Uranmunition in Afghanistan: „Bis jetzt liegen noch keine Beweise vor“
Michael Schulze von Glaßer im Gespräch mit Henk van der Keur, Experte für Uranmunition bei der niederländischen NGO Laka.

Henk van der Keur von Laka (www.laka.org) bei einem Vortrag über Uranmunition (links).
Michael Schulze von Glaßer: Die Zahl sterbender Kinder in Afghanistan steigt stetig. Ärzte führen dies auf die Verwendung radioaktiver Munition während des letzten Krieges zurück. Was ist so besonders an dieser Munition?
Henk van der Keur: Bis jetzt liegen noch keine Beweise für den Einsatz von radioaktiver Munition – beispielsweise von Panzerabwehr-Granaten aus abgereichertem Uran - In Afghanistan vor. Die einzigen, die dies seit Jahren behauptet sind die Leute des Uranium Medical Research Center (UMRC), geleitet von Dr. Asaf Durakovic. Diese Institution besitzt jedoch keinen guten Ruf. Sie lieferten Proben von Afghanistan zu Dr. Axel Gerdes Labor in Frankfurt am Main. Auf Grund der Ergebnisse behauptet das UMRC, dass die Proben hohe Konzentrationen von natürlichem Uran enthalten. Noch eine nicht-verifizierbare Behauptung der UMRC ist, dass die Armee der Vereinigten Staaten natürliches Uran in ihrer Munition verwendet, um Spuren von Depleted Uranium zu verbergen, da das Isotopen-Verhältnis von natürlichem Uran dasselbe ist, wie das von Uran in der Natur, den Mineralien um uns und in uns selbst. Gerdes lehnt diese Behauptungen jedoch ab. Die Konzentrationen der Proben waren nicht außerordentlich hoch.
Ich bin der Überzeugung, dass Indizienbeweise für den Einsatz von DU in Afghanistan existieren, leider nur keine eindeutigen Beweise.
Abgereichrtes Uran – also Depleted Uranium (DU) - ist ein Nebenprodukt der Urananreicherung. Besonders bei der Erzeugung von stark angereichertem Uran für Atomwaffen, Forschungsreaktoren und U-Boot-Reaktoren werden enorme Mengen an abgereichertem Uran geformt. Deshalb besitzen die Staaten mit nuklearen Waffen gewaltige Bestände an abgereichertem Uran, welches das schwerste Metall auf der Erde ist. Auf Grund der hohen Dichte und Härte wird es für Panzerabwehr-Granaten verwendet.
Es ist in der Lage, die Rüstung von Panzern und anderen gepanzerten Fahrzeugen zu durchdringen. Eine weitere Eigenschaft von DU ist sein so genanntes pyrophorisches [luftentzündendes] Verhalten. Das schwere Metall entzündet sich selbst und brennt schon bei einer relativ niedrigen Temperatur. Metallstaub des DU brennt bei Zimmertemperatur und die entsprechenden Metallstücke bei 450 Grad Celsius. Wenn eine solche Granate auf eine Panzerung trifft, entzündet sich das Projektil und winzige Staubpartikel verbreiten sich in der Umgebung. Soldaten und Zivilisten können diese Partikel einatmen. Einmal kontaminiert, bleiben die schwer löslichen Oxid-Partikel jahrzehntelang im Körper. Dies wurde im letzten Jahr bei ehemaligen Arbeitern einer Munitionsfabrik in den Vereinigten Staaten - welche bereits 1980 geschlossen wurde - bewiesen.
Wie wird DU-Munition produziert?
Die Vorräte an abgereichertem Uran bestehen hauptsächlich in der Form von DU-Uranhexafluorid (DUF6). Diese Verbindung wird zu DU-Metall reduziert und dann zu DU-Stäben verarbeitet. Danach werden in Sauerstofffreien Kammern mithilfe dieser DU-Stäbe Panzerabwehr-Granaten erstellt. Sie bestehen komplett aus einem Stück abgereichertem Uran und bilden den Kern dieser Munition.
Die Armee der Vereinigten Staaten bestreitet die Gefährlichkeit von DU-Ammunition.
