Falscher Schädel in Beethovens Grab
Harald Haack - In dem Grab von Ludwig van Beethoven auf dem Wiener Zentralfriedhof liegt aller Wahrscheinlichkeit nach nicht Beethovens Schädel, sondern der eines Mulatten. Diesen Verdacht hegten mehrfach schon Anthropologen des 19. Jahrhunderts, wie der Berliner Anthropologe Herbert Ullrich in seinem Buch "Schädelschicksale historischer Persönlichkeiten" schreibt. Doch nun, nach einer DNA-Untersuchung mehrerer Schädelfragmente, die bisher Ludwig van Beethoven zugeschrieben wurden, steht fest, dass sie tatsächlich zu seinem Schädel gehören, obwohl doch der Schädel bei der 2. Exhumierung von 1888 als vollständig beschrieben wird und folglich keine Schädelfragmente fehlen dürften.
Wie konnten dann Schädelfragmente von Beethovens Schädel durch die Welt wandern? Und wo befindet sich sein restlicher Schädel, wenn nicht in seinem Grab auf dem Wiener Zentralfriedhof? Und zu wem gehört der Schädel, der in Beethovens Grab gelegt wurde?
Ludwig van Beethoven: Wo liegt sein Schädel?
Keine Musik in Beethovens Ohren
Allgemein bekannt ist, dass der große Komponist in den Jahren vor seinem Tod am 26. März 1827 fast vollständig gehörlos geworden war und dennoch komponiert hatte. Weltweit bilden seine Kompositionen, vor allem die neun Symphonien, ebenso die Klavier- und Violinkonzerte, heute die Basis für Konzertveranstaltungen mit klassischer Musik. Erste Symptome seines Gehörleidens machten sich für Beethoven schon 1794 bemerkbar. Denkbar ist, dass der Lärm von Geschützfeuer während der Französischen Invasion, die in jenem Jahr in Wien stattfand, sein Gehörleiden auslöste, das sich stetig steigerte. Ab 1818 hatte Beethoven nur noch auf dem linken Ohr geringfügig etwas hören können, ansonsten war er völlig gehörlos geworden. Die Musik existierte nur noch in seinem Gehirn und als Noten, die er schrieb und las. Konversation mit Besuchern und Gesprächspartnern konnte nur noch über so genannte Konversationshefte stattfinden. Und als Gehörloser schrieb er seine größten und bekanntesten Symphonien. Zu seinen Lebzeiten war der Verlust seines Hörsinnes ein Rätsel gewesen. Wie der SPIEGEL nun schreibt, soll Beethoven verlangt haben, dass Ärzte nach seinem Tod den Grund für sein Gehörleiden klären sollten. Und damit begann ein obskurer Kriminalfall.
Der Schädelraub
Einen Tag nach Beethovens Tod wurde in dessen Wohnung an seinem Leichnam eine Obduktion vorgenommen. Dabei wurde der Hirnschädel mit einem Sägeschnitt geöffnet und die Felsenbeinpyramiden der Schläfenbeine für eine spätere wissenschaftliche Untersuchung über Beethovens Gehörlosigkeit entnommen. Angeblich soll sie der Sektionsdiener an einen ausländischen Arzt verkauft haben, wie Herbert Ullrich in seinem Buch berichtet.
In ihrem Brief vom 4. April 1827 schreibt die Sängerin Schindler über den Totengräber Beethovens, dieser habe ihr berichtet, dass man versucht habe ihn zu bestechen, wenn er den Kopf Beethovens an einem anderen Ort deponiere. Obwohl die Polizei davon erfahren hatte, und den Fall untersuchte, müssen damals schon, vor dem Begräbnis Beethovens, Unbekannte seinen Kopf gegen einen anderen Schädel - der ebenso wie der Beethovensche aufgesägt war und bei dem ebenfalls die Schläfenbeinpyramiden entfernt wurden, um später keinen Verdacht aufkommen zu lassen - ausgetauscht haben. Jedenfalls stimmt die DNA der Schädelknochenfragmente, die bei der Obduktion Beethovens entnommen wurden und die kürzlich in den USA untersucht wurden, mit der DNA von Beethovens Haarlocke, die ihm auf dem Sterbebett abgeschnitten wurde, überein. Dies sagte William Meredith, Direktor des Beethoven-Studienzentrums der kalifornischen San José University, kürzlich dem "San Francisco Chronicle".
