Reportage einer Krankenschwester aus dem Brennpunkt Krankenhaus – eine Buchbesprechung
Dr. Alexander von Paleske —-21.10.2020 ———
Die Krankenschwester Franziska Böhler hat ein Buch geschrieben, das sich wie eine Reportage aus einem Katastrophengebiet liest – trotz des eher harmlosen Titels:
“I am a nurse – Warum ich meinen Beruf als Krankenschwester liebe, trotz allem”.
Aber gerade das “trotz allem” hat es in sich, und es nicht nur ihr Krankenhaus, sondern die Zustände sind mehr oder weniger überall, wie die zahlreichen Zuschriften auf ihrem Instagram- Account bezeugen. Es ist ein Zustandsbild der stationären Krankenversorgung im Jahre 2020 in Deutschland: Es fehlen rund 20.000 Krankenschwestern und Krankenpfleger, und es gibt erhebliche Misstände durch die Profitorientierung des Krankenhausbetriebes.
Böhler beklagt, dass der Krankenhausbetrieb mit der Einführung der Fallpauschale auf Profit getrimmt wurde. Mit der Abschaffung der Bettenpauschale, die unabhängig von der zugrundeliegenden Erkrankung eine Vergütung vorsah, wurden dank der Fallpauschale plötzlich bestimmte Patientengruppen lukrativer für das Krankenhaus, hingegen andere zu Verlustbringern, insbesondere ältere multimorbide Patienten mit längerer Liegedauer.
Eingeführt durch die rot-grüne Koalitionsregierung 2003. Federführend: die damalige SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die heute zu den bestverdienenden Abgeordneten des Bundestages dank lukrativer Nebentätigkeitseinnahmen aus dem Pharma- und Pflegebereich gehört.
Die Folgen der Pauschale
Franziska Böhler zeigt die Auswirkungen der Fallpauschale und des Personalmangels an vielen Beispielen: selbst erlebten, aber auch mit Schilderungen von Kolleginnen und Kollegen, Patienten und Angehörigen.
Sie beschreibt:
– wie in Folge die Arbeitshetze Stück für Stück zunahm,
– Entscheidungen aus Wirtschaftlichkeitserwägungen, nicht aber unbedingt aus dem Gesichtspunkt des Patientenwohl getroffen wurden und werden.
Sie beschreibt und beklagt:
– wie immer weniger Zeit bleibt, sich um einzelne Patienten zu kümmern
– wie Unterbesetzungen, zur Regel wurden,
– der Stellenschlüssel sehr unzureichend ist, und der – bedingt durch Personalmangel – noch nicht einmal eingehalten werden kann
– die Professionalität der Krankenversorgung auf der Strecke beibt.
– mit dem Pflegeberuf nicht mehr Beistand, Versorgung und Pflege, sondern Ueberlastung Unterbesetzung und Unterbezahlung verbunden sind, und das in allen Bereichen: Der Allgemeinpflege, Kinderkrankenpflege, der Krebsstation, der Geburtshilfe, der Intensivstationen,.
Hinzu kommt noch die oftmals fehlende Wertschätzung seitens des Krankenhausträgers. Hier wurde schon vor 5 Jahren ein Krankenhaus-Geschäftsführer zitiert, der seine Geringschätzung so ausdrückte:
“Er würde das Personal so lange reduzieren, bis die Uebriggebliebenen „quietschen“, dann wisse er, dass er den Boden des absolut Zumutbaren erreicht habe.”
Kurzum: wie all das, was Franziska Böhler als Krankenschwester an Elan und Freude auf den Beruf mitbrachte, in diesem Krankenhausbetrieb systematisch zertrümmert wurde – und das nicht bei ihr…
Kranker Betrieb
Aus ihren Schilderungen schält sich das Bild heraus: Der Krankenhausbetrieb ist krank, sehr krank, im Pflegebereich bereits auf der Intensivstation angekommen.
Der Personalmangel wird bestehen bleiben, wegen massiver Nachwuchsprobleme, da der Schwesternberuf angesichts der Zustände in den Krankenhäusern, und dank Unterbezahlung, zunehmend an Attrraktivität verloren hat, oder aber an Attraktivität verliert, wenn die Auszubildenden mit den Zuständen im Krankenhaus konfrontiert werden, und die Ausbildung entweder abbrechen, oder nach Abschluss sich anderweitig orientieren.