Die Wissenschaftler des Armed Forces Radiobiology Research Institute - welches unter der direkten Kontrolle des Pentagons steht - haben eine Reihe von, durch eigene Fachleute überprüfte, Artikel veröffentlicht, in der behauptet wird, dass DU auf Zellebene dieselbe Wirkung hat wie Nickel, ein anerkanntes Karzinogen [krebserregender Stoff]. Diese Ergebnisse zeigen sowohl in vitro [im Reagenzglas] als auch in vivo [im lebenden Organismus; hier: Meerschweinchen] chromosomale Veränderungen und Tumorerzeugende Zellen.
Andere Veröffentlichungen in den letzten Jahren zeigen zum Beispiel, dass DU-Staub die Blut-Gehirn Barriere durchschreiten kann. Neben den Nieren, den Lungen und den Knochen wurde bewiesen, dass auch das Gehirn von DU angegriffen wird und somit Gehirn -und Nervenschäden entstehen.
Warum wird DU-Munition nicht wie andere chemische und atomare Waffen verboten?
Dies liegt an den Definitionen die man in internationalen Gesetzen und Abkommen zu chemischen, atomaren und biologischen Waffen findet. Diese Beschreibungen sind sehr spezifisch und schließen den Gebrauch von DU in Waffensystemen aus. Zumal DU-Munition aufgrund ihrer bemerkenswerten Fähigkeiten entwickelt wurde und nicht wegen ihrer giftigen, radioaktiven Natur - zumindest wäre es nicht einfach dies zu beweisen.
In welchen Staaten und Kriegen wurde DU-Munition verwendet?
Seit den 1960ern wurde DU-Munition in den Vereinigten Staaten getestet. Seit 1974 wurde DU-Munition im kommerziellen Ausmaß produziert. Dies sind Anzeichen dafür, dass die Streitkräfte der Vereinigten Staaten auch in anderen NATO-Staaten wie beispielsweise West-Deutschland, mit DU-Munition trainiert haben. Allerdings fand das meiste Training und die meisten Tests mit DU in Trainingsanlagen und auf Versuchsgeländen in den Vereinigten Staaten und bis vor ein paar Jahren auch auf einem großen U.S.-Navy-Gelände auf der Isle of Vieques im mehr oder weniger kolonisierten Puerto Rico statt.
Des Weiteren gab es Zwischenfälle an der U.S. Basis an Okinawa in Japan in der Mitte der 90er Jahre, bei denen DU-Patronen zu Trainingszwecken abgefeuert wurden. Zu etwa derselben Zeit stellten die Vereinigten Staaten die Tests im Freien ein und führen sie seitdem in geschlossen Anlagen weiter. Der Grund dafür sind die enormen Kosten für die Sanierung von kontaminiertem Erdboden.
DU-Munition wird in Großbritannien immer noch unter freiem Himmel getestet. Es gibt keine verfügbaren Informationen über DU-Erprobung in Frankreich, Russland, China und anderen Staaten. Die Munition wurde das erste Mal in kriegerischen Konflikten 1991 während des Golfkriegs verwendet. Danach wurde es in den Balkankriegen in Bosnien (1994/95) und im Kosovo (1999), kleinere Mengen in Somalia (1992) und wieder im Irak (2003) eingesetzt. Dies sind auch Anzeichen dafür, dass Russland DU-Munition in Tschetschenien verwendet hat.
Was sind die Folgen für die Zivilbevölkerung beim Einsatz von DU-Munition?
Bis jetzt wurden noch nicht genug epidemiologische Untersuchungen angestellt um maßgebliche Aussagen hierüber zu treffen. Es wird vermutet, dass die vielen Krebs-Anhäufungen und vielen Fälle von Totgeburt und Geburtsschäden durch DU verursacht wurden. Dies kann aufgrund des Mangels an Ermittlungen aber noch nicht bewiesen werden.
Gibt es Aktivitäten gegen den Einsatz von DU-Munition?
Ja, es gibt Gruppen in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien und in Belgien, die vor den DU-Munitionsfabriken oder anderen DU-Fabriken protestieren. Die meisten gehören zur International Coalition to Ban Uranium Weapons (ICBUW). Dieses Netzwerk agitiert und unterstützt Gesetzesentwürfe gegen den militärischen Gebrauch von DU.
