Glut der Freiheit
Stephan Fuchs - Andra Borlo überschreitet Grenzen. Die ehemalige Berner Sängerin der Rockformation k’daar und Menschenrechtsaktivistin gibt mit „New York Diary“ ihr Solo Debüt. Das in ihrer zweiten Heimat Brooklyn aufgenommene akustische Album besticht mit klever arrangierten Songs und überschreitet mit Oboe, Geige, Bass, Piano und Drums auch musikalische Grenzen. Sie nennt ihre Musik „alternative acoustic pop“ und singt nebst englischen Songs erstmals auch einige Songs in deutscher Sprache. Stephan Fuchs sprach mit Andra Borlo über die Glut ihrer Stimme und ihre Arbeit als Politologin.
Andra Borlo ihre Stimme hat die Glut der Freiheit, sie berührt das Knochenmark in ihrem sensibelsten Bereich. In einem anderen sensiblen Bereich sitzen Häftlinge und warten auf die Exekution. Sie berühren beide Punkte mit der gleichen Leidenschaft…

"Die Gefängnisse sind inzwischen eine ganz wichtige Industrie der amerikanischen Wirtschaft. Sie müssen voll sein."
Ich versuche, alles in meinem Leben mit Leidenschaft zu machen. Es freut mich, dass Sie diese Intensität in meiner Musik wahrnehmen.
In ihrer Stimme höre ich auch die ungehörten Schreie dieser Menschen. Sie haben durch Ihr Engagement das Leben nahe an den Tod geknüpft. Wie machen Sie das, ohne zu verbittern?
Das ist sicher für alle Menschen eine grosse Herausforderung. Wir haben nur eine Chance, wenn wir nie den Blick auf die positiven Entwicklungen und Momente verlieren. Und diesen Blick habe ich über die Jahre trainiert. Für meinen Alltag kann ich persönlich viel relativieren. Ich fühle mich vom Leben sehr beschenkt und spüre eine tiefe Dankbarkeit.
Verstehen sie Musik als Ventil?
Ja, die Musik ist für mich ein wichtiges Ventil, um Erlebtes zu verarbeiten –auch im Bereich meines Engagements gegen die Todesstrafe. Das heisst nicht, dass ich nur solche Songs schreibe. Auf meiner neuen CD sind vor allem Songs, in denen ich von Liebe singe, oder von Abschied und Verrat. „Das ist der Ort“ ist ein Stück, welches ich nach einem Gefangenenbesuch im texanischen Todestrakt geschrieben habe. Ich brauchte einen Weg, dieses Gefühl von absoluter Ohnmacht und Trauer loszuwerden.
Amerika versteht sich als zivilisierteste und demokratischste Gesellschaft der Welt.
Und dennoch warten Tausende von Menschen auf ihre Hinrichtung – viele davon sind unschuldig zum Tode verurteilt. Die Gefängnisse sind inzwischen eine ganz wichtige Industrie der amerikanischen Wirtschaft. Sie müssen voll sein.
Sind die Menschen im Todestrakt die Monster wie sie uns von den US Medien präsentiert werden?
Die meisten zum Tode verurteilten sind Afroamerikaner, Latinos oder Weisse aus den ärmsten Einkommensschichten. Viele davon waren zur falschen Zeit am falschen Ort. Sie landen im Todestrakt, weil sie sich keinen privaten Anwalt leisten können. Viele davon sind unschuldig. Selbst wenn sie schuldig sind: hätten sie Geld, würden sie nicht zum Tode verurteilt. In den Medien werden sie als Monster dargestellt und nie gefragt, warum jemand eine bestimmte Tat begangen hat. Es ist, als hätten viele Amerikaner die Idee, dass Menschen gut oder schlecht geboren werden. Darum ist das Justizsystem nicht auf Prävention und Rehabilitation ausgerichtet.
Vielleicht ein Todeskult?
Ich glaube nicht. Eher eine Verquickung der amerikanischen „erst schiessen – dann fragen“ Mentalität, des biblischen „Auge um Auge – Zahn um Zahn“ Gedankens und einer guten Portion Korruption, welche der Gesellschaft einen Schuldigen, vor die Beine werfen muss um…
…um das System am Leben zu erhalten?
