Regionalwahlen in Italien - Neapel eine Stadt zwischen Höhen und Tiefen
Daniel Mullis - Ende März fanden in Italien Regionalwahlen statt. Trotz diverser Skandale um den Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi, dem Wahlausschluss seines Popolo della Libertà (PdL) im Wahlkreis Rom und einer grundsätzlich skeptischen Stimmung in Italien, vermochte das PdL wider Erwartens in den Regionen Boden gut zu machen.
Das PdL gewann die als Testwahlen für Berlusconi stilisierten Wahlen gar in drei Regionen, die vormals durch den Partito Democratico (PD) regiert wurden. Eine dieser Regionen ist Kampanien mit der Hauptstadt Neapel. Eine Stadt und Region, die in den letzten Jahren immer wieder unrühmliche Momente erlebt hat: Sei es wegen der Mafia oder der regelmässigen Müllkrisen. Der aktuelle Anlass der Regionalwahlen soll als Aufhänger für einen Rück- und Einblick in eine der speziellsten Städte Europas dienen.
Seit 1994 in Neapel die G7 zu ihrem alljährlichen Gipfeltreffen in Italien zusammen kamen und unter dem damaligen Bürgermeister Antonio Bassolino (1993-2000), Partito Comunista Italiano, später PDS, die Stadt dafür fein heraus geputzt wurde, ist viel Zeit vergangen. Seither haben eher Schreckensnachrichten im Zusammenhang mit Mafiamorden, Korruption und ein weiterer Müllskandal die Schlagzeilen dominiert, dies obwohl die nachfolgende Stadtpräsidentin - mittlerweile auch schon in der zweiten Amtszeit - Rosa Russo Iervolino, Partito Democratico (PD) sich alle Mühe gegeben hat, den Aufschwung der Stadt fort zu setzen. Ursache für die neuerliche internationale Aufmerksamkeit gegenüber der Machenschaften der Mafia waren nicht zuletzt der Ende 2004 ausgebrochenen Mafiakriege unter Clans der neapolitanischen Camorra, der bis Mitte 2005 anhielt, und die Veröffentlichung von Roberto Savianos "Gomorra" 2006 und dessen Verfilmung 2008.
Ende 2007, anfangs 2008 dominierten dann Bilder von nicht abtransportierten und in Flammen stehenden Müllbergen und rebellierenden BürgerInnen die mediale Aufmerksamkeit. Dennoch, unter der eher rauen Oberfläche und der doch teilweise für europäische Verhältnisse erschreckend armen Lebensrealität liegt eine spannende Stadt, die gerade in ihrer Konzeption von öffentlichem Raum und dem Leben darin massiv von der nord-westeuropäischen Normalvorstellung abweicht.

Neapel von oben, Altstadt, Central Business District und Vesuv
Arbeitslosigkeit und Schattenwirtschaft
Neapel und dessen administrativ der Stadt zugehörigen Bezirke zählen heute an die 1 Million EinwohnerInnen – Tendenz sinkend. Wird der Gesamte urbane Ballungsraum als Referenz genommen, sind es an die 3.5 Millionen (1). Dazu kommt eine hohe Dunkelziffer von illegalen EinwanderInnen und nicht gemeldeten Personen - gerade die neue Zuwanderung aus der Ukraine in die Stadt, wurde im wissenschaftlichen Diskurs zuletzt aufgenommen.
Die offizielle Wirtschaftsleistung der Stadt ist verglichen mit dem restlichen Italien eher tief und strukturell dominiert das Kleinunternehmertum. An die 30 Prozent der Beschäftigten sind im öffentlichen Dienst und der Verwaltung tätig und etwa eben so viele in der produktiven Industrien und dem Baugewerbe. Im Bereich des Handels-, Bank-, Finanz- und Immobilienwesen sind rund 22 Prozent beschäftigt. Der Rest verteilt sich auf das Transportwesen (8%), die Hotellerie (4%), Landwirtschaft (5%) und Sonstiges (2). Jedoch sind diese Zahlen mit Vorsicht zu geniessen, zumal sich statistische Erhebungen in der unübersichtlichen Stadt als schwierig erweisen und ein grosser Teil im informellen Sektor tätig ist.
So ist etwa das Strassenbild von unzähligen KleinhändlerInnen geprägt, die entweder auf Marktständen oder in kleinen Ladenlokalen - die nicht selten in Tat und Wahrheit die Küche oder das Wohnzimmer der ebenerdigen Wohnung darstellen – ihre Wahren anbieten, meist gefälschte Designerprodukte. Dazu kommt dass in der Stadt die Arbeitslosenquote bei 20 bis 30 Prozent (Italien 2009: 7.4%), die Jugendarbeitslosenquote (>25) gar bei 60 Prozent (Italien 2010: 24,9%, Tendenz steigend) liegt. Gesamthaft ist die von der Camorra dominierte Schattenwirtschaft eine der bedeutendsten ökonomischen Kräfte Neapels und die Strukturen der Mafia gelten unter der Hand als grösste Arbeitgeberin.
Die Mafia in Neapel und die Italienische Politik
"Das ist ein Krieg. Neapel ist seit dreissig Jahren im Krieg. Die Clans haben ihre Heere, Soldat gegen Soldat." So beschreibt Roberto Saviano, Autor des Buches "Gomorra" und heute Journalist für die "Repubblica", "l'Espresso", "Die Zeit", "El País" und die "Washington Post", der nach der Veröffentlichung von "Gomorra" nur noch unter Personenschutz im Ausland leben kann, in einem Interview mit dem Tages Anzeiger 2009 (3) die Situation in Neapel.