Herr Henk van der Keur, vielen Dank für dieses sehr interessante Interview!
Weitere Informationen: www.laka.org

Henk van der Keur von Laka (www.laka.org) bei einem Vortrag über Uranmunition (links).
Michael Schulze von Glaßer: Die Zahl sterbender Kinder in Afghanistan steigt stetig. Ärzte führen dies auf die Verwendung radioaktiver Munition während des letzten Krieges zurück. Was ist so besonders an dieser Munition?
Henk van der Keur: Bis jetzt liegen noch keine Beweise für den Einsatz von radioaktiver Munition – beispielsweise von Panzerabwehr-Granaten aus abgereichertem Uran - In Afghanistan vor. Die einzigen, die dies seit Jahren behauptet sind die Leute des Uranium Medical Research Center (UMRC), geleitet von Dr. Asaf Durakovic. Diese Institution besitzt jedoch keinen guten Ruf. Sie lieferten Proben von Afghanistan zu Dr. Axel Gerdes Labor in Frankfurt am Main. Auf Grund der Ergebnisse behauptet das UMRC, dass die Proben hohe Konzentrationen von natürlichem Uran enthalten. Noch eine nicht-verifizierbare Behauptung der UMRC ist, dass die Armee der Vereinigten Staaten natürliches Uran in ihrer Munition verwendet, um Spuren von Depleted Uranium zu verbergen, da das Isotopen-Verhältnis von natürlichem Uran dasselbe ist, wie das von Uran in der Natur, den Mineralien um uns und in uns selbst. Gerdes lehnt diese Behauptungen jedoch ab. Die Konzentrationen der Proben waren nicht außerordentlich hoch.
Ich bin der Überzeugung, dass Indizienbeweise für den Einsatz von DU in Afghanistan existieren, leider nur keine eindeutigen Beweise.
Abgereichrtes Uran – also Depleted Uranium (DU) - ist ein Nebenprodukt der Urananreicherung. Besonders bei der Erzeugung von stark angereichertem Uran für Atomwaffen, Forschungsreaktoren und U-Boot-Reaktoren werden enorme Mengen an abgereichertem Uran geformt. Deshalb besitzen die Staaten mit nuklearen Waffen gewaltige Bestände an abgereichertem Uran, welches das schwerste Metall auf der Erde ist. Auf Grund der hohen Dichte und Härte wird es für Panzerabwehr-Granaten verwendet.
Es ist in der Lage, die Rüstung von Panzern und anderen gepanzerten Fahrzeugen zu durchdringen. Eine weitere Eigenschaft von DU ist sein so genanntes pyrophorisches [luftentzündendes] Verhalten. Das schwere Metall entzündet sich selbst und brennt schon bei einer relativ niedrigen Temperatur. Metallstaub des DU brennt bei Zimmertemperatur und die entsprechenden Metallstücke bei 450 Grad Celsius. Wenn eine solche Granate auf eine Panzerung trifft, entzündet sich das Projektil und winzige Staubpartikel verbreiten sich in der Umgebung. Soldaten und Zivilisten können diese Partikel einatmen. Einmal kontaminiert, bleiben die schwer löslichen Oxid-Partikel jahrzehntelang im Körper. Dies wurde im letzten Jahr bei ehemaligen Arbeitern einer Munitionsfabrik in den Vereinigten Staaten - welche bereits 1980 geschlossen wurde - bewiesen.
Wie wird DU-Munition produziert?
Die Vorräte an abgereichertem Uran bestehen hauptsächlich in der Form von DU-Uranhexafluorid (DUF6). Diese Verbindung wird zu DU-Metall reduziert und dann zu DU-Stäben verarbeitet. Danach werden in Sauerstofffreien Kammern mithilfe dieser DU-Stäbe Panzerabwehr-Granaten erstellt. Sie bestehen komplett aus einem Stück abgereichertem Uran und bilden den Kern dieser Munition.
Die Armee der Vereinigten Staaten bestreitet die Gefährlichkeit von DU-Ammunition.
