Der Tod ist ein Grinsemann
Harald Haack – Alle Menschen haben wenigstens eines gemeinsam, auch wenn sie künftig keine natürliche Geburt mehr haben werden – was gegenwärtig schon anklingt wie das zarte Ping eines beschwipsten Mauerseglers, der die Kurve nicht kriegt und gegen eine Kirchenglocke prallt. Der Tod erwartet sie alle – Mauersegler mit gebrochenem Genick und Menschen, die wussten, wann sie den Kopf einzuziehen hatten.
Geburt und Sterben sind die intimsten Augenblicke des Lebens. Sie wurden aber nicht so lukrativ vermarktet wie der Zeugungsakt, der in Abermillionen mehr oder weniger schmuddeligen Fotos und Filmen wie auch in archaischen Darstellungen früher Zivilisationen immer wieder dargestellt wurde. Die Brutalität von Geburt und Tod jedoch ist alles andere als inspirierend.
Wer seinen letzten Atemzug tat und zum Fraß von Maden und Bakterien wurde, der grinst in seinem dunklen Grab; nicht gerade für die Ewigkeit, aber manchmal länger als ein Menschenleben.
Doch nicht alle Toten grinsen in ihrem Grab. Wer während seines Lebens andere Menschen erheiterte, fürchtet sich offenbar vor diesem Dauergrinsen als Toter, will sich nicht mit Grinsspangenträgern der Stars der Schlager- und Volksmusikbranche in einen Sarg bzw. in ein Massengrab werfen lassen; irgendwann muss die Volksbelustigung, mit der man sich seinen Lebensunterhalt einst verdiente, zu Ende sein. Auch ein Komiker hat schließlich das Recht auf Würde nach seinem Ableben.
Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr erkenne ich, dass ich mich an keinen exzellenten Komiker und Unterhalter erinnere, der sich jemals während seiner Sketche entwürdigte.
Wer sich aber entwürdigte, kann kein Komiker sein; oder er ist ein Versager wie Adolf Hitler, der als Despot nur wie ein Komiker wirkte. Charles Chaplin, der ihn persiflierte, war ein dagegen ein Komiker, der Menschen zum Lachen brachte und keineswegs zum Weinen. Hitler aber trieb Menschen in den Tod und entwürdigte sich. Chaplin blieb dagegen Mensch und bewahrte sich seine Würde, wenn auch die amerikanische Justiz ihn verfolgte.
Komisch ist das Unerwartete. Ephraim Kishon war einer dieser Meister des Unerwarteten – desgleichen die Erwartung mit jeder seiner Satiren stieg. Und er lehrte uns: Komisch ist nicht nur das Unerwartete, sondern auch die Leichtigkeit, mit der uns das Unerwartete dargeboten wird. Wer sich jemals wie Kishon an komischen Erzählungen versucht hat, weiß, wie schwer diese „Leichtigkeit“ sein kann. Vom deutschen Showmaster Peter Frankenfeld, dessen einziger Makel sein Grinsen war (aber zugleich auch ein Sympathie tragendes Element für seine Zuschauer) wurde überliefert, wie sehr er sich mit dem Unerwarteten plagte. Auch von Heinz Ehrhardt, dessen Grab ich übrigens regelmäßig besuche, wenn ich mit dem Fahrrad über den Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg radle, ist bekannt, dass er für sich selbst zu einem Despoten seiner witzigen Verse wurde. Millionen von Fernsehzuschauern und Kinobesuchern ahnten nicht, wie dieser Mann in der Erstellung dessen gelitten hatte, was anderen Menschen die Mundwinkel in die Höhe trieb und was gemeinhin als Grinsen verstanden wird. Die Natürlichkeit und die Menschlichkeit des Unerwarteten, der Komik, wurden zu seinem Markenzeichen.
Nicht immer musste ein Sketch neu sein, um bei Zuschauern im herzhaften Lachen zu zünden. Aber die Art und Weise wie dieser Sketch gespielt wurde und wie leicht und unvermittelt das vor allem wirkte, sorgte für den Erfolg. So gab es einst einen Sketch mit Dean Martin und Jerry Lewis. Für streng konservative und kreuzlahme amerikanische Fernsehzuschauer der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts war es der Brüller, als der „Tölpel“ Jerry Lewis seinen als Harlekin agierenden Dean Martin eimerweise auf der Bühne mit Wasser überschüttete und dieser dann den „Spieß“ umdrehte.
