Südafrika: Wenn Ärzte das Handtuch werfen
Dr. Alexander von Paleske --- 11.6. 2014 ----
In der Wochenzeitung DIE ZEIT“ erschien am 22.5.2014 auf Seite 71 ein Artikel „Mehrere Messerstiche“

DIE ZEIT vom 22.5. 2014
Darin schildert ein angehender deutscher Arzt im letzten Jahr des Medizinstudiums seine Erfahrungen während eines achtmonatigen Praktikums im grössten südafrikanischen Krankenhaus der Maximalversorgung mit 3200 Betten, dem Chris Hani-Baragwanath Hospital, kurz auch „Bara“ genannt.

Chris Hani-Baragwanath Hospital
Das Krankenhaus liegt in Soweto / Johannesburg, mit einem Einzugsgebiet von fünf Millionen Menschen.
60 bis 100 Patienten werden pro Nacht in der chirurgischen Ambulanz behandelt - von vier Ärzten.
Der angehende Mediziner aus Hannover berichtet von schwersten Verletzungen, oft das Ergebnis von Gewaltdelikten. Eine Herausforderung, in ärztlicher aber auch und gerade in menschlicher Hinsicht.
Schwere Verletzungen - unerfahrene Ärzte
Die Patienten treffen auf Ärzte, die gerade erst ihr Studium beendet haben, und nun diese Schwerstkranken versorgen müssen, wo in Deutschland erfahrene Oberärzte für derartige Verletzungen regelmässig zumindest zugezogen werden.
In Südafrika dagegen heisst das Motto:
See one, do one, teach one
Einmal gesehen, dann selbst gemacht und sofort das Wissen weitergegeben.Medizinische Weiterbildung im Schnellstverfahren – klaffende Erfahrungslücken inklusive.
Offenbar hatten diese Erfahrungen den Autor Sebastian Reichert ermutigt, zumindest für eine begrenzte Zeit nach Abschluss der Facharztausbildung wieder nach Afrika zurückzukehren, weil er hier gebraucht würde.
Eine Ärztin gibt auf
Fast zur gleichen Zeit, erschien ein Bericht ganz anderer Art in Buchform, verfasst von der südafrikanischen Ärztin Maria Phalime, aus Soweto stammend, die nach mehrjähriger ärztlicher Tätigkeit schliesslich das Handtuch geworfen hat. Titel des Buches:
Postmortem - The doctor who walked away.

Unerträgliche Zustände, mit denen der deutsche Mediziner im Praktischen Jahr für eine paar Monate konfrontiert war, und die er als Erfahrungsbereicherung ansah, führten bei der der gennannten Ärztin nach ein paar Jahren im Dauerstress zu einem totalen „Burnt out“- Syndrom, sodass sie schliesslich den ärztlichen Beruf an den Nagel hängte. Und dies, obgleich ihr mehrere hart umkämpfte Facharzt-Weiterbildungsstellen in renommierten Krankenhäusern angeboten worden waren.
70 % der Ärzte emigrieren oder geben auf
Die Ärztin steht jedoch, wie sie aufgrund eigener Recherchen feststellen konnte, keineswegs allein da. Rund 70% aller in Südafrika ausgebildeten Ärzte verlassen das Land und / oder den Beruf.

