Das Interview zum Duell mit Marco Delgado und Malcolm Braff
Stell dir das mal rein theoretisch vor: Du betrittst einen imaginären Raum und alles ist in absoluter Stille erstarrt. Grauenvoll nicht! Jetzt kommt die Frage die mich gestern eine Nacht lang unterhalten hat; was geschieht in einem solchen Raum als erstes: Bewegung oder Klang?
Ohne diesen Trieb für neue Formen würden wir noch immer keinen Jazz spielen...
Delgado: Genau das ist es. Was kam zuerst? Nicht nur du hast darüber eine schlaflose Nacht verbracht, die Frage ist elementar. Aus Bewegung entsteht Klang und Klang braucht die Bewegung. Aber was gibt den Anstoß? Ich weiß es nicht. Dieser Frage möchte ich mich in diesem Experiment auch nähern. Meine Frage ist in erster Linie wie ein Tänzer auf den Klang reagiert. Und wie reagiert der Pianist auf Bewegung? Und da finde ich mit Malcolm einen Konsens denn meine Sprache ist, ebenso wie die seine, Rhythmus. Da finden wir uns. Daraus entsteht Kommunikation, Konfrontation und schlußendlich eine Osmose, oder Durchmischung wenn du so willst. Das ganze beruht auf Improvisation! Doch eine Frage weiter; wo befindet sich die Qualität?
Nun das wird sicher relativ empfunden werden oder?
Delgado: Bestimmt! Und das ist bei mir der Moment der mich kribbeln läßt. Ästhetik wird meistens linear zum Zeitstil wahrgenommen. Etwas ist in Form, etwas ist konform und dann scheint es den meisten Betrachtern, oder Zuhörern automatisch zu gefallen. Schau dir zum Beispiel klassisches Ballett an. Eine "Arabesque", ein "grand jeté" wird als wunderschön empfunden, die Zuschauer finden das umwerfend...
...ist ja auch toll!
Delgado: Na sicher! Aber das ist doch nicht der Sinn des Lebens! Ohne diesen Trieb für neue Formen würden wir noch immer keinen Jazz spielen und würden noch immer Gesellschaftstänze aus dem 15. Jahrhundert tanzen. Verstehe mich nicht falsch, das ist völlig o.k. und gut. Mir reicht es aber nicht und das ist auch der Grund weshalb ich die Cie DeFu Delgado/Fuchs gegründet habe. Für mich ist Bewegung, wie auch Musik, mit mehr Inhalt verbunden. Ästhetik in diesem Sinne als Tänzer, interessiert mich wirklich nicht sonderlich. Die Ordnung aus dem Chaos hingegen schon eher und der totale Moment, absolut. Jetzt! Die Interaktion momentaner Zustände. Das empfinde ich als Herausforderung.
Hola! Die Leute kommen doch vorwiegend weil sie sich unterhalten wollen nicht?
Braff: Das werden sie! Schau, als Musiker, als Pianist, lebe ich das jeden Tag. Für mich ist das Experiment einfacher: Ich unterhalte Menschen die Zuhören. Selbstverständlich gibt mir das Publikum auch etwas. Ich spüre es, dessen "Schwingungen" nehme ich auf, das geht über mein Gehirn auf meine Finger, auf die Tasten, auf die Saiten und raus als Klang... Ich stimme mich einerseits auf den Zuhörer ein, aber auch auf den Tänzer, auf das ganze Umfeld und auf mich selber. Wenn du so willst, recht komplex. Aber: im Prinzip mach ich nur meinen Job als Musiker den ich liebe. Ich mache es bewußt, ein Banker macht seinen Job unter Umständen auch bewußt und wenn er das so macht ist er wohl ein guter Banker. Es geht mir bei meiner Arbeit um Bewußtheit.
Was der Zuschauer also sieht, ist quasi die Antwort auf seine Stimmung? Somit wären also nur beglückte Zuschauer in den Vorstellungen?
Braff: Nein, das bestimmt nicht. Improvisation ist etwas Aktives. Der Zuschauer muß, wenn er etwas davon haben will, sich genauso wie wir, jeden Moment entscheiden. Schlußendlich entscheidet der Besucher ob ihm der Abend gefällt. Er kann sich aber auch einfach nach hinten legen und genießen. Für uns geht es ja darum zu sehen wie Marco auf mich reagiert und umgekehrt. Wenn der Besucher offen und bewußt genug ist, wird er auf jeden Fall einen spannenden Abend verbringen. Improvisation ist ja genau dieser Moment. Der Verlauf der Vorstellung wird in jedem kleinen Bruchteil einer Sekunde entschieden. Für alle.