Im deutschen Fernsehen tauchte der Gag in einer der Shows von Rudi Carrell in den Siebziger Jahren wieder auf. Heinz Ehrhardt spielte den liebenswerten Tölpel während Rudi Carrell den klügeren Harlekin verkörperte. Rudolf Wijbrand Kesselaar, so Carrells niederländisch-bürgerlicher Name, verstand es, über den bloßen Klamauk hinaus, Sinnlichkeit, Herz und Seele in den Sketch einfließen zu lassen. Heinz Ehrhardt musste als Dummchen ein Regen-Lied singen und wurde nass geregnet. Rudi Carrell dagegen, ganz der glänzend-kluge Harlekin, durfte ein Sonnenschein-Lied singen und blieb trocken. Die Poente jedoch bestand in der Beibehaltung des Prinzips, obwohl beide die Rollen aufgrund des protestierenden, den Dummen spielenden Ehrhardt tauschten. Dem „Dummen“ traf es doch wieder.
Heinz Ehrhardt wurde in einem Erdgrab bestattet. Wahrscheinlich grinst sein Schädel, falls noch erhalten, im Grab vor sich hin; so wie dies allen Totenschädeln zu Eigen ist.
Rudi Carrell lebt offenbar noch – wahrscheinlich schläft er – in diesem Moment, in dem ich diese Gedanken in den Speicher meines Computers tippe. Er zählt zu jenen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die ich trotz aller Anfeindungen, die solchen Menschen entgegen gebracht werden, gerne einmal persönlich „kennengelernt“ hätte. Leider aber sind sie alle, als sie reif genug für mein Bedürfnis waren, weggestorben.
Zur größten Anfeindung gegenüber von Rudi Carrell zählt wahrscheinlich sein „holländischer“ Akzent, obwohl er Niederländer war. Nun gut, Chris Howland, ein britischer Spassmacher des Deutschen Fernsehens, bemühte sich auch um den Erhalts seines muttersprachlichen Akzents – wenn auch ihm dies mit den Jahren immer schwerer fiel. Aber besonders Niederländer zählten zu den Carrell-Hassern, weil er es ihrer Meinung nach nicht fertig brachte ein gutes Deutsch zu sprechen und somit einen „dummen“ Niederländer, einen „Käskop“, verkörperte. Gerne würdigen sie ihn zu einem Holländer herab. Niederländer verstehen unter einem solchen „Holländer“ eigentlich jene Menschen, die im Land Holland leben und reichlich „unterbelichtet“ sind – vielleicht deshalb, weil sie sich von der naiven „Frau Antje“ und deren Käse-Consorten so platt, wie das platte Land der Niederlande, haben vermarkten lassen.
Deutsche kennen Holländer dagegen als Hardcore-Wohnwagen-User und haben diese wegen ihrer Geselligkeit lieb gewonnen. Ein ziemlich blödes Klischee. Und dies nur, weil etliche Niederländer ihre Wohnwagen über deutsche Autobahnen ziehen. Das hat sich zwangsläufig auf Rudi Carrell, auf „unseren Rudi“, übertragen. Er musste sich vieles gefallen lassen, und wahrscheinlich hat er sich die Plattitüden selbst auf den Leib geschrieben.
Also Rudi! Sagen Sie uns, wie das wirklich war. Sagen Sie es uns, solange Sie noch unter den Lebenden weilen. Es schmälert Ihren Ruhm nicht, wenn Sie zugeben, dass Ihr Job harte Arbeit war, dass Sie sich stets gespielt haben. Klar, Arbeit kann auch Spaß machen, aber immer das Attribut „Ausländer“ angeklebt zu kriegen, ist bestimmt nicht das, was man sich nach dem Tod erhofft. Sie gingen nach Deutschland mit viel Hoffnung und Sie sagen, dass ihre Hoffnung nicht enttäuscht wurde. Danke dafür, dass Sie uns Deutsche unterhalten haben. Ich hoffe, Deutschland hat sie nicht enttäuscht.
Sie spüren den Tod kommen. Sie wollen, dass ihr Leichnam verbrannt wird. Asche grinst nicht mehr. Ihre Entscheidung in allen Ehren! Auch ich, der wie Sie gegenwärtig die Nähe des Todes spürt, muss sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass dann, wenn es denn das endlich war, er verbrannt wird und damit seinem Tod das Grinsen genommen wird.
Mit dem Tod verlieren wir unser Leben. Es ist aber unsere Entscheidung, ob wir über unser Leben hinaus unserer Mutter Erde – und wenn es nur im dunklen Erdreich ist – ein Grinsen schenken. Über mich muss ich ehrlich sagen, dass mir der Ort, wo meine Asche verstreut wird, wichtiger ist als ein Grinsen, das Ewigkeit vorgaukelt, aber tatsächlich nicht so lange hält. Sterben Sie sanft, Rudi Carrell. Und: Nochmals Danke für die unterhaltsamen Stunden, der Ihr Lebensunterhalt war und uns zum Grinsen und Lachen brachte.
