Das Elend mit der Versorgung von Arzneimitteln
Dr. Alexander von Paleske ——- 26.1. 2020 ——
Wer heute in die Apotheke mit einem Rezept geht, der kann nicht sicher sein, dass er auch die verschriebene Arznei bekommt. Gängige Medikamente, wie etwa die Hochdruckmittel Nifedipin oder Valsartan: oftmals Fehlanzeige.
Fast immer handelt es sich um Medikamente, die durch Zeit-Ablauf ihren Patentschutz verloren haben.
Z.B. Epirubicin
Jüngstes Beispiel: Epirubicin, ein vielfach eingesetztes Medikament in der Krebsbehandlung (Brustkrebs, Lymphome, Sarkome) aus der Gruppe der Anthracycline. In den 70er Jahren von der italienischen Firma Farmitalia Carlo Erba entwickelt, zunächst als Antibiotikum, aber viel zu toxisch, dann die Wirksamkeit in der Krebsmedizin entdeckt . Ein Renner bis heute. Die Firma wurde reich damit: zunächst mit Doxorubicin, dann mit dem Nachfolgepräparat Epirubicin. Versorgungsengpässe: völlig unbekannt.
Die italienische Firma 1992 von Pharmacia, und diese dann von dem Pharma-Multi Pfizer geschluckt, das Medikament lange schon aus der Patentliste. Jetzt lässt sich damit kein Geld mehr verdienen. So stoppte die deutsche Firma Aqvida die Produktion von Epirubicin, weil die Herstellungskosten bei 14 Euro liegen, die Erstattung jedoch lediglich bei 12 Euro. Auch die Firma Bendalis will das Produkt wegen geringer Erstattungskosten aus dem Programm nehmen.
Viele Medikamente, einst in Europa hergestellt, erleiden das gleiche Schicksal.
Ab nach Asien
Einstmals liess sich mit Medikamenten – auch wenn sie aus der Patentliste herausgefallen waren – vom Entwickler weiter viel Geld verdienen: unverschämt viel Geld. Dann traten jedoch Generika-Hersteller wie Ratiopharm auf den Markt, die Preise purzelten, was gut war. Aber die Kassen machten weiter Druck, die durchschnittliche Versorgung eines Patienten mit Medikamenten soll nicht mehr als 60 Cent pro Tag kosten.
Die Konsequenz: die Produktion von Generika wanderte nach Asien ab, insbesondere nach Indien:
- Dort sind die Löhne extrem niedrig
- Arbeitsschutz unzureichend
- Die Umweltgesetzgebung vergleichweise mehr als lasch, Abwässer gelangen oft genug ungeklärt in die Flüsse.
Globalisierung ein anderes Wort dafür.
Aber selbst in Indien musste es der billigste Hersteller sein, der nicht unbedingt immer der zuverlässigste war.
Dass der Nachschub weltweit deshalb nicht immer funktioniert – wen wundert’s. So kommt es immer wieder zu Lieferengpässen.
Preisdrückerei und Kostenexplosion
Parallel zur Preisdrückerei haben sich die Ausgaben der Krankenkassen für Arzneimittel von 1999 und 2018 – also innerhalb von 20 – Jahren glatt verdoppelt: von 19,2 auf 39,7 Milliarden Euro. Wie das?
- Durch die Alterszunahme der Bevölkerung steigt naturgemäss auch die Zahl medikamentenpflichtiger Patienten mit altersbedingen Erkrankungen.
- Weit wichtiger jedoch: Die Kostenexplosion bei der Behandlung von Hepatitis C, Autoimmunerkrankungen, insbesondere aber in der medikamentösen Krebsbehandlung, die bei vielen Krebserkrankungen mittlerweile bei 100.000 Euro und mehr pro Patient liegt. Von 20 Jahren war es nur ein Bruchteil davon.