Er beschriebt im Zusammenhang mit einer Videosequenz die im Mai 2009 die Hinrichtung eines Mannes am helllichten Tag auf offener Strasse mitten im Alltagsgetümmel zeigt und in Italien viel Aufsehen erregt hat, wie die Menschen in Neapel mit der ständigen Gewalt umzugehen gelernt hätten:
"Ich würde es eine tragische Gelassenheit nennen. Die Hölle ist banal geworden, der Tod auch. Das Leben hat keinen Wert. Die Passanten kümmert das Unrecht nicht. Was sie kümmert, ist hingegen die Angst, eine falsche Bewegung zu machen, eine falsche Geste, mit der sie sich einem Risiko aussetzen würden und Position beziehen. Wenn einer wegrennt, identifiziert er sich selber als Zeugen. Die Gelassenheit ist also reiner Selbstschutz. Darum tun alle so, als wäre nichts passiert, als wäre alles normal."
Für Saviano ist eben diese Normalität der Gewalt und die Angst sich zu exponieren die neapolitanische Realität, welche die Stadt von anderen europäischen Städten erheblich differenziert. Er betont, dass es doch die instinktive Handlung nach einer Bluttat sei, von der man gerade Zeuge geworden sei, die Polizei zu alarmieren, zu schreien oder weg zu rennen. In Neapel jedoch nicht.
"Hier hat man Angst, sich zu exponieren. Die Syntax der Angst in Neapel ist eine andere als in Grossstädten wie etwa Madrid oder London. Das ist keine normale Kriminalität. Der Krieg hat einen anderen Mechanismus, eine andere Dialektik und Dynamik."
Für den heute 31 Jahre alten Saviano ist die gesellschaftliche und politische Konstellation, wie sie sich heute in Italien manifestiert fatal: Die Verknüpfungen der Regierung und im speziellen die Beziehungen des Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi zur Mafia (4), das de facto zensierende Medienmonopol des Ministerpräsidenten und die teilweise korrupte Justiz, die immer wieder krasse Vergehen der staatlichen und mafiösen Institutionen schützt (wie etwa in den Genua G8-Prozessen, wo die ranghohen Polizisten nach den brutalen Übergriffen bisweilen auch Folterung von DemonstrantInnen fast allesamt freigesprochen wurden, Gipfelsoli) bedeute, so Saviano, dass Italien ein Land geworden sei, wo die Wahrheit aufgehört habe zu existieren (5).
Die jüngste Müllkrise, Frühjahr 2008
Auch die Ende 2007 erneut ausgebrochene Müllkrise, in deren Zuge über Wochen der Müll der Stadt nicht entsorgt wurde, hängt nicht in erster Linie mit Unvermögen der Müllabfuhr zusammen, sondern ist vielmehr die Folge, des sich seit Jahren verzögernden Baus von Kehrichtverbrennungsanlagen – aktuell gibt es keine einzige in Kampanien - und der notorischen Überlastung der vorhandenen Mülldeponien kombiniert mit dem Interessen der Mafia den Status Quo zu erhalten.

Die Stadt versinkt im Müll
Ende Dezember 2008 sammelten sich so gemäss der neapolitanischen Tageszeitung "Il Mattino" mehr als 150'000 Tonnen Abfall im Ballungsraum Neapel und in der nördlich angrenzenden Provinz Caserta an. Vom Müllnotstand praktisch verschont blieb die stark von Touristen frequentierte Innenstadt und die Quartiere der neapolitanischen Oberschicht, so etwa Vomero. In anderen Stadtteilen türmte sich der Müll aber Meter hoch und die Bevölkerung, aufgebracht von dem ständigen Unvermögen, steckte die Müllberge in Brand, um so den nicht abtransportierten Unrat zu beseitigen. Diese Form der selbstverwaltetetn Müllentsorgung führte diverse Polizeieinsätze gegen aufgebrachte StadtbewohnerInnen nach sich.
Die italienische Staatsregierung ihrerseits versucht mittels eines Notfallplanes dem Problem Herr zu werden und verordnete die Eröffnung neuer Mülldeponien. Ministerpräsident Romano Prodi ordnete im Zuge der Krise den Einsatz der Armee an, um wenigstens die Gehsteige unmittelbar vor den Schulen frei zu räumen, denn nur so sei die Wiederaufnahme des zwischenzeitlich ausgesetzten Schulbetriebes nach den Weihnachtsferien garantiert gewesen (6).
Den Versuch, neue Mülldeponien zu eröffnen, stiess aber gerade in der Bevölkerung der betroffenen Gemeinden wegen der Sorge um die eigene Gesundheit und der zu befürchtenden Umweltverschmutzung auf erbitterten Widerstand, der teilweise in heftige Strassenschlachten gegen die anrückenden Hundertschaften der italienischen Bereitschaftspolizei und Carabinieri mündete. So etwa im Vorort Pianura am westlichen Stadtrand Neapels, wo tagelang mittels Blockaden und gewaltsamen Zusammenstössen die Neueröffnung der Deponie bekämpft wurde. Die Kulisse der Auseinandersetzungen des Jahres 2008 hätte aber skurriler nicht sein können, denn der Schauplatz der Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Bevölkerung waren Strassen die von Müllhäufen übersät waren.
Die Ausschreitungen wirken noch bis heute nach, denn so werden in Neapel aktuell die Prozesse gegen die an den Ausschreitungen beteiligten Personen vorangetrieben. Mittels harter Repression, Hausdurchsuchungen und Verhaftungswellen wird versucht weitere Proteste zu unterbinden und die Bevölkerung einzuschüchtern. Gleichzeitig sind aber bis heute massive Übergriffe, die während den Protesten seitens der Einsatzkräfte begangen wurden, nicht zur Anklage gebracht worden.