Buchbesprechung Mail & Guardian 6.6.2014
Maria Phalime beschreibt, wie wenig die Ärzte während des Medizinstudiums mental auf das vorbereitet wurden und werden, was sie dann erwartet:
- Ständig wiederkehrende Verletzungen durch Gewaltdelikte, das Ergebnis einer Gewaltkultur in den Townships, die sich unter dem Apartheidregime ausgebreitet hatte, dann perpetuiert durch die hohe Jugendarbeitslosigkeit, verbunden mit Perspektivlosigkeit und Drogenkonsum.
- Die Gangs, die sich gegenseitig bekriegen, zu jeder Form der Gewaltkriminalität bereit sind, und diese Auseinandersetzungen bis in das Krankenhaus hinein fortsetzen.
- Der unzureichende Schutz des medizinischen Personals vor körperlicher Gewalt, auch von Patienten
- Die offenbare Gleichgültigkeit und / oder Hilflosigkeit der Regierung gegenüber diesen Zuständen in den Townships. Mittlerweile greifen die Township-Bewohner zur Selbsthilfe - bis zur Lynchjustiz - wie die Tageszeitung STAR gestern berichtete.
STAR vom 10.6. 2014
- Die völlig unzureichende Versorgung mit Medizinern
- Die ständige Gefahr für das medizinische Personal, sich mit Tuberkulose zu infizieren, mittlerweile auch der medikamentenresistenten TB. Aber auch die Gefahr, über Stich- oder Schnittverletzungen sich mit HIV zu infizieren.
- Die oftmals anzutreffende Gleichgültigkeit der Krankenhaus-Administration gegenüber den Problemen des Ärzte- und Pflegepersonals angesichts dieser Zustände, aber auch angesichts der limitierten Ressourcen (Personal, Geräte, Medikamente)
- Den Platz als Mediziner angesichts dieser frustrierenden Situation zu finden.
Während in Deutschland Mediziner vielfach das Handtuch werfen, weil sie es satt haben, zu Computer-Bürokraten zu verkommen, und nutzlose Therapien zu verabreichen, bzw. wegen der jeweiligen Fallpauschale auch überflüssige Eingriffe vorzunehmen, nur weil sie Geld ins Haus spülen, ist es das Übermass an Anforderungen, welche manch einen der Ärzte in Südafrika zur Aufgabe bringt, abgesehen von der hohen Kriminalitätsrate ausserhalb des Krankenhauses.
Gemeinsam ist beiden, dass sie die Auswirkungen einer Politik auszubaden haben, die nicht das Wohlergehen der Patienten im Auge hat; verbunden mit einem akzeptablen Arbeitsumfeld für das medizinische Personal..
Zur Lage im deutschen Gesundheitswesen:

Kürzen und Schliessen – das Programm der Gross(artig)en Koalition im Gesundheitswesen
Arzt zu Schmerzensgeld wegen Verletzung der Aufklärungspflicht verurteilt - richtiges Urteil?
Ärzte und Medizinzeitschriften als "Prostituierte" der Pharmaindustrie?
Sinkende Bereitschaft zur Organspende und Vertrauensverlust: Die Folgen der Ärzteskandale in Deutschland
Siehe auch die informativen ZEIT-Artikel:
Klappe halten und wegsehen ZEIT vom 20.9. 2012 S. 32
Das Ende der Schweigepflicht ZEIT vom 15.5. 2012
In der Wochenzeitung DIE ZEIT“ erschien am 22.5.2014 auf Seite 71 ein Artikel „Mehrere Messerstiche“

DIE ZEIT vom 22.5. 2014
Darin schildert ein angehender deutscher Arzt im letzten Jahr des Medizinstudiums seine Erfahrungen während eines achtmonatigen Praktikums im grössten südafrikanischen Krankenhaus der Maximalversorgung mit 3200 Betten, dem Chris Hani-Baragwanath Hospital, kurz auch „Bara“ genannt.

Chris Hani-Baragwanath Hospital
Das Krankenhaus liegt in Soweto / Johannesburg, mit einem Einzugsgebiet von fünf Millionen Menschen.
60 bis 100 Patienten werden pro Nacht in der chirurgischen Ambulanz behandelt - von vier Ärzten.
Der angehende Mediziner aus Hannover berichtet von schwersten Verletzungen, oft das Ergebnis von Gewaltdelikten. Eine Herausforderung, in ärztlicher aber auch und gerade in menschlicher Hinsicht.
Schwere Verletzungen - unerfahrene Ärzte
Die Patienten treffen auf Ärzte, die gerade erst ihr Studium beendet haben, und nun diese Schwerstkranken versorgen müssen, wo in Deutschland erfahrene Oberärzte für derartige Verletzungen regelmässig zumindest zugezogen werden.
In Südafrika dagegen heisst das Motto:
See one, do one, teach one
Einmal gesehen, dann selbst gemacht und sofort das Wissen weitergegeben.Medizinische Weiterbildung im Schnellstverfahren – klaffende Erfahrungslücken inklusive.
Offenbar hatten diese Erfahrungen den Autor Sebastian Reichert ermutigt, zumindest für eine begrenzte Zeit nach Abschluss der Facharztausbildung wieder nach Afrika zurückzukehren, weil er hier gebraucht würde.
Eine Ärztin gibt auf
Fast zur gleichen Zeit, erschien ein Bericht ganz anderer Art in Buchform, verfasst von der südafrikanischen Ärztin Maria Phalime, aus Soweto stammend, die nach mehrjähriger ärztlicher Tätigkeit schliesslich das Handtuch geworfen hat. Titel des Buches:
Postmortem - The doctor who walked away.