Der Grund: Neue hochinnovative Medikamente, die nicht mehr wahllos schnellwachsende Zellen – normale wie auch Krebszellen – zerstören sondern wesentlich selektiver angreifen. Deren Preise werden von den Erzeugerfirmen diktiert, denn Konkurrenz gibt es vorläufig nicht, solange sie patentgeschützt sind. Die Kassen zahlen, müssen zahlen ggf. mit einem Abschlag. Ein recht unerträglicher Zustand, solange keine Transparenz über Entwicklungs- und Herstellungskosten dieser Medikamente vorliegt.
Bei diesen neuen Medikamenten gibt es idR keine Nachschubprobleme, denn sie werden von den Erzeugern in westlichen Ländern meist selbst hergestellt.
Problem seit Jahren bekannt
Das Problem mit den zunehmenden Lieferengpässen ist seit Jahren bekannt – und wurde von der Politik ignoriert. Im Jahre 2013, als sich die ersten Lieferengpässe berreits abzeichneten, krähte die damalige CDU/CSU / FDPBundesregierung fröhlich:
„Die Versorgung mit Arzneimitteln kann als gut bezeichnet werden. Bei einem Versorgungsmangel können vorübergehend aus anderen Ländern alternative Arzneimittel zur Behandlung eingeführt werden.“
Welch eine Narretei angesichts der damals bereits vorhandenen Engpässe, und insbesondere dann, wenn der Lieferengpässe bereits aus dem Ausland kommen,
Schon im März 2012 berichtete die internationale Medizinzeitung THE LANCET über Medikamentenengpässe in den USA:
„US drug shortages could continue for years“
In dem Artikel hiess es:
“Severe shortages of drugs such as sterile injectables have forced physicians in the USA to practice medicine from crisis to crisis”
Und weiter:
“Around 280 drugs, almost all manufactured in the USA, remain in short supply, because of factors including dwindling numbers of makers, deteriorating conditions in factories and low prices for generics, leading to a lack of investment to upgrade plants”.
Die Zahl der nicht lieferbaren Medikamente stieg: von 70 im Jahre 2006 auf 267 im Jahre 2011.
US-Präsident Obama erliess bereits im Oktober 2011 eine Anordnung, wonach Pharmafirmen verpflichtet wurden, der Regulierungsbehörde FDA mitzuteilen, wenn ein Lieferengpass unmittelbar drohe.
Eine weitere Anordnung, welche die Pharma-Firmen verpflichtete, bereits im Vorfeld mitzuteilen, wenn es zu einem Lieferengpass kommen könnte, z.B. wenn Rohstoffe zur Herstellung nicht ausreichend angeliefert wurden, oder Schwierigkeiten im Produktionsprozess auftreten, blieb erst einmal im Gesetzgebungsverfahren hängen.
Auch in Deutschland keine Seltenheit
Es dauerte nicht lange, bis auch in Deutschland Lieferengpässe mehr und mehr bekannt wurden. Die Medien berichteten bereits im Juni 2012 darüber. So hiess es in einem Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 11.6. 2012 „Den Kliniken gehen die Pillen aus“:
„Was sich wie die Geschichte aus einem Entwicklungsland anhört, kennen inzwischen Krankenhäuser im gesamten Bundesgebiet. Sie kämpfen darum, lebensnotwendige Arzneimittel noch in ausreichender Menge zu bekommen.Von 1900 Medikamenten, die eingesetzt werden, sind ständig 10 bis 20 nicht, oder nur in kontigentierter Menge lieferbar
Mittlerweile ist auch die Politik aufgewacht. Nun gibt es eine Länder-Initiative, die Produktion nach Deutschland zurückzuholen. Welch eine Narretei. Ganz abgesehen davon, dass die Pharmafirmen kaum dazu gezwungen werden könnten, liefe das nur, wenn die Rückerstattung der Arzneikosten so ansteigen würde, sodass sich die Produktion in Deutschland wieder lohnte.
Solange die Kassen die Rückerstattung von Generika auf ein Niveau drücken, das weder die Herstellung in Deutschland lohnt, noch sie in Ländern wie Indien und China für wirklich verlässliche Firmen attraktiv macht, wird sich an der gegenwärtigen Lage nichts ändern.