Auch wenn im Zusammenhang mit den Protesten sicherlich auch ein "not in my back-yard" - Effekt zu beobachten sei, betont Michele Bonomo, Vorsitzender der Umweltorganisation Legambiente in Kampanien, gegenüber dem Tagesspiegel (7), dass er Verständnis für die Menschen habe, denn nur allzu oft seien sie belogen und hintergangen worden. Die Milliardensummen, die Italiens Regierung über die Jahre für die Müllentsorgung in Kampanien bereitgestellte habe, hätten nichts verändert und die Situation keineswegs verbessert – stattdessen hätten sich Unternehmer und die Camorra schamlos bereichert.
Denn für die Camorra ist das Müllmanagement ein lukratives Geschäft. Sie beteiligen sich mittels eigenen Fuhrunternehmen am Abtransport, sie ist Teilhaberin oder Besitzerin an den diversen Müllentsorgungskonsortien und sie erwirbt billiges Land, um es dann für Unsummen dem Staat als Lagerflächen für die benötigten Mülldeponien zu verkaufen.
Offiziell soll auf den Deponien der Müll zwar nur zwischengelagert werden, bis auch in Kampanien einmal die ersten Müllverbrennungsanlagen in Betrieb genommen werden. In der Realität bleibt der Abfall aber mangels an Verbrennungsanlagen auf den provisorischen Deponien liegen und dient so der Bereicherung der mafiösen Strukturen. So wird immer wieder betont, dass das Müllproblem nicht ohne den Willen der Comorra zu lösen sei (8).
So werden wohl auch zukünftig zur Bewältigung des Müllproblems neue Mülldeponien auch gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt. Beispielhaft ist etwa der Fall Monte Sant'Angelo, wo eine neue Lagerstätte eröffnet wurde, die in Italien als Mustermodell gepriesen wird, aber gegen diverse EU-Richtlinien verstösst. Denn das ganze Gebiet liegt in einer Erdbeben gefährdeten Zone und der geomorfolgische Zustand des Hanges ist instabil, so dass die Deponie abzurutschen droht. Dazu kommt, dass die lokalen Bauernbetriebe seit der Eröffnung Absatzprobleme für ihrer Wahren haben, da unklar ist, wie sich die Deponie auf die Qualität der Produkte auswirkt (9).
Die krassen Verfehlungen im Bereich des Umweltschutzes und den aus der mangelhaften Müllentsorgung und türmenden Mülldeponien entstehenden Gesundheitsproblemen wurden im März 2010 vor dem EU-Gerichtshof verhandelt. Dort wurde im Urteil festgehalten, dass die Italienische Republik dadurch, dass sie für die Region Kampanien nicht alle Massnahmen ergriffen habe, die erforderlich seien, um zu gewährleisten, dass die Abfälle verwertet und beseitigt würden, ohne dass die menschliche Gesundheit und die Umwelt gefährdet würde, gegen die Verpflichtungen gegenüber des EU verstossen habe. Dies sei insbesondere auch der Fall weil im Verlauf des Prozesses die Italienische Regierungen selbst die Gefährlichkeit der Lage in der Region für die menschliche Gesundheit und Umwelt eingeräumt, daraus aber keine Schlüsse gezogen habe (10).
Im Verlauf des Verfahrens hat der Gerichtshof somit festgehalten, dass die Lage von Abfallbeseitigungsstandorten sich an den Gesundheits- und der Umweltschutzkriterien zu halten habe. Insbesondere bedeute dies, dass die Regierung dafür zu sorgen habe, dass ein angemessenen Netz von umwelt- und gesundheitsverträglichen Müllbeseitigungsanlagen errichtet werde. Dieses Netz müsse die Müllabfertigung zudem so nahe wie möglich am Ort der Müllproduktion organisieren und sicherstellen.
Gesamthaft gesehen ist der Richterspruch die Bestätigung der Vorwürfe gegenüber der Regierung, dass diese sich auf krasse Weise über die gesundheitliche Integrität der Bevölkerung hinweg setzt und bewusst die Gefährdung der Umwelt in Kauf nimmt.
Ein weiterer spannender Aspekt des Konfliktes, der im Kontext der Militarisierung von internen Konflikten gesehen werden muss; eine Entwicklung de sich aber nicht nur in Italien manifestiert, ist die Durchsetzungsstrategie die von den italienischen Behörden verfolgt wurde und wird. So betonte Berlusconi nach seinem erneuten Amtsantritt als Ministerpräsidnet im Mai 2008, dass die Mülldeponien künftig wie "Militärgebiete" behandelt und auch entsprechend abgesichert würden (11).
Die Errichtung der gesamthaft zehn neuen Deponien, die im Rahmen des Notfallplanes vorgesehen sind, wurden so trotz des Widerstandes der Bevölkerung, mittels der Einzonung des Geländes als "Militärische Sperrzone" durchgesetz. Eine Massnahme die aus demokartietheoretischer Perspektive hoch problematisch ist, zumal so das Gelände und auch der Entscheid an und für sich aus der Sphäre des demokratischen Zugriffes entzogen werden.

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Die Stadt und ihr öffentliches Leben
Die Stadt ist laut und eng, die verwinkelten kleinen Gassen des historischen Zentrums, sind derart schmal, dass manch ein Auto nicht durch passt. So vertrauen die einheimischen auf ihre Vespa, die in dem Strassenlabyrinth ein schnelles durchkommen garantieren. Neapel, dass am Fusse des Vesuvs liegt öffnet sich zum Meer hin, wo auf der westlichen Seite der Stadt ein Stadtpark liegt. Auf der östlichen Seite erstreckt sich das Hafengelände. Nordöstlich, nördlich des Bahnhofgeländes erheben sich einige Hochhäuser wo sich Neapels Central Business District abzeichnet.
