Blogszene Schweiz
Une Fille du Limmatquai - Als ich vor gut dreieinhalb Jahren beschloss, ein Weblog zu führen, hätte ich nie gedacht, dass ich damit Teil eines Netzwerkes werden könnte und auf diesem Weg neue Bekanntschaften schliessen würde, virtuell wie persönlich. Ich hatte zuvor einige Monate lang im Internet regelmässig verschiedene Weblogs besucht, und ehe ich mich versah, verfasste ich selbst täglich Blogbeiträge, erhielt die ersten Reaktionen auf meine Texte und realisierte, dass ich zwar unter dem Deckmantel der Anonymität schrieb, schlussendlich aber die ganze Welt mitlesen konnte, was mich bewegt und in meinem Leben passiert. Mich kümmerte damals allerdings wenig, ob meine Leser aus der Schweiz oder sonstwo stammen, und erst recht nicht, ob sie ebenfalls ein Weblog führen. Mir ging es ums Schreiben, mich faszinierte, wie einfach mir eine Plattform für meine Texte geboten wurde.
"Der Anteil an französischsprachigen Weblogs in der Schweiz ist im Verhältnis zur prozentualen Sprachverteilung hoch. Ob das daran liegt, dass wir Deutschschweizer mit unserer Amtsprache, dem Hochdeutschen, doch mehr hadern als wir zugeben möchten?"
Erst später, als ich auf die ersten Schweizer Blogverzeichnisse aufmerksam wurde, ist mir klargeworden, dass es eine Schweizer Blogszene gibt. Nicht, dass ich bei meinen Streifzügen durch die sogenannte «Blogosphäre» nicht auch anderen Schweizer Weblogs begegnet wäre, doch hielt ich uns Deutschweizer für eher schreibfaul. Eine Meinung, mit der ich übrigens gar nicht so falsch lag: Der Anteil an französischsprachigen Weblogs in der Schweiz ist im Verhältnis zur prozentualen Sprachverteilung hoch. Ob das daran liegt, dass wir Deutschschweizer mit unserer Amtsprache, dem Hochdeutschen, doch mehr hadern als wir zugeben möchten?
Wer ist denn nun alles Teil der Schweizer Blogszene? Natürlich gibt es keine fixe Definition, aber es sind einerseits alle in der Schweiz wohnhaften Blogger, alle Auslandschweizer mit Weblogs, und von mir aus gesehen auch die Blogger, die weder Schweizer sind noch hier leben, deren Weblogs inhaltlich aber einen Bezug zur Schweiz aufweisen.
Wer sich Zeit nimmt, in die Schweizer Blogszene einzutauchen – am einfachsten geht das über ein Blogverzeichnis, oder indem man sich über Blogrolls, das sind Linklisten, von Weblog zu Weblog klickt - wird schnell begreifen, wie heterogen diese ist. Das einzige, was die Betreiber auf den ersten Blick gemeinsam zu haben scheinen ist, dass sie alle ein Weblog führen und dazu eine passende Software einsetzen.
Weblogbeiträge können tagebuchartig geführt werden, über die neusten technischen Innovationen berichten oder sogenannte «Podcast», eigene Radioshows, zum Download anbieten. Weblogger veröffentlichen Strickmuster, sind gesellschaftskritisch, sie decken Skandale und Ungereimtheiten in Politik und Wirtschaft auf und werden so von manchen traditionellen Medien langsam aber sicher als ernst zunehmende Konkurrenz wahrgenommen. Es werden Tierbilder, Babybilder und Ferienfotos gezeigt, Wettbewerbe veranstaltet und mehr oder weniger ernsthafte Umfragen durchgeführt. Blogger veröffentlichen Kochrezepte, Kino- und Konzertkritiken, geben Buch-, Musik- und Restaurantempfehlungen ab und bewerten neu erworbene Konsumgüter.
Genauso verschieden wie die Webloginhalte sind auch deren Betreiber. Während die einen anonym die ganze Welt an ihrem Liebes- und Sexualleben teilhaben lassen oder über Ungerechtigkeiten und Probleme am Arbeitsplatz berichten, gibt es andere, die mit ihrem richtigen Namen auftreten und sich so auch ausserhalb der virtuellen Welt ihrem privaten Umfeld oder der Öffentlichkeit stellen.