Wer heute in die Apotheke mit einem Rezept geht, der kann nicht sicher sein, dass er auch die verschriebene Arznei bekommt. Gängige Medikamente, wie etwa die Hochdruckmittel Nifedipin oder Valsartan: oftmals Fehlanzeige.
Fast immer handelt es sich um Medikamente, die durch Zeit-Ablauf ihren Patentschutz verloren haben.
Z.B. Epirubicin
Jüngstes Beispiel: Epirubicin, ein vielfach eingesetztes Medikament in der Krebsbehandlung (Brustkrebs, Lymphome, Sarkome) aus der Gruppe der Anthracycline. In den 70er Jahren von der italienischen Firma Farmitalia Carlo Erba entwickelt, zunächst als Antibiotikum, aber viel zu toxisch, dann die Wirksamkeit in der Krebsmedizin entdeckt . Ein Renner bis heute. Die Firma wurde reich damit: zunächst mit Doxorubicin, dann mit dem Nachfolgepräparat Epirubicin. Versorgungsengpässe: völlig unbekannt.
Die italienische Firma 1992 von Pharmacia, und diese dann von dem Pharma-Multi Pfizer geschluckt, das Medikament lange schon aus der Patentliste. Jetzt lässt sich damit kein Geld mehr verdienen. So stoppte die deutsche Firma Aqvida die Produktion von Epirubicin, weil die Herstellungskosten bei 14 Euro liegen, die Erstattung jedoch lediglich bei 12 Euro. Auch die Firma Bendalis will das Produkt wegen geringer Erstattungskosten aus dem Programm nehmen.
Viele Medikamente, einst in Europa hergestellt, erleiden das gleiche Schicksal.
Ab nach Asien
Einstmals liess sich mit Medikamenten – auch wenn sie aus der Patentliste herausgefallen waren – vom Entwickler weiter viel Geld verdienen: unverschämt viel Geld. Dann traten jedoch Generika-Hersteller wie Ratiopharm auf den Markt, die Preise purzelten, was gut war. Aber die Kassen machten weiter Druck, die durchschnittliche Versorgung eines Patienten mit Medikamenten soll nicht mehr als 60 Cent pro Tag kosten.
Die Konsequenz: die Produktion von Generika wanderte nach Asien ab, insbesondere nach Indien:
- Dort sind die Löhne extrem niedrig
- Arbeitsschutz unzureichend
- Die Umweltgesetzgebung vergleichweise mehr als lasch, Abwässer gelangen oft genug ungeklärt in die Flüsse.
Globalisierung ein anderes Wort dafür.
Aber selbst in Indien musste es der billigste Hersteller sein, der nicht unbedingt immer der zuverlässigste war.
Dass der Nachschub weltweit deshalb nicht immer funktioniert – wen wundert’s. So kommt es immer wieder zu Lieferengpässen.
Preisdrückerei und Kostenexplosion
Parallel zur Preisdrückerei haben sich die Ausgaben der Krankenkassen für Arzneimittel von 1999 und 2018 – also innerhalb von 20 – Jahren glatt verdoppelt: von 19,2 auf 39,7 Milliarden Euro. Wie das?
- Durch die Alterszunahme der Bevölkerung steigt naturgemäss auch die Zahl medikamentenpflichtiger Patienten mit altersbedingen Erkrankungen.
- Weit wichtiger jedoch: Die Kostenexplosion bei der Behandlung von Hepatitis C, Autoimmunerkrankungen, insbesondere aber in der medikamentösen Krebsbehandlung, die bei vielen Krebserkrankungen mittlerweile bei 100.000 Euro und mehr pro Patient liegt. Von 20 Jahren war es nur ein Bruchteil davon.