Alter Wein in neuen Schläuchen
Die neuen Berufsbezeichnungen, wie Pflegefachkraft statt Krankenschwester / Krankenpfleger, verschleiern das nur, nein, schlimmer noch: sie schaffen vielmehr eine Distanz zum Patienten.
Die Ausbildung wurde nun akademisiert, nach drei Jahren Ausbildung und erfolgreichem Abschluss steht die Allgemeine Pflegefachkraft, die überall einsetzbar ist.
Kinderkrankenschwester/pfleger und Altenpfleger/in als originäre Ausbildungszweige wurden abgeschafft.
Die Briten haben eine Redewendung:
If it ain’t broke, don’t fix it
frei übersetzt: repariere nicht, was nicht reparaturbedürftig ist..
Generalisierung – wozu?
Böhler stellt zu recht fest: Die Schwesternausbildung /Kinderkrankenschwesternausbildung / Altenpflegeausbildung hatten sich als getrennte Ausbildungszweige bewährt, was soll daher die Generalisierung? Die Antwort ist offenbar nicht das, was als Begründung benutzt wird: Bessere Berufschancen. Vielmehr geht es offenbar um die generelle Einsetzbarkeit des Pflegepersonals seitens des Krankenhausträgers in allen Bereichen.
Dazu passt es, was die Grünen jetzt fordern: ,Abschaffung der Personaluntergrenzen, stattdessen Gesamtpersonalberechnung für ein Krankenhaus. Was dazu führen wird, nicht den Personalnotstand zu beheben, sondern vermehrt Schwestern zu “Springern” zu machen, jederzeit irgendwo in der Pflege einsetzbar, wo gerade “Not am Mann” ist , heute hier und morgen da. Eine zur Pflege wichtige Teambildung wird so verhindert.
Zutreffend stellt die Bundesvereinigung der Krankenkassen fest, dass dieser Vorschlag am Personalnotstand nichts ändere.
Billige Kosmetik ein anderes Wort dafür.
Und schon bieten sich Firmen an, die per Digitalisierung Stations-Rotationen noch wesentlich effektiver organisieren wollen, also Einsatz auch in mehreren Krankenhäusern, wie bei Zeitarbeitern .
Lange bekannt
Den Politikern aller Parteien sind all diese Missstände seit Jahren bekannt, aber die Covid19-Epidemie hat sie wieder auf die Tagesordnung gesetzt. An der Fallpauschale wird jedoch nicht gerüttelt, natürlich auch nicht von den den Grünen und der SPD, die sie verabschiedet haben.
Die dadurch erzeugten Rentabilitätsprobleme führten und führen zu Krankenhausschliessungen, insbesondere kleinerer bürgernaher Krankenhäuser. Dabei war es gerade die grosse Zahl der Krankenhäuser mit – bisher ausreichend – Intensivbetten, die einen Kollaps der Versorgung angesichts der Covid-19 Epidemie verhindert haben.
Alles gegeben
Die Corona Epidemie hat nur allzu deutlich gezeigt, wie das Krankenpflegepersonal in Europa, das bereits am Limit arbeitet, alles gegeben hat, um die Covid-19-Patienten zu versorgen, nicht wenige auch ihr Leben. Oft genug waren sie nur unzureichend mit Schutzkleidung ausgerüstet. Die gezeigte Anerkennung und Dankbarkeit der Bevölkerung war bewegend, der in Deutschland versprochene Corona- Bonus ist jedoch vielfach bis heute nicht angekommen.
Und die nächste Corona-Welle ist bereits in vollem Gang.
Geräte ohne Bedienung
Zwar gibt es für den erwartbaren erneuten Ansturm erst einmal genügend Betten und Beatmungsgeräte, nicht aber das erforderliche Pflegepersonal: Personal, mit Intensivmedizin vertraut, das die Beatmungsgeräte fachgerecht bedienen kann.
Fazit
Dieses Buch der Krankenschwester Franziska Böhler, die ausdrücklich weiter als Krankenschwester – und nicht als Pflegefachkraft – sich bezeichnet, ist ein Lese-Muss – eigentlich für jeden, denn jeder kann jederzeit Patient werden oder Angehörige haben, die Patienten werden bzw. schon sind.
