Heute greift Brasilien in die WM ein
Karl Weiss - Die Fangemeinde in Brasilien, systematisch aufgeputscht durch die Medien, erwartet die Weltmeisterschaft, das sagenhafte „Hexa" (sechsfacher Weltmeister) von ihrer Seleção, nicht mehr und nicht weniger. Tatsächlich ist Brasilien Hauptfavorit und kaum einer wird verneinen können, daß man die beste Mannschaft hat. Doch die absolute Sicherheit, mit der die brasilianischen Medien den Gewinn der Weltmeisterschaft als bereits feststehend herausposaunen, ist trotzdem unsinnig, um nicht zu sagen hirnverbrannt.

Fußball ist eine der wenigen Sportarten, in der nicht immer die Besten gewinnen, oder anders ausgedrückt, der Begriff „Die Besten" ist in dieser Sportart am wenigsten zu fassen.
Es ist nicht übertrieben zu sagen, daß der Fußball sogar eine Tendenz hat, die großen Favoriten nicht gewinnen zu lassen – nicht generell, es gibt auch die Fälle, wo die Favoriten gewinnen, aber in ausgeprägter Zahl eben auch jene, wo die Favoriten enttäuschen.
Speziell gilt dies bei Turnieren und Pokalen, wenn sich also schwache Tage direkt auswirken und nicht, wie bei einer Meisterschaft mit Hin-und Rückspielen, auf die Dauer wieder ausgleichen. Insofern ist es eigentlich ein Wunder, daß noch nie ein Außenseiter die WM gewonnen hat. Ins Spiel um den dritten Platz kamen schon eine ganze Reihe „nicht Gesetzter", aber zu mehr hat es nie gereicht. Dabei sind Ereignisse wie die Griechen, die die letzte Europameisterschaft gewannen oder die Kolumbianer, die die vorletzte Version der Südamerikameisterschaft für sich entschieden, normal im Fußball.
Speziell der moderne Fußball, der immer zunächst von der Verhinderung von Toren der anderen ausgeht und erst in zweiter Linie vom selbst Tore schießen, führt fast automatisch zu einer Nivellierung, einer Angleichung der Chancen, auch wenn eine Mannschaft technisch überlegen ist. Überhaupt tendieren die brasilianischen Medien, und nicht nur die, dazu, die Bedeutung der technischen Fähigkeiten der Spieler zu überschätzen. Ob einer 180 Mal den Ball von einem Fuß auf den anderen legen kann, ohne daß er den Boden berührt, sagt noch nicht viel über seine fußballerischen Fähigkeiten.
Luft für 120 Minuten
Die wesentlichen Grundlagen des heutigen Fußballs sind hohe Bewegungsintelligenz, Blick für das Spiel, Fähigkeit, seinen Ärger zu schlucken, überragende Kondition, Sprintschnelligkeit, Luft für 120 Minuten, speziell entwickelte und trainierte Muskulatur, Bereitschaft, alles zu geben, völliges Aufgehen in der gestellten Aufgabe, Knochen und Sehnen aus Stahl (bei den Fouls, die heute die Schiedsrichter durchgehen lassen, unabdingbar) und schließlich dann auch noch technische Fertigkeiten wie Fähigkeit zum korrekten Paß, zur korrekten Flanke, zur korrekten weiten Vorlage, Schußstärke und –Genauigkeit, Kopfballstärke und Schnelligkeit am Ball. Demgegenüber völlig untergeordnet (mit Ausnahmen) ist z.B. die Fähigkeit, dribbeln zu beherrschen oder Kunststückchen, wie das Heben des Balles über den Gegenspieler.
Wendet man dies auf die Unterschiede der brasilianischen Mannschaft von den anderen an, so schrumpft der scheinbare Riesenvorsprung auf einen recht mäßigen zusammen, der an einem schlechten Tag sogar verschwinden kann.