Ja, den Glauben daran, die Rache sei Gerechtigkeit. Aber Rache ist nur Selbstzweck, damit alle an ihrem Platz bleiben. Im Falle der Todesstrafe ist das eine Fortsetzung der Lynchjustiz.
Sie haben über das Gefängnis ihre Stimme als Instrument entdeckt…
Das war vor sechzehn Jahren. Mein damaliger Freund war als Dienstverweigerer in einem Schweizer Gefängnis. Ich wollte mit ihm sprechen und habe deshalb in einer Privatwohnung gegenüber dem Gefängnis geklingelt. Einer liess mich rein und so konnte ich, quer über die Strasse hinweg mit meinem Freund sprechen. Ich musste brüllen, damit er mich versteht. Meine Stimme hallte in den Gassen, eine gute Akustik... Sein Zellenpartner war Gitarrist und war von meiner dunklen, kratzigen Stimme fasziniert. Er lud mich ein, nach seiner Haftzeit in seiner Band zu singen. Ich tat es und habe so meine Leidenschaft zum Gesang entdeckt.
Sie sind schwer in eine „Kiste“ einzuteilen. Sie sind Sängerin und Menschenrechtsaktivistin, arbeiten als Politologin selbständig an diversen Projekten im Menschenrechtsbereich, wohnen in Bern und seit einigen Jahren mit zweitem Wohnsitz in Brooklyn. Dass Sie keine Grenzen kennen, zeigen Sie nun auch mit Ihrer „New York-Diary“ Tour. Dazu haben sie Bryonn Bain eingeladen. Ein Hip-Hop Künstler aus Brooklyn. Das ist seltsam, Musik die Gewalt zelebriert?
Ich kannte Hip-Hop auch nur in dieser Form vom Radio her. Gewalt. Drogen, Bandenkrieg. Bis ich Bryonn Bain kennen lernte. Ich lud ihn als Referent zu einem Medienevent ein, welches ich für Nanon Williams organisiert hatte. Bryonn hat mich dann in die Kultur des „Spoken Word“ eingeweiht, welcher von starken Texten lebt – von Poesie bis zu politisch anspruchsvollen Inhalten. Bryonn gehört zu einer in den USA immer grösser werdenden Gruppe von Künstlern, welche Hip-Hop wieder zu seinen Wurzeln zurückführen will, zu Texten, welche soziale Veränderung bewirken. Bryonn hat Literatur studiert, dann Jura in Harvard abgeschlossen, ist Literaturprofessor, Journalist, Poet, Bürgerrechtsaktivist und eben Musiker. Diese Kombination gibt ihm eine konstruktive Explosivität. Er kämpft mit Geist, Herz und Brillanz. Sein erster Artikel in der New Yorker Zeitung Village Voice hat 100'000 Leserreaktionen ausgelöst. Das hatte es in derer Zeitungsgeschichte bis dahin noch nie gegeben.
Musik als Nachrichtenmedium?
Das ist richtig. Schauen sie, was Bryonn passierte ist klassisch für Amerika. Es nennt sich „racial profiling“: Bryonn wurde von der Polizei im Auto angehalten, man fand unter seinem Namen ein Strafregistereintrag, das irgendjemand bei den Behörden gepflanzt hat der ihm schlecht wollte. Sie fragten wer er sei. Er sagte er sei Harward Law School Absolvent, habe eine Professur für Literatur, sei Poet und Hip-Hop Künstler. Sie haben Bryonn in die psychiatrische Abteilung des Gefängnisses verfrachtet. Sie haben ihm schlicht nicht geglaubt und ihm eine Schizophrenie attestiert. Ein 27 jähriger Schwarzer, dachten die, kann doch nicht Professor sein und in Harvard studiert haben! Einem Weissen wäre das nicht passiert. Weder die Verhaftung noch der Unglaube, dass er eine gute Ausbildung hat.
Bryonn ist ein Dorn in den Augen konservativer Politiker?