Der Grund: Neue hochinnovative Medikamente, die nicht mehr wahllos schnellwachsende Zellen – normale wie auch Krebszellen – zerstören sondern wesentlich selektiver angreifen. Deren Preise werden von den Erzeugerfirmen diktiert, denn Konkurrenz gibt es vorläufig nicht, solange sie patentgeschützt sind. Die Kassen zahlen, müssen zahlen ggf. mit einem Abschlag. Ein recht unerträglicher Zustand, solange keine Transparenz über Entwicklungs- und Herstellungskosten dieser Medikamente vorliegt.
Bei diesen neuen Medikamenten gibt es idR keine Nachschubprobleme, denn sie werden von den Erzeugern in westlichen Ländern meist selbst hergestellt.
Problem seit Jahren bekannt
Das Problem mit den zunehmenden Lieferengpässen ist seit Jahren bekannt – und wurde von der Politik ignoriert. Im Jahre 2013, als sich die ersten Lieferengpässe berreits abzeichneten, krähte die damalige CDU/CSU / FDPBundesregierung fröhlich:
„Die Versorgung mit Arzneimitteln kann als gut bezeichnet werden. Bei einem Versorgungsmangel können vorübergehend aus anderen Ländern alternative Arzneimittel zur Behandlung eingeführt werden.“
Welch eine Narretei angesichts der damals bereits vorhandenen Engpässe, und insbesondere dann, wenn der Lieferengpässe bereits aus dem Ausland kommen,
Schon im März 2012 berichtete die internationale Medizinzeitung THE LANCET über Medikamentenengpässe in den USA:
„US drug shortages could continue for years“
In dem Artikel hiess es:
“Severe shortages of drugs such as sterile injectables have forced physicians in the USA to practice medicine from crisis to crisis”
Und weiter:
“Around 280 drugs, almost all manufactured in the USA, remain in short supply, because of factors including dwindling numbers of makers, deteriorating conditions in factories and low prices for generics, leading to a lack of investment to upgrade plants”.
Die Zahl der nicht lieferbaren Medikamente stieg: von 70 im Jahre 2006 auf 267 im Jahre 2011.
US-Präsident Obama erliess bereits im Oktober 2011 eine Anordnung, wonach Pharmafirmen verpflichtet wurden, der Regulierungsbehörde FDA mitzuteilen, wenn ein Lieferengpass unmittelbar drohe.
Eine weitere Anordnung, welche die Pharma-Firmen verpflichtete, bereits im Vorfeld mitzuteilen, wenn es zu einem Lieferengpass kommen könnte, z.B. wenn Rohstoffe zur Herstellung nicht ausreichend angeliefert wurden, oder Schwierigkeiten im Produktionsprozess auftreten, blieb erst einmal im Gesetzgebungsverfahren hängen.
Auch in Deutschland keine Seltenheit
Es dauerte nicht lange, bis auch in Deutschland Lieferengpässe mehr und mehr bekannt wurden. Die Medien berichteten bereits im Juni 2012 darüber. So hiess es in einem Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 11.6. 2012 „Den Kliniken gehen die Pillen aus“:
„Was sich wie die Geschichte aus einem Entwicklungsland anhört, kennen inzwischen Krankenhäuser im gesamten Bundesgebiet. Sie kämpfen darum, lebensnotwendige Arzneimittel noch in ausreichender Menge zu bekommen.Von 1900 Medikamenten, die eingesetzt werden, sind ständig 10 bis 20 nicht, oder nur in kontigentierter Menge lieferbar
Mittlerweile ist auch die Politik aufgewacht. Nun gibt es eine Länder-Initiative, die Produktion nach Deutschland zurückzuholen. Welch eine Narretei. Ganz abgesehen davon, dass die Pharmafirmen kaum dazu gezwungen werden könnten, liefe das nur, wenn die Rückerstattung der Arzneikosten so ansteigen würde, sodass sich die Produktion in Deutschland wieder lohnte.
Solange die Kassen die Rückerstattung von Generika auf ein Niveau drücken, das weder die Herstellung in Deutschland lohnt, noch sie in Ländern wie Indien und China für wirklich verlässliche Firmen attraktiv macht, wird sich an der gegenwärtigen Lage nichts ändern.
onlinedienst - 28. Jan, 17:23 Article 219x read