Kuscheln mit der Mafia
Stephan Fuchs Piero Grasso, Italiens oberster Mafia Jäger legt sich mit der Politik an. In einem Interview mit dem Staatssender RAI beschuldigt er Politiker und Unternehmer ihre Hand schützend über den obersten Mafiosi zu legen. Ein Duell der Bosse mit ungewissem Ausgang.
Mit der Festnahme des seit fünf Jahren gesuchten Umberto Di Fazio ist der Polizei auf Sizilien ein aufsehen erregender Schlag gegen die Cosa Nostra gelungen. Di Fazio war Chef des Santapaola-Clans und wurde seit fünf Jahren wegen Erpressung und Mord mit internationalem Haftbefehl gesucht. Der 42-jährige Di Fazio hatte die Führung des Clans übernommen, nachdem 1993 sein Vorgänger Nitto Santapaolo verhaftet worden war.
Als die Polizei die Mafia Wohnung in Palermo stürmte, war der grösste Fisch aber bereits weg: Bernardo Provenzano „der Traktor“. Er hatte es wieder einmal geschafft, in letzter Sekunde zu flüchten. Immer wieder gelingt es dem alten Mann in letzter Sekunde zu entwischen. Seine Informationen müssen, da ist Grasso überzeugt, aus erster Hand sein. Der frühere Oberstaatsanwalt von Palermo kennt die Szene wie kein anderer: „Provenzano wird von Menschen aller Berufe geschützt: von Politikern, Unternehmern und Polizisten“ meint Piero Grasso entnervt.
Die Nervosität geht um.
Einem Carabinieri-Offizier, so Grasso, wurde nachgewiesen, dass er Ermittlungsgeheimnisse an einen bekannten sizilianischen Krankenhaus-Besitzer verriet, die dieser wiederum an Provenzano weitergeleitet haben soll. Und ein Regionalparlamentarier der Regierungspartei Alleanza Nazionale nahm nach Darstellung eines Kronzeugen vor der letzten Wahl über Mittelsmänner Kontakt zu Provenzano auf - mit der Bitte, der oberste Mafiaboss solle für ihn Unterstützung und Stimmen in Sizilien organisieren.
Provenzano gilt als Nachfolger des so genannten Bosses der Bosse, Salvatore „Toto“ Riina, der 1993 festgenommen wurde. Unterdessen riefen die Vorwürfe Grassos unterschiedliche Reaktionen hervor. Justizminister Roberto Castelli forderte ihn auf, genau darzulegen, was er wisse. Expräsident Francesco Cossiga regte an, eine parlamentarische Kommission zu bilden, um den Vorwürfen nachzugehen. Die Nervosität geht um.
Zwischen Corleone und New-York
Provenzano gilt als der Boss der Bosse und ist seit 42 Jahren auf der Flucht. Provenzano gehört dem Clan der „Corleonisi“ an. Einer der mächtigsten Mafia-Familien aus dem Bergstädtchen Corleone, die es auch in Amerika zu blutigem Ruhm gebracht haben. Die „Cosa Nostra“ zog sich aus dem Zigarettenschmuggel zurück und stieg im grossen Stil in die Heroinproduktion ein. Ein Milliarden Markt, der vor allem von der Corleonesi- Familie beherrscht wurde.
Als im Jahr 1948 Michele Navarra, der damalige Pate der Corleonesi, ermordet wurde, war Provenzano bereits dabei. Navarras Nachfolger war Luciano Leggio, der den Mord Navarras veranlasst hatte. Während eines Bandenkrieges anfangs der 1960er Jahre tauchte Provenzano unter. Als Leggio wegen Mordes verurteilt worden war (1974), wurde Totò Riina sein Nachfolger; Provenzano galt seither als dessen Rechte Hand. Im Verlaufe eines gnadenlosen Mafia-Krieges 1981-82, dem Hunderte Mafiosi zum Opfer fielen, stiegen die Corleonisi zur führenden Mafia-Familie in Sizilien auf.
Im Januar 1993 wurde Riina verhaftet und schließlich verurteilt. Ihm wird vorgeworfen in die Attentate auf den Anti-Mafia-Richter Giovanni Falcone und des bekannten Mafia-Strafverfolgers Paolo Borsellino beteiligt gewesen zu sein; Provenzano soll sofort sein Nachfolger und damit faktisch Capo di tutti Capi - Boss aller Bosse - geworden sein. Mehr als 100 Fahnder sind seit Jahren nur auf den Boss der Bosse angesetzt.