Ja und dazu ein begnadeter Musiker, der eben mit dem Hip-Hop das Publikum erreicht welches für Nachrichten wie sie Bryonn in seinen Spoken Words erzählt, empfänglich ist. Mit seinen politischen und literarischen Texten setzt er einen Kontrapunkt zum kommerziellen Hip-Hop. Bryonn Bain spricht die kontroversen Themen der USA wie Chancenungleichheit oder das marode Justizsystem an.
Bryonn stand in den letzten Jahren mit Leuten wie Maceo Parker, the Last Poets, Amiri Baraka, oder dead prez auf den Bühnen. Warum kommt er mit Ihnen auf die Bühne? In der Schweiz, wo wir ganz andere Themen haben?
Bryonn hat zwei Songs auf meiner CD vertont und dabei den Narren an meiner Musik gefressen. So entstand die Idee, dass wir zusammen auf die Bühne stehen. Er ist ein unglaublich charismatischer Performer. Ich möchte diese Kunst dem Schweizer Publikum zeigen. Und „seine“ Themen haben wir hier auch. Vor allem Rassismus, den ich in der Schweiz als immer stärker werdend empfinde. Ein guter Nährboden für die menschenverachtende Asylpolitik der SVP. Ein düsteres Kapitel in der Schweizer Politlandschaft. Es gäbe noch viel zu den Missständen in der Schweiz zu sagen.
Und dazu kommt auch KuttiMC als Gast auf die Tour?

"Ich glaube, wir glühen alle auf der Bühne – die Mühle ist aus Holz, das kann gefährlich werden!"
Ja genau. Darüber freue ich mich besonders! So überschreiten wir wieder eine Grenze. Hip-Hop ist nicht nur in den USA lebendig, sondern eben auch in der Schweiz. Ich freue mich extrem, die beiden gemeinsam auf der Bühne zu haben und zu einem Rap-Duell in Schweizerdeutsch und Englisch antreten zu lassen. Das wird lustig, weil Bryonn die Mimik von KuttiMC lesen muss und kein Wort versteht! KuttiMC hat mit dem Rap eine Form gefunden, seine guten und originellen Texte in eine anmächelige Form zu verpacken. Der Rap steht im gut!
Aber sie selber sind keine Hip-Hop Künstlerin! Sie haben eine Stimme der Leidenschaft, sie machen guten Pop und groovigen Jazz.
Ich habe keine Berührungsängste. Ich finde es spannend! Das Programm „New York Diary“ wird als Delikatesse den akustischen Pop mit Hip-Hop verknüpfen. So steht ein Hip-Hop Künstler mit Oboe, Bass, Violine, Drums und Piano auf der Bühne. Wir bleiben akustisch, trotz Hip-Hop Elementen. Diese musikalische Zusammenarbeit ist eine Premiere. Es war gar nicht so einfach, in der Schweiz Musiker zu finden, die so vielseitig sind, dass sie klassische, jazzige, rockige und popige Sounds und Grooves spielen können. Vor allem für Oboe, Geige und Bass war das knifflig. Mit Mathias Z. Bühler, Simon Heggedorn und Richard Pechota habe ich grosses Glück gehabt. Auch Schlagzeuger Adrian Christen ist sehr vielseitig und Pianist Philippe Kuhn, der meine CD produziert hat, ist für mich sowieso ein musikalisches Wunder!
Hat die Glut ihrer Stimme genügend Platz in dem Programm?
Auf jeden Fall. Ich werde alle 12 Songs meiner neuer CD– drei Songs mit Bryonn als Ergänzung, performen. Dann gibt es einen Block mit Songs von Bryonn und KuttiMC, bei dem ich mich als Background-Sängerin versuche und ja vielleicht auch glühen kann...Apropos Glühen: ich freue mich sehr auf die Stimme von Jamie Wong-Li. Jamie hat einige Backing Vocals auf meinem Album gesungen und wird das auch in der Mühle Hunziken tun. Und sie wird auf jeden Fall auch ein Solo singen. Ich glaube, wir glühen alle auf der Bühne – die Mühle ist aus Holz, das kann gefährlich werden!
