Deutschlands atomare Zukunft
Michael Schulze von Glaßer - Langsam versank die Sonne am Horizont, an diesem Mittwochabend - dem 5. März 2008. In den Straßen der Münsteraner Innenstadt tummelten sich noch zahlreiche Menschen – die meisten PendlerInnen und StudentInnen hatten den Heimweg angetreten. Die Menschenmassen drängten sich durch den schäbigen Hauptbahnhof der Domstadt. Züge fuhren ein und aus – alles schien normal. Selbst als sich ein langer Güterzug durch den Bahnhof schob schien diese Rushhour wie an jedem anderen Werktagsabend zu sein. Einzig das vermehrte Polizeiaufkommen, eine kleine Gruppe Demonstranten und winzige gelbe Schilder an den Güterwaggons hätten die ahnungslosen Menschen am Hauptbahnhof nachdenklich stimmen können – was war in dem Güterzug?
Man schmeckt es nicht, man riecht es nicht: nur die kleinen „radioaktiv“-Schildchen an den dunkelroten und braunen Güterwaggons lassen die Fracht erahnen – radioaktiver Atommüll. Keine abgebrannten Brennstäbe wie bei Castor-Transporten, sondern abgereichertes Uran – so genanntes Uranhexafluorid – fährt mehrmals im Jahr durch das Münsterland.

Sieht harmlos aus, steckt aber voller radioaktivem Uranhexafluorid: ein Atommülltransport (hier kurz vor der Durchfahrt durch den Münsteraner Hauptbahnhofs am 9. April 2008). © Michael Schulze von Glaßer
Per Zug wird die gefährliche Fracht zunächst von der Stadt Gronau über die Stationen Steinfurt – Münster – Greven – Rheine – Bad Bentheim - Almelo (Niederlande) bis nach Rotterdam gebracht – dabei passiert der Zug noch zahlreiche andere Städte. Im Rotterdamer Hafen wird der deutsche Atommüll auf ein Schiff verladen. Über Nord- und Ostsee geht es bis ins russische Sankt Petersburg. Die letzten rund Zweitausend Kilometer bis zum Ziel legt der Atommüll wieder per Güterzug zurück. Endstation: Sibirien.
Die Urenco
Seit dem 15. August 1986 ist in der westfälischen Stadt Gronau die erste und einzige Urananreicherungsanlage Deutschlands in Betrieb. Nahe der Grenze zu den Niederlanden und zum Bundesland Niedersachsen wird seit dem Uran angereichert. Betreiber der Anlage ist der multinationale Konzern Urenco. Dieser gehört zu drei gleichen Teilen dem britischen und niederländischen Staat und der Uranit GmbH. Diese gehört wiederum zu gleichen Teilen den großen deutschen Energiekonzernen E.on und RWE. Die Urenco betreibt außerdem Anlagen im britischen Capenhurst und dem niederländischen Almelo. Neben der Urenco-Anreicherungsgruppe produziert der zweite Geschäftsbereich - die Urenco-Technologiegruppe – Zentrifugen für Anreicherungsanlagen. Bisher waren die einzigen Abnehmer die eigenen Anlagen - Ziel der Urenco-Technologiegruppe ist jedoch die weltweite Vermarktung ihrer Zentrifugen für Urananreicherungsanlagen. Vielleicht wird die Urenco ihre Technologie aber auch schon bald nach Indien liefern, dass neuerdings Atomtechnik aus Deutschland importieren darf – Indien ist dem Atomwaffen-Sperrvertrag noch immer nicht beigetreten und war daher 34 Jahre lang bei Atomfragen international isoliert.
Im Jahr 2007 hatte die Urenco Limited – es handelt sich um ein Unternehmen britischen Rechts – einen Umsatz von knapp über einer Milliarde Euro. Der Reingewinn 2007 betrug 238,5 Millionen Euro. Das Unternehmen beschäftigt weltweit rund 2 000 Menschen.
Gefährliche Urananreicherung
In der Gronauer Urananreicherungsanlage wird – wie in allen Anlagen der Urenco - Uran–238 im Zentrifugenverfahren angereichert. Natur-Uran besteht zu etwa 99,3 Prozent aus Uran–238 und nur zu etwa 0,7 Prozent aus Uran–235, das nötig ist, um es in Reaktoren (oder in Atombomben) spalten zu können. Daher ist eine Anreicherung auf 3 bis 5 Prozent Uran–235 (bei Atombomben auf 90 Prozent und mehr) erforderlich. Je öfter das Uran die Zentrifugen, die zu hunderten in den Anlagen stehen, durchläuft, desto höher der Anreicherungsgrad – eine militärische Nutzung der Anlage kann daher niemals ausgeschlossen werden. Dies ist im Übrigen auch der Grund für die umstrittene Anreicherungsanlage im Iran.
Experten schätzen, dass Deutschland innerhalb weniger Wochen in der Lage ist eine eigene Atombombe zu bauen – das Know-how ist vorhanden und der nötige Spaltstoff kann in Gronau problemlos angereichert werden. Relativ unbekannt ist auch, dass die Urenco eine Mitverantwortung beim Bau der pakistanischen Atombombe trägt. Zwischen 1972 und 1976 arbeitete der pakistanische Ingenieur Abdul Kadir Khan für einen Unterauftragnehmer in der Urenco-Anlage im niederländischen Almelo. Dort hatte er wegen unzureichender Sicherheitsmaßnahmen Zugriff auf Pläne zum Bau einer fortschrittlichen Urananreicherungsanlage.
Nach dem ersten Atomwaffentest Indiens im Jahr 1974 verhalf Khan der pakistanischen Regierung mithilfe der Urenco-Pläne zum Bau einer eigenen Anreicherungsanlage. Dort entstand das Spaltmaterial für die pakistanische Atombombe – Abdul Kadir Khan gilt daher als Vater des pakistanischen Atomwaffenprogramms. Khan wird zudem Vorgeworfen die Urenco-Pläne auch an Libyen, Nordkorea und den Iran verkauft zu haben. Der US-Geheimdienst CIA soll ebenfalls seine Finger im Spiel gehabt haben – aufgehalten wurde der Spion aber nicht.