Gegen Nord-Westen hin erhebt sich die Stadt auf einen Hügelzug, wo sich die wohlhabenderen NeapoliatnerInnen im Quartier Vomero niedergelassen haben. Der Bruch zwischen dem lärmigen, unruhigen und stickigen Altstadtkern sowie der Zone um den Bahnhof und dem höher gelegenen Vomero ist frappant. Oben sind die Strassen breit, die Gassen ruhig, die Einkaufsstrassen übersichtlich und Polizei wie private Sicherheitsdienste patroulieren durch die Gassen. Oben auf dem Hügel präsentiert sich Neapel anders als unten, oben ist die Szenerie ersetzbar, ähnlich und gleichgeschaltet und das Stadtbild erinnert an Aussenquartiere Mailands, Barcelonas oder Madrids.
Unten da tobt das Leben. In den bunten und vielfältigen Einkaufsstrassen strömen Menschen und Autos durch die Gassen, aus den Wohnungen riecht es nach Essen und beim schlendern durch enge Gassen fühlt man sich etwas in das Wohnzimmer hinein versetzt. Wandmalereien und Graffitis prägen das Stadtbild und bringen Farbe in die dunklen Ecken. Ruhig ist es nur, wenn der SSC Napoli spielt. Fussball ist ohnehin ein Kult in Neapel, auf den Gassen, auf den steilen Treppen auf den kleinen Plätzen überall spielen Kinder Fussball.

Junge beim Fussballspiel auf der Piazza Merrcato, als Tor dienen zwei Müllcontainer
Der öffentliche Raum und die Plätze sind vor allem von einem Element geprägt: Den Autos, überall stehen sie, füllen die Gassen, überstellen Plätze und donnern mit einem unheimlichen Tempo an einem vorbei. Hoch über den Köpfen hängen die gewaschenen Kleider, so dass der Duft von frischer Wäsche in manch einer Gasse den herumliegenden Unrat überwältigt. Ebenerdig haben sich viel um ihre Wohnung etwas zu vergrössern auf den Gehsteig einen kleinen Balkon oder Veranda gezimmert. Der öffentliche Raum wird so durch eine spezielle Form der Raumnahme durch private Balkone und herumstehende Autos privatisiert.
Ein weiteres dominantes Element sind die vielen Marktstände, dies gerade in den Gassen des Marktviertel, südlich des Bahnhofes, aber auch entlang der grösseren Hauptstrassen werden fast über all gefälschte Louis Vuitton- Accessoirse und Ray Ban-Brillen angeboten - Waren die wohl zumindest teilweise direkt über den Hafen von Neapel von China nach Europa geschmuggelt wurden. In Gässchen der Innenstadt haben viele ihre Parterrewohnung oder Teile davon tagsüber in einen kleinen Laden umfunktioniert in denen meist Lebensmittel und Süssigkeiten feil geboten werden.

Wahlkampf für die vergangenen Regionalwahlen in Neapel
Wie ein Mahnmahl der vergangenen Regionalwahlen von Ende März prangen in der Stadt überall noch die Wahlplakate der Parteien. Teilweise weisen sie die Spur eines hart geführten Wahlkampfes auf. So wie sich in der ganzen Stadt auf unzähligen Graffitis der Kampf zwischen faschistischen und antifaschistischen Gruppen manifestiert - das keltische Kreuz (White Power-Symbol) von Hammer und Sichel so wie dem A im Kreis übermalt oder umgekehrt, je nach Quartier bleibt das eine oder andere im Vordergrund bestehen und definiert so die Zugehörigkeit des Quartiers.
So sind auch die Wahlplakate der jeweiligen politischen Kontrahenten Ziel von Attacken, so wie etwa die Plakate der neofaschistischen "La destra" von Francesco Storace mit der Parole "Politico abusivo", was so viel heisst wie widerliche Politik, übermalt wurden.
Wie Siegesfahnen sind es aber die Plakate der Rechten Parteien die in der Stadt auch Tage nach den Wahlen noch präsent sind. Denn Kampanien ist eine der Regionen, in der Berlusconis Popolo della Libertà (PdL) über die Linksliberale Partito Democratico (PD) siegreich war und Stefano Caldoro (PdL) den scheidenden Regionalpräsidenten Antonio Bassolino (PD) ablösen wird. Dennoch eines gilt für Kampanien wie für ganz Italien, das den Urnengang der Regionalwahlen mit einer rekordtiefen beteiligung von 64,2 Prozent abschloss, dass Italien Wahlmüde ist und das Vertrauen in die Politik verloren hat (11). Für Kampagnen und Neapel, die Stadt am Fusse des Vesuvs gilt nämlich schon lange die bittere Wahrheit, dass wer Politik machen will, ob links oder rechts, sich mit der Mafia arrangieren muss und zu akzeptieren hat, dass die Politik nur die zweite Geige spielt.