Rudi Carrell: Mehr Angst vor Jacob Sisters als vor dem Tod
Geburt und Sterben sind die intimsten Augenblicke des Lebens. Sie wurden aber nicht so lukrativ vermarktet wie der Zeugungsakt, der in Abermillionen mehr oder weniger schmuddeligen Fotos und Filmen wie auch in archaischen Darstellungen früher Zivilisationen immer wieder dargestellt wurde. Die Brutalität von Geburt und Tod jedoch ist alles andere als inspirierend.
Wer seinen letzten Atemzug tat und zum Fraß von Maden und Bakterien wurde, der grinst in seinem dunklen Grab; nicht gerade für die Ewigkeit, aber manchmal länger als ein Menschenleben.
Doch nicht alle Toten grinsen in ihrem Grab. Wer während seines Lebens andere Menschen erheiterte, fürchtet sich offenbar vor diesem Dauergrinsen als Toter, will sich nicht mit Grinsspangenträgern der Stars der Schlager- und Volksmusikbranche in einen Sarg bzw. in ein Massengrab werfen lassen; irgendwann muss die Volksbelustigung, mit der man sich seinen Lebensunterhalt einst verdiente, zu Ende sein. Auch ein Komiker hat schließlich das Recht auf Würde nach seinem Ableben.
Je mehr ich darüber nachdenke, desto mehr erkenne ich, dass ich mich an keinen exzellenten Komiker und Unterhalter erinnere, der sich jemals während seiner Sketche entwürdigte.
Wer sich aber entwürdigte, kann kein Komiker sein; oder er ist ein Versager wie Adolf Hitler, der als Despot nur wie ein Komiker wirkte. Charles Chaplin, der ihn persiflierte, war ein dagegen ein Komiker, der Menschen zum Lachen brachte und keineswegs zum Weinen. Hitler aber trieb Menschen in den Tod und entwürdigte sich. Chaplin blieb dagegen Mensch und bewahrte sich seine Würde, wenn auch die amerikanische Justiz ihn verfolgte.
Komisch ist das Unerwartete. Ephraim Kishon war einer dieser Meister des Unerwarteten – desgleichen die Erwartung mit jeder seiner Satiren stieg. Und er lehrte uns: Komisch ist nicht nur das Unerwartete, sondern auch die Leichtigkeit, mit der uns das Unerwartete dargeboten wird. Wer sich jemals wie Kishon an komischen Erzählungen versucht hat, weiß, wie schwer diese „Leichtigkeit“ sein kann. Vom deutschen Showmaster Peter Frankenfeld, dessen einziger Makel sein Grinsen war (aber zugleich auch ein Sympathie tragendes Element für seine Zuschauer) wurde überliefert, wie sehr er sich mit dem Unerwarteten plagte. Auch von Heinz Ehrhardt, dessen Grab ich übrigens regelmäßig besuche, wenn ich mit dem Fahrrad über den Ohlsdorfer Friedhof in Hamburg radle, ist bekannt, dass er für sich selbst zu einem Despoten seiner witzigen Verse wurde. Millionen von Fernsehzuschauern und Kinobesuchern ahnten nicht, wie dieser Mann in der Erstellung dessen gelitten hatte, was anderen Menschen die Mundwinkel in die Höhe trieb und was gemeinhin als Grinsen verstanden wird. Die Natürlichkeit und die Menschlichkeit des Unerwarteten, der Komik, wurden zu seinem Markenzeichen.
Nicht immer musste ein Sketch neu sein, um bei Zuschauern im herzhaften Lachen zu zünden. Aber die Art und Weise wie dieser Sketch gespielt wurde und wie leicht und unvermittelt das vor allem wirkte, sorgte für den Erfolg. So gab es einst einen Sketch mit Dean Martin und Jerry Lewis. Für streng konservative und kreuzlahme amerikanische Fernsehzuschauer der sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts war es der Brüller, als der „Tölpel“ Jerry Lewis seinen als Harlekin agierenden Dean Martin eimerweise auf der Bühne mit Wasser überschüttete und dieser dann den „Spieß“ umdrehte.
