo Roggendorf, einem SS-Mann, der sich nach 1945 in Concepcion als Bäcker niedergelassen hatte, dem dubiosen Geschäftsmann und Geheimdienstler Hans Albrecht Loeper, zu Anhängern der Thule-Mythologie wie dem esoterischen Nazi Juan Maler (alias Reinhard Kopps), dem Waffenhändler Gerhard Mertins, während des 2. Weltkriegs Fallschirmjäger, späterer Sympathisant der neonationalsozialistischen Sozialistischen Reichspartei (SRP), dann der CDU. Ebenfalls bekannt wurden Kontakte des Soziologieprofessors Lothar Bossle und des Völkerrechtlers Dieter Blumenwitz zur "Colonia Dignidad". 1997 lobte der Neonazi-Scharfmacher "Schinderhannes" alias Hans-Josef Mack im Thule-Netz die "Colonia Dignidad" in höchsten Tönen. Das Leben dort sei "ein Traum, zumindest, was die menschliche, deutsche Seite betrifft! Land und Leute ... muss man natürlich mögen".
Die Strafverfahren, die Schäfers Opfer nach erfolgreicher Flucht gegen ihn wegen sexuellem Missbrauch und Freiheitsentziehung eingeleitet haben, sind zwischenzeitlich allesamt verjährt. Den chilenischen Behörden wurde vorgeworfen, die gerichtlich angeordneten Durchsuchungen des Sektengeländes nicht sonderlich effizient durchgeführt zu haben, weshalb man Schäfer nicht habhaft werden konnte. Wie dpa im Januar 2000 meldete, haben 15 Folter-Opfer der Colonia Dignidad Strafanzeige gegen Ex-Diktator Augusto Pinochet gestellt. Die 15 Betroffenen schrieben in einer Erklärung, ihre Anzeigen richteten sich gegen Pinochet, aber auch "gegen den chilenischen Staat und gegen die Verantwortlichen einschließlich der deutschen Regierung". Ermittlungsrichter Juan Guzmán eröffnete damit das 57. Ermittlungsverfahren gegen Pinochet wegen Verbrechen unter der Militärdiktatur zwischen 1973 und 1989.
Paul Schäfer ist seit 1996 untergetaucht. Nach Schäfers Flucht leitete sein ehemaliger Stellvertreter und Sicherheitschef Gerhard Mücke die Kolonie. Mücke wurde im September 2000 festgenommen. Er soll an politisch motivierten Morden auf dem Gelände der Sekte beteiligt gewesen sein. Im Dezember 2001 wurde bekannt, dass Mücke nun aus Chile ausgewiesen werden sollte. Das Berufungsgericht in Santiago de Chile wies einen Einspruch Mückes gegen ein entsprechendes Urteil aus dem Jahr zuvor zurück. Auch Mücke stand unter dem Verdacht, während der Pinochet-Diktatur an Repressionen gegen Oppositionelle beteiligt gewesen zu sein.
Mitglieder der "Colonia Dignidad" waren auch an dem seit langem geplanten NS-Kongress in Chile beteiligt, der im Januar 2000 trotz internationaler Proteste von der Öffentlichkeit unbemerkt stattfinden konnte. Auch die in konspirativen Zellen operierenden Vorbereitungsgruppen des Kongresses waren in vielen Fällen gleichzeitig Mitglieder der Freundeskreise der "Colonia Dignidad".
Ab etwa 2003 schien sich die Colonia Dignidad ohne öffentliche Skandale vom Folterlager einer Psychosekte zu einer normalen Agrarkooperative umzuwandeln. Es gab eine stillschweigende Übereinkunft zwischen der chilenischen Regierung, den Streitkräften und der Colonia Dignidad, bei der der Arzt Hartmut Hopp, vormals Stellvertreter von Schäfer, Mittelsmann seitens der Siedlung war. Sie besagte, dass die Colonia Dignidad demokratisiert wird, Schäfer aus der Siedlung zu verschwinden hat und die Siedlungsbewohner freien Zugang zu Informationen haben. Die strikte Geschlechtertrennung wurde für einige Bewohner aufgehoben. Schäfer befand sich, falls er noch lebte, außerhalb des Geländes. Der Radiosender und der Flughafen der Colonia Dignidad, die auch als Infrastruktur der Spionage und des Waffenhandels benutzt worden waren, wurden deaktiviert. Die technische Zusammenarbeit mit den Streitkräften wurde eingestellt.