Die Krankenschwester Franziska Böhler hat ein Buch geschrieben, das sich wie eine Reportage aus einem Katastrophengebiet liest – trotz des eher harmlosen Titels:
“I am a nurse – Warum ich meinen Beruf als Krankenschwester liebe, trotz allem”.
Aber gerade das “trotz allem” hat es in sich, und es nicht nur ihr Krankenhaus, sondern die Zustände sind mehr oder weniger überall, wie die zahlreichen Zuschriften auf ihrem Instagram- Account bezeugen. Es ist ein Zustandsbild der stationären Krankenversorgung im Jahre 2020 in Deutschland: Es fehlen rund 20.000 Krankenschwestern und Krankenpfleger, und es gibt erhebliche Misstände durch die Profitorientierung des Krankenhausbetriebes.
Böhler beklagt, dass der Krankenhausbetrieb mit der Einführung der Fallpauschale auf Profit getrimmt wurde. Mit der Abschaffung der Bettenpauschale, die unabhängig von der zugrundeliegenden Erkrankung eine Vergütung vorsah, wurden dank der Fallpauschale plötzlich bestimmte Patientengruppen lukrativer für das Krankenhaus, hingegen andere zu Verlustbringern, insbesondere ältere multimorbide Patienten mit längerer Liegedauer.
Eingeführt durch die rot-grüne Koalitionsregierung 2003. Federführend: die damalige SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, die heute zu den bestverdienenden Abgeordneten des Bundestages dank lukrativer Nebentätigkeitseinnahmen aus dem Pharma- und Pflegebereich gehört.
Die Folgen der Pauschale
Franziska Böhler zeigt die Auswirkungen der Fallpauschale und des Personalmangels an vielen Beispielen: selbst erlebten, aber auch mit Schilderungen von Kolleginnen und Kollegen, Patienten und Angehörigen.
Sie beschreibt:
– wie in Folge die Arbeitshetze Stück für Stück zunahm,
– Entscheidungen aus Wirtschaftlichkeitserwägungen, nicht aber unbedingt aus dem Gesichtspunkt des Patientenwohl getroffen wurden und werden.
Sie beschreibt und beklagt:
– wie immer weniger Zeit bleibt, sich um einzelne Patienten zu kümmern
– wie Unterbesetzungen, zur Regel wurden,
– der Stellenschlüssel sehr unzureichend ist, und der – bedingt durch Personalmangel – noch nicht einmal eingehalten werden kann
– die Professionalität der Krankenversorgung auf der Strecke beibt.
– mit dem Pflegeberuf nicht mehr Beistand, Versorgung und Pflege, sondern Ueberlastung Unterbesetzung und Unterbezahlung verbunden sind, und das in allen Bereichen: Der Allgemeinpflege, Kinderkrankenpflege, der Krebsstation, der Geburtshilfe, der Intensivstationen,.
Hinzu kommt noch die oftmals fehlende Wertschätzung seitens des Krankenhausträgers. Hier wurde schon vor 5 Jahren ein Krankenhaus-Geschäftsführer zitiert, der seine Geringschätzung so ausdrückte:
“Er würde das Personal so lange reduzieren, bis die Uebriggebliebenen „quietschen“, dann wisse er, dass er den Boden des absolut Zumutbaren erreicht habe.”
Kurzum: wie all das, was Franziska Böhler als Krankenschwester an Elan und Freude auf den Beruf mitbrachte, in diesem Krankenhausbetrieb systematisch zertrümmert wurde – und das nicht bei ihr…
Kranker Betrieb
Aus ihren Schilderungen schält sich das Bild heraus: Der Krankenhausbetrieb ist krank, sehr krank, im Pflegebereich bereits auf der Intensivstation angekommen.
Der Personalmangel wird bestehen bleiben, wegen massiver Nachwuchsprobleme, da der Schwesternberuf angesichts der Zustände in den Krankenhäusern, und dank Unterbezahlung, zunehmend an Attrraktivität verloren hat, oder aber an Attraktivität verliert, wenn die Auszubildenden mit den Zuständen im Krankenhaus konfrontiert werden, und die Ausbildung entweder abbrechen, oder nach Abschluss sich anderweitig orientieren.
