Triage, Durchkommerzialisierung des Gesundheitswesens, Mangelzustände, und das Bundesverfassungsgericht
Dr. Alexander von Paleske —- 30.12. 2021 ——
Wenn Betten und Fachpersonal auf den Intensivstationen knapp werden, droht im Ernstfall „Triage.“ Das bedeutet: Ärztinnen und Ärzte müssen entscheiden, wer die besten Überlebenschancen hat, und damit Vorrang bei der Behandlung bekommt. Eine ausserordentlich schwierige, inhumane, in einer Notsituation entstehende Aufgabe für einen behandelnden Arzt
Das Bundesverfassungsgericht hat vorgestern auf die Verfassungsbeschwerden von mehreren Behinderten hin entschieden: Triage verlange klare gesetzliche Regeln – ohne jegliche Diskriminierung – nach denen die Aerzte entscheiden sollen. Dem Bundestag wird aufgegeben, unverzüglich im Gesetzeswege hier tätig zu werden.
Die Fachorganisation der Intensivmediziner DIVI, (Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin) hatte bereits Triage-Regeln aufgestellt, die aber nicht allgemeinverbindlich sind.
Keine Rolle dürfen bei einer Triage Entscheidung nach DIVI demnach spielen:
- Alter
- Soziale Merkmale
- Impfstatus
- Behinderung
wohl aber Gebrechlichkeit.
Hier hakte das Bundesverfassungsgericht ein. “Gebrechlichkeit” sei zu unbestimmt.
Der Bundestag müsse unverzüglich, klare Richtlinien ohne jegliche Diskriminierung erlassen.
Kein Grund zu grösserer Freude oder Genugtuung
Grosse Freude und Genugtuung über die Gerichtsentscheidung bei den Beschwerdeführern und darüber hinaus.
Für allzu grosse Freude gibt es jedoch nicht viel Grund, abgesehen davon, dass erneut die Rechte von Behinderten gestärkt werden, denn das Bundesverfassungsgericht unterliess es tunlichst, den Notstand im Gesundheitswesens als Ursache für derartige Triagen zu sehen, mit der Folge, Gesetzgeber und Regierung aufzufordern, hier unverzüglich Abhilfe zu schaffen.
Jede Triage ist schon ein Verstoss gegen die Menschenwürde, dass also eine notwendige Behandlung in einer Notsituation abhängig gemacht wird von der wahrscheinlichen Ueberlebenschance.
Kein Tsunami
Der Notstand im Deutschen Gesundheitswesen ist nicht die Folge eines Tsunamis, sondern der knallharten Durchkommerzialisierung. Es wurde wegrationalisiert was das Zeug hielt, auch und gerade im Pflegebereich..
Die Arbeitsbelastung des verbliebenen Personals stieg gewaltig. Anmerkung eines Krankenhaus- Personalchefs:
„Erst wenn das Personal quietscht weiss ich, dass die Belastungsgrenze erreicht ist„.
Die Folgen sind bekannt: Krankmeldungen nach chronischer Ueberlastung, Burn-out, schliesslich die Kündigung.
Schuld an dieser Notlage hat vor allem die Fallpauschale, eingeführt 2003 durch die rot- grüne Koalition mit der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, und unter tatkräftiger Mithilfe von Professor Karl Lauterbach, des jetzigen Gesundheitsministers “der Herzen” aber nicht der Herz- und anderweitig Kranken, insbesondere der Multimorbiden.
Diese Fallpauschale trieb und treibt schon viele Krankenhäuser in den finanziellen Ruin mit nachfolgender Schliessung. Die durch die Fallpauschale erfolgte Durchkommerzialisierung des Gesundheitswesens hat so zu einem erheblichen Verlust von Klinikbetten und zu Stellenstreichungen geführt. Gleiches war in der ersten Welle der Corona-Pandemie auch in Italien zu beobachten, wo gerade in Norditalien die Triage an der Tagesordnung war. Auch dort waren durch Sparmassnahmen im Gesundheitswesen Betten gestrichen und Krankenhäuser geschlossen worden.
Verschärfend in Deutschland noch der Investitionsstau, Investitionsgelder der Bundesländer, die nicht zur Verfügung gestellt wurden, die – wenn überhaupt – nur notdürftig dann von den Krankenhausträgern aus dem laufenden Budget gestemmt werden mussten.
