Kampf um Land
Auf den Philippinen kämpfen Bauern verzweifelt gegen Großgrundbesitzer – die Menschenrechtssituation ist vielerorts miserabel.
Michael Schulze von Glaßer - Das philippinische Volk trauert. Am 1. August starb die ehemalige philippinische Präsidentin Corazon Aquino im Alter von 76 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit. 1986 wurde sie die erste philippinische Präsidentin nach dem Sturz des Diktators Ferdinand Marcos, dessen Regime das Land über 20 Jahre fest im Griff hatte. Die Lebenssituation der Menschen hat sich seitdem verbessert, dennoch sind Menschenrechtsbrüche keine Seltenheit in dem Inselstaat. Die 1988 von Corazon Aquino begonnene Landreform wurde noch immer nicht umgesetzt – in ländlichen Regionen herrschen feudale Verhältnisse.
Ängstlich blickt er sich um. Noch immer ist ihm seine Unsicherheit anzumerken. Yoly Abrenica sitzt im spärlich möblierten Büro des International Peace Observers Network (IPON) in Mulanay, auf der philippinischen Halbinsel Bondoc rund 200 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Manila. Seine Augen wandern aufmerksam durch den Raum, immer wachsam auf der Suche nach Gefahrenquellen. Fünf Mordversuche habe er schon überlebt, erzählt er den jungen Menschenrechtsbeobachtern von IPON. 2007 verlor er beim Angriff eines bewaffneten Millizionärs eines Großgrundbesitzers eine Hand und erlitt schwere Kopfverletzungen. Bis dahin war Yoly Bauer und setzte sich für die Menschenrechte – besonders für das verbriefte Recht auf Nahrung – ein. Seit zwei Jahren versteckt er sich nun aus Furcht vor weiteren Attentaten in den Bergen. Die kleine deutsche Menschenrechtsorganisation IPON will dem 44-Jährigen helfen ein Zeugenschutzprogramm zu beantragen. Keine einfache Aufgabe in der langsamen und von Korruption und Vetternwirtschaft geprägten philippinischen Justiz.

Wirkt verstört: Yoly Abrenica verlor im Konflikt um Boden schon eine Hand.
Nach dem Fall der Marcos-Diktatur wurde 1988 ein Gesetz zur philippinischen Landreform erlassen. Großgrundbesitzer mussten einen Teil ihres Landes abgeben, wenn bodenlose Bauern es beantragten – regeln sollte das der Staat. Nachdem das befristete Gesetz 1998 für zehn Jahre verlängert wurde, ist es 2008 ausgelaufen. Ein Jahr lang existierte die Agrarreform nur noch formal, weil die Zwangsumverteilung gestrichen wurde. Vor wenigen Monaten wurde endlich ein neues Programm für die nächsten fünf Jahre verabschiedet. Dass dieses zu einer umfassenden Landumverteilung führen wird, kann jedoch getrost bezweifelt werden. Die letzten 20 Jahre Agrarreform haben nicht gereicht, die Übermacht der Großgrundbesitzer zu brechen. Noch immer stehen die meisten Bäuerinnen und Bauern in einem feudalen Abhängigkeitsverhältnis. 60 Prozent ihrer Ernte müssen viele von ihnen an den Landbesitzer abgeben.

Die IPON-Beobachter nehmen auch an Treffen der lokalen Bauerngruppen teil.
Die mangelnde Umsetzung der Agrarreform liegt vor allem in der massiven Repression, die Antragssteller und Unterstützer der Reform zu fürchten haben. Sie werden bedroht und angegriffen – auch Yoly war Opfer dieser Repression. Aber es sind nicht nur physische Übergriffe, die die Bauern zu fürchten haben – die Landbesitzer gehen auch mit „legalen“ Mitteln gegen sie vor. Menschenrechtsbeobachter berichten von Bauern, die mit Anzeigen wegen „Kokosnussdiebstahls“ oder „unbefugten Betretens“ überhäuft werden. Anwaltskosten und Kautionen für die Freilassung sind für die armen Bauern in den meisten Fällen unerschwinglich, die Gerichtsprozesse meist langwierig und unfair.
Auch die Versuche sich zu organisieren werden von den Großgrundbesitzern sabotiert: bewaffnete Mitarbeiter versperren den zu Treffen anreisenden Bauern den Weg und geben Warnschüsse ab – selbst in Anwesenheit der deutschen IPON-Beobachter. Die Milizen kontrollieren Wege und wissen die Vernetzungsversuche der Bauern zu verhindern. Jahrelang wurde ein ganzes Dorf eingezäunt, weil es von Farmland eines Großgrundbesitzers umgeben war. Antragssteller konnten den Ort nur über den Seeweg verlassen.

