Portugal: Neue Enthüllungen zu Gefangenenflügen

World Content News - Die aus Portugal stammende Abgeordnete des EU-Untersuchungs-ausschusses Maria Gomes hat einen Sonderbericht veröffentlicht, der mit neuen Details zu den Gefangenenflügen von CIA und EUCOM aufwartet. Neben den Flugdaten der Flugaufsichtsbehörde Eurocontrol hätten es u.a. auch Geheimdokumente und Informanten aus den USA ermöglicht, erstmals einen Teil des militärischen Flugverkehrs nach Guantanamo nachzuverfolgen, der über die Azoren abgewickelt wurde. Zudem soll es laut einem Radio-Interview mit Gomes mehrere Zeugen geben, die auf dem Stützpunkt Lajes auf den Azoren den Transport angeketteter Menschen beobachtet haben wollen.
Der Gomes-Report weist insgesamt 94 Flüge über die Azoren von / nach Guantanamo aus, dabei handelt es sich um 77 Überflüge und 17 Landungen. 82 Flüge davon waren bisher nicht bekannt, man kann davon ausgehen, dass einige Aufschluss über den Transportzeitpunkt und -weg von entführten Personen geben könnten. World.Content.News hat die Flugdaten dechiffriert und analysiert und stellt sie am Ende dieses Artikels zum Download bereit.
Insgesamt 77 Flüge gingen von Militärflugzeugen aus, davon waren 5 bei den portugiesischen Behörden ordnungsgemäß vorher angemeldet. Einer dieser angemeldeten Flüge betrifft den Transport von Shaker Aamer und 30 weiterer Gefangener, die am 12. Februar 2002 von Afghanistan über einen bisher unbekannten Flughafen in Deutschland und über die Incirlik Airbase in der Türkei transportiert wurden. Damit wurde ein Bericht der Menschenrechtsorganisation "Reprieve" voll bestätigt. Ferner wird der Transport des Gefangenen Abdurrahman Khadr von Guantanamo nach Tuzla, Bosnien am 07.11.2003 durch die Gulfstream IV mit der Registriernummer N85VM erwähnt.
Ein militärischer Flug mit der Flugnummer PAT653 war sogar als Staatsflug (STS/State) ausgewiesen und startete am 24.12.2002 von Terceira /Azoren mit Ziel Guantanamo. Dies nährt die Gerüchte, wonach die Regierung Portugals mit den US-Entführern zusammenarbeitete. Das portugiesische Nachrichtenmagazin "Visao" hatte im Dezember dem Außenminister Luis Amado vorgeworfen, er habe EU-Ermittler über CIA-Flüge in die Irre geführt und in seiner Zeit als Verteidigungsminister Informationen zu möglichen CIA-Flügen zurückgehalten.
Neu und aufregend ist, dass auch Luftwaffenflugzeuge aus Europa auf Guantanamo gelandet sind. Es handelt sich um die Länder Belgien, Finnland, Großbritannien und Spanien. Doch gemach, gemach, es hat sich zumindest in einigen Fällen herausgestellt, dass sie nur ihre Staatsbürger wieder nach Hause holten, die der allierte Internierungspartner für sie aufbewahrt hatte. Entweder verzichtete man auf den berüchtigten Bringservice der Amerikaner oder der Große Bruder hatte aus entführungslogistischen Gründen gerade keine Maschine frei.
Auch Deutschland gerät wieder in die Schusslinie. Inzwischen wurde bekannt, dass bei dem ominösen Flug von Guantanamo über Nürnberg nach Duschanbe in Tadschikistan am 17.07.2004 sechs Passagiere an Bord gewesen sein sollen. Die Gulf 3 mit der Registriernummer N982RK startete nach einer Zwischenlandung auf Santa Maria/Azoren um 14:24 Uhr Richtung Deutschland, bei dem damaligen Operator soll es sich um die Firma "Water Above Mountain Holdings LLC" aus Burlington, North Carolina handeln (Flugzeugeigentümer: Richmor Aviation).