Die Lage ist mittlerweile so angespannt, dass selbst Krankenhäuser, die bisher gewinnbringend arbeiteten, nunmehr auch in die finanzielle Schieflage abrutschten oder abzurutschen drohen.
Dazu passt die Meldung vor 2 Tagen: dass sich die finanzielle Notlage der Krankenhäuser weiter verschlechtert hat, weil Betten wegen der Corona-Pandemie vorgehalten werden, und lukrative Operationen, mit denen die Kliniken Geld verdienen, erst einmal abgesagt werden müssen.Den Krankenhäusern geht es wirtschaftlich so schlecht, wie seit 20 Jahren nicht mehr, trotz Hilfen zur Bewältigung der Corona- Epidemie, die aber die Verluste in keiner Weise ausgleichen können.
Das Krankenhausbarometer des Deutschen Krankenhausinstituts teilte mit, dass mindestens 60% der Krankenhäuser 2021 mit wirtschaftlichen Verlusten rechnen. Damit verdoppelt sich der Anteil der Kliniken, die rote Zahlen schreiben und von Schliessung bedroht sind. Nur noch 11% schätzen ihre wirtschaftliche Situation als gut ein. Dazu kommen viele offene Stellen, die nicht besetzt werden können.
Verfassungsverstösse
Hierzu schweigt jedoch das Verfassungsgericht, dabei ist die unzureichende Krankenversorgung ein Verstoss gegen das Grundgesetz. So betimmt Art. 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar, und Art.2 Abs. 2: Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Also auch auch eine Verpflichtung des Staates zum .Schutz von Gesundheit zusammen mit dem Sozialstaatsprinzip..
Das Bundesverfassungsgericht akzeptiert den „unvermeidbaren“ – in Wirklichkeit aber herbeigeführten – Notstand, aber will ihn jetzt gesetzlich geregelt haben.
Fazit
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist lediglich die Aufforderung an den Gestzgeber, den Mangel gerecht zu verwalten, und den Aerzten entsprechende Vorgaben zu machen. Eine Aufforderung zur dringend notwendigen Mängelbeseitigung und Dekommerzialisierung des Gesundheitswesens ist es nicht. An der Notlage selbst ändert das gar nichts.Die Entscheidung greift daher viel zu kurz.
Wenn Betten und Fachpersonal auf den Intensivstationen knapp werden, droht im Ernstfall „Triage.“ Das bedeutet: Ärztinnen und Ärzte müssen entscheiden, wer die besten Überlebenschancen hat, und damit Vorrang bei der Behandlung bekommt. Eine ausserordentlich schwierige, inhumane, in einer Notsituation entstehende Aufgabe für einen behandelnden Arzt
Das Bundesverfassungsgericht hat vorgestern auf die Verfassungsbeschwerden von mehreren Behinderten hin entschieden: Triage verlange klare gesetzliche Regeln – ohne jegliche Diskriminierung – nach denen die Aerzte entscheiden sollen. Dem Bundestag wird aufgegeben, unverzüglich im Gesetzeswege hier tätig zu werden.
Die Fachorganisation der Intensivmediziner DIVI, (Deutsche interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin) hatte bereits Triage-Regeln aufgestellt, die aber nicht allgemeinverbindlich sind.
Keine Rolle dürfen bei einer Triage Entscheidung nach DIVI demnach spielen:
- Alter
- Soziale Merkmale
- Impfstatus
- Behinderung
wohl aber Gebrechlichkeit.
Hier hakte das Bundesverfassungsgericht ein. “Gebrechlichkeit” sei zu unbestimmt.
Der Bundestag müsse unverzüglich, klare Richtlinien ohne jegliche Diskriminierung erlassen.
Kein Grund zu grösserer Freude oder Genugtuung
Grosse Freude und Genugtuung über die Gerichtsentscheidung bei den Beschwerdeführern und darüber hinaus.
Für allzu grosse Freude gibt es jedoch nicht viel Grund, abgesehen davon, dass erneut die Rechte von Behinderten gestärkt werden, denn das Bundesverfassungsgericht unterliess es tunlichst, den Notstand im Gesundheitswesens als Ursache für derartige Triagen zu sehen, mit der Folge, Gesetzgeber und Regierung aufzufordern, hier unverzüglich Abhilfe zu schaffen.
Jede Triage ist schon ein Verstoss gegen die Menschenwürde, dass also eine notwendige Behandlung in einer Notsituation abhängig gemacht wird von der wahrscheinlichen Ueberlebenschance.