Die Urananreicherungsanlage in Gronau.. © Google Earth
Das Uran für die Gronauer Anlage bezieht die Urenco aus Uranminen in Kanada, Australien, Südafrika und Kasachstan. Bevor damit jedoch gearbeitet werden kann muss es in einer so genannten Konversionsanlage in Hexafluorid umgewandelt werden – das Uranhexafluorid (UF6) für die Gronauer Anreicherungsanlage kommt zu großen Teilen aus Frankreich. Genauer aus dem Atomkomplex Pierrelatte/Tricastin. Die Anlage gelang im Sommer 2008 zu trauriger Berühmtheit nachdem dort 100 Mitarbeiter durch einen defekten Schlauch aus dem radioaktives Material austrat kontaminiert wurden. Bereits zwei Wochen zuvor traten 74 Kilogramm Uran aus der Anlage aus und gelangten in zwei Flüsse. Noch im Jahr 2006 wurden große Mengen UF6 per Zug von Südfrankreich quer durchs Ruhrgebiet in die Gronauer Anlage transportiert.
Heute erreicht das hochgefährliche Material die Anreicherungsanlage auf weniger Aufsehen erregenden aber weitaus unsicheren Lastkraftwagen. Auch diese sollen durch den größten Ballungsraum Deutschlands fahren. Bereits im Jahr 2003 verunglückte ein mit einem UF6-Container beladener Sattelschlepper in der Nähe von Almelo. Glücklichweise trat kein radioaktives Material aus. UF6 ist nur leicht strahlend aber hochgiftig. Kommt das Uranhexafluorid mit (Luft) Feuchtigkeit in Berührung reagiert es zu hochgiftiger Flusssäure. Die Säure kann sich gasförmig ausbreiten und ist stark ätzend. Einige Tropfen auf der Haut oder einatmen genügen zum sicheren Tod. Nach Austritt soll sich gasförmige Flusssäure innerhalb weniger Stunden mehrere Kilometer ausbreiten können und ganze Landstriche verseuchen.
Uranhexafluorid ist aber nicht nur der Ausgangsstoff für die Urananreicherung sondern auch das Abfallprodukt – durch die Anreicherung entstehen zwei Uran-Fraktionen. Dem kleinen angereicherten und spaltbaren Uranteil steht ein großer abgereicherter UF6-Teil gegenüber: auf eine Tonne angereichertes Spaltmaterial entfallen 5,5 Tonnen abgereichertes Uranhexafluorid. Es entsteht also massenhaft gefährlicher Atommüll in der Gronauer Anlage. Dieser lagert hundertfach in großen Containerartigen 12,5 Tonnen-Fässern. Da die Lagerkapazitäten auf dem Urenco-Gelände direkt neben der Anreicherungsanlage begrenzt sind und giftiger Atommüll auch für ein mieses Image sorgt, transportiert die Urenco ihren Atommüll seit 1995 nach Russland.
Gefährliche Atommülltransporte
Der unscheinbare Güterzug, der am 5. März 2008 durch den Münsteraner Hauptbahnhof rollte, war einer dieser Atommülltransporte nach Russland. Neben der begrenzten Lagerkapazität und dem Imageverlust sind es vor allem die Kosten, die einen Transport des abgereicherten Urans nach Russland lukrativ machen: rund 200 Millionen Euro würde eine Lagerung in Gronau schätzungsweise kosten. Um diese zu sparen bedient sich die Urenco auch juristischer Tricks: laut Gesetz darf deutscher Atommüll nicht einfach außer Landes geschafft werden.
Daher deklariert die Urenco ihren Atommüll als „Wertstoff“. Das abgereicherte Uran kann nämlich immer noch begrenzt genutzt und sogar noch angereichert werden – dies ist jedoch nicht wirtschaftlich. Urenco behauptet, dass der Atommüll zur Anreicherung nach Russland transportiert wird - das aber passiert mutmaßlich zu über 90 Prozent nicht. Von den 28 000 Tonnen Uranhexafluorid, die zur Anreicherung nach Russland geschickt wurden, kamen seit den 1990er Jahren nur rund 1 700 Tonnen zurück – der Rest verbleibt in Russland. Käufer ist die russische Firma Techsnabexport (Tenex), die Anreicherungsanlagen in Russland betreibt. Die Verträge für die Transporte wurden 1995 unterzeichnet, der erste Atommülltransport von Gronau nach Russland fand 1996 statt.
Damals hatte Russland zum einen große Überkapazitäten bei der Urananreicherung, die es hoffte mit dem Material aus Westeuropa besser nutzen zu können. Zum andern wurden damals sehr viele Atomwaffen außer Betrieb gesetzt: die hoch angereicherte Uransprengköpfen wurde mit abgereichertem Uran vermischt, um die Konzentration zu verringern und die Waffen untauglich zu machen. Bei Vertragsabschluss ging es jedoch um viel weniger Uranmüll als es heute der Fall ist. Für die russische Regierung macht die Einfuhr von Uranhexafluorid heute keinen Sinn mehr. Deshalb wird Tenex die unter Beteiligung der deutschen und russischen Regierung und der europäischen Atomgemeinschaft EURATOM zustande gekommenen Verträge voraussichtlich nicht verlängern – der Vertrag endet mit Ablauf des Jahres 2009.

Auf dem Weg nach Russland durchqueren die Atommülltransporte Städte mit insgesamt rund 10 Millionen Einwohnern, die einer erheblichen Gefahr ausgesetzt werden. © Michael Schulze von Glaßer
Zudem sind die Medien durch den jahrelangen Protest von AtomkraftgegnerInnen mittlerweile auf die umstrittenen Machenschaften der Urenco aufmerksam geworden. Im Jahr 2007 brachte ein Beitrag des ZDF Politmagazins Frontal 21 über die unseriösen deutschen Uranmüllgeschäfte der Urenco den medialen Dammbruch. Seitdem häufen sich die kritischen Berichte über die Urenco-Deutschland. Sogar international sorgt das Unternehmen für negativ-Schlagzeilen.
Als sich die französische Anti-Atom-Aktivistin Cécile Lecomte im Januar 2008 zwischen zwei Bäumen über die Gleise abseilte und einen Atommülltransport von Gronau nach Russland für mehr als sechs Stunden blockierte sorgte dies international für Aufsehen – selbst der Nachrichtensender BBC berichtete. Genau dies will die Urenco vermeiden – so ging das Unternehmen auch nicht juristisch gegen die französische Kletterakrobatin vor. Die Urenco-Atommülltransporte blieben dennoch in der Presse, da die vollkommen überforderten Polizeikräfte kurzerhand die GSG 9 – eine Antiterroreinheit der Bundespolizei – in den Wald in der Nähe der Kreisstadt Steinfurt beordert hatte um die Aktivistin auf den Boden zu holen. Aus dem fernen Sankt Augustin wurden die Spezialkräfte ins Münsterland geflogen um die Aktivistin abzuseilen.