Unerträgliche Zustände, mit denen der deutsche Mediziner im Praktischen Jahr für eine paar Monate konfrontiert war, und die er als Erfahrungsbereicherung ansah, führten bei der der gennannten Ärztin nach ein paar Jahren im Dauerstress zu einem totalen „Burnt out“- Syndrom, sodass sie schliesslich den ärztlichen Beruf an den Nagel hängte. Und dies, obgleich ihr mehrere hart umkämpfte Facharzt-Weiterbildungsstellen in renommierten Krankenhäusern angeboten worden waren.
70 % der Ärzte emigrieren oder geben auf
Die Ärztin steht jedoch, wie sie aufgrund eigener Recherchen feststellen konnte, keineswegs allein da. Rund 70% aller in Südafrika ausgebildeten Ärzte verlassen das Land und / oder den Beruf.

Buchbesprechung Mail & Guardian 6.6.2014
Maria Phalime beschreibt, wie wenig die Ärzte während des Medizinstudiums mental auf das vorbereitet wurden und werden, was sie dann erwartet:
- Ständig wiederkehrende Verletzungen durch Gewaltdelikte, das Ergebnis einer Gewaltkultur in den Townships, die sich unter dem Apartheidregime ausgebreitet hatte, dann perpetuiert durch die hohe Jugendarbeitslosigkeit, verbunden mit Perspektivlosigkeit und Drogenkonsum.
- Die Gangs, die sich gegenseitig bekriegen, zu jeder Form der Gewaltkriminalität bereit sind, und diese Auseinandersetzungen bis in das Krankenhaus hinein fortsetzen.
- Der unzureichende Schutz des medizinischen Personals vor körperlicher Gewalt, auch von Patienten
- Die offenbare Gleichgültigkeit und / oder Hilflosigkeit der Regierung gegenüber diesen Zuständen in den Townships. Mittlerweile greifen die Township-Bewohner zur Selbsthilfe - bis zur Lynchjustiz - wie die Tageszeitung STAR gestern berichtete.
STAR vom 10.6. 2014
- Die völlig unzureichende Versorgung mit Medizinern
- Die ständige Gefahr für das medizinische Personal, sich mit Tuberkulose zu infizieren, mittlerweile auch der medikamentenresistenten TB. Aber auch die Gefahr, über Stich- oder Schnittverletzungen sich mit HIV zu infizieren.
- Die oftmals anzutreffende Gleichgültigkeit der Krankenhaus-Administration gegenüber den Problemen des Ärzte- und Pflegepersonals angesichts dieser Zustände, aber auch angesichts der limitierten Ressourcen (Personal, Geräte, Medikamente)
- Den Platz als Mediziner angesichts dieser frustrierenden Situation zu finden.
Während in Deutschland Mediziner vielfach das Handtuch werfen, weil sie es satt haben, zu Computer-Bürokraten zu verkommen, und nutzlose Therapien zu verabreichen, bzw. wegen der jeweiligen Fallpauschale auch überflüssige Eingriffe vorzunehmen, nur weil sie Geld ins Haus spülen, ist es das Übermass an Anforderungen, welche manch einen der Ärzte in Südafrika zur Aufgabe bringt, abgesehen von der hohen Kriminalitätsrate ausserhalb des Krankenhauses.
Gemeinsam ist beiden, dass sie die Auswirkungen einer Politik auszubaden haben, die nicht das Wohlergehen der Patienten im Auge hat; verbunden mit einem akzeptablen Arbeitsumfeld für das medizinische Personal..
Zur Lage im deutschen Gesundheitswesen:

Kürzen und Schliessen – das Programm der Gross(artig)en Koalition im Gesundheitswesen



Siehe auch die informativen ZEIT-Artikel:
Klappe halten und wegsehen ZEIT vom 20.9. 2012 S. 32
Das Ende der Schweigepflicht ZEIT vom 15.5. 2012
onlinedienst - 11. Jun, 14:08 Article 2815x read