Quellennachweis (Besucht, 7. April 2010)
1 - demo.istat.it
2 - Camera di Commercio Napoli, Stand 2005
3 - Tages Anzeiger, 31.10.2009
4 - Echo der Zeit (DRS 1), 4.12.2009 / Echo der Zeit (DRS 1), 8.2.2010
5 - Der Bund, 12.8.2009
6 - TAZ, 9.1.2008
7 - SpiegelOnline, 06.01.2008
8 - Rendez-Vous (DRS 1),15.5.2008
9 - Echo der Zeit (DRS 1), 15.1.2010
10 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer), 4. März 2010
11 - Süddeutsche, 24.5.2008
12 - Tagesgespräch zu den aktuellen Verhältnissen in Italien (DRS 1), 30.3.2010
Das PdL gewann die als Testwahlen für Berlusconi stilisierten Wahlen gar in drei Regionen, die vormals durch den Partito Democratico (PD) regiert wurden. Eine dieser Regionen ist Kampanien mit der Hauptstadt Neapel. Eine Stadt und Region, die in den letzten Jahren immer wieder unrühmliche Momente erlebt hat: Sei es wegen der Mafia oder der regelmässigen Müllkrisen. Der aktuelle Anlass der Regionalwahlen soll als Aufhänger für einen Rück- und Einblick in eine der speziellsten Städte Europas dienen.
Seit 1994 in Neapel die G7 zu ihrem alljährlichen Gipfeltreffen in Italien zusammen kamen und unter dem damaligen Bürgermeister Antonio Bassolino (1993-2000), Partito Comunista Italiano, später PDS, die Stadt dafür fein heraus geputzt wurde, ist viel Zeit vergangen. Seither haben eher Schreckensnachrichten im Zusammenhang mit Mafiamorden, Korruption und ein weiterer Müllskandal die Schlagzeilen dominiert, dies obwohl die nachfolgende Stadtpräsidentin - mittlerweile auch schon in der zweiten Amtszeit - Rosa Russo Iervolino, Partito Democratico (PD) sich alle Mühe gegeben hat, den Aufschwung der Stadt fort zu setzen. Ursache für die neuerliche internationale Aufmerksamkeit gegenüber der Machenschaften der Mafia waren nicht zuletzt der Ende 2004 ausgebrochenen Mafiakriege unter Clans der neapolitanischen Camorra, der bis Mitte 2005 anhielt, und die Veröffentlichung von Roberto Savianos "Gomorra" 2006 und dessen Verfilmung 2008.
Ende 2007, anfangs 2008 dominierten dann Bilder von nicht abtransportierten und in Flammen stehenden Müllbergen und rebellierenden BürgerInnen die mediale Aufmerksamkeit. Dennoch, unter der eher rauen Oberfläche und der doch teilweise für europäische Verhältnisse erschreckend armen Lebensrealität liegt eine spannende Stadt, die gerade in ihrer Konzeption von öffentlichem Raum und dem Leben darin massiv von der nord-westeuropäischen Normalvorstellung abweicht.

Neapel von oben, Altstadt, Central Business District und Vesuv
Arbeitslosigkeit und Schattenwirtschaft
Neapel und dessen administrativ der Stadt zugehörigen Bezirke zählen heute an die 1 Million EinwohnerInnen – Tendenz sinkend. Wird der Gesamte urbane Ballungsraum als Referenz genommen, sind es an die 3.5 Millionen (1). Dazu kommt eine hohe Dunkelziffer von illegalen EinwanderInnen und nicht gemeldeten Personen - gerade die neue Zuwanderung aus der Ukraine in die Stadt, wurde im wissenschaftlichen Diskurs zuletzt aufgenommen.
Die offizielle Wirtschaftsleistung der Stadt ist verglichen mit dem restlichen Italien eher tief und strukturell dominiert das Kleinunternehmertum. An die 30 Prozent der Beschäftigten sind im öffentlichen Dienst und der Verwaltung tätig und etwa eben so viele in der produktiven Industrien und dem Baugewerbe. Im Bereich des Handels-, Bank-, Finanz- und Immobilienwesen sind rund 22 Prozent beschäftigt. Der Rest verteilt sich auf das Transportwesen (8%), die Hotellerie (4%), Landwirtschaft (5%) und Sonstiges (2). Jedoch sind diese Zahlen mit Vorsicht zu geniessen, zumal sich statistische Erhebungen in der unübersichtlichen Stadt als schwierig erweisen und ein grosser Teil im informellen Sektor tätig ist.
So ist etwa das Strassenbild von unzähligen KleinhändlerInnen geprägt, die entweder auf Marktständen oder in kleinen Ladenlokalen - die nicht selten in Tat und Wahrheit die Küche oder das Wohnzimmer der ebenerdigen Wohnung darstellen – ihre Wahren anbieten, meist gefälschte Designerprodukte. Dazu kommt dass in der Stadt die Arbeitslosenquote bei 20 bis 30 Prozent (Italien 2009: 7.4%), die Jugendarbeitslosenquote (>25) gar bei 60 Prozent (Italien 2010: 24,9%, Tendenz steigend) liegt. Gesamthaft ist die von der Camorra dominierte Schattenwirtschaft eine der bedeutendsten ökonomischen Kräfte Neapels und die Strukturen der Mafia gelten unter der Hand als grösste Arbeitgeberin.
Die Mafia in Neapel und die Italienische Politik
"Das ist ein Krieg. Neapel ist seit dreissig Jahren im Krieg. Die Clans haben ihre Heere, Soldat gegen Soldat." So beschreibt Roberto Saviano, Autor des Buches "Gomorra" und heute Journalist für die "Repubblica", "l'Espresso", "Die Zeit", "El País" und die "Washington Post", der nach der Veröffentlichung von "Gomorra" nur noch unter Personenschutz im Ausland leben kann, in einem Interview mit dem Tages Anzeiger 2009 (3) die Situation in Neapel.