Die Schweizer Blogszene unterscheidet sich wahrscheinlich nicht gross von denen anderer in Europa. Vielleicht geht es bei uns ein bisschen ruhiger zu als anderorts, schweizerisch bedächtiger. Der Austausch findet meistens öffentlich statt, in Kommentaren oder Foren, die extra dafür eingerichtet wurden. Es gibt Blogger, die nicht nur sich selbst zu ernst nehmen und Blogger, die manches vielleicht ein bisschen ernster nehmen sollten. Es gibt Trendsetter und Mitläufer, es gibt Blogger, die vor Ideen übersprudeln und Blogger, die finden, dass bitte alles so bleiben soll wie es ist. Es gibt laute Blogger und solche, die leise Perlen fabrizieren und deren Qualität erst entdeckt werden muss. Es gibt literarisch anspruchsvolle Texte und solche, über die nicht nur Deutschlehrer verzweifelt den Kopf schütteln. Es gibt Blogger, die jede neue Meldung veröffentlichen und Blogger, die sich darüber so richtig schön ärgern können. Genauso wie es diejenigen gibt, die Regeln für Weblogs aufstellen möchten, die viel weiter gehen als die immer wiederkehrende Frage, ob es nun «das» oder «der» Weblog heisst. Ein bisschen mehr «leben und leben lassen» würde der Szene gut tun, andererseits lieben und brauchen auch Blogger Klatsch und Tratsch, und der Fakt, dass sich in der Zwischenzeit viele virtuelle Bekanntschaften in reale Freundschaften verwandelt haben, macht alles natürlich noch interessanter.
Heute, wo wir konstant mit Informationen überflutet werden, ist es angenehm, aus einem zwar nicht mehr kleinen, aber noch überschaubaren Netz das herauszufiltern, was einem interessiert und von Gleichgesinnten empfohlen wird. Andererseits bringt einem die Vielfältigkeit der Blogwelt die unterschiedlichsten Themen nahe. Es scheint zwar eher unmöglich, dass sich der Technikfreak auf einmal für Strickmuster interessiert, aber vielleicht läuft ihm bei den Fotos zu einem köstlichen Bratenrezept das Wasser im Munde zusammen und er beschliesst, nach langer Zeit endlich mal wieder selbst in die Küche zu stehen. Oder er druckt das Rezept aus und legt es seiner Freundin auf den Tisch. Wie auch immer, mich haben Weblogs schon zu allem Möglichen inspiriert, als Highlight sei hier der Kauf einer bestimmten Toilettenpapier-Marke erwähnt.
Was uns Schweizer Blogger verbindet, ist schlussendlich doch mehr als nur das Wort «Blog» und die dazugehörende Software. Es ist die Arbeit und die Sorgfalt, die viele von uns in ihr Weblog stecken. Mag sein, dass in jedem von uns ein kleiner Exhibitionist steckt, aber was wir tun, tun wir meist mit viel Engagement und einem nicht unbeträchtlichen Zeitaufwand. Denn schlussendlich ist die es Qualität des Inhalts, die ein gutes von einem schlechten Weblog unterscheidet: Und wenn nun am 5. Mai in Biel von der Schweizer Blogszene zum ersten Mal das beste Schweizer Weblog gekürt wird, spielt hoffentlich der Inhalt die Hauptrolle. Wobei ich persönlich bezweifle, dass «The Best of Swiss Blogs» überhaupt ermittelt werden kann. Dazu ist das Angebot schlicht zu vielfältig. Und so wird es hoffentlich auch weiterhin bleiben.
Die Besten im Netz: Zum ersten Mal werden in der Schweiz die beliebtesten Weblogs gekürt
Unefilledulimmatquai
Dieser Artikel erschien im Berner ensuite Kulturmagazin
"Der Anteil an französischsprachigen Weblogs in der Schweiz ist im Verhältnis zur prozentualen Sprachverteilung hoch. Ob das daran liegt, dass wir Deutschschweizer mit unserer Amtsprache, dem Hochdeutschen, doch mehr hadern als wir zugeben möchten?"
Erst später, als ich auf die ersten Schweizer Blogverzeichnisse aufmerksam wurde, ist mir klargeworden, dass es eine Schweizer Blogszene gibt. Nicht, dass ich bei meinen Streifzügen durch die sogenannte «Blogosphäre» nicht auch anderen Schweizer Weblogs begegnet wäre, doch hielt ich uns Deutschweizer für eher schreibfaul. Eine Meinung, mit der ich übrigens gar nicht so falsch lag: Der Anteil an französischsprachigen Weblogs in der Schweiz ist im Verhältnis zur prozentualen Sprachverteilung hoch. Ob das daran liegt, dass wir Deutschschweizer mit unserer Amtsprache, dem Hochdeutschen, doch mehr hadern als wir zugeben möchten?
Wer ist denn nun alles Teil der Schweizer Blogszene? Natürlich gibt es keine fixe Definition, aber es sind einerseits alle in der Schweiz wohnhaften Blogger, alle Auslandschweizer mit Weblogs, und von mir aus gesehen auch die Blogger, die weder Schweizer sind noch hier leben, deren Weblogs inhaltlich aber einen Bezug zur Schweiz aufweisen.
Wer sich Zeit nimmt, in die Schweizer Blogszene einzutauchen – am einfachsten geht das über ein Blogverzeichnis, oder indem man sich über Blogrolls, das sind Linklisten, von Weblog zu Weblog klickt - wird schnell begreifen, wie heterogen diese ist. Das einzige, was die Betreiber auf den ersten Blick gemeinsam zu haben scheinen ist, dass sie alle ein Weblog führen und dazu eine passende Software einsetzen.