Andra Borlo, ich bedanke mich für ihr Engagement für die Menschlichkeit und wünsche ihnen und den Musikern einen guten Tourstart.
Andra Borlo ist mit den Gästen Bryonn Bain und KuttiMC vom 8. bis 19. März 200 auf Schweizer Tournee. CD Taufe: 12. März in der Mühle Hunziken, Bern / 20:00 Uhr
Andra Borlo
Bryonn Bain
Weiterführende Artikel:
The execution of mentally ill offenders
Gründer der Crips Hingerichtet
Am Gittertor von San Quentin
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Andra Borlo ihre Stimme hat die Glut der Freiheit, sie berührt das Knochenmark in ihrem sensibelsten Bereich. In einem anderen sensiblen Bereich sitzen Häftlinge und warten auf die Exekution. Sie berühren beide Punkte mit der gleichen Leidenschaft…

"Die Gefängnisse sind inzwischen eine ganz wichtige Industrie der amerikanischen Wirtschaft. Sie müssen voll sein."
Ich versuche, alles in meinem Leben mit Leidenschaft zu machen. Es freut mich, dass Sie diese Intensität in meiner Musik wahrnehmen.
In ihrer Stimme höre ich auch die ungehörten Schreie dieser Menschen. Sie haben durch Ihr Engagement das Leben nahe an den Tod geknüpft. Wie machen Sie das, ohne zu verbittern?
Das ist sicher für alle Menschen eine grosse Herausforderung. Wir haben nur eine Chance, wenn wir nie den Blick auf die positiven Entwicklungen und Momente verlieren. Und diesen Blick habe ich über die Jahre trainiert. Für meinen Alltag kann ich persönlich viel relativieren. Ich fühle mich vom Leben sehr beschenkt und spüre eine tiefe Dankbarkeit.
Verstehen sie Musik als Ventil?
Ja, die Musik ist für mich ein wichtiges Ventil, um Erlebtes zu verarbeiten –auch im Bereich meines Engagements gegen die Todesstrafe. Das heisst nicht, dass ich nur solche Songs schreibe. Auf meiner neuen CD sind vor allem Songs, in denen ich von Liebe singe, oder von Abschied und Verrat. „Das ist der Ort“ ist ein Stück, welches ich nach einem Gefangenenbesuch im texanischen Todestrakt geschrieben habe. Ich brauchte einen Weg, dieses Gefühl von absoluter Ohnmacht und Trauer loszuwerden.
Amerika versteht sich als zivilisierteste und demokratischste Gesellschaft der Welt.
Und dennoch warten Tausende von Menschen auf ihre Hinrichtung – viele davon sind unschuldig zum Tode verurteilt. Die Gefängnisse sind inzwischen eine ganz wichtige Industrie der amerikanischen Wirtschaft. Sie müssen voll sein.
Sind die Menschen im Todestrakt die Monster wie sie uns von den US Medien präsentiert werden?
Die meisten zum Tode verurteilten sind Afroamerikaner, Latinos oder Weisse aus den ärmsten Einkommensschichten. Viele davon waren zur falschen Zeit am falschen Ort. Sie landen im Todestrakt, weil sie sich keinen privaten Anwalt leisten können. Viele davon sind unschuldig. Selbst wenn sie schuldig sind: hätten sie Geld, würden sie nicht zum Tode verurteilt. In den Medien werden sie als Monster dargestellt und nie gefragt, warum jemand eine bestimmte Tat begangen hat. Es ist, als hätten viele Amerikaner die Idee, dass Menschen gut oder schlecht geboren werden. Darum ist das Justizsystem nicht auf Prävention und Rehabilitation ausgerichtet.
Vielleicht ein Todeskult?
Ich glaube nicht. Eher eine Verquickung der amerikanischen „erst schiessen – dann fragen“ Mentalität, des biblischen „Auge um Auge – Zahn um Zahn“ Gedankens und einer guten Portion Korruption, welche der Gesellschaft einen Schuldigen, vor die Beine werfen muss um…
…um das System am Leben zu erhalten?