Noch 2002, also 12 Jahre nach dem Auflösungsdekret der ersten demokratisch gewählten Regierung nach Pinochet, vereitelte jedoch die Colonia Dignidad mit scharfen Hunden und Geländewagen den bisher letzten Fluchtversuch einer Frau. Die stillschweigende Übereinkunft zwischen der Colonia Dignidad und der chilenischen Regierung hatte die Unterdrückungsstrukturen im großen Ganzen bestehen lassen. Die Siedler konnten telefonieren und sich partiell informieren, die Geschlechtertrennung wurde aufgehoben, aber Gehirnwäsche, Sektenwahn und Medikamentenmissbrauch gab es weiterhin.
Die finanziellen Schwierigkeiten schienen bewirken zu können, was die Politik nicht leisten konnte oder wollte; die Colonia Dignidad lebte von der Substanz. Sie musste Paul Schäfer und seine engsten Gefolgsleute in einem Versteck in Chile aushalten und Schäfers Arztrechnungen wegen eines Lungenleidens bezahlen. Sie musste das Schweigen zweier ausgestiegener Familien, die es sich in Südchile gut gehen ließen, mit hohen Summen bezahlen. Wegen Dutzender von Prozessen musste sie eine Schar hochkarätiger Anwälte honorieren. Dazu musste sie den Weggang Dutzender der 250 Bewohner verkraften. Eine der wichtigsten Einnahmequellen, der Waffenschmuggel, war seit dem Ende der Pinochetdiktatur geschmälert, und statt den Staat um die Steuern zu betrügen, hatte die Siedlung große Steuerschulden zu begleichen.
Die Führungsclique saß in der Falle; jeder der etwa 15 Männer hatte Prozesse am Hals. Wer untertauchte oder Chile heimlich verlassen würde, würde dann per internationalem Haftbefehl gesucht werden. Auch die Staatsanwaltschaft Bonn ermittelte weiter. Die Sektenführer blieben also auf in der Colonia.
Die Alterspyramide der Siedlung entwickelte sich extrem ungünstig. Diejenigen, die 1961 im besten Alter mit Schäfer, gegen den die Staatsanwaltschaft wegen Kindesmissbrauchs ermittelte, nach Chile flohen, waren durch schwerste Arbeit, körperliche Misshandlungen und Medikamentenmissbrauch ausgelaugt. Die nicht mehr Arbeitsfähigen vegetierten im oberen Stockwerk des behördlich geschlossenen Krankenhauses unter erbärmlichen Bedingungen vor sich hin. Viele Bewohner hatten gravierende psychische Probleme. Wegen der von der Sektenführung verhängten Strafen waren Wirbelsäulen ruiniert, Trommelfelle geplatzt und Kieferknochen gebrochen.
Nach der Lockerung der Geschlechtertrennung verschafften sich Frauen und Männer von 40 oder 50 Jahren Zugang zu Sexualaufklärung und heirateten. Aus diesen Ehen gab es etwa 20 Kinder, von denen im Jahre 2004 noch keines im Kindergartenalter war. Dazwischen fehlte jedoch eine komplette Generation. Es gab immer weniger Bewohner, die durch Arbeitskraft und Initiative die Wirtschaftsbetriebe der Siedlung hätten am Laufen halten und einen Machtwechsel erreichen können. Mit jedem, der die Colonia verließ, wurde die Situation dramatischer.
Die sich absetzten, hatten keine Schul- oder Berufsabschlüsse, hatten nie Lohn erhalten und keine Sozial- oder Rentenansprüche. Viele hatten auch keine Verwandte, die sie hätten aufnehmen können. In Chile gab es für sie keine Anlaufstellen. Um die deutsche Botschaft in Santiago machten die Ausgestiegenen einen Bogen, da Schäfer sich bester Beziehungen zu ihr gerühmt hatte. Tatsächlich waren die Beziehungen zur Pinochet-Zeit gut. Briefe von Ausgestiegenen an den chilenischen Präsidenten Lagos mit der Bitte um kleinste Hilfeleistungen blieben unbeantwortet. Auch in Deutschland gab es keine Anlaufstelle. Die Wenigen, die die Siedlung verlassen hatten, hingen in einem dünnen Netz freiwilliger Helfer. Das trug nicht dazu bei, den Schritt in die Freiheit zu wagen.
sfux - 11. Mär, 08:35 Article 4076x read