Z.B. sind die Spieler der Seleção mit Ausnahme der beiden Innenverteidiger schwach im Kopfball. Dazu kommt der Druck, der immer auf einem Favoriten lastet und der sich bis fast ins Unerträgliche steigern kann, wenn der Gegner durch irgendeinen dummen Zufall plötzlich in Führung geht. Manchmal funktioniert dann einfach gar nichts mehr. Es gibt auch den umgekehrten Effekt bei favorisierten Mannschaften: Hat man schon zwei Tore vorgelegt, fällt plötzlich alle Spannung von den Spielern ab und sie glauben, sie können das Spiel heimschaukeln. Es ist Legion die Zahl der Spiele, wo das schiefging, angefangen vom WM-Endspiel 1954 in der Schweiz, als die Ungarn, haushohe Favoriten, nach 10 Minuten 2:0 führten und ihre Konzentration nachließ. Der spätere Trainer und damalige Spielführer Koscic sagte später darüber: „In diesem Moment hatten wir das Spiel bereits verloren."
Spielkultur
Nun, niemand wird die extrem hohe Spielkultur der Brasilianer in Frage stellen können. Ein vorderes Mittelfeld und Sturm mit Ronaldinho, Kaká, Ronaldo und Adriano ist sonst niemandem gegeben, auch die beiden Außenverteidiger Cafú und Roberto Carlos sind weiterhin absolute Spitze, auch wenn es schon ihre dritte Weltmeisterschaft ist (bei Cafú sogar die vierte; er könnte als einziger Spieler Pelés Rekord einstellen mit drei Weltmeistertiteln – und hätte sogar mit vier Finalteilnahmen hintereinander einen für alle Zeiten gedachten Rekord aufgestellt, wenn, wenn, wenn). Ansonsten aber, bei den beiden in Deutschland spielenden Innenverteidigern und den beiden defensiven Mittelfeldspielern ist von absoluter Weltspitze nicht die Rede, beim Torwart wird man sehen müssen, immerhin ist Dida beim AC Mailand seit geraumer Zeit Stammtorhüter.
Theoretisch müßte es für Brasilien reichen. Aber grau ist alle Theorie. Vielleicht könnte eine Niederlage heute gegen Kroatien den richtigen Warnschuß abgeben, den man brauchen könnte, um dann zu großer Form aufzulaufen. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, daß heute ein lockerer Durchmarsch der brasilianischen Mannschaft beginnt, die einen Gegner nach dem anderen wegputzt. Und dabei auch noch den Eindruck hinterläßt, daß sie sich nicht einmal voll ausgegeben hat. Wenn diese brasilianische Mannschaft ins Spielen kommt, wenn plötzlich alles funktioniert, dann ist sie unschlagbar. Die Argentinier können ein Lied davon singen seit dem Endspiel im Confederations-Cup letztes Jahr in Deutschland.
‚Worst-Case-Szenario’ wäre ein 1:0-Sieg heute gegen Kroatien und danach ein Einbruch mit einem frühen Ausscheiden. – genau das, was Topfavorit Argentinien bei der letzten Weltmeisterschaft in Japan und Süd-Korea widerfuhr.
Die Medien in Brasilien skandieren im Minuten-Takt: „A taça é nossa!" ‚Der Pokal ist unser!’. So als ob alles schon gegessen sei. Ist es aber nicht. Wenn die Spieler sich davon beeinflussen lassen und aufs Spielfeld gehen mit dem Eindruck, schon fast gewonnen zu haben, ist das Desaster vorprogamiert.Andererseits möchte man es dem bescheiden und natürlich gebliebenen Ronaldinho, zum besten Spieler der Welt gewählt, gönnen, wiederum zu triumphieren. An einem guten Tag entscheidet er Spiele alleine.
Von Costa Rica übertölpeln lassen?
Jedenfalls wird der deutsche Fußballfan wohl kaum Gelegenheit haben, wieder ein Endspiel Deutschland-Brasilien zu sehen. Wenn unsere Verteidigung sich zwei Mal von Costa Rica übertölpeln läßt, wie viel wird die wohl von einem Argentinien eingeschenkt bekommen, das im Viertelfinale droht – wenn man denn überhaupt ins Viertelfinale kommt?
Jedenfalls ist Brasilien das einzige Land, in dem die Fans nichts außer dem Gewinn der Weltmeisterschaft akzeptieren. Ob man in der Vorrunde ausscheidet, wie 1966, im Achtelfinale, wie 1990, im Viertelfinale, wie 1986, in der Runde um den Einzug ins Finale, wie 1982 und 1978, oder im Endspiel unterliegt, wie 1998, ist völlig egal. Verloren ist verloren. Danach beginnt dann das Suchen nach Fehlern, nach Schuldigen und das ewige: Was wäre gewesen, wenn?