Der Einsatz einer Antiterroreinheit gegen die Atomkraftgegnerin sorgte für großes Medieninteresse. Noch ein halbes Jahr später – im Juni 2008 - sorgte die Kletteraktion für Schlagzeilen: das Amtsgericht Steinfurt wies den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Strafbefehls wegen Nötigung ab. Das Amtsgericht sah es als erwiesen an, dass die Atomkraftgegnerin keine Gewalt angewendet hat. Es wurde nichts beschädigt und der Zug hätte ohne Berührung unter der Aktivistin her fahren können, urteilte Richter Voosholz. Nur auf Grund bloßen subjektiven Gefahrenverdachts seitens der Polizei kam der Zug zum stehen.
Eine Ordnungswidrigkeit sah das Gericht ebenfalls nicht für gegeben, weil die Aktivistin sich in Höhe von mindestens 8 Meter - und somit außerhalb der Bahnanlage die bis 4,8 Metern bemessen ist - aufgehalten hat. Lecomte hat ihrerseits Rechtsmittel gegen die nach der Aktion erfolgte Festnahme durch die Polizei eingereicht – dies steht noch zur Verhandlung. Ein herber Rückschlag für Polizei und Urenco. Zu deren Überraschung seilte sich die unerschrockene Aktivistin im vergangenen Juni abermals über die Gleise ab. Trotz mehrerer Polizeihundertschaften und Hubschraubern, die das Gleisbett überwachten, schaffte es die junge Atomkraftgegnerin den Zug in luftiger Höhe für mehr als eine Stunde zu blockieren – die Kletterer der Polizei waren diesmal schneller vor Ort.
Spektakuläre Blockadeaktionen sind aber nicht der einzige Protest gegen die gefährlichen Atommülltransporte der Urenco. Die gut vernetzten Anti-Atom-Initiativen im Münsterland schaffen es mittlerweile in fast allen Bahnhöfen, die der Zug passiert, spontane Proteste zu organisieren – seit 2006 wird gegen die Atommülltransporte demonstriert. Zudem finden seit einigen Jahren auch in anderen Ländern Proteste statt: in den Niederlanden - wo der deutsche Atommüll im Hafen von Rotterdam auf ein Schiff verladen wird – hat die Umweltschutzorganisation Greenpeace allein durch die Anwesenheit eines ihrer Schiffe im Januar 2008 zu einer mehrstündigen Verzögerung beim verladen geführt.

Protest gegen Atommülltransporte von Gronau nach Russland in Münster am 5. März 2008. © Michael Schulze von Glaßer
In Russland sind es die Umweltschutzorganisationen Bellona und Ecodefense, die die Atommülltransporte regelmäßig mit Protest begleiten – und dabei nicht selten im Gefängnis landen. Zudem gehen die RussInnen juristisch gegen die Transporte vor. Drei russische Umweltschützer haben im letzten Jahr gegen die Urenco Deutschland GmbH wegen Verdachts auf illegalen Atommülltransport nach Russland geklagt. Die Staatsanwaltschaft Münster hat das Verfahren aber bereits im Mai 2007 eingestellt – wie sich herausstellte, wurden dabei aber weder unabhängige Experten gehört, noch belastende Beweise ernsthaft geprüft.
Daher forderten die Kläger – zusammen mit Initiativen aus dem Münsterland – im November 2007 die Wiederaufnahme des Verfahrens – das bis heute andauert. Die RussInnen sind besonders von den Transporten betroffen. Russland ist nicht nur Atommülllager für das deutsche Uranhexafluorid – Müll kommt auch aus Großbritannien und Frankreich. Die RussInnen sorgen sich um ihre Umwelt. Der Atommüll aus der Urananreicherungsanlage Gronau wird vor allem in Tomsk eingelagert. In der westsibirischen Stadt leben über eine halbe Millionen Menschen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Tomsk zum Zentrum der sowjetischen Atomindustrie. Heute sind die meisten Nuklearanlagen stillgelegt.
Die Region wird dennoch weiter kontaminiert: Satellitenbilder zeigen korrodierte UF6-Behälter. Die Behälter lagern – der widrigen sibirischen Witterung ausgeliefert – unter freiem Himmel. Urenco weißt alle Vorwürfe die russische Umwelt wissentlich zu schädigen von sich und schiebt die Schuld auf die russische Tenex. Dabei geht selbst von den geschlossenen Fässern eine radioaktive-Gefahr aus: am 5. März 2008 wurde die Strahlung mithilfe eines Geigerzählers vor und während der Durchfahrt des Uranmüllzugs am Münsteraner Hauptbahnhof gemessen: 0,12 Mikrosievert zeigte das Gerät an, bevor der Zug durchfuhr – als der Zug in etwa fünf Metern Entfernung zum Messgerät vorbeirollte, betrug die Strahlung das 13-Fache: 1,64 Mikrosievert.

Mit einem Geigerzähler wurde die Strahlung vor der Durchfahrt des Urantransportes durch den Münsteraner Hauptbahnhof (links) und während der Durchfahrt des Zuges (recht) gemessen – die Strahlung war 13-Mal höher als zuvor! Der Abstand des Messgerätes zum Zug betrug etwa 5 Meter. © Michael Schulze von Glaßer
Der Wert ist zwar immer noch niedriger als der bei Castor-Transporten – eine dauerhafte Strahlung dieser Dosis ist für Mensch und Natur dennoch schädlich. Der deutsche Atommüll verstrahlt aber nicht nur die Umwelt, sondern kann auch militärisch genutzt werden. Abgereichertes Uran wird wegen seiner enormen Dichte beispielsweise für panzerbrechende Granaten – so genannte DU-Munition – verwendet. Auf die Frage, an wen die Urenco ihren Abfall verkauft lies das Unternehmen verlauten, dass die „rein geschäftliche Angelegenheiten […] grundsätzlich nicht veröffentlicht werden“. Eine militärische Nutzung des deutschen Atommülls für russische Granaten kann daher nicht ausgeschlossen werden.
Der Atommülltransport vom 5. März 2008 bestand aus 19 Waggons - also 75 UF6-Fässern à 12,5 Tonnen. Einem Sprecher der Bundespolizei zufolge, soll es im Jahr 2008 keine weiteren Atommülltransporte nach Russland geben. Laut E.on-Chef Wulf Bernotat und RWE-Chef Jürgen Großmann – beide Unternehmen sind über die Uranit GmbH an der UAA-Gronau beteiligt – sollen die Transporte 2009 ganz eingestellt werden. Urenco-Sprecher Raimund Weber verweist indes nur darauf, dass der Vertrag mit Tenex erst mit Ende des Jahres 2009 abläuft. Ob es nach den vier Urantransporten in diesem Jahr also noch weitere geben wird bleibt abzuwarten.