Die Wissenschaftler des Armed Forces Radiobiology Research Institute - welches unter der direkten Kontrolle des Pentagons steht - haben eine Reihe von, durch eigene Fachleute überprüfte, Artikel veröffentlicht, in der behauptet wird, dass DU auf Zellebene dieselbe Wirkung hat wie Nickel, ein anerkanntes Karzinogen [krebserregender Stoff]. Diese Ergebnisse zeigen sowohl in vitro [im Reagenzglas] als auch in vivo [im lebenden Organismus; hier: Meerschweinchen] chromosomale Veränderungen und Tumorerzeugende Zellen.
Andere Veröffentlichungen in den letzten Jahren zeigen zum Beispiel, dass DU-Staub die Blut-Gehirn Barriere durchschreiten kann. Neben den Nieren, den Lungen und den Knochen wurde bewiesen, dass auch das Gehirn von DU angegriffen wird und somit Gehirn -und Nervenschäden entstehen.
Warum wird DU-Munition nicht wie andere chemische und atomare Waffen verboten?
Dies liegt an den Definitionen die man in internationalen Gesetzen und Abkommen zu chemischen, atomaren und biologischen Waffen findet. Diese Beschreibungen sind sehr spezifisch und schließen den Gebrauch von DU in Waffensystemen aus. Zumal DU-Munition aufgrund ihrer bemerkenswerten Fähigkeiten entwickelt wurde und nicht wegen ihrer giftigen, radioaktiven Natur - zumindest wäre es nicht einfach dies zu beweisen.
In welchen Staaten und Kriegen wurde DU-Munition verwendet?
Seit den 1960ern wurde DU-Munition in den Vereinigten Staaten getestet. Seit 1974 wurde DU-Munition im kommerziellen Ausmaß produziert. Dies sind Anzeichen dafür, dass die Streitkräfte der Vereinigten Staaten auch in anderen NATO-Staaten wie beispielsweise West-Deutschland, mit DU-Munition trainiert haben. Allerdings fand das meiste Training und die meisten Tests mit DU in Trainingsanlagen und auf Versuchsgeländen in den Vereinigten Staaten und bis vor ein paar Jahren auch auf einem großen U.S.-Navy-Gelände auf der Isle of Vieques im mehr oder weniger kolonisierten Puerto Rico statt.
Des Weiteren gab es Zwischenfälle an der U.S. Basis an Okinawa in Japan in der Mitte der 90er Jahre, bei denen DU-Patronen zu Trainingszwecken abgefeuert wurden. Zu etwa derselben Zeit stellten die Vereinigten Staaten die Tests im Freien ein und führen sie seitdem in geschlossen Anlagen weiter. Der Grund dafür sind die enormen Kosten für die Sanierung von kontaminiertem Erdboden.
DU-Munition wird in Großbritannien immer noch unter freiem Himmel getestet. Es gibt keine verfügbaren Informationen über DU-Erprobung in Frankreich, Russland, China und anderen Staaten. Die Munition wurde das erste Mal in kriegerischen Konflikten 1991 während des Golfkriegs verwendet. Danach wurde es in den Balkankriegen in Bosnien (1994/95) und im Kosovo (1999), kleinere Mengen in Somalia (1992) und wieder im Irak (2003) eingesetzt. Dies sind auch Anzeichen dafür, dass Russland DU-Munition in Tschetschenien verwendet hat.
Was sind die Folgen für die Zivilbevölkerung beim Einsatz von DU-Munition?
Bis jetzt wurden noch nicht genug epidemiologische Untersuchungen angestellt um maßgebliche Aussagen hierüber zu treffen. Es wird vermutet, dass die vielen Krebs-Anhäufungen und vielen Fälle von Totgeburt und Geburtsschäden durch DU verursacht wurden. Dies kann aufgrund des Mangels an Ermittlungen aber noch nicht bewiesen werden.
Gibt es Aktivitäten gegen den Einsatz von DU-Munition?
Ja, es gibt Gruppen in den Vereinigten Staaten, in Großbritannien und in Belgien, die vor den DU-Munitionsfabriken oder anderen DU-Fabriken protestieren. Die meisten gehören zur International Coalition to Ban Uranium Weapons (ICBUW). Dieses Netzwerk agitiert und unterstützt Gesetzesentwürfe gegen den militärischen Gebrauch von DU.
Herr Henk van der Keur, vielen Dank für dieses sehr interessante Interview!

sfux - 19. Nov, 20:26 Article 3358x read