In Manila demonstrieren Bauern häufig für eine Umsetzung der Gesetze.
Yoly ist einer von denen, die gekämpft und viel verloren haben. Ob ihm von den Behörden ein Zeugenschutzprogramm zugestanden wird ist dennoch unsicher. Die Familie des Anfang 2008 ermordeten Bauern Deolito Empas ist bis heute noch nicht Teil eines solchen Programms und damit ein trauriges Beispiel für ein schlampiges und korruptes Politsystem. Deolito Empas war Vorsitzender der Bauernvereinigung des Dorfes Centro.
Im Jahr 2007 kandidierte er für den Gemeinderat. Schon damals soll er seinen Söhnen von Todesdrohungen sowohl von Seiten kommunistischer Guerilla als auch von einem Großgrundbesitzer erzählt haben. Am Abend des 19. Februar 2008 wurde Empas von zwei bewaffneten Männern aus einer Bar entführt und anschließend ermordet. Am 8. März 2008 wurde sein Leichnam durch das Militär gefunden. Es handelt sich um den fünften Mord an lokalen Gemeindevertretern und Bauernführern innerhalb von 10 Jahren in dem kleinen Dorf.
Im Fall Empas nahm das Militär zwar einen Verdächtigen fest - der naheliegende Verdacht eines Zusammenhangs zum Landkonflikt wurde jedoch schnell abgetan. Die Menschenrechtsbeobachter von IPON fürchten, dass die Auftraggeber für den Mord an Deolito Empas von den ermittelnden Behörden gedeckt werden. Immerhin untersteht die Polizei der Bürgermeisterin und die gehört zu den Großgrundbesitzern der Region.
Daher sorgt sich IPON auch um die Leben der anderen Familienmitglieder, die im Falle eines Gerichtsprozesses aussagen wollen und hofft ebenso wie in Yolys Fall auf ein baldiges Zeugenschutzprogramm. Yoly zweifelt aber immer mehr an dessen Wirksamkeit zumal er dafür in die Metropole Manila gehen und sein bäuerliches Leben aufgeben müsste. Er muss sich also entscheiden: entweder er geht in die zumindest halbwegs sichere Stadt oder er bleibt auf dem Land und muss weiter um sein Leben bangen. Ohne Schutz bleibt den Betroffenen nichts weiter als die Angst, das nächste Opfer der Großgrundbesitzer zu werden.
Weitere Informationen:
http://www.ipon-philippines.org/
http://menschenrechtsbeobachtung.wordpress.com/
Michael Schulze von Glaßer - Das philippinische Volk trauert. Am 1. August starb die ehemalige philippinische Präsidentin Corazon Aquino im Alter von 76 Jahren nach kurzer schwerer Krankheit. 1986 wurde sie die erste philippinische Präsidentin nach dem Sturz des Diktators Ferdinand Marcos, dessen Regime das Land über 20 Jahre fest im Griff hatte. Die Lebenssituation der Menschen hat sich seitdem verbessert, dennoch sind Menschenrechtsbrüche keine Seltenheit in dem Inselstaat. Die 1988 von Corazon Aquino begonnene Landreform wurde noch immer nicht umgesetzt – in ländlichen Regionen herrschen feudale Verhältnisse.
Ängstlich blickt er sich um. Noch immer ist ihm seine Unsicherheit anzumerken. Yoly Abrenica sitzt im spärlich möblierten Büro des International Peace Observers Network (IPON) in Mulanay, auf der philippinischen Halbinsel Bondoc rund 200 Kilometer südöstlich der Hauptstadt Manila. Seine Augen wandern aufmerksam durch den Raum, immer wachsam auf der Suche nach Gefahrenquellen. Fünf Mordversuche habe er schon überlebt, erzählt er den jungen Menschenrechtsbeobachtern von IPON. 2007 verlor er beim Angriff eines bewaffneten Millizionärs eines Großgrundbesitzers eine Hand und erlitt schwere Kopfverletzungen. Bis dahin war Yoly Bauer und setzte sich für die Menschenrechte – besonders für das verbriefte Recht auf Nahrung – ein. Seit zwei Jahren versteckt er sich nun aus Furcht vor weiteren Attentaten in den Bergen. Die kleine deutsche Menschenrechtsorganisation IPON will dem 44-Jährigen helfen ein Zeugenschutzprogramm zu beantragen. Keine einfache Aufgabe in der langsamen und von Korruption und Vetternwirtschaft geprägten philippinischen Justiz.