Urenco auf Expansionskurs
Zurzeit kann die Urenco mit der Anreicherungsanlage in Gronau maximal 1 800 Tonnen Uran im Jahr trennen. Damit können rund fünfzehn große Atomkraftwerke mit Spaltstoff versorgt werden. Fast genug um alle deutschen Meiler zu versorgen – doch gehören nicht nur deutsche Kraftwerksbetreiber zu den Abnehmern des angereicherten Urans aus Deutschland. Die Urenco ist nicht vom so genannten Atomausstieg betroffen – was ein Skandal ist.
Stattdessen setzt das Atomunternehmen auf Export und Expansion: der zweite Teil der Anreicherungsanlage soll nach langer Verzögerung demnächst in Betrieb gehen. Schon im Sommer 2007 kündigte die Urenco die Inbetriebnahme der so genannten „UAG-2“ für Oktober gleichen Jahres an. Daraus wurde nichts. Über die genaue Ursache schweigt die Urenco. Mutmaßlich gab es beim Bau der komplizierten Anlage Probleme. Auch über die Kapazität schweigt sich die Urenco aus. Die Entwürfe des Projekts aus dem Jahr 2005 sahen aber eine Kapazität von 4 500 Tonnen „Urantrennarbeit“ jährlich vor – dies entspricht einer Menge von 7 000 Tonnen Natururan.
Damit hätte die UAA-Gronau die weltweit fünftgrößte Kapazität bei der Urantrennung und könnte laut Experten rund fünfunddreißig große Atommeiler versorgen. Mit dem Ausbau der Anlage steigt zudem das Risiko. Gegen einen Flugzeugabsturz ist die Urananreicherungsanlage nicht geschützt – bei der „UAG-2“ wurde dieses Szenario wahrscheinlich ebenfalls nicht bedacht. Pannen werden durch den Ausbau zunehmen: bereits im Sommer 2006 trat aus der Anlage uranhaltiges Wasser aus, und verseuchte die Umwelt radioaktiv. Bei Reparaturarbeiten wurde danach festgestellt, „dass die vorgesehene Gesamtmenge an verflüssigtem Uranhexafluorid überschritten war“, so die Urenco. Dem Ziel ihren Marktanteil, der heute bei 23 Prozent liegt, zu erhöhen und dem erklärten Ziel der Urenco, Weltmarktführer bei der Urananreicherung zu werden kommt das Unternehmen mit der Inbetriebnahme der „UAG-2“ einen gewaltigen Schritt näher – wenn die Anlage überhaupt irgendwann in Betrieb geht.
Durch den Ausbau der Anlage verschärft sich jedoch auch das Müllproblem der Urenco. Im Oktober 2008 gab die Föderale Agentur für Atomenergie Russlands der Tenex angehört bekannt, die bestehenden Atommüllimportsverträge nicht weiter zu verlängern. Damit scheint nun festzustehen, dass die Urenco auf dem Gelände der Urananreicherungsanlage in Gronau ein Zwischenlager für Atommüll errichten wird. Mit dem letzten Genehmigungsbescheid für die „UAG-2“ hat die Urenco in Zusammenarbeit mit der nordrhein-westfälischen Landesregierung auch die Erlaubnis zum Bau eines atomaren Zwischenlagers für 60 000 Tonnen Uranoxid eingeholt. Mit dem Bau des unpopulären Zwischenlagers soll aber so spät wie möglich begonnen werden – mit dem Bau wurde noch nicht begonnen. Das Urenco-Zwischenlager wäre dann neben Ahaus das zweite atomare Zwischenlager im Münsterland.
Der Bau würde für die Urenco aber nicht nur immense Kosten und einen Imageverlust in der Region bedeuten, sondern auch weitere Atommülltransporte. Da in dem Zwischenlager nur Uranoxid gelagert werden dürfte, muss das Abfallprodukt Uranhexafluorid umgewandelt werden. Die notwendige Dekonversionsanlage gibt es im südfranzösischen Atomkomplex Pierrelatte/Tricastin der Betreiberfirma Areva. Die Urenco plant allerdings die Errichtung einer eigenen Dekonversionsanlage am britischen Standort Capenhurst. Das langfristig angelegte Projekt befindet sich aber noch in der Entwurfsphase. Egal wo das Hexafluorid in Oxid umgewandelt wird: es wird mehr Transporte geben als bisher.
Wie schlampig die Transporte durchgeführt werden zeigt eine Panne vom 4. Oktober 2007: ein Uranmüllzug von Gronau nach Russland überquerte bei Burgsteinfurt einen völlig ungesicherten Bahnübergang im Dunkeln, obwohl sowohl die Schranken als auch das Warnlicht wegen eines Defekts ausgefallen waren. Gegenüber der Lokalpresse behauptete die Urenco noch am folgenden Tag, der Mülltransport sei völlig reibungslos verlaufen. Die Deutsche Bahn AG wie auch die Bundes- und Kreispolizei verschwiegen die Schrankenpanne. Erst als sich nach sechs Tagen AugenzeugInnen bei der Lokalzeitung meldeten und von der defekten Schranke und dem „Geisterzug“ berichteten kam die Wahrheit ans Licht.
Deutschlands atomare Zukunft
Da die Urananreicherungsanlage im nordrhein-westfälischen Gronau nicht vom so genannten Atomausstieg betroffen ist, gehört sie zur atomaren Zukunft der Bundesrepublik. Der massive Ausbau der Anlage scheint dies zu zementieren. Die gefährlichen Atommülltransporte werden in absehbarer Zeit zunehmen. Den skrupellosen Machenschaften der Urenco werden die AtomkraftgegnerInnen aus dem Münsterland aber nicht tatenlos zusehen – weitere fantasievolle Proteste wurden angekündigt. Es bleibt zu hoffen, dass sich auch die Bevölkerung der 49 000 Einwohner-Stadt an einer neuen Diskussion über die Urananreicherungsanlage, die gefährlichen Atommülltransporte und das atomare Zwischenlager beteiligt.