Heroin & türkischer Honig
In der Umgebung von Palermo richtete die „Cosa Nostra“ vier Labors ein, in denen zwischen 1975 und 1982 jedes Jahr rund 5 Tonnen Heroin hergestellt wurden. Die Tonnagen gelangten fast ausschliesslich über die Pizza Connection in New York in den Strassenhandel. Der Heroinhandel brachte den Familien astronomische Gewinne, sie deckten einen drittel des amerikanischen Heroinbedarfs. Anfangs der 80er Jahre kostete ein Kilo Morphinbase in Afghanistan rund $2000, in der Türkei $3500 und in Mailand bereits $12'000.
Nunzio La Mattina und Tommaso Spadaro beschafften enormen Mengen an Morphinbase, aus der in Palermo das Heroin gefertigt wurde. Die Herkunft der Morphinbase und deren Finanzierung gehörte lange Zeit zu einem der bestgehüteten Geheimnisse der Mafia. Die Lösung des Rätsels, wen wundert’s, lag in Zürich beim türkischen Drogenhändler Yasar Avni Musullulu in dessen Büro am Bahnofplatz, in dem Nunzio La Mattina regelmässig verkehrte. Die Pizza Prozesse in New York, Florenz und Lugano enthüllten Mussululu später als Morphin – Hoflieferant der sizilianischen Mafia.
Alleine La Mattina bezog über Musullulu innerhalb von zwei Jahren 52 Tonnen Morphinbase und bezahlte dafür rund 100 Millionen Schweizer Franken. La Mattina und Tommaso Spadora gehörten zusammen mit ihrem Boss Michele „der papst“ Greco zur Familie der Corleonesi um Salvatore „Totò“ Riina und Provenzano.
Verquickung mit Geheimdienst?
Der Chef der italienischen Geheimdienste, Mario Mori, wurde wegen der Verschleppung von Anti-Mafia-Ermittlungen angeklagt. Mori liess sich Jahre lang als Held bei der Festnahme des berüchtigten Paten Salvatore „Totò“ Riina feiern. Die Carabinieri sollen damals, 1993, ein schmutziges Spiel gespielt haben: Als der Staatsanwalt die Durchsuchung der Riina-Villa in Palermo forderte, riet Mori ab. Es sei besser, die Villa mit Kameras zu überwachen, um eventuelle Komplizen zu erwischen.
Dann wurden die Kameras noch am gleichen Tag abgeschaltet - und fast drei Wochen blieb die Mafia-Villa unbewacht. Als schließlich die Fahnder anrückten, war sie komplett ausgeräumt. Möglicherweise belastendes Material war Ermittlern zufolge zu diesem Zeitpunkt längst aus dem Anwesen verschwunden. Seither hält sich hartnäckig der Verdacht, der heutige Cosa-Nostra-Chef Bernardo „der Traktor“ Provenzano habe „Totò“ Riina an die Carabinieri verkauft und im Gegenzug die Zusage erhalten, er könne sämtliches Beweismaterial abtransportieren lassen - darunter auch eventuell Belastendes über Kontakte zwischen Politik und Mafia.
Traktor in der Gesichtschirurgie
Provenzano, das Phantom aus Corleone hat schon fast den Status eines Volkshelden. Konsequent verzichtet er auf moderne Kommunikationsmittel und erteilt seine Befehle auf handgeschriebenen Zetteln. Grasso erklärt: "Das ist ein System, das antiquiert wirkt. Aber wenn er moderne Technologien benutzen würde, gelänge es uns wahrscheinlich sehr viel mehr Sachen zu entdecken. Mit den Zetteln aber sind unsere Möglichkeiten begrenzt - sie werden an Orten weitergegeben, an die wir nicht kommen ohne entdeckt zu werden. Das wird genutzt, um die Kommunikation in der Organisation Cosa Nostra abzuschotten."
Traktor in der Gesichtschirurgie
Seit den frühen 1960er Jahren wurde er nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen Da es nur ein Fahndungsfoto aus seiner Jugendzeit gibt, veröffentlichte die italienische Polizei ein Phantombild - bislang ohne greifbaren Erfolg. Als 1992 seine Frau und die Kinder ihr Versteck verlassen hatten, gab es Vermutungen, er selbst sei nicht mehr am Leben. Dem war aber nicht so: Provenzano soll sich mehreren chirurgischen Operationen unterzogen haben, um unerkannt zu bleiben. Im Oktober 2003 unterzog er sich in einer Privatklinik nahe Marseille/Frankreich einer Prostata-Operation, von der die Fahnder zu spät erfuhren. Das 72 jährige Phantom aus Corleone muss mächtige Helfer haben.