Ja, den Glauben daran, die Rache sei Gerechtigkeit. Aber Rache ist nur Selbstzweck, damit alle an ihrem Platz bleiben. Im Falle der Todesstrafe ist das eine Fortsetzung der Lynchjustiz.
Sie haben über das Gefängnis ihre Stimme als Instrument entdeckt…
Das war vor sechzehn Jahren. Mein damaliger Freund war als Dienstverweigerer in einem Schweizer Gefängnis. Ich wollte mit ihm sprechen und habe deshalb in einer Privatwohnung gegenüber dem Gefängnis geklingelt. Einer liess mich rein und so konnte ich, quer über die Strasse hinweg mit meinem Freund sprechen. Ich musste brüllen, damit er mich versteht. Meine Stimme hallte in den Gassen, eine gute Akustik... Sein Zellenpartner war Gitarrist und war von meiner dunklen, kratzigen Stimme fasziniert. Er lud mich ein, nach seiner Haftzeit in seiner Band zu singen. Ich tat es und habe so meine Leidenschaft zum Gesang entdeckt.
Sie sind schwer in eine „Kiste“ einzuteilen. Sie sind Sängerin und Menschenrechtsaktivistin, arbeiten als Politologin selbständig an diversen Projekten im Menschenrechtsbereich, wohnen in Bern und seit einigen Jahren mit zweitem Wohnsitz in Brooklyn. Dass Sie keine Grenzen kennen, zeigen Sie nun auch mit Ihrer „New York-Diary“ Tour. Dazu haben sie Bryonn Bain eingeladen. Ein Hip-Hop Künstler aus Brooklyn. Das ist seltsam, Musik die Gewalt zelebriert?
Ich kannte Hip-Hop auch nur in dieser Form vom Radio her. Gewalt. Drogen, Bandenkrieg. Bis ich Bryonn Bain kennen lernte. Ich lud ihn als Referent zu einem Medienevent ein, welches ich für Nanon Williams organisiert hatte. Bryonn hat mich dann in die Kultur des „Spoken Word“ eingeweiht, welcher von starken Texten lebt – von Poesie bis zu politisch anspruchsvollen Inhalten. Bryonn gehört zu einer in den USA immer grösser werdenden Gruppe von Künstlern, welche Hip-Hop wieder zu seinen Wurzeln zurückführen will, zu Texten, welche soziale Veränderung bewirken. Bryonn hat Literatur studiert, dann Jura in Harvard abgeschlossen, ist Literaturprofessor, Journalist, Poet, Bürgerrechtsaktivist und eben Musiker. Diese Kombination gibt ihm eine konstruktive Explosivität. Er kämpft mit Geist, Herz und Brillanz. Sein erster Artikel in der New Yorker Zeitung Village Voice hat 100'000 Leserreaktionen ausgelöst. Das hatte es in derer Zeitungsgeschichte bis dahin noch nie gegeben.
Musik als Nachrichtenmedium?
Das ist richtig. Schauen sie, was Bryonn passierte ist klassisch für Amerika. Es nennt sich „racial profiling“: Bryonn wurde von der Polizei im Auto angehalten, man fand unter seinem Namen ein Strafregistereintrag, das irgendjemand bei den Behörden gepflanzt hat der ihm schlecht wollte. Sie fragten wer er sei. Er sagte er sei Harward Law School Absolvent, habe eine Professur für Literatur, sei Poet und Hip-Hop Künstler. Sie haben Bryonn in die psychiatrische Abteilung des Gefängnisses verfrachtet. Sie haben ihm schlicht nicht geglaubt und ihm eine Schizophrenie attestiert. Ein 27 jähriger Schwarzer, dachten die, kann doch nicht Professor sein und in Harvard studiert haben! Einem Weissen wäre das nicht passiert. Weder die Verhaftung noch der Unglaube, dass er eine gute Ausbildung hat.
Bryonn ist ein Dorn in den Augen konservativer Politiker?
Ja und dazu ein begnadeter Musiker, der eben mit dem Hip-Hop das Publikum erreicht welches für Nachrichten wie sie Bryonn in seinen Spoken Words erzählt, empfänglich ist. Mit seinen politischen und literarischen Texten setzt er einen Kontrapunkt zum kommerziellen Hip-Hop. Bryonn Bain spricht die kontroversen Themen der USA wie Chancenungleichheit oder das marode Justizsystem an.