Weblogbeiträge können tagebuchartig geführt werden, über die neusten technischen Innovationen berichten oder sogenannte «Podcast», eigene Radioshows, zum Download anbieten. Weblogger veröffentlichen Strickmuster, sind gesellschaftskritisch, sie decken Skandale und Ungereimtheiten in Politik und Wirtschaft auf und werden so von manchen traditionellen Medien langsam aber sicher als ernst zunehmende Konkurrenz wahrgenommen. Es werden Tierbilder, Babybilder und Ferienfotos gezeigt, Wettbewerbe veranstaltet und mehr oder weniger ernsthafte Umfragen durchgeführt. Blogger veröffentlichen Kochrezepte, Kino- und Konzertkritiken, geben Buch-, Musik- und Restaurantempfehlungen ab und bewerten neu erworbene Konsumgüter.
Genauso verschieden wie die Webloginhalte sind auch deren Betreiber. Während die einen anonym die ganze Welt an ihrem Liebes- und Sexualleben teilhaben lassen oder über Ungerechtigkeiten und Probleme am Arbeitsplatz berichten, gibt es andere, die mit ihrem richtigen Namen auftreten und sich so auch ausserhalb der virtuellen Welt ihrem privaten Umfeld oder der Öffentlichkeit stellen.
Die Schweizer Blogszene unterscheidet sich wahrscheinlich nicht gross von denen anderer in Europa. Vielleicht geht es bei uns ein bisschen ruhiger zu als anderorts, schweizerisch bedächtiger. Der Austausch findet meistens öffentlich statt, in Kommentaren oder Foren, die extra dafür eingerichtet wurden. Es gibt Blogger, die nicht nur sich selbst zu ernst nehmen und Blogger, die manches vielleicht ein bisschen ernster nehmen sollten. Es gibt Trendsetter und Mitläufer, es gibt Blogger, die vor Ideen übersprudeln und Blogger, die finden, dass bitte alles so bleiben soll wie es ist. Es gibt laute Blogger und solche, die leise Perlen fabrizieren und deren Qualität erst entdeckt werden muss. Es gibt literarisch anspruchsvolle Texte und solche, über die nicht nur Deutschlehrer verzweifelt den Kopf schütteln. Es gibt Blogger, die jede neue Meldung veröffentlichen und Blogger, die sich darüber so richtig schön ärgern können. Genauso wie es diejenigen gibt, die Regeln für Weblogs aufstellen möchten, die viel weiter gehen als die immer wiederkehrende Frage, ob es nun «das» oder «der» Weblog heisst. Ein bisschen mehr «leben und leben lassen» würde der Szene gut tun, andererseits lieben und brauchen auch Blogger Klatsch und Tratsch, und der Fakt, dass sich in der Zwischenzeit viele virtuelle Bekanntschaften in reale Freundschaften verwandelt haben, macht alles natürlich noch interessanter.
Heute, wo wir konstant mit Informationen überflutet werden, ist es angenehm, aus einem zwar nicht mehr kleinen, aber noch überschaubaren Netz das herauszufiltern, was einem interessiert und von Gleichgesinnten empfohlen wird. Andererseits bringt einem die Vielfältigkeit der Blogwelt die unterschiedlichsten Themen nahe. Es scheint zwar eher unmöglich, dass sich der Technikfreak auf einmal für Strickmuster interessiert, aber vielleicht läuft ihm bei den Fotos zu einem köstlichen Bratenrezept das Wasser im Munde zusammen und er beschliesst, nach langer Zeit endlich mal wieder selbst in die Küche zu stehen. Oder er druckt das Rezept aus und legt es seiner Freundin auf den Tisch. Wie auch immer, mich haben Weblogs schon zu allem Möglichen inspiriert, als Highlight sei hier der Kauf einer bestimmten Toilettenpapier-Marke erwähnt.
Was uns Schweizer Blogger verbindet, ist schlussendlich doch mehr als nur das Wort «Blog» und die dazugehörende Software. Es ist die Arbeit und die Sorgfalt, die viele von uns in ihr Weblog stecken. Mag sein, dass in jedem von uns ein kleiner Exhibitionist steckt, aber was wir tun, tun wir meist mit viel Engagement und einem nicht unbeträchtlichen Zeitaufwand. Denn schlussendlich ist die es Qualität des Inhalts, die ein gutes von einem schlechten Weblog unterscheidet: Und wenn nun am 5. Mai in Biel von der Schweizer Blogszene zum ersten Mal das beste Schweizer Weblog gekürt wird, spielt hoffentlich der Inhalt die Hauptrolle. Wobei ich persönlich bezweifle, dass «The Best of Swiss Blogs» überhaupt ermittelt werden kann. Dazu ist das Angebot schlicht zu vielfältig. Und so wird es hoffentlich auch weiterhin bleiben.



sfux - 2. Mai, 08:26 Article 2722x read
Claudio