Er beschriebt im Zusammenhang mit einer Videosequenz die im Mai 2009 die Hinrichtung eines Mannes am helllichten Tag auf offener Strasse mitten im Alltagsgetümmel zeigt und in Italien viel Aufsehen erregt hat, wie die Menschen in Neapel mit der ständigen Gewalt umzugehen gelernt hätten:
"Ich würde es eine tragische Gelassenheit nennen. Die Hölle ist banal geworden, der Tod auch. Das Leben hat keinen Wert. Die Passanten kümmert das Unrecht nicht. Was sie kümmert, ist hingegen die Angst, eine falsche Bewegung zu machen, eine falsche Geste, mit der sie sich einem Risiko aussetzen würden und Position beziehen. Wenn einer wegrennt, identifiziert er sich selber als Zeugen. Die Gelassenheit ist also reiner Selbstschutz. Darum tun alle so, als wäre nichts passiert, als wäre alles normal."
Für Saviano ist eben diese Normalität der Gewalt und die Angst sich zu exponieren die neapolitanische Realität, welche die Stadt von anderen europäischen Städten erheblich differenziert. Er betont, dass es doch die instinktive Handlung nach einer Bluttat sei, von der man gerade Zeuge geworden sei, die Polizei zu alarmieren, zu schreien oder weg zu rennen. In Neapel jedoch nicht.
"Hier hat man Angst, sich zu exponieren. Die Syntax der Angst in Neapel ist eine andere als in Grossstädten wie etwa Madrid oder London. Das ist keine normale Kriminalität. Der Krieg hat einen anderen Mechanismus, eine andere Dialektik und Dynamik."
Für den heute 31 Jahre alten Saviano ist die gesellschaftliche und politische Konstellation, wie sie sich heute in Italien manifestiert fatal: Die Verknüpfungen der Regierung und im speziellen die Beziehungen des Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi zur Mafia (4), das de facto zensierende Medienmonopol des Ministerpräsidenten und die teilweise korrupte Justiz, die immer wieder krasse Vergehen der staatlichen und mafiösen Institutionen schützt (wie etwa in den Genua G8-Prozessen, wo die ranghohen Polizisten nach den brutalen Übergriffen bisweilen auch Folterung von DemonstrantInnen fast allesamt freigesprochen wurden, Gipfelsoli) bedeute, so Saviano, dass Italien ein Land geworden sei, wo die Wahrheit aufgehört habe zu existieren (5).
Die jüngste Müllkrise, Frühjahr 2008
Auch die Ende 2007 erneut ausgebrochene Müllkrise, in deren Zuge über Wochen der Müll der Stadt nicht entsorgt wurde, hängt nicht in erster Linie mit Unvermögen der Müllabfuhr zusammen, sondern ist vielmehr die Folge, des sich seit Jahren verzögernden Baus von Kehrichtverbrennungsanlagen – aktuell gibt es keine einzige in Kampanien - und der notorischen Überlastung der vorhandenen Mülldeponien kombiniert mit dem Interessen der Mafia den Status Quo zu erhalten.

Die Stadt versinkt im Müll
Ende Dezember 2008 sammelten sich so gemäss der neapolitanischen Tageszeitung "Il Mattino" mehr als 150'000 Tonnen Abfall im Ballungsraum Neapel und in der nördlich angrenzenden Provinz Caserta an. Vom Müllnotstand praktisch verschont blieb die stark von Touristen frequentierte Innenstadt und die Quartiere der neapolitanischen Oberschicht, so etwa Vomero. In anderen Stadtteilen türmte sich der Müll aber Meter hoch und die Bevölkerung, aufgebracht von dem ständigen Unvermögen, steckte die Müllberge in Brand, um so den nicht abtransportierten Unrat zu beseitigen. Diese Form der selbstverwaltetetn Müllentsorgung führte diverse Polizeieinsätze gegen aufgebrachte StadtbewohnerInnen nach sich.
Die italienische Staatsregierung ihrerseits versucht mittels eines Notfallplanes dem Problem Herr zu werden und verordnete die Eröffnung neuer Mülldeponien. Ministerpräsident Romano Prodi ordnete im Zuge der Krise den Einsatz der Armee an, um wenigstens die Gehsteige unmittelbar vor den Schulen frei zu räumen, denn nur so sei die Wiederaufnahme des zwischenzeitlich ausgesetzten Schulbetriebes nach den Weihnachtsferien garantiert gewesen (6).
Den Versuch, neue Mülldeponien zu eröffnen, stiess aber gerade in der Bevölkerung der betroffenen Gemeinden wegen der Sorge um die eigene Gesundheit und der zu befürchtenden Umweltverschmutzung auf erbitterten Widerstand, der teilweise in heftige Strassenschlachten gegen die anrückenden Hundertschaften der italienischen Bereitschaftspolizei und Carabinieri mündete. So etwa im Vorort Pianura am westlichen Stadtrand Neapels, wo tagelang mittels Blockaden und gewaltsamen Zusammenstössen die Neueröffnung der Deponie bekämpft wurde. Die Kulisse der Auseinandersetzungen des Jahres 2008 hätte aber skurriler nicht sein können, denn der Schauplatz der Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Bevölkerung waren Strassen die von Müllhäufen übersät waren.
Die Ausschreitungen wirken noch bis heute nach, denn so werden in Neapel aktuell die Prozesse gegen die an den Ausschreitungen beteiligten Personen vorangetrieben. Mittels harter Repression, Hausdurchsuchungen und Verhaftungswellen wird versucht weitere Proteste zu unterbinden und die Bevölkerung einzuschüchtern. Gleichzeitig sind aber bis heute massive Übergriffe, die während den Protesten seitens der Einsatzkräfte begangen wurden, nicht zur Anklage gebracht worden.