Wirkt verstört: Yoly Abrenica verlor im Konflikt um Boden schon eine Hand.
Nach dem Fall der Marcos-Diktatur wurde 1988 ein Gesetz zur philippinischen Landreform erlassen. Großgrundbesitzer mussten einen Teil ihres Landes abgeben, wenn bodenlose Bauern es beantragten – regeln sollte das der Staat. Nachdem das befristete Gesetz 1998 für zehn Jahre verlängert wurde, ist es 2008 ausgelaufen. Ein Jahr lang existierte die Agrarreform nur noch formal, weil die Zwangsumverteilung gestrichen wurde. Vor wenigen Monaten wurde endlich ein neues Programm für die nächsten fünf Jahre verabschiedet. Dass dieses zu einer umfassenden Landumverteilung führen wird, kann jedoch getrost bezweifelt werden. Die letzten 20 Jahre Agrarreform haben nicht gereicht, die Übermacht der Großgrundbesitzer zu brechen. Noch immer stehen die meisten Bäuerinnen und Bauern in einem feudalen Abhängigkeitsverhältnis. 60 Prozent ihrer Ernte müssen viele von ihnen an den Landbesitzer abgeben.

Die IPON-Beobachter nehmen auch an Treffen der lokalen Bauerngruppen teil.
Die mangelnde Umsetzung der Agrarreform liegt vor allem in der massiven Repression, die Antragssteller und Unterstützer der Reform zu fürchten haben. Sie werden bedroht und angegriffen – auch Yoly war Opfer dieser Repression. Aber es sind nicht nur physische Übergriffe, die die Bauern zu fürchten haben – die Landbesitzer gehen auch mit „legalen“ Mitteln gegen sie vor. Menschenrechtsbeobachter berichten von Bauern, die mit Anzeigen wegen „Kokosnussdiebstahls“ oder „unbefugten Betretens“ überhäuft werden. Anwaltskosten und Kautionen für die Freilassung sind für die armen Bauern in den meisten Fällen unerschwinglich, die Gerichtsprozesse meist langwierig und unfair.
Auch die Versuche sich zu organisieren werden von den Großgrundbesitzern sabotiert: bewaffnete Mitarbeiter versperren den zu Treffen anreisenden Bauern den Weg und geben Warnschüsse ab – selbst in Anwesenheit der deutschen IPON-Beobachter. Die Milizen kontrollieren Wege und wissen die Vernetzungsversuche der Bauern zu verhindern. Jahrelang wurde ein ganzes Dorf eingezäunt, weil es von Farmland eines Großgrundbesitzers umgeben war. Antragssteller konnten den Ort nur über den Seeweg verlassen.

In Manila demonstrieren Bauern häufig für eine Umsetzung der Gesetze.
Yoly ist einer von denen, die gekämpft und viel verloren haben. Ob ihm von den Behörden ein Zeugenschutzprogramm zugestanden wird ist dennoch unsicher. Die Familie des Anfang 2008 ermordeten Bauern Deolito Empas ist bis heute noch nicht Teil eines solchen Programms und damit ein trauriges Beispiel für ein schlampiges und korruptes Politsystem. Deolito Empas war Vorsitzender der Bauernvereinigung des Dorfes Centro.
Im Jahr 2007 kandidierte er für den Gemeinderat. Schon damals soll er seinen Söhnen von Todesdrohungen sowohl von Seiten kommunistischer Guerilla als auch von einem Großgrundbesitzer erzählt haben. Am Abend des 19. Februar 2008 wurde Empas von zwei bewaffneten Männern aus einer Bar entführt und anschließend ermordet. Am 8. März 2008 wurde sein Leichnam durch das Militär gefunden. Es handelt sich um den fünften Mord an lokalen Gemeindevertretern und Bauernführern innerhalb von 10 Jahren in dem kleinen Dorf.
Im Fall Empas nahm das Militär zwar einen Verdächtigen fest - der naheliegende Verdacht eines Zusammenhangs zum Landkonflikt wurde jedoch schnell abgetan. Die Menschenrechtsbeobachter von IPON fürchten, dass die Auftraggeber für den Mord an Deolito Empas von den ermittelnden Behörden gedeckt werden. Immerhin untersteht die Polizei der Bürgermeisterin und die gehört zu den Großgrundbesitzern der Region.
Daher sorgt sich IPON auch um die Leben der anderen Familienmitglieder, die im Falle eines Gerichtsprozesses aussagen wollen und hofft ebenso wie in Yolys Fall auf ein baldiges Zeugenschutzprogramm. Yoly zweifelt aber immer mehr an dessen Wirksamkeit zumal er dafür in die Metropole Manila gehen und sein bäuerliches Leben aufgeben müsste. Er muss sich also entscheiden: entweder er geht in die zumindest halbwegs sichere Stadt oder er bleibt auf dem Land und muss weiter um sein Leben bangen. Ohne Schutz bleibt den Betroffenen nichts weiter als die Angst, das nächste Opfer der Großgrundbesitzer zu werden.
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sfux - 12. Aug, 20:14 Article 2357x read