Schon heute kämpft die Urenco um ihr Image – sponsert das Gronauer Jazzfest und bezuschusst die Stadtbücherei jährlich mit 20 000 Euro. „In Gronau gibt es kaum einen Verein, kaum eine Schule, die nicht gesponsert wird“, so Udo Buchholz vom Arbeitskreis Umwelt Gronau. Ob die Propagandamaschine funktioniert oder die Argumente der AtomkraftgegnerInnen zur Schließung der Urenco-Anlage führen wird die Zukunft zeigen.
Dieser Text ist die Langfassung des Artikels „Das Geschäft mit dem Uran“ von Michael Schulze von Glaßer, der in der Wochenzeitung Freitag am 6. November 2008 erschien.
Man schmeckt es nicht, man riecht es nicht: nur die kleinen „radioaktiv“-Schildchen an den dunkelroten und braunen Güterwaggons lassen die Fracht erahnen – radioaktiver Atommüll. Keine abgebrannten Brennstäbe wie bei Castor-Transporten, sondern abgereichertes Uran – so genanntes Uranhexafluorid – fährt mehrmals im Jahr durch das Münsterland.

Sieht harmlos aus, steckt aber voller radioaktivem Uranhexafluorid: ein Atommülltransport (hier kurz vor der Durchfahrt durch den Münsteraner Hauptbahnhofs am 9. April 2008). © Michael Schulze von Glaßer
Per Zug wird die gefährliche Fracht zunächst von der Stadt Gronau über die Stationen Steinfurt – Münster – Greven – Rheine – Bad Bentheim - Almelo (Niederlande) bis nach Rotterdam gebracht – dabei passiert der Zug noch zahlreiche andere Städte. Im Rotterdamer Hafen wird der deutsche Atommüll auf ein Schiff verladen. Über Nord- und Ostsee geht es bis ins russische Sankt Petersburg. Die letzten rund Zweitausend Kilometer bis zum Ziel legt der Atommüll wieder per Güterzug zurück. Endstation: Sibirien.
Die Urenco
Seit dem 15. August 1986 ist in der westfälischen Stadt Gronau die erste und einzige Urananreicherungsanlage Deutschlands in Betrieb. Nahe der Grenze zu den Niederlanden und zum Bundesland Niedersachsen wird seit dem Uran angereichert. Betreiber der Anlage ist der multinationale Konzern Urenco. Dieser gehört zu drei gleichen Teilen dem britischen und niederländischen Staat und der Uranit GmbH. Diese gehört wiederum zu gleichen Teilen den großen deutschen Energiekonzernen E.on und RWE. Die Urenco betreibt außerdem Anlagen im britischen Capenhurst und dem niederländischen Almelo. Neben der Urenco-Anreicherungsgruppe produziert der zweite Geschäftsbereich - die Urenco-Technologiegruppe – Zentrifugen für Anreicherungsanlagen. Bisher waren die einzigen Abnehmer die eigenen Anlagen - Ziel der Urenco-Technologiegruppe ist jedoch die weltweite Vermarktung ihrer Zentrifugen für Urananreicherungsanlagen. Vielleicht wird die Urenco ihre Technologie aber auch schon bald nach Indien liefern, dass neuerdings Atomtechnik aus Deutschland importieren darf – Indien ist dem Atomwaffen-Sperrvertrag noch immer nicht beigetreten und war daher 34 Jahre lang bei Atomfragen international isoliert.
Im Jahr 2007 hatte die Urenco Limited – es handelt sich um ein Unternehmen britischen Rechts – einen Umsatz von knapp über einer Milliarde Euro. Der Reingewinn 2007 betrug 238,5 Millionen Euro. Das Unternehmen beschäftigt weltweit rund 2 000 Menschen.
Gefährliche Urananreicherung
In der Gronauer Urananreicherungsanlage wird – wie in allen Anlagen der Urenco - Uran–238 im Zentrifugenverfahren angereichert. Natur-Uran besteht zu etwa 99,3 Prozent aus Uran–238 und nur zu etwa 0,7 Prozent aus Uran–235, das nötig ist, um es in Reaktoren (oder in Atombomben) spalten zu können. Daher ist eine Anreicherung auf 3 bis 5 Prozent Uran–235 (bei Atombomben auf 90 Prozent und mehr) erforderlich. Je öfter das Uran die Zentrifugen, die zu hunderten in den Anlagen stehen, durchläuft, desto höher der Anreicherungsgrad – eine militärische Nutzung der Anlage kann daher niemals ausgeschlossen werden. Dies ist im Übrigen auch der Grund für die umstrittene Anreicherungsanlage im Iran.
Experten schätzen, dass Deutschland innerhalb weniger Wochen in der Lage ist eine eigene Atombombe zu bauen – das Know-how ist vorhanden und der nötige Spaltstoff kann in Gronau problemlos angereichert werden. Relativ unbekannt ist auch, dass die Urenco eine Mitverantwortung beim Bau der pakistanischen Atombombe trägt. Zwischen 1972 und 1976 arbeitete der pakistanische Ingenieur Abdul Kadir Khan für einen Unterauftragnehmer in der Urenco-Anlage im niederländischen Almelo. Dort hatte er wegen unzureichender Sicherheitsmaßnahmen Zugriff auf Pläne zum Bau einer fortschrittlichen Urananreicherungsanlage.
Nach dem ersten Atomwaffentest Indiens im Jahr 1974 verhalf Khan der pakistanischen Regierung mithilfe der Urenco-Pläne zum Bau einer eigenen Anreicherungsanlage. Dort entstand das Spaltmaterial für die pakistanische Atombombe – Abdul Kadir Khan gilt daher als Vater des pakistanischen Atomwaffenprogramms. Khan wird zudem Vorgeworfen die Urenco-Pläne auch an Libyen, Nordkorea und den Iran verkauft zu haben. Der US-Geheimdienst CIA soll ebenfalls seine Finger im Spiel gehabt haben – aufgehalten wurde der Spion aber nicht.

Die Urananreicherungsanlage in Gronau.. © Google Earth
Das Uran für die Gronauer Anlage bezieht die Urenco aus Uranminen in Kanada, Australien, Südafrika und Kasachstan. Bevor damit jedoch gearbeitet werden kann muss es in einer so genannten Konversionsanlage in Hexafluorid umgewandelt werden – das Uranhexafluorid (UF6) für die Gronauer Anreicherungsanlage kommt zu großen Teilen aus Frankreich. Genauer aus dem Atomkomplex Pierrelatte/Tricastin. Die Anlage gelang im Sommer 2008 zu trauriger Berühmtheit nachdem dort 100 Mitarbeiter durch einen defekten Schlauch aus dem radioaktives Material austrat kontaminiert wurden. Bereits zwei Wochen zuvor traten 74 Kilogramm Uran aus der Anlage aus und gelangten in zwei Flüsse. Noch im Jahr 2006 wurden große Mengen UF6 per Zug von Südfrankreich quer durchs Ruhrgebiet in die Gronauer Anlage transportiert.