Auch wenn im Zusammenhang mit den Protesten sicherlich auch ein "not in my back-yard" - Effekt zu beobachten sei, betont Michele Bonomo, Vorsitzender der Umweltorganisation Legambiente in Kampanien, gegenüber dem Tagesspiegel (7), dass er Verständnis für die Menschen habe, denn nur allzu oft seien sie belogen und hintergangen worden. Die Milliardensummen, die Italiens Regierung über die Jahre für die Müllentsorgung in Kampanien bereitgestellte habe, hätten nichts verändert und die Situation keineswegs verbessert – stattdessen hätten sich Unternehmer und die Camorra schamlos bereichert.
Denn für die Camorra ist das Müllmanagement ein lukratives Geschäft. Sie beteiligen sich mittels eigenen Fuhrunternehmen am Abtransport, sie ist Teilhaberin oder Besitzerin an den diversen Müllentsorgungskonsortien und sie erwirbt billiges Land, um es dann für Unsummen dem Staat als Lagerflächen für die benötigten Mülldeponien zu verkaufen.
Offiziell soll auf den Deponien der Müll zwar nur zwischengelagert werden, bis auch in Kampanien einmal die ersten Müllverbrennungsanlagen in Betrieb genommen werden. In der Realität bleibt der Abfall aber mangels an Verbrennungsanlagen auf den provisorischen Deponien liegen und dient so der Bereicherung der mafiösen Strukturen. So wird immer wieder betont, dass das Müllproblem nicht ohne den Willen der Comorra zu lösen sei (8).
So werden wohl auch zukünftig zur Bewältigung des Müllproblems neue Mülldeponien auch gegen den Willen der Bevölkerung durchgesetzt. Beispielhaft ist etwa der Fall Monte Sant'Angelo, wo eine neue Lagerstätte eröffnet wurde, die in Italien als Mustermodell gepriesen wird, aber gegen diverse EU-Richtlinien verstösst. Denn das ganze Gebiet liegt in einer Erdbeben gefährdeten Zone und der geomorfolgische Zustand des Hanges ist instabil, so dass die Deponie abzurutschen droht. Dazu kommt, dass die lokalen Bauernbetriebe seit der Eröffnung Absatzprobleme für ihrer Wahren haben, da unklar ist, wie sich die Deponie auf die Qualität der Produkte auswirkt (9).
Die krassen Verfehlungen im Bereich des Umweltschutzes und den aus der mangelhaften Müllentsorgung und türmenden Mülldeponien entstehenden Gesundheitsproblemen wurden im März 2010 vor dem EU-Gerichtshof verhandelt. Dort wurde im Urteil festgehalten, dass die Italienische Republik dadurch, dass sie für die Region Kampanien nicht alle Massnahmen ergriffen habe, die erforderlich seien, um zu gewährleisten, dass die Abfälle verwertet und beseitigt würden, ohne dass die menschliche Gesundheit und die Umwelt gefährdet würde, gegen die Verpflichtungen gegenüber des EU verstossen habe. Dies sei insbesondere auch der Fall weil im Verlauf des Prozesses die Italienische Regierungen selbst die Gefährlichkeit der Lage in der Region für die menschliche Gesundheit und Umwelt eingeräumt, daraus aber keine Schlüsse gezogen habe (10).
Im Verlauf des Verfahrens hat der Gerichtshof somit festgehalten, dass die Lage von Abfallbeseitigungsstandorten sich an den Gesundheits- und der Umweltschutzkriterien zu halten habe. Insbesondere bedeute dies, dass die Regierung dafür zu sorgen habe, dass ein angemessenen Netz von umwelt- und gesundheitsverträglichen Müllbeseitigungsanlagen errichtet werde. Dieses Netz müsse die Müllabfertigung zudem so nahe wie möglich am Ort der Müllproduktion organisieren und sicherstellen.
Gesamthaft gesehen ist der Richterspruch die Bestätigung der Vorwürfe gegenüber der Regierung, dass diese sich auf krasse Weise über die gesundheitliche Integrität der Bevölkerung hinweg setzt und bewusst die Gefährdung der Umwelt in Kauf nimmt.
Ein weiterer spannender Aspekt des Konfliktes, der im Kontext der Militarisierung von internen Konflikten gesehen werden muss; eine Entwicklung de sich aber nicht nur in Italien manifestiert, ist die Durchsetzungsstrategie die von den italienischen Behörden verfolgt wurde und wird. So betonte Berlusconi nach seinem erneuten Amtsantritt als Ministerpräsidnet im Mai 2008, dass die Mülldeponien künftig wie "Militärgebiete" behandelt und auch entsprechend abgesichert würden (11).
Die Errichtung der gesamthaft zehn neuen Deponien, die im Rahmen des Notfallplanes vorgesehen sind, wurden so trotz des Widerstandes der Bevölkerung, mittels der Einzonung des Geländes als "Militärische Sperrzone" durchgesetz. Eine Massnahme die aus demokartietheoretischer Perspektive hoch problematisch ist, zumal so das Gelände und auch der Entscheid an und für sich aus der Sphäre des demokratischen Zugriffes entzogen werden.

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Die Stadt und ihr öffentliches Leben
Die Stadt ist laut und eng, die verwinkelten kleinen Gassen des historischen Zentrums, sind derart schmal, dass manch ein Auto nicht durch passt. So vertrauen die einheimischen auf ihre Vespa, die in dem Strassenlabyrinth ein schnelles durchkommen garantieren. Neapel, dass am Fusse des Vesuvs liegt öffnet sich zum Meer hin, wo auf der westlichen Seite der Stadt ein Stadtpark liegt. Auf der östlichen Seite erstreckt sich das Hafengelände. Nordöstlich, nördlich des Bahnhofgeländes erheben sich einige Hochhäuser wo sich Neapels Central Business District abzeichnet.