Fußball ist eine der wenigen Sportarten, in der nicht immer die Besten gewinnen, oder anders ausgedrückt, der Begriff „Die Besten" ist in dieser Sportart am wenigsten zu fassen.
Es ist nicht übertrieben zu sagen, daß der Fußball sogar eine Tendenz hat, die großen Favoriten nicht gewinnen zu lassen – nicht generell, es gibt auch die Fälle, wo die Favoriten gewinnen, aber in ausgeprägter Zahl eben auch jene, wo die Favoriten enttäuschen.
Speziell gilt dies bei Turnieren und Pokalen, wenn sich also schwache Tage direkt auswirken und nicht, wie bei einer Meisterschaft mit Hin-und Rückspielen, auf die Dauer wieder ausgleichen. Insofern ist es eigentlich ein Wunder, daß noch nie ein Außenseiter die WM gewonnen hat. Ins Spiel um den dritten Platz kamen schon eine ganze Reihe „nicht Gesetzter", aber zu mehr hat es nie gereicht. Dabei sind Ereignisse wie die Griechen, die die letzte Europameisterschaft gewannen oder die Kolumbianer, die die vorletzte Version der Südamerikameisterschaft für sich entschieden, normal im Fußball.
Speziell der moderne Fußball, der immer zunächst von der Verhinderung von Toren der anderen ausgeht und erst in zweiter Linie vom selbst Tore schießen, führt fast automatisch zu einer Nivellierung, einer Angleichung der Chancen, auch wenn eine Mannschaft technisch überlegen ist. Überhaupt tendieren die brasilianischen Medien, und nicht nur die, dazu, die Bedeutung der technischen Fähigkeiten der Spieler zu überschätzen. Ob einer 180 Mal den Ball von einem Fuß auf den anderen legen kann, ohne daß er den Boden berührt, sagt noch nicht viel über seine fußballerischen Fähigkeiten.
Luft für 120 Minuten
Die wesentlichen Grundlagen des heutigen Fußballs sind hohe Bewegungsintelligenz, Blick für das Spiel, Fähigkeit, seinen Ärger zu schlucken, überragende Kondition, Sprintschnelligkeit, Luft für 120 Minuten, speziell entwickelte und trainierte Muskulatur, Bereitschaft, alles zu geben, völliges Aufgehen in der gestellten Aufgabe, Knochen und Sehnen aus Stahl (bei den Fouls, die heute die Schiedsrichter durchgehen lassen, unabdingbar) und schließlich dann auch noch technische Fertigkeiten wie Fähigkeit zum korrekten Paß, zur korrekten Flanke, zur korrekten weiten Vorlage, Schußstärke und –Genauigkeit, Kopfballstärke und Schnelligkeit am Ball. Demgegenüber völlig untergeordnet (mit Ausnahmen) ist z.B. die Fähigkeit, dribbeln zu beherrschen oder Kunststückchen, wie das Heben des Balles über den Gegenspieler.
Wendet man dies auf die Unterschiede der brasilianischen Mannschaft von den anderen an, so schrumpft der scheinbare Riesenvorsprung auf einen recht mäßigen zusammen, der an einem schlechten Tag sogar verschwinden kann.
Z.B. sind die Spieler der Seleção mit Ausnahme der beiden Innenverteidiger schwach im Kopfball. Dazu kommt der Druck, der immer auf einem Favoriten lastet und der sich bis fast ins Unerträgliche steigern kann, wenn der Gegner durch irgendeinen dummen Zufall plötzlich in Führung geht. Manchmal funktioniert dann einfach gar nichts mehr. Es gibt auch den umgekehrten Effekt bei favorisierten Mannschaften: Hat man schon zwei Tore vorgelegt, fällt plötzlich alle Spannung von den Spielern ab und sie glauben, sie können das Spiel heimschaukeln. Es ist Legion die Zahl der Spiele, wo das schiefging, angefangen vom WM-Endspiel 1954 in der Schweiz, als die Ungarn, haushohe Favoriten, nach 10 Minuten 2:0 führten und ihre Konzentration nachließ. Der spätere Trainer und damalige Spielführer Koscic sagte später darüber: „In diesem Moment hatten wir das Spiel bereits verloren."