Heute erreicht das hochgefährliche Material die Anreicherungsanlage auf weniger Aufsehen erregenden aber weitaus unsicheren Lastkraftwagen. Auch diese sollen durch den größten Ballungsraum Deutschlands fahren. Bereits im Jahr 2003 verunglückte ein mit einem UF6-Container beladener Sattelschlepper in der Nähe von Almelo. Glücklichweise trat kein radioaktives Material aus. UF6 ist nur leicht strahlend aber hochgiftig. Kommt das Uranhexafluorid mit (Luft) Feuchtigkeit in Berührung reagiert es zu hochgiftiger Flusssäure. Die Säure kann sich gasförmig ausbreiten und ist stark ätzend. Einige Tropfen auf der Haut oder einatmen genügen zum sicheren Tod. Nach Austritt soll sich gasförmige Flusssäure innerhalb weniger Stunden mehrere Kilometer ausbreiten können und ganze Landstriche verseuchen.
Uranhexafluorid ist aber nicht nur der Ausgangsstoff für die Urananreicherung sondern auch das Abfallprodukt – durch die Anreicherung entstehen zwei Uran-Fraktionen. Dem kleinen angereicherten und spaltbaren Uranteil steht ein großer abgereicherter UF6-Teil gegenüber: auf eine Tonne angereichertes Spaltmaterial entfallen 5,5 Tonnen abgereichertes Uranhexafluorid. Es entsteht also massenhaft gefährlicher Atommüll in der Gronauer Anlage. Dieser lagert hundertfach in großen Containerartigen 12,5 Tonnen-Fässern. Da die Lagerkapazitäten auf dem Urenco-Gelände direkt neben der Anreicherungsanlage begrenzt sind und giftiger Atommüll auch für ein mieses Image sorgt, transportiert die Urenco ihren Atommüll seit 1995 nach Russland.
Gefährliche Atommülltransporte
Der unscheinbare Güterzug, der am 5. März 2008 durch den Münsteraner Hauptbahnhof rollte, war einer dieser Atommülltransporte nach Russland. Neben der begrenzten Lagerkapazität und dem Imageverlust sind es vor allem die Kosten, die einen Transport des abgereicherten Urans nach Russland lukrativ machen: rund 200 Millionen Euro würde eine Lagerung in Gronau schätzungsweise kosten. Um diese zu sparen bedient sich die Urenco auch juristischer Tricks: laut Gesetz darf deutscher Atommüll nicht einfach außer Landes geschafft werden.
Daher deklariert die Urenco ihren Atommüll als „Wertstoff“. Das abgereicherte Uran kann nämlich immer noch begrenzt genutzt und sogar noch angereichert werden – dies ist jedoch nicht wirtschaftlich. Urenco behauptet, dass der Atommüll zur Anreicherung nach Russland transportiert wird - das aber passiert mutmaßlich zu über 90 Prozent nicht. Von den 28 000 Tonnen Uranhexafluorid, die zur Anreicherung nach Russland geschickt wurden, kamen seit den 1990er Jahren nur rund 1 700 Tonnen zurück – der Rest verbleibt in Russland. Käufer ist die russische Firma Techsnabexport (Tenex), die Anreicherungsanlagen in Russland betreibt. Die Verträge für die Transporte wurden 1995 unterzeichnet, der erste Atommülltransport von Gronau nach Russland fand 1996 statt.
Damals hatte Russland zum einen große Überkapazitäten bei der Urananreicherung, die es hoffte mit dem Material aus Westeuropa besser nutzen zu können. Zum andern wurden damals sehr viele Atomwaffen außer Betrieb gesetzt: die hoch angereicherte Uransprengköpfen wurde mit abgereichertem Uran vermischt, um die Konzentration zu verringern und die Waffen untauglich zu machen. Bei Vertragsabschluss ging es jedoch um viel weniger Uranmüll als es heute der Fall ist. Für die russische Regierung macht die Einfuhr von Uranhexafluorid heute keinen Sinn mehr. Deshalb wird Tenex die unter Beteiligung der deutschen und russischen Regierung und der europäischen Atomgemeinschaft EURATOM zustande gekommenen Verträge voraussichtlich nicht verlängern – der Vertrag endet mit Ablauf des Jahres 2009.

Auf dem Weg nach Russland durchqueren die Atommülltransporte Städte mit insgesamt rund 10 Millionen Einwohnern, die einer erheblichen Gefahr ausgesetzt werden. © Michael Schulze von Glaßer
Zudem sind die Medien durch den jahrelangen Protest von AtomkraftgegnerInnen mittlerweile auf die umstrittenen Machenschaften der Urenco aufmerksam geworden. Im Jahr 2007 brachte ein Beitrag des ZDF Politmagazins Frontal 21 über die unseriösen deutschen Uranmüllgeschäfte der Urenco den medialen Dammbruch. Seitdem häufen sich die kritischen Berichte über die Urenco-Deutschland. Sogar international sorgt das Unternehmen für negativ-Schlagzeilen.
Als sich die französische Anti-Atom-Aktivistin Cécile Lecomte im Januar 2008 zwischen zwei Bäumen über die Gleise abseilte und einen Atommülltransport von Gronau nach Russland für mehr als sechs Stunden blockierte sorgte dies international für Aufsehen – selbst der Nachrichtensender BBC berichtete. Genau dies will die Urenco vermeiden – so ging das Unternehmen auch nicht juristisch gegen die französische Kletterakrobatin vor. Die Urenco-Atommülltransporte blieben dennoch in der Presse, da die vollkommen überforderten Polizeikräfte kurzerhand die GSG 9 – eine Antiterroreinheit der Bundespolizei – in den Wald in der Nähe der Kreisstadt Steinfurt beordert hatte um die Aktivistin auf den Boden zu holen. Aus dem fernen Sankt Augustin wurden die Spezialkräfte ins Münsterland geflogen um die Aktivistin abzuseilen.