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Pizza aus dem Hindukusch gefällig?
Italienischer Geheimdienstchef angeklagt
Die Mafia Bibel
Mit der Festnahme des seit fünf Jahren gesuchten Umberto Di Fazio ist der Polizei auf Sizilien ein aufsehen erregender Schlag gegen die Cosa Nostra gelungen. Di Fazio war Chef des Santapaola-Clans und wurde seit fünf Jahren wegen Erpressung und Mord mit internationalem Haftbefehl gesucht. Der 42-jährige Di Fazio hatte die Führung des Clans übernommen, nachdem 1993 sein Vorgänger Nitto Santapaolo verhaftet worden war.
Als die Polizei die Mafia Wohnung in Palermo stürmte, war der grösste Fisch aber bereits weg: Bernardo Provenzano „der Traktor“. Er hatte es wieder einmal geschafft, in letzter Sekunde zu flüchten. Immer wieder gelingt es dem alten Mann in letzter Sekunde zu entwischen. Seine Informationen müssen, da ist Grasso überzeugt, aus erster Hand sein. Der frühere Oberstaatsanwalt von Palermo kennt die Szene wie kein anderer: „Provenzano wird von Menschen aller Berufe geschützt: von Politikern, Unternehmern und Polizisten“ meint Piero Grasso entnervt.
Die Nervosität geht um.
Einem Carabinieri-Offizier, so Grasso, wurde nachgewiesen, dass er Ermittlungsgeheimnisse an einen bekannten sizilianischen Krankenhaus-Besitzer verriet, die dieser wiederum an Provenzano weitergeleitet haben soll. Und ein Regionalparlamentarier der Regierungspartei Alleanza Nazionale nahm nach Darstellung eines Kronzeugen vor der letzten Wahl über Mittelsmänner Kontakt zu Provenzano auf - mit der Bitte, der oberste Mafiaboss solle für ihn Unterstützung und Stimmen in Sizilien organisieren.
Provenzano gilt als Nachfolger des so genannten Bosses der Bosse, Salvatore „Toto“ Riina, der 1993 festgenommen wurde. Unterdessen riefen die Vorwürfe Grassos unterschiedliche Reaktionen hervor. Justizminister Roberto Castelli forderte ihn auf, genau darzulegen, was er wisse. Expräsident Francesco Cossiga regte an, eine parlamentarische Kommission zu bilden, um den Vorwürfen nachzugehen. Die Nervosität geht um.
Zwischen Corleone und New-York
Provenzano gilt als der Boss der Bosse und ist seit 42 Jahren auf der Flucht. Provenzano gehört dem Clan der „Corleonisi“ an. Einer der mächtigsten Mafia-Familien aus dem Bergstädtchen Corleone, die es auch in Amerika zu blutigem Ruhm gebracht haben. Die „Cosa Nostra“ zog sich aus dem Zigarettenschmuggel zurück und stieg im grossen Stil in die Heroinproduktion ein. Ein Milliarden Markt, der vor allem von der Corleonesi- Familie beherrscht wurde.
Als im Jahr 1948 Michele Navarra, der damalige Pate der Corleonesi, ermordet wurde, war Provenzano bereits dabei. Navarras Nachfolger war Luciano Leggio, der den Mord Navarras veranlasst hatte. Während eines Bandenkrieges anfangs der 1960er Jahre tauchte Provenzano unter. Als Leggio wegen Mordes verurteilt worden war (1974), wurde Totò Riina sein Nachfolger; Provenzano galt seither als dessen Rechte Hand. Im Verlaufe eines gnadenlosen Mafia-Krieges 1981-82, dem Hunderte Mafiosi zum Opfer fielen, stiegen die Corleonisi zur führenden Mafia-Familie in Sizilien auf.
Im Januar 1993 wurde Riina verhaftet und schließlich verurteilt. Ihm wird vorgeworfen in die Attentate auf den Anti-Mafia-Richter Giovanni Falcone und des bekannten Mafia-Strafverfolgers Paolo Borsellino beteiligt gewesen zu sein; Provenzano soll sofort sein Nachfolger und damit faktisch Capo di tutti Capi - Boss aller Bosse - geworden sein. Mehr als 100 Fahnder sind seit Jahren nur auf den Boss der Bosse angesetzt.