Bryonn stand in den letzten Jahren mit Leuten wie Maceo Parker, the Last Poets, Amiri Baraka, oder dead prez auf den Bühnen. Warum kommt er mit Ihnen auf die Bühne? In der Schweiz, wo wir ganz andere Themen haben?
Bryonn hat zwei Songs auf meiner CD vertont und dabei den Narren an meiner Musik gefressen. So entstand die Idee, dass wir zusammen auf die Bühne stehen. Er ist ein unglaublich charismatischer Performer. Ich möchte diese Kunst dem Schweizer Publikum zeigen. Und „seine“ Themen haben wir hier auch. Vor allem Rassismus, den ich in der Schweiz als immer stärker werdend empfinde. Ein guter Nährboden für die menschenverachtende Asylpolitik der SVP. Ein düsteres Kapitel in der Schweizer Politlandschaft. Es gäbe noch viel zu den Missständen in der Schweiz zu sagen.
Und dazu kommt auch KuttiMC als Gast auf die Tour?

"Ich glaube, wir glühen alle auf der Bühne – die Mühle ist aus Holz, das kann gefährlich werden!"
Ja genau. Darüber freue ich mich besonders! So überschreiten wir wieder eine Grenze. Hip-Hop ist nicht nur in den USA lebendig, sondern eben auch in der Schweiz. Ich freue mich extrem, die beiden gemeinsam auf der Bühne zu haben und zu einem Rap-Duell in Schweizerdeutsch und Englisch antreten zu lassen. Das wird lustig, weil Bryonn die Mimik von KuttiMC lesen muss und kein Wort versteht! KuttiMC hat mit dem Rap eine Form gefunden, seine guten und originellen Texte in eine anmächelige Form zu verpacken. Der Rap steht im gut!
Aber sie selber sind keine Hip-Hop Künstlerin! Sie haben eine Stimme der Leidenschaft, sie machen guten Pop und groovigen Jazz.
Ich habe keine Berührungsängste. Ich finde es spannend! Das Programm „New York Diary“ wird als Delikatesse den akustischen Pop mit Hip-Hop verknüpfen. So steht ein Hip-Hop Künstler mit Oboe, Bass, Violine, Drums und Piano auf der Bühne. Wir bleiben akustisch, trotz Hip-Hop Elementen. Diese musikalische Zusammenarbeit ist eine Premiere. Es war gar nicht so einfach, in der Schweiz Musiker zu finden, die so vielseitig sind, dass sie klassische, jazzige, rockige und popige Sounds und Grooves spielen können. Vor allem für Oboe, Geige und Bass war das knifflig. Mit Mathias Z. Bühler, Simon Heggedorn und Richard Pechota habe ich grosses Glück gehabt. Auch Schlagzeuger Adrian Christen ist sehr vielseitig und Pianist Philippe Kuhn, der meine CD produziert hat, ist für mich sowieso ein musikalisches Wunder!
Hat die Glut ihrer Stimme genügend Platz in dem Programm?
Auf jeden Fall. Ich werde alle 12 Songs meiner neuer CD– drei Songs mit Bryonn als Ergänzung, performen. Dann gibt es einen Block mit Songs von Bryonn und KuttiMC, bei dem ich mich als Background-Sängerin versuche und ja vielleicht auch glühen kann...Apropos Glühen: ich freue mich sehr auf die Stimme von Jamie Wong-Li. Jamie hat einige Backing Vocals auf meinem Album gesungen und wird das auch in der Mühle Hunziken tun. Und sie wird auf jeden Fall auch ein Solo singen. Ich glaube, wir glühen alle auf der Bühne – die Mühle ist aus Holz, das kann gefährlich werden!
Andra Borlo, ich bedanke mich für ihr Engagement für die Menschlichkeit und wünsche ihnen und den Musikern einen guten Tourstart.



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sfux - 1. Feb, 08:50 Article 3146x read