Der Einsatz einer Antiterroreinheit gegen die Atomkraftgegnerin sorgte für großes Medieninteresse. Noch ein halbes Jahr später – im Juni 2008 - sorgte die Kletteraktion für Schlagzeilen: das Amtsgericht Steinfurt wies den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Erlass eines Strafbefehls wegen Nötigung ab. Das Amtsgericht sah es als erwiesen an, dass die Atomkraftgegnerin keine Gewalt angewendet hat. Es wurde nichts beschädigt und der Zug hätte ohne Berührung unter der Aktivistin her fahren können, urteilte Richter Voosholz. Nur auf Grund bloßen subjektiven Gefahrenverdachts seitens der Polizei kam der Zug zum stehen.
Eine Ordnungswidrigkeit sah das Gericht ebenfalls nicht für gegeben, weil die Aktivistin sich in Höhe von mindestens 8 Meter - und somit außerhalb der Bahnanlage die bis 4,8 Metern bemessen ist - aufgehalten hat. Lecomte hat ihrerseits Rechtsmittel gegen die nach der Aktion erfolgte Festnahme durch die Polizei eingereicht – dies steht noch zur Verhandlung. Ein herber Rückschlag für Polizei und Urenco. Zu deren Überraschung seilte sich die unerschrockene Aktivistin im vergangenen Juni abermals über die Gleise ab. Trotz mehrerer Polizeihundertschaften und Hubschraubern, die das Gleisbett überwachten, schaffte es die junge Atomkraftgegnerin den Zug in luftiger Höhe für mehr als eine Stunde zu blockieren – die Kletterer der Polizei waren diesmal schneller vor Ort.
Spektakuläre Blockadeaktionen sind aber nicht der einzige Protest gegen die gefährlichen Atommülltransporte der Urenco. Die gut vernetzten Anti-Atom-Initiativen im Münsterland schaffen es mittlerweile in fast allen Bahnhöfen, die der Zug passiert, spontane Proteste zu organisieren – seit 2006 wird gegen die Atommülltransporte demonstriert. Zudem finden seit einigen Jahren auch in anderen Ländern Proteste statt: in den Niederlanden - wo der deutsche Atommüll im Hafen von Rotterdam auf ein Schiff verladen wird – hat die Umweltschutzorganisation Greenpeace allein durch die Anwesenheit eines ihrer Schiffe im Januar 2008 zu einer mehrstündigen Verzögerung beim verladen geführt.

Protest gegen Atommülltransporte von Gronau nach Russland in Münster am 5. März 2008. © Michael Schulze von Glaßer
In Russland sind es die Umweltschutzorganisationen Bellona und Ecodefense, die die Atommülltransporte regelmäßig mit Protest begleiten – und dabei nicht selten im Gefängnis landen. Zudem gehen die RussInnen juristisch gegen die Transporte vor. Drei russische Umweltschützer haben im letzten Jahr gegen die Urenco Deutschland GmbH wegen Verdachts auf illegalen Atommülltransport nach Russland geklagt. Die Staatsanwaltschaft Münster hat das Verfahren aber bereits im Mai 2007 eingestellt – wie sich herausstellte, wurden dabei aber weder unabhängige Experten gehört, noch belastende Beweise ernsthaft geprüft.
Daher forderten die Kläger – zusammen mit Initiativen aus dem Münsterland – im November 2007 die Wiederaufnahme des Verfahrens – das bis heute andauert. Die RussInnen sind besonders von den Transporten betroffen. Russland ist nicht nur Atommülllager für das deutsche Uranhexafluorid – Müll kommt auch aus Großbritannien und Frankreich. Die RussInnen sorgen sich um ihre Umwelt. Der Atommüll aus der Urananreicherungsanlage Gronau wird vor allem in Tomsk eingelagert. In der westsibirischen Stadt leben über eine halbe Millionen Menschen. Nach dem zweiten Weltkrieg wurde Tomsk zum Zentrum der sowjetischen Atomindustrie. Heute sind die meisten Nuklearanlagen stillgelegt.
Die Region wird dennoch weiter kontaminiert: Satellitenbilder zeigen korrodierte UF6-Behälter. Die Behälter lagern – der widrigen sibirischen Witterung ausgeliefert – unter freiem Himmel. Urenco weißt alle Vorwürfe die russische Umwelt wissentlich zu schädigen von sich und schiebt die Schuld auf die russische Tenex. Dabei geht selbst von den geschlossenen Fässern eine radioaktive-Gefahr aus: am 5. März 2008 wurde die Strahlung mithilfe eines Geigerzählers vor und während der Durchfahrt des Uranmüllzugs am Münsteraner Hauptbahnhof gemessen: 0,12 Mikrosievert zeigte das Gerät an, bevor der Zug durchfuhr – als der Zug in etwa fünf Metern Entfernung zum Messgerät vorbeirollte, betrug die Strahlung das 13-Fache: 1,64 Mikrosievert.

Mit einem Geigerzähler wurde die Strahlung vor der Durchfahrt des Urantransportes durch den Münsteraner Hauptbahnhof (links) und während der Durchfahrt des Zuges (recht) gemessen – die Strahlung war 13-Mal höher als zuvor! Der Abstand des Messgerätes zum Zug betrug etwa 5 Meter. © Michael Schulze von Glaßer
Der Wert ist zwar immer noch niedriger als der bei Castor-Transporten – eine dauerhafte Strahlung dieser Dosis ist für Mensch und Natur dennoch schädlich. Der deutsche Atommüll verstrahlt aber nicht nur die Umwelt, sondern kann auch militärisch genutzt werden. Abgereichertes Uran wird wegen seiner enormen Dichte beispielsweise für panzerbrechende Granaten – so genannte DU-Munition – verwendet. Auf die Frage, an wen die Urenco ihren Abfall verkauft lies das Unternehmen verlauten, dass die „rein geschäftliche Angelegenheiten […] grundsätzlich nicht veröffentlicht werden“. Eine militärische Nutzung des deutschen Atommülls für russische Granaten kann daher nicht ausgeschlossen werden.
Der Atommülltransport vom 5. März 2008 bestand aus 19 Waggons - also 75 UF6-Fässern à 12,5 Tonnen. Einem Sprecher der Bundespolizei zufolge, soll es im Jahr 2008 keine weiteren Atommülltransporte nach Russland geben. Laut E.on-Chef Wulf Bernotat und RWE-Chef Jürgen Großmann – beide Unternehmen sind über die Uranit GmbH an der UAA-Gronau beteiligt – sollen die Transporte 2009 ganz eingestellt werden. Urenco-Sprecher Raimund Weber verweist indes nur darauf, dass der Vertrag mit Tenex erst mit Ende des Jahres 2009 abläuft. Ob es nach den vier Urantransporten in diesem Jahr also noch weitere geben wird bleibt abzuwarten.