Fette Sache so eine C17 Foto: Borut Smrdelj
Durch die Gomes-Daten wurde auch ein militärischer Flug aufgedeckt, der am 17.04.2005 von Guantanamo nach Frankfurt/Main startete und zwischen 13:17 Uhr und 14:42 Uhr den portugiesischen Luftraum durchquerte. Es handelte sich um eine C17 (militärische Boeing-Version) mit der (temporären) Flugnummer RCH951 und der (festen) Seriennummer 01-0193, geflogen von der 437th Airlift Wing der US AirForce. Der Flugzweck? Wird wohl auch noch irgendwann aufgeklärt.
Unter den sechs zivilen US-Flugzeugen mit Guantanamo-Destination sind drei auffällige Maschinen, deren Flugdaten bisher noch nicht vom EU-Untersuchungsausschuss recherchiert wurden und deshalb dringend einer eingehenden Überprüfung bedürften, da der Verdacht von Gefangenentransporten bei so einer Route naheliegt. Es handelt sich um eine Gulf IV mit der Registriernummer N248AB, (Prime Jet LLC), N970SJ (Gulf IV, New World Aircraft GIV-1146 Llc) und N982RK (Gulf3, Richmor Aviation). Alle drei wurden auch wiederholt in Deutschland auf den Flughäfen Frankfurt, Berlin und München beobachtet. Die restlichen zivilen Flüge über die Azoren verteilen sich auf die alten Bekannten N85VM, N379P und N313P, deren Flugdaten inzwischen fast lückenlos ausgewertet sind. Erst vor wenigen Wochen hatte der EU-Untersuchungsausschuss Portugal bescheinigt, dass insgesamt 91 Flüge verursacht von 17 Flugzeugen mit CIA an Bord auf portugiesischen Flughäfen zwischengelandet waren.
Bei den Überflügen der Militärmaschinen dominiert als Herkunft oder Ziel der Luftwaffenstützpunkt Incirlik bei Adana in der Türkei bei fast der Hälfte aller Flüge. Möglicherweise wurden sie vom US-Hauptquartier EUCOM in Stuttgart-Vaihingen geplant und gesteuert, wie dies bei der Entführung der "Algerian Six" der Fall war. Laut Medienberichten hat ein General von EUCOM Entführungen von Terrorverdächtigen bereits vor 2 Jahren bestätigt. Die Gefangenen wurden damals ebenfalls in Incirlik "umverladen" und nach Guantanamo geflogen, berührten aber anscheinend nicht portugiesisches Hoheitsgebiet. Weitere Startpunkte oder Ziele von US-Militärflügen aus den Gomes-Daten mit Guantanamo-Bezug waren Marokko (Rabat, Casablanca), Spanien (Moron Airbase, Cardiz, Madrid), Libyen (Mitiga), Belgien (Bruxelles, Melsbroek), Großbritannien (Northolt), Deutschland (Frankfurt), Frankreich (Evreux), Albanien (Tirana) und Saudi-Arabien (Riad).
Zu den Beobachtungen über die angeketteten Gefangenen, die auf den Azoren in Busse verladen worden sein sollen, sagte die Abgeordnete Gomes im französischen Radiosender TSF, sie könne ihre Informanten aus Zeugenschutzgründen derzeit nicht benennen.
Auch in Polen sind Zeugen aufgetaucht, die über ungewöhnliche Geschehnisse auf dem Flughafen von Szymani berichten. Die ehemalige Direktorin des Flughafens, Mariola Przewlocka, schilderte der BBC ausführlich seltsame nächtliche Begebenheiten, die sich auf dem sonst eher ruhigen Flughafen zugetragen haben: "Sie kamen aus Kabul und flogen weiter nach Guantanamo. Sie hatten eigentlich keinen Grund gehabt, mit diesem großen Flugzeug auf dem kleinen Flughafen zu landen."
Frau Przewlocka, die Anweisungen hatte, sich den Flugzeugen nicht zu nähern und die abweichenden Landeformalitäten nicht in Frage zu stellen, "sonst würden Köpfe rollen", erinnert sich: "Militärfahrzeuge parkten immer in einer Weise vor dem Flugzeug, dass es unmöglich zu sehen war, was dort vor sich ging. Die Flugzeugfenster waren abgedunkelt." Bevor die Flugzeuge ankamen, seien stets hochrangige Grenzschützer aus Warschau eingetroffen, um die Modalitäten abzuwickeln. Die Landegebühren wurden in unüblicher Weise von polnischen "Zivilisten" entrichtet.