Gegen Nord-Westen hin erhebt sich die Stadt auf einen Hügelzug, wo sich die wohlhabenderen NeapoliatnerInnen im Quartier Vomero niedergelassen haben. Der Bruch zwischen dem lärmigen, unruhigen und stickigen Altstadtkern sowie der Zone um den Bahnhof und dem höher gelegenen Vomero ist frappant. Oben sind die Strassen breit, die Gassen ruhig, die Einkaufsstrassen übersichtlich und Polizei wie private Sicherheitsdienste patroulieren durch die Gassen. Oben auf dem Hügel präsentiert sich Neapel anders als unten, oben ist die Szenerie ersetzbar, ähnlich und gleichgeschaltet und das Stadtbild erinnert an Aussenquartiere Mailands, Barcelonas oder Madrids.
Unten da tobt das Leben. In den bunten und vielfältigen Einkaufsstrassen strömen Menschen und Autos durch die Gassen, aus den Wohnungen riecht es nach Essen und beim schlendern durch enge Gassen fühlt man sich etwas in das Wohnzimmer hinein versetzt. Wandmalereien und Graffitis prägen das Stadtbild und bringen Farbe in die dunklen Ecken. Ruhig ist es nur, wenn der SSC Napoli spielt. Fussball ist ohnehin ein Kult in Neapel, auf den Gassen, auf den steilen Treppen auf den kleinen Plätzen überall spielen Kinder Fussball.

Junge beim Fussballspiel auf der Piazza Merrcato, als Tor dienen zwei Müllcontainer
Der öffentliche Raum und die Plätze sind vor allem von einem Element geprägt: Den Autos, überall stehen sie, füllen die Gassen, überstellen Plätze und donnern mit einem unheimlichen Tempo an einem vorbei. Hoch über den Köpfen hängen die gewaschenen Kleider, so dass der Duft von frischer Wäsche in manch einer Gasse den herumliegenden Unrat überwältigt. Ebenerdig haben sich viel um ihre Wohnung etwas zu vergrössern auf den Gehsteig einen kleinen Balkon oder Veranda gezimmert. Der öffentliche Raum wird so durch eine spezielle Form der Raumnahme durch private Balkone und herumstehende Autos privatisiert.
Ein weiteres dominantes Element sind die vielen Marktstände, dies gerade in den Gassen des Marktviertel, südlich des Bahnhofes, aber auch entlang der grösseren Hauptstrassen werden fast über all gefälschte Louis Vuitton- Accessoirse und Ray Ban-Brillen angeboten - Waren die wohl zumindest teilweise direkt über den Hafen von Neapel von China nach Europa geschmuggelt wurden. In Gässchen der Innenstadt haben viele ihre Parterrewohnung oder Teile davon tagsüber in einen kleinen Laden umfunktioniert in denen meist Lebensmittel und Süssigkeiten feil geboten werden.

Wahlkampf für die vergangenen Regionalwahlen in Neapel
Wie ein Mahnmahl der vergangenen Regionalwahlen von Ende März prangen in der Stadt überall noch die Wahlplakate der Parteien. Teilweise weisen sie die Spur eines hart geführten Wahlkampfes auf. So wie sich in der ganzen Stadt auf unzähligen Graffitis der Kampf zwischen faschistischen und antifaschistischen Gruppen manifestiert - das keltische Kreuz (White Power-Symbol) von Hammer und Sichel so wie dem A im Kreis übermalt oder umgekehrt, je nach Quartier bleibt das eine oder andere im Vordergrund bestehen und definiert so die Zugehörigkeit des Quartiers.
So sind auch die Wahlplakate der jeweiligen politischen Kontrahenten Ziel von Attacken, so wie etwa die Plakate der neofaschistischen "La destra" von Francesco Storace mit der Parole "Politico abusivo", was so viel heisst wie widerliche Politik, übermalt wurden.
Wie Siegesfahnen sind es aber die Plakate der Rechten Parteien die in der Stadt auch Tage nach den Wahlen noch präsent sind. Denn Kampanien ist eine der Regionen, in der Berlusconis Popolo della Libertà (PdL) über die Linksliberale Partito Democratico (PD) siegreich war und Stefano Caldoro (PdL) den scheidenden Regionalpräsidenten Antonio Bassolino (PD) ablösen wird. Dennoch eines gilt für Kampanien wie für ganz Italien, das den Urnengang der Regionalwahlen mit einer rekordtiefen beteiligung von 64,2 Prozent abschloss, dass Italien Wahlmüde ist und das Vertrauen in die Politik verloren hat (11). Für Kampagnen und Neapel, die Stadt am Fusse des Vesuvs gilt nämlich schon lange die bittere Wahrheit, dass wer Politik machen will, ob links oder rechts, sich mit der Mafia arrangieren muss und zu akzeptieren hat, dass die Politik nur die zweite Geige spielt.
Quellennachweis (Besucht, 7. April 2010)
1 - demo.istat.it
2 - Camera di Commercio Napoli, Stand 2005
3 - Tages Anzeiger, 31.10.2009
4 - Echo der Zeit (DRS 1), 4.12.2009 / Echo der Zeit (DRS 1), 8.2.2010
5 - Der Bund, 12.8.2009
6 - TAZ, 9.1.2008
7 - SpiegelOnline, 06.01.2008
8 - Rendez-Vous (DRS 1),15.5.2008
9 - Echo der Zeit (DRS 1), 15.1.2010
10 - URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer), 4. März 2010
11 - Süddeutsche, 24.5.2008
12 - Tagesgespräch zu den aktuellen Verhältnissen in Italien (DRS 1), 30.3.2010
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