Alter Wein in neuen Schläuchen
Die neuen Berufsbezeichnungen, wie Pflegefachkraft statt Krankenschwester / Krankenpfleger, verschleiern das nur, nein, schlimmer noch: sie schaffen vielmehr eine Distanz zum Patienten.
Die Ausbildung wurde nun akademisiert, nach drei Jahren Ausbildung und erfolgreichem Abschluss steht die Allgemeine Pflegefachkraft, die überall einsetzbar ist.
Kinderkrankenschwester/pfleger und Altenpfleger/in als originäre Ausbildungszweige wurden abgeschafft.
Die Briten haben eine Redewendung:
If it ain’t broke, don’t fix it
frei übersetzt: repariere nicht, was nicht reparaturbedürftig ist..
Generalisierung – wozu?
Böhler stellt zu recht fest: Die Schwesternausbildung /Kinderkrankenschwesternausbildung / Altenpflegeausbildung hatten sich als getrennte Ausbildungszweige bewährt, was soll daher die Generalisierung? Die Antwort ist offenbar nicht das, was als Begründung benutzt wird: Bessere Berufschancen. Vielmehr geht es offenbar um die generelle Einsetzbarkeit des Pflegepersonals seitens des Krankenhausträgers in allen Bereichen.
Dazu passt es, was die Grünen jetzt fordern: ,Abschaffung der Personaluntergrenzen, stattdessen Gesamtpersonalberechnung für ein Krankenhaus. Was dazu führen wird, nicht den Personalnotstand zu beheben, sondern vermehrt Schwestern zu “Springern” zu machen, jederzeit irgendwo in der Pflege einsetzbar, wo gerade “Not am Mann” ist , heute hier und morgen da. Eine zur Pflege wichtige Teambildung wird so verhindert.
Zutreffend stellt die Bundesvereinigung der Krankenkassen fest, dass dieser Vorschlag am Personalnotstand nichts ändere.
Billige Kosmetik ein anderes Wort dafür.
Und schon bieten sich Firmen an, die per Digitalisierung Stations-Rotationen noch wesentlich effektiver organisieren wollen, also Einsatz auch in mehreren Krankenhäusern, wie bei Zeitarbeitern .
Lange bekannt
Den Politikern aller Parteien sind all diese Missstände seit Jahren bekannt, aber die Covid19-Epidemie hat sie wieder auf die Tagesordnung gesetzt. An der Fallpauschale wird jedoch nicht gerüttelt, natürlich auch nicht von den den Grünen und der SPD, die sie verabschiedet haben.
Die dadurch erzeugten Rentabilitätsprobleme führten und führen zu Krankenhausschliessungen, insbesondere kleinerer bürgernaher Krankenhäuser. Dabei war es gerade die grosse Zahl der Krankenhäuser mit – bisher ausreichend – Intensivbetten, die einen Kollaps der Versorgung angesichts der Covid-19 Epidemie verhindert haben.
Alles gegeben
Die Corona Epidemie hat nur allzu deutlich gezeigt, wie das Krankenpflegepersonal in Europa, das bereits am Limit arbeitet, alles gegeben hat, um die Covid-19-Patienten zu versorgen, nicht wenige auch ihr Leben. Oft genug waren sie nur unzureichend mit Schutzkleidung ausgerüstet. Die gezeigte Anerkennung und Dankbarkeit der Bevölkerung war bewegend, der in Deutschland versprochene Corona- Bonus ist jedoch vielfach bis heute nicht angekommen.
Und die nächste Corona-Welle ist bereits in vollem Gang.
Geräte ohne Bedienung
Zwar gibt es für den erwartbaren erneuten Ansturm erst einmal genügend Betten und Beatmungsgeräte, nicht aber das erforderliche Pflegepersonal: Personal, mit Intensivmedizin vertraut, das die Beatmungsgeräte fachgerecht bedienen kann.
Fazit
Dieses Buch der Krankenschwester Franziska Böhler, die ausdrücklich weiter als Krankenschwester – und nicht als Pflegefachkraft – sich bezeichnet, ist ein Lese-Muss – eigentlich für jeden, denn jeder kann jederzeit Patient werden oder Angehörige haben, die Patienten werden bzw. schon sind.
onlinedienst - 22. Okt, 22:20 Article 331x read