Kein Tsunami
Der Notstand im Deutschen Gesundheitswesen ist nicht die Folge eines Tsunamis, sondern der knallharten Durchkommerzialisierung. Es wurde wegrationalisiert was das Zeug hielt, auch und gerade im Pflegebereich..
Die Arbeitsbelastung des verbliebenen Personals stieg gewaltig. Anmerkung eines Krankenhaus- Personalchefs:
„Erst wenn das Personal quietscht weiss ich, dass die Belastungsgrenze erreicht ist„.
Die Folgen sind bekannt: Krankmeldungen nach chronischer Ueberlastung, Burn-out, schliesslich die Kündigung.
Schuld an dieser Notlage hat vor allem die Fallpauschale, eingeführt 2003 durch die rot- grüne Koalition mit der damaligen Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, und unter tatkräftiger Mithilfe von Professor Karl Lauterbach, des jetzigen Gesundheitsministers “der Herzen” aber nicht der Herz- und anderweitig Kranken, insbesondere der Multimorbiden.
Diese Fallpauschale trieb und treibt schon viele Krankenhäuser in den finanziellen Ruin mit nachfolgender Schliessung. Die durch die Fallpauschale erfolgte Durchkommerzialisierung des Gesundheitswesens hat so zu einem erheblichen Verlust von Klinikbetten und zu Stellenstreichungen geführt. Gleiches war in der ersten Welle der Corona-Pandemie auch in Italien zu beobachten, wo gerade in Norditalien die Triage an der Tagesordnung war. Auch dort waren durch Sparmassnahmen im Gesundheitswesen Betten gestrichen und Krankenhäuser geschlossen worden.
Verschärfend in Deutschland noch der Investitionsstau, Investitionsgelder der Bundesländer, die nicht zur Verfügung gestellt wurden, die – wenn überhaupt – nur notdürftig dann von den Krankenhausträgern aus dem laufenden Budget gestemmt werden mussten.
Die Lage ist mittlerweile so angespannt, dass selbst Krankenhäuser, die bisher gewinnbringend arbeiteten, nunmehr auch in die finanzielle Schieflage abrutschten oder abzurutschen drohen.
Dazu passt die Meldung vor 2 Tagen: dass sich die finanzielle Notlage der Krankenhäuser weiter verschlechtert hat, weil Betten wegen der Corona-Pandemie vorgehalten werden, und lukrative Operationen, mit denen die Kliniken Geld verdienen, erst einmal abgesagt werden müssen.Den Krankenhäusern geht es wirtschaftlich so schlecht, wie seit 20 Jahren nicht mehr, trotz Hilfen zur Bewältigung der Corona- Epidemie, die aber die Verluste in keiner Weise ausgleichen können.
Das Krankenhausbarometer des Deutschen Krankenhausinstituts teilte mit, dass mindestens 60% der Krankenhäuser 2021 mit wirtschaftlichen Verlusten rechnen. Damit verdoppelt sich der Anteil der Kliniken, die rote Zahlen schreiben und von Schliessung bedroht sind. Nur noch 11% schätzen ihre wirtschaftliche Situation als gut ein. Dazu kommen viele offene Stellen, die nicht besetzt werden können.
Verfassungsverstösse
Hierzu schweigt jedoch das Verfassungsgericht, dabei ist die unzureichende Krankenversorgung ein Verstoss gegen das Grundgesetz. So betimmt Art. 1: Die Würde des Menschen ist unantastbar, und Art.2 Abs. 2: Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Also auch auch eine Verpflichtung des Staates zum .Schutz von Gesundheit zusammen mit dem Sozialstaatsprinzip..
Das Bundesverfassungsgericht akzeptiert den „unvermeidbaren“ – in Wirklichkeit aber herbeigeführten – Notstand, aber will ihn jetzt gesetzlich geregelt haben.
Fazit
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist lediglich die Aufforderung an den Gestzgeber, den Mangel gerecht zu verwalten, und den Aerzten entsprechende Vorgaben zu machen. Eine Aufforderung zur dringend notwendigen Mängelbeseitigung und Dekommerzialisierung des Gesundheitswesens ist es nicht. An der Notlage selbst ändert das gar nichts.Die Entscheidung greift daher viel zu kurz.
onlinedienst - 30. Dez, 23:16 Article 1001x read