Das ist höchst spannend. Aber ist denn, wenn wir kurz bei der Raumvorstellung bleiben, nicht die Gefahr groß, daß man sich als Protagonist in einer riesigen egozentrischen Konkurrenzschlacht schwelgt? Denn in jedem Raum wird Klang und Bewegung je nach Quantität zu einem Diktat und droht mit Überdominanz des einen oder des anderen, oder?
Delgado: Durchaus, dieses Risiko besteht. Aber wie du vorhin gesagt hast, ist das erstarren in der Stille der spannendste Moment. Da beginnt leben. Ich muß nicht den Spaßvogel trällern um mich darzustellen. Das ist es gerade; es geht quantitativ nicht um mich oder Malcolms Person, sondern um Qualität in der Auseinandersetzung.
Hast du ja auch nicht nötig, denn du bist ein schöner Mensch und deine Augen glühen wie ein neu geschlagenes Schwert... aber genug der Herzlichkeiten; ist es nicht schwierig die eigene Ausbildung und das "Geformt sein" zu untergraben?
Delgado: Vielleicht. Jeder ist geprägt in einer Form. Dies aufzubrechen, Normen zu durchstoßen und aus der kleinsten nackten Form neues gedeihen zu lassen ist berauschend. Improvisation ist dabei ein spannendes Konzept...
...Das sich auch immer mehr im Leben durchsetzen wird. Improvisation wird immer wichtiger. Ob du Kinder hast, drei Jobs oder eben keinen, ob du willst oder nicht, Improvisation wird in unserer Gesellschaft immer mehr zu einer wichtigen Eigenschaft werden.
Delgado: Trotzdem erschrecken die meisten wenn es darum geht zu Improvisieren, oder dessen Möglichkeiten zu betrachten. Das ist einfach den meisten völlig suspekt und man läßt sich vielfach überfordern. Vielleicht traut man sich die Spontanität zur Improvisation in vielem auch nicht zu. Schau es dir mal konkret an, Menschen planen dauernd, sie werden unruhig wenn sie nicht wissen was auf sie zukommt. Das ist verrückt. Dabei verpaßt man das halbe Leben und die andere Hälfte verkümmert an verpaßten Möglichkeiten, dem eigenen Weg eine andere Richtung zu geben. Jede Sekunde ist Entscheidung, findest du nicht?
Selbstverständlich, es gibt im ganzen Leben nur den einen Moment den du festhalten kannst. Dieses zeitliche und räumliche Fenster ist sehr klein, alles andere sind Schatten und Abbilder, oder Wünsche. Trugbilder wenn du so willst. Aber dies aufzubrechen ist sehr schwierig oder?
Braff: Ja und dabei ist es doch so einfach. Wir reden hier über komplexe Konzepte, aber schlußendlich ist es so betörend einfach, daß man den eigentlichen Punkt unserer Diskussion nicht mehr sieht. Der eine Tanzt, der andere spielt Klavier. Ein Duell. Das ist alles. Es geht um den Austausch, es geht um Kommunikation, es geht um das Leben. Simpel.
Delgado: Simpel.
Simpel. Marco Delgado, Malcolm Braff, herzlichen Dank für das anregende Gespräch.
Marco Delgado, geboren 1968 in Brüssel, studierte am Königlichen Konservatorium und am Konservatorium Jacques Saussin in Brüssel. Er arbeitete unter anderem am Ballet de Wallonie in Liège, mit Cie Nomades le Loft von Vevey und dem Bern Ballett. Seit 2001 arbeitet er mit Nadine Fuchs in deren Kompanie cie DeFu.
Malcolm Braff, der Pianist und Komponist, ist gebürtiger Brasilianer. Braff wuchs in Senegal auf, wo er seit seines sechsten Lebensjahres die Ausbildung zum klassischen Pianisten erhielt. Seit 1982 lebt und arbeitet er als Pianist in der Schweiz. Er spielte an verschiedenen großen Festivals, darunter dem Montreux Jazz Festival. Malcolm Braff setzt sich seit Jahren intensiv mit Polyrhythmik und Phrasierung auseinander und hat diese Aspekte in seine improvisierende Musik integriert.