Heroin & türkischer Honig
In der Umgebung von Palermo richtete die „Cosa Nostra“ vier Labors ein, in denen zwischen 1975 und 1982 jedes Jahr rund 5 Tonnen Heroin hergestellt wurden. Die Tonnagen gelangten fast ausschliesslich über die Pizza Connection in New York in den Strassenhandel. Der Heroinhandel brachte den Familien astronomische Gewinne, sie deckten einen drittel des amerikanischen Heroinbedarfs. Anfangs der 80er Jahre kostete ein Kilo Morphinbase in Afghanistan rund $2000, in der Türkei $3500 und in Mailand bereits $12'000.
Nunzio La Mattina und Tommaso Spadaro beschafften enormen Mengen an Morphinbase, aus der in Palermo das Heroin gefertigt wurde. Die Herkunft der Morphinbase und deren Finanzierung gehörte lange Zeit zu einem der bestgehüteten Geheimnisse der Mafia. Die Lösung des Rätsels, wen wundert’s, lag in Zürich beim türkischen Drogenhändler Yasar Avni Musullulu in dessen Büro am Bahnofplatz, in dem Nunzio La Mattina regelmässig verkehrte. Die Pizza Prozesse in New York, Florenz und Lugano enthüllten Mussululu später als Morphin – Hoflieferant der sizilianischen Mafia.
Alleine La Mattina bezog über Musullulu innerhalb von zwei Jahren 52 Tonnen Morphinbase und bezahlte dafür rund 100 Millionen Schweizer Franken. La Mattina und Tommaso Spadora gehörten zusammen mit ihrem Boss Michele „der papst“ Greco zur Familie der Corleonesi um Salvatore „Totò“ Riina und Provenzano.
Verquickung mit Geheimdienst?
Der Chef der italienischen Geheimdienste, Mario Mori, wurde wegen der Verschleppung von Anti-Mafia-Ermittlungen angeklagt. Mori liess sich Jahre lang als Held bei der Festnahme des berüchtigten Paten Salvatore „Totò“ Riina feiern. Die Carabinieri sollen damals, 1993, ein schmutziges Spiel gespielt haben: Als der Staatsanwalt die Durchsuchung der Riina-Villa in Palermo forderte, riet Mori ab. Es sei besser, die Villa mit Kameras zu überwachen, um eventuelle Komplizen zu erwischen.
Dann wurden die Kameras noch am gleichen Tag abgeschaltet - und fast drei Wochen blieb die Mafia-Villa unbewacht. Als schließlich die Fahnder anrückten, war sie komplett ausgeräumt. Möglicherweise belastendes Material war Ermittlern zufolge zu diesem Zeitpunkt längst aus dem Anwesen verschwunden. Seither hält sich hartnäckig der Verdacht, der heutige Cosa-Nostra-Chef Bernardo „der Traktor“ Provenzano habe „Totò“ Riina an die Carabinieri verkauft und im Gegenzug die Zusage erhalten, er könne sämtliches Beweismaterial abtransportieren lassen - darunter auch eventuell Belastendes über Kontakte zwischen Politik und Mafia.
Traktor in der Gesichtschirurgie
Provenzano, das Phantom aus Corleone hat schon fast den Status eines Volkshelden. Konsequent verzichtet er auf moderne Kommunikationsmittel und erteilt seine Befehle auf handgeschriebenen Zetteln. Grasso erklärt: "Das ist ein System, das antiquiert wirkt. Aber wenn er moderne Technologien benutzen würde, gelänge es uns wahrscheinlich sehr viel mehr Sachen zu entdecken. Mit den Zetteln aber sind unsere Möglichkeiten begrenzt - sie werden an Orten weitergegeben, an die wir nicht kommen ohne entdeckt zu werden. Das wird genutzt, um die Kommunikation in der Organisation Cosa Nostra abzuschotten."
Traktor in der Gesichtschirurgie
Seit den frühen 1960er Jahren wurde er nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen Da es nur ein Fahndungsfoto aus seiner Jugendzeit gibt, veröffentlichte die italienische Polizei ein Phantombild - bislang ohne greifbaren Erfolg. Als 1992 seine Frau und die Kinder ihr Versteck verlassen hatten, gab es Vermutungen, er selbst sei nicht mehr am Leben. Dem war aber nicht so: Provenzano soll sich mehreren chirurgischen Operationen unterzogen haben, um unerkannt zu bleiben. Im Oktober 2003 unterzog er sich in einer Privatklinik nahe Marseille/Frankreich einer Prostata-Operation, von der die Fahnder zu spät erfuhren. Das 72 jährige Phantom aus Corleone muss mächtige Helfer haben.
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Pizza aus dem Hindukusch gefällig?
Italienischer Geheimdienstchef angeklagt
Die Mafia Bibel
onlineredaktion - 25. Okt, 10:49 Article 4084x read