Spielkultur
Nun, niemand wird die extrem hohe Spielkultur der Brasilianer in Frage stellen können. Ein vorderes Mittelfeld und Sturm mit Ronaldinho, Kaká, Ronaldo und Adriano ist sonst niemandem gegeben, auch die beiden Außenverteidiger Cafú und Roberto Carlos sind weiterhin absolute Spitze, auch wenn es schon ihre dritte Weltmeisterschaft ist (bei Cafú sogar die vierte; er könnte als einziger Spieler Pelés Rekord einstellen mit drei Weltmeistertiteln – und hätte sogar mit vier Finalteilnahmen hintereinander einen für alle Zeiten gedachten Rekord aufgestellt, wenn, wenn, wenn). Ansonsten aber, bei den beiden in Deutschland spielenden Innenverteidigern und den beiden defensiven Mittelfeldspielern ist von absoluter Weltspitze nicht die Rede, beim Torwart wird man sehen müssen, immerhin ist Dida beim AC Mailand seit geraumer Zeit Stammtorhüter.
Theoretisch müßte es für Brasilien reichen. Aber grau ist alle Theorie. Vielleicht könnte eine Niederlage heute gegen Kroatien den richtigen Warnschuß abgeben, den man brauchen könnte, um dann zu großer Form aufzulaufen. Es ist aber auch nicht ausgeschlossen, daß heute ein lockerer Durchmarsch der brasilianischen Mannschaft beginnt, die einen Gegner nach dem anderen wegputzt. Und dabei auch noch den Eindruck hinterläßt, daß sie sich nicht einmal voll ausgegeben hat. Wenn diese brasilianische Mannschaft ins Spielen kommt, wenn plötzlich alles funktioniert, dann ist sie unschlagbar. Die Argentinier können ein Lied davon singen seit dem Endspiel im Confederations-Cup letztes Jahr in Deutschland.
‚Worst-Case-Szenario’ wäre ein 1:0-Sieg heute gegen Kroatien und danach ein Einbruch mit einem frühen Ausscheiden. – genau das, was Topfavorit Argentinien bei der letzten Weltmeisterschaft in Japan und Süd-Korea widerfuhr.
Die Medien in Brasilien skandieren im Minuten-Takt: „A taça é nossa!" ‚Der Pokal ist unser!’. So als ob alles schon gegessen sei. Ist es aber nicht. Wenn die Spieler sich davon beeinflussen lassen und aufs Spielfeld gehen mit dem Eindruck, schon fast gewonnen zu haben, ist das Desaster vorprogamiert.Andererseits möchte man es dem bescheiden und natürlich gebliebenen Ronaldinho, zum besten Spieler der Welt gewählt, gönnen, wiederum zu triumphieren. An einem guten Tag entscheidet er Spiele alleine.
Von Costa Rica übertölpeln lassen?
Jedenfalls wird der deutsche Fußballfan wohl kaum Gelegenheit haben, wieder ein Endspiel Deutschland-Brasilien zu sehen. Wenn unsere Verteidigung sich zwei Mal von Costa Rica übertölpeln läßt, wie viel wird die wohl von einem Argentinien eingeschenkt bekommen, das im Viertelfinale droht – wenn man denn überhaupt ins Viertelfinale kommt?
Jedenfalls ist Brasilien das einzige Land, in dem die Fans nichts außer dem Gewinn der Weltmeisterschaft akzeptieren. Ob man in der Vorrunde ausscheidet, wie 1966, im Achtelfinale, wie 1990, im Viertelfinale, wie 1986, in der Runde um den Einzug ins Finale, wie 1982 und 1978, oder im Endspiel unterliegt, wie 1998, ist völlig egal. Verloren ist verloren. Danach beginnt dann das Suchen nach Fehlern, nach Schuldigen und das ewige: Was wäre gewesen, wenn?
sfux - 13. Jun, 16:53 Article 2055x read