Ohne diesen Trieb für neue Formen würden wir noch immer keinen Jazz spielen...
Delgado: Genau das ist es. Was kam zuerst? Nicht nur du hast darüber eine schlaflose Nacht verbracht, die Frage ist elementar. Aus Bewegung entsteht Klang und Klang braucht die Bewegung. Aber was gibt den Anstoß? Ich weiß es nicht. Dieser Frage möchte ich mich in diesem Experiment auch nähern. Meine Frage ist in erster Linie wie ein Tänzer auf den Klang reagiert. Und wie reagiert der Pianist auf Bewegung? Und da finde ich mit Malcolm einen Konsens denn meine Sprache ist, ebenso wie die seine, Rhythmus. Da finden wir uns. Daraus entsteht Kommunikation, Konfrontation und schlußendlich eine Osmose, oder Durchmischung wenn du so willst. Das ganze beruht auf Improvisation! Doch eine Frage weiter; wo befindet sich die Qualität?
Nun das wird sicher relativ empfunden werden oder?
Delgado: Bestimmt! Und das ist bei mir der Moment der mich kribbeln läßt. Ästhetik wird meistens linear zum Zeitstil wahrgenommen. Etwas ist in Form, etwas ist konform und dann scheint es den meisten Betrachtern, oder Zuhörern automatisch zu gefallen. Schau dir zum Beispiel klassisches Ballett an. Eine "Arabesque", ein "grand jeté" wird als wunderschön empfunden, die Zuschauer finden das umwerfend...
...ist ja auch toll!
Delgado: Na sicher! Aber das ist doch nicht der Sinn des Lebens! Ohne diesen Trieb für neue Formen würden wir noch immer keinen Jazz spielen und würden noch immer Gesellschaftstänze aus dem 15. Jahrhundert tanzen. Verstehe mich nicht falsch, das ist völlig o.k. und gut. Mir reicht es aber nicht und das ist auch der Grund weshalb ich die Cie DeFu Delgado/Fuchs gegründet habe. Für mich ist Bewegung, wie auch Musik, mit mehr Inhalt verbunden. Ästhetik in diesem Sinne als Tänzer, interessiert mich wirklich nicht sonderlich. Die Ordnung aus dem Chaos hingegen schon eher und der totale Moment, absolut. Jetzt! Die Interaktion momentaner Zustände. Das empfinde ich als Herausforderung.
Hola! Die Leute kommen doch vorwiegend weil sie sich unterhalten wollen nicht?
Braff: Das werden sie! Schau, als Musiker, als Pianist, lebe ich das jeden Tag. Für mich ist das Experiment einfacher: Ich unterhalte Menschen die Zuhören. Selbstverständlich gibt mir das Publikum auch etwas. Ich spüre es, dessen "Schwingungen" nehme ich auf, das geht über mein Gehirn auf meine Finger, auf die Tasten, auf die Saiten und raus als Klang... Ich stimme mich einerseits auf den Zuhörer ein, aber auch auf den Tänzer, auf das ganze Umfeld und auf mich selber. Wenn du so willst, recht komplex. Aber: im Prinzip mach ich nur meinen Job als Musiker den ich liebe. Ich mache es bewußt, ein Banker macht seinen Job unter Umständen auch bewußt und wenn er das so macht ist er wohl ein guter Banker. Es geht mir bei meiner Arbeit um Bewußtheit.
Was der Zuschauer also sieht, ist quasi die Antwort auf seine Stimmung? Somit wären also nur beglückte Zuschauer in den Vorstellungen?
Braff: Nein, das bestimmt nicht. Improvisation ist etwas Aktives. Der Zuschauer muß, wenn er etwas davon haben will, sich genauso wie wir, jeden Moment entscheiden. Schlußendlich entscheidet der Besucher ob ihm der Abend gefällt. Er kann sich aber auch einfach nach hinten legen und genießen. Für uns geht es ja darum zu sehen wie Marco auf mich reagiert und umgekehrt. Wenn der Besucher offen und bewußt genug ist, wird er auf jeden Fall einen spannenden Abend verbringen. Improvisation ist ja genau dieser Moment. Der Verlauf der Vorstellung wird in jedem kleinen Bruchteil einer Sekunde entschieden. Für alle.