Im deutschen Fernsehen tauchte der Gag in einer der Shows von Rudi Carrell in den Siebziger Jahren wieder auf. Heinz Ehrhardt spielte den liebenswerten Tölpel während Rudi Carrell den klügeren Harlekin verkörperte. Rudolf Wijbrand Kesselaar, so Carrells niederländisch-bürgerlicher Name, verstand es, über den bloßen Klamauk hinaus, Sinnlichkeit, Herz und Seele in den Sketch einfließen zu lassen. Heinz Ehrhardt musste als Dummchen ein Regen-Lied singen und wurde nass geregnet. Rudi Carrell dagegen, ganz der glänzend-kluge Harlekin, durfte ein Sonnenschein-Lied singen und blieb trocken. Die Poente jedoch bestand in der Beibehaltung des Prinzips, obwohl beide die Rollen aufgrund des protestierenden, den Dummen spielenden Ehrhardt tauschten. Dem „Dummen“ traf es doch wieder.
Heinz Ehrhardt wurde in einem Erdgrab bestattet. Wahrscheinlich grinst sein Schädel, falls noch erhalten, im Grab vor sich hin; so wie dies allen Totenschädeln zu Eigen ist.
Rudi Carrell lebt offenbar noch – wahrscheinlich schläft er – in diesem Moment, in dem ich diese Gedanken in den Speicher meines Computers tippe. Er zählt zu jenen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, die ich trotz aller Anfeindungen, die solchen Menschen entgegen gebracht werden, gerne einmal persönlich „kennengelernt“ hätte. Leider aber sind sie alle, als sie reif genug für mein Bedürfnis waren, weggestorben.
Zur größten Anfeindung gegenüber von Rudi Carrell zählt wahrscheinlich sein „holländischer“ Akzent, obwohl er Niederländer war. Nun gut, Chris Howland, ein britischer Spassmacher des Deutschen Fernsehens, bemühte sich auch um den Erhalts seines muttersprachlichen Akzents – wenn auch ihm dies mit den Jahren immer schwerer fiel. Aber besonders Niederländer zählten zu den Carrell-Hassern, weil er es ihrer Meinung nach nicht fertig brachte ein gutes Deutsch zu sprechen und somit einen „dummen“ Niederländer, einen „Käskop“, verkörperte. Gerne würdigen sie ihn zu einem Holländer herab. Niederländer verstehen unter einem solchen „Holländer“ eigentlich jene Menschen, die im Land Holland leben und reichlich „unterbelichtet“ sind – vielleicht deshalb, weil sie sich von der naiven „Frau Antje“ und deren Käse-Consorten so platt, wie das platte Land der Niederlande, haben vermarkten lassen.
Deutsche kennen Holländer dagegen als Hardcore-Wohnwagen-User und haben diese wegen ihrer Geselligkeit lieb gewonnen. Ein ziemlich blödes Klischee. Und dies nur, weil etliche Niederländer ihre Wohnwagen über deutsche Autobahnen ziehen. Das hat sich zwangsläufig auf Rudi Carrell, auf „unseren Rudi“, übertragen. Er musste sich vieles gefallen lassen, und wahrscheinlich hat er sich die Plattitüden selbst auf den Leib geschrieben.
Also Rudi! Sagen Sie uns, wie das wirklich war. Sagen Sie es uns, solange Sie noch unter den Lebenden weilen. Es schmälert Ihren Ruhm nicht, wenn Sie zugeben, dass Ihr Job harte Arbeit war, dass Sie sich stets gespielt haben. Klar, Arbeit kann auch Spaß machen, aber immer das Attribut „Ausländer“ angeklebt zu kriegen, ist bestimmt nicht das, was man sich nach dem Tod erhofft. Sie gingen nach Deutschland mit viel Hoffnung und Sie sagen, dass ihre Hoffnung nicht enttäuscht wurde. Danke dafür, dass Sie uns Deutsche unterhalten haben. Ich hoffe, Deutschland hat sie nicht enttäuscht.
Sie spüren den Tod kommen. Sie wollen, dass ihr Leichnam verbrannt wird. Asche grinst nicht mehr. Ihre Entscheidung in allen Ehren! Auch ich, der wie Sie gegenwärtig die Nähe des Todes spürt, muss sich mit dem Gedanken vertraut machen, dass dann, wenn es denn das endlich war, er verbrannt wird und damit seinem Tod das Grinsen genommen wird.
Mit dem Tod verlieren wir unser Leben. Es ist aber unsere Entscheidung, ob wir über unser Leben hinaus unserer Mutter Erde – und wenn es nur im dunklen Erdreich ist – ein Grinsen schenken. Über mich muss ich ehrlich sagen, dass mir der Ort, wo meine Asche verstreut wird, wichtiger ist als ein Grinsen, das Ewigkeit vorgaukelt, aber tatsächlich nicht so lange hält. Sterben Sie sanft, Rudi Carrell. Und: Nochmals Danke für die unterhaltsamen Stunden, der Ihr Lebensunterhalt war und uns zum Grinsen und Lachen brachte.

sfux - 20. Mär, 07:35 Article 1827x read