Urenco auf Expansionskurs
Zurzeit kann die Urenco mit der Anreicherungsanlage in Gronau maximal 1 800 Tonnen Uran im Jahr trennen. Damit können rund fünfzehn große Atomkraftwerke mit Spaltstoff versorgt werden. Fast genug um alle deutschen Meiler zu versorgen – doch gehören nicht nur deutsche Kraftwerksbetreiber zu den Abnehmern des angereicherten Urans aus Deutschland. Die Urenco ist nicht vom so genannten Atomausstieg betroffen – was ein Skandal ist.
Stattdessen setzt das Atomunternehmen auf Export und Expansion: der zweite Teil der Anreicherungsanlage soll nach langer Verzögerung demnächst in Betrieb gehen. Schon im Sommer 2007 kündigte die Urenco die Inbetriebnahme der so genannten „UAG-2“ für Oktober gleichen Jahres an. Daraus wurde nichts. Über die genaue Ursache schweigt die Urenco. Mutmaßlich gab es beim Bau der komplizierten Anlage Probleme. Auch über die Kapazität schweigt sich die Urenco aus. Die Entwürfe des Projekts aus dem Jahr 2005 sahen aber eine Kapazität von 4 500 Tonnen „Urantrennarbeit“ jährlich vor – dies entspricht einer Menge von 7 000 Tonnen Natururan.
Damit hätte die UAA-Gronau die weltweit fünftgrößte Kapazität bei der Urantrennung und könnte laut Experten rund fünfunddreißig große Atommeiler versorgen. Mit dem Ausbau der Anlage steigt zudem das Risiko. Gegen einen Flugzeugabsturz ist die Urananreicherungsanlage nicht geschützt – bei der „UAG-2“ wurde dieses Szenario wahrscheinlich ebenfalls nicht bedacht. Pannen werden durch den Ausbau zunehmen: bereits im Sommer 2006 trat aus der Anlage uranhaltiges Wasser aus, und verseuchte die Umwelt radioaktiv. Bei Reparaturarbeiten wurde danach festgestellt, „dass die vorgesehene Gesamtmenge an verflüssigtem Uranhexafluorid überschritten war“, so die Urenco. Dem Ziel ihren Marktanteil, der heute bei 23 Prozent liegt, zu erhöhen und dem erklärten Ziel der Urenco, Weltmarktführer bei der Urananreicherung zu werden kommt das Unternehmen mit der Inbetriebnahme der „UAG-2“ einen gewaltigen Schritt näher – wenn die Anlage überhaupt irgendwann in Betrieb geht.
Durch den Ausbau der Anlage verschärft sich jedoch auch das Müllproblem der Urenco. Im Oktober 2008 gab die Föderale Agentur für Atomenergie Russlands der Tenex angehört bekannt, die bestehenden Atommüllimportsverträge nicht weiter zu verlängern. Damit scheint nun festzustehen, dass die Urenco auf dem Gelände der Urananreicherungsanlage in Gronau ein Zwischenlager für Atommüll errichten wird. Mit dem letzten Genehmigungsbescheid für die „UAG-2“ hat die Urenco in Zusammenarbeit mit der nordrhein-westfälischen Landesregierung auch die Erlaubnis zum Bau eines atomaren Zwischenlagers für 60 000 Tonnen Uranoxid eingeholt. Mit dem Bau des unpopulären Zwischenlagers soll aber so spät wie möglich begonnen werden – mit dem Bau wurde noch nicht begonnen. Das Urenco-Zwischenlager wäre dann neben Ahaus das zweite atomare Zwischenlager im Münsterland.
Der Bau würde für die Urenco aber nicht nur immense Kosten und einen Imageverlust in der Region bedeuten, sondern auch weitere Atommülltransporte. Da in dem Zwischenlager nur Uranoxid gelagert werden dürfte, muss das Abfallprodukt Uranhexafluorid umgewandelt werden. Die notwendige Dekonversionsanlage gibt es im südfranzösischen Atomkomplex Pierrelatte/Tricastin der Betreiberfirma Areva. Die Urenco plant allerdings die Errichtung einer eigenen Dekonversionsanlage am britischen Standort Capenhurst. Das langfristig angelegte Projekt befindet sich aber noch in der Entwurfsphase. Egal wo das Hexafluorid in Oxid umgewandelt wird: es wird mehr Transporte geben als bisher.
Wie schlampig die Transporte durchgeführt werden zeigt eine Panne vom 4. Oktober 2007: ein Uranmüllzug von Gronau nach Russland überquerte bei Burgsteinfurt einen völlig ungesicherten Bahnübergang im Dunkeln, obwohl sowohl die Schranken als auch das Warnlicht wegen eines Defekts ausgefallen waren. Gegenüber der Lokalpresse behauptete die Urenco noch am folgenden Tag, der Mülltransport sei völlig reibungslos verlaufen. Die Deutsche Bahn AG wie auch die Bundes- und Kreispolizei verschwiegen die Schrankenpanne. Erst als sich nach sechs Tagen AugenzeugInnen bei der Lokalzeitung meldeten und von der defekten Schranke und dem „Geisterzug“ berichteten kam die Wahrheit ans Licht.
Deutschlands atomare Zukunft
Da die Urananreicherungsanlage im nordrhein-westfälischen Gronau nicht vom so genannten Atomausstieg betroffen ist, gehört sie zur atomaren Zukunft der Bundesrepublik. Der massive Ausbau der Anlage scheint dies zu zementieren. Die gefährlichen Atommülltransporte werden in absehbarer Zeit zunehmen. Den skrupellosen Machenschaften der Urenco werden die AtomkraftgegnerInnen aus dem Münsterland aber nicht tatenlos zusehen – weitere fantasievolle Proteste wurden angekündigt. Es bleibt zu hoffen, dass sich auch die Bevölkerung der 49 000 Einwohner-Stadt an einer neuen Diskussion über die Urananreicherungsanlage, die gefährlichen Atommülltransporte und das atomare Zwischenlager beteiligt.
Schon heute kämpft die Urenco um ihr Image – sponsert das Gronauer Jazzfest und bezuschusst die Stadtbücherei jährlich mit 20 000 Euro. „In Gronau gibt es kaum einen Verein, kaum eine Schule, die nicht gesponsert wird“, so Udo Buchholz vom Arbeitskreis Umwelt Gronau. Ob die Propagandamaschine funktioniert oder die Argumente der AtomkraftgegnerInnen zur Schließung der Urenco-Anlage führen wird die Zukunft zeigen.

sfux - 14. Nov, 20:16 Article 7484x read