Das ist höchst spannend. Aber ist denn, wenn wir kurz bei der Raumvorstellung bleiben, nicht die Gefahr groß, daß man sich als Protagonist in einer riesigen egozentrischen Konkurrenzschlacht schwelgt? Denn in jedem Raum wird Klang und Bewegung je nach Quantität zu einem Diktat und droht mit Überdominanz des einen oder des anderen, oder?
Delgado: Durchaus, dieses Risiko besteht. Aber wie du vorhin gesagt hast, ist das erstarren in der Stille der spannendste Moment. Da beginnt leben. Ich muß nicht den Spaßvogel trällern um mich darzustellen. Das ist es gerade; es geht quantitativ nicht um mich oder Malcolms Person, sondern um Qualität in der Auseinandersetzung.
Hast du ja auch nicht nötig, denn du bist ein schöner Mensch und deine Augen glühen wie ein neu geschlagenes Schwert... aber genug der Herzlichkeiten; ist es nicht schwierig die eigene Ausbildung und das "Geformt sein" zu untergraben?
Delgado: Vielleicht. Jeder ist geprägt in einer Form. Dies aufzubrechen, Normen zu durchstoßen und aus der kleinsten nackten Form neues gedeihen zu lassen ist berauschend. Improvisation ist dabei ein spannendes Konzept...
...Das sich auch immer mehr im Leben durchsetzen wird. Improvisation wird immer wichtiger. Ob du Kinder hast, drei Jobs oder eben keinen, ob du willst oder nicht, Improvisation wird in unserer Gesellschaft immer mehr zu einer wichtigen Eigenschaft werden.
Delgado: Trotzdem erschrecken die meisten wenn es darum geht zu Improvisieren, oder dessen Möglichkeiten zu betrachten. Das ist einfach den meisten völlig suspekt und man läßt sich vielfach überfordern. Vielleicht traut man sich die Spontanität zur Improvisation in vielem auch nicht zu. Schau es dir mal konkret an, Menschen planen dauernd, sie werden unruhig wenn sie nicht wissen was auf sie zukommt. Das ist verrückt. Dabei verpaßt man das halbe Leben und die andere Hälfte verkümmert an verpaßten Möglichkeiten, dem eigenen Weg eine andere Richtung zu geben. Jede Sekunde ist Entscheidung, findest du nicht?
Selbstverständlich, es gibt im ganzen Leben nur den einen Moment den du festhalten kannst. Dieses zeitliche und räumliche Fenster ist sehr klein, alles andere sind Schatten und Abbilder, oder Wünsche. Trugbilder wenn du so willst. Aber dies aufzubrechen ist sehr schwierig oder?
Braff: Ja und dabei ist es doch so einfach. Wir reden hier über komplexe Konzepte, aber schlußendlich ist es so betörend einfach, daß man den eigentlichen Punkt unserer Diskussion nicht mehr sieht. Der eine Tanzt, der andere spielt Klavier. Ein Duell. Das ist alles. Es geht um den Austausch, es geht um Kommunikation, es geht um das Leben. Simpel.
Delgado: Simpel.
Simpel. Marco Delgado, Malcolm Braff, herzlichen Dank für das anregende Gespräch.
Marco Delgado, geboren 1968 in Brüssel, studierte am Königlichen Konservatorium und am Konservatorium Jacques Saussin in Brüssel. Er arbeitete unter anderem am Ballet de Wallonie in Liège, mit Cie Nomades le Loft von Vevey und dem Bern Ballett. Seit 2001 arbeitet er mit Nadine Fuchs in deren Kompanie cie DeFu.
Malcolm Braff, der Pianist und Komponist, ist gebürtiger Brasilianer. Braff wuchs in Senegal auf, wo er seit seines sechsten Lebensjahres die Ausbildung zum klassischen Pianisten erhielt. Seit 1982 lebt und arbeitet er als Pianist in der Schweiz. Er spielte an verschiedenen großen Festivals, darunter dem Montreux Jazz Festival. Malcolm Braff setzt sich seit Jahren intensiv mit Polyrhythmik und Phrasierung auseinander und hat diese Aspekte in seine improvisierende Musik integriert.
sfux - 6. Jan, 10:07 Article 1372x read