Laut dem Europaparlament wurden in Polen mindestens 11 dieser CIA-Flüge registriert. Frau Przewlocka wurde letztes Jahr "aus politischen Gründen" gefeuert, als sie die Europa-Parlamentarier dazu aufforderte, eine offizielle Erklärung abzugeben, dass Terrorverdächtige auf europäischem Boden festgehalten würden.
In Spanien sind die Untersuchungen über CIA-Flüge soweit gediehen, dass es ähnlich wie in Italien mit großer Wahrscheinlichkeit zu einer Anklage wegen Entführung gegen 13 namentlich bekannte CIA-Agenten kommen dürfte, die von Mallorca aus zur Entführung von Khaled el Masri aufgebrochen waren. Der spanische Geheimdienst CNI hat angeblich über die CIA-Flüge nichts gewusst und zum ersten Mal davon aus der mallorcinischen Presse davon erfahren und sträubt sich nun, relevante Dokumente für weitere Untersuchungen herauszugeben.
Deutschland dagegen hat noch Ermittlungsbedarf, nicht zuletzt im Fall einer möglichen geheimen Gefangenenhaltung von hochrangigen Terrorverdächtigen in Mannheim, bei denen der Augenzeuge, ein Militärpolizist, nach wie vor nicht auffindbar ist. Ein Friedensaktivist, der mit dem Verschwundenen zuvor Kontakt hatte und diese für die Bundesregierung höchst brisante Alarmmeldung an die Öffentlichkeit brachte, geht davon aus, dass dieser inzwischen nach Amerika ausgeflogen wurde und dort an einem unbekannten Ort im Gefängnis sitzt. Die Bundesanwaltschaft sieht dagegen keine Veranlassung, im Fall der Gefangenenflüge zu ermitteln, da es sich hier nicht um Straftatbestände mit politischem Hintergrund handele. Aber hallo, dieser Entführungsterror hat keinen politischen Hintergrund? Doch schon, aber deutsche Behörden haben ja selbst ordentlich mitgeholfen, c'est la vie in einer Gänsefü0chen-Demokratie.
Von den Medien kaum bemerkt, hat inzwischen der investigative Journalist Stephen Grey, der viele Details mit Beweiskraft zu den Gefangenenflügen recherchiert hat, sein Versprechen wahr gemacht und mehr als 3500 mutmaßliche CIA-Flüge, die meisten via Europa, auf der Webseite "Ghostplane.net" veröffentlicht. Dort kann man bequem in einer Datenbank anhand verschiedener Merkmale filtern, wann wo welche CIA-Flugzeuge ihr Unwesen getrieben haben.<
:-) Na also, langsam kommt doch noch Butter an die (fliegenden !) Fische ...
Download: Dechiffrierte Flugdaten Gomes-Report
(WCN, incl. military flights Azores-Guantanamo, zipped Excel-Sheet, 18 KB)
Ressourcen:
Summary Gomes-Report (pdf-Datei, 3 Seiten, 84 KB, 11.12.06)
Detailed Gomes-Report (pdf-Datei, 67 Seiten, 3611 KB, 31.08.06)
Original flight table Azores-Guantanamo (Icao)
(provided by Navegaçao Aérea de Portugal, pdf-Datei, 4 Seiten, 2189 KB, 12.12.06)
Medienberichte:
Illegale CIA-Flüge in Portugal beobachtet
(Financial Times Deutschland, 05.01.07)
Portuguese EU lawmaker says detainees from alleged CIA flights were seen at base in Azores ( International Herald Tribune, 05.01.07)
Hunt for CIA 'black site' in Poland (BBC, 28.12.06)
Polish airport at heart of CIA flights row (rinf.com, 03.01.07)
Ergänzende Quellen:
CIA-Flugdatenlisten: Untersuchung des Europaparlaments
(13.6.2006, Autor: Claudio Fava, PDF-Download, 874 KB)
Liste N313P (WCN, Juni 2006)
Liste N379P " - "
Liste N85VM " - "
464 CIA-Landungen in Deutschland (WCN, 30.7.2006)

sfux - 9. Jan, 08:07 Article 2202x read