Wie Herbert Ullrich schreibt, sei während der ersten Exhumierung 1863 und auch später, 1888, bei der zweiten Exhumierung Beethovens von keinem der Untersuchenden geprüft worden, ob Schädel und Körperskelett tatsächlich zusammenpassen: "Allein die Tatsache der Obduktionsmerkmale genügte zur Feststellung, dass der im Grab befindliche Schädel auch tatsächlich der von Beethoven ist." Aber wie Ullrich zuvor erzählt, habe man bei der ersten Exhumierung im Jahre 1863, die von der "Gesellschaft für Musikfreunde des österreichischen Kaiserstaates" veranlasst wurde, in dem zerfallenen Holzsarg vom Skelett zunächst nur "wenige Armknochen, einen Oberschenkelknochen, das Kreuzbein und ein Teil des Beckens" gefunden. Der Schädel sei in zahlreiche Stücke zerbrochen und unvollständig gewesen. In einem Bericht aus jener Zeit steht:
"Zuerst stieß man auf ein großes, durch Zersägen entstandenes Stück der ungewöhnlich starken Hirnschale, wozu sich später ein zweites und dann ein drittes von geringerem Umfange vorfanden. Die mächtige Stirn mit den Augenhöhlen und dem Oberkiefer war ganz beisammen, in dem letzteren steckten fünf Zähne, vier andere vollkommen gesunde, die in dem gelockerten Kiefer erst später ihren Halt verloren hatten, fanden sich abgesondert vor, vier fehlten ganz. Dagegen zeigte der Unterkiefer, der bald darauf aus der Erde gelöst wurde, eine fast vollzählige Reihe vollkommen gesunder und kräftiger Zähne; nur den linken vorletzten Backenzahn hatte schon der Lebende verloren, der linke Weisheitszahn war mit Gold plombiert, der rechte war auch nicht im Keime vorhanden. Man fand beim Weitersuchen noch ein viertes und fünftes, und einige kleinere Stücke von der Hirnschale, so wie das Nasenscheidewandbein."
Und nach weiterer Suche fand man dann insgesamt 9 Schädelteile und nahezu alle Teile des Körperskeletts "in annähernder Vollständigkeit und gutem Erhaltungszustand". Es fehlten nur die linke Kniescheibe, einige Hand- und Fußknochen. Der Bildhauer Alois Wittmann stellte nach dem Zusammensetzen der Schädelteile, was auf einer Tonunterlage erfolgte, einen Gipsabguss des Schädels her. Der Zahnarzt Dr. Faber hatte Fotos und Zeichnungen des Gebisses angefertigt.
25 Jahre später, 1888, sollte die zweite Exhumierung angeblich aus "Pietätsgründen" verhindert werden. Man einigte sich schließlich auf den Kompromiss, dass die Untersuchung der Gebeine Beethovens nur etwa 20 Minuten lang dauern durfte. Wahrscheinlich waren der Schwindel und der Schädeldiebstahl einigen Persönlichkeiten Wiens längst bekannt gewesen. Unter ihnen war der Vertreter des Wiener Bürgermeisters, der Gemeinderat Baugoin. Er wollte eine erneute Untersuchung nur gestatten, wenn diese "ohne direkte Berührung der Gebeine geschehen könnte."
Baugoin entstammte mutmaßlich einer hugenottischen Familie aus Belgien, das bis 1815 von dem österreichischen Zweig der Habsburger regiert wurde. Sein Name taucht mehrfach in Zusammenhang mit hugenottischen Vereinigungen und einem Geheimbund auf, der in seinem Emblem die Symbolevon Schädel und Knochen führte. Wie heutzutage in Skull & Bones in den USA war es auch in dem Geheimbund, dem Baugoin offensichtlich angehörte, üblich, sich die Schädel großer Persönlichkeiten anzueignen. Wenn man sich daran erinnert, dass Ludwig van Beethoven in Bonn als Spross einer flämischen Familie geboren wurde, die aus der Nähe Brüssels stammte, aus Brabant (Mechelen), dass Baugoin sehr wahrscheinlich Mitglied jenes Wiener Geheimbundes war, der internationale Verbindungen unterhielt, dann erahnt man in etwa welche Interessen bestanden, unbedingt den Schädel Beethovens zu besitzen. Natürlich ist dies keine Erklärung dafür, aber ein Ansatz für weitere, mögliche Recherchen. Und: War Baugoin ein Verwandter Beethovens?
Wessen Kopf liegt in Beethoven Grab?
Als "höchst bemerkenswert" am Schädel, den man in Beethovens Grab während der 1. Exhumierung im Jahr 1864 gefunden haben will, sei, so stellten die Wissenschaftler Weisbach, Toldt und Meynert, die die 2. Exhumierung durchführen durften, fest, dass der "unseren Vorstellungen von Schönheit und Ebenmaß keineswegs entspricht". Nach ihrer Meinung seien viele Merkmale, unter ihnen beispielsweise eine hochgradige Schieflage der Stirn, im Leben Beethovens nicht so aufgefallen. Regelrecht erschrocken sei der Bonner Anthropologe Schaafhausen über den Beethoven-Schädel gewesen, wie der Wiener Anatom Langer von Edenberg auf einer Sitzung der Anthopologischen Gesellschaft in Wien 1887, also im Jahr vor der 2. Exhumierung Beethovens, berichtete:
"Beim ersten Anblick des Schädels erschrak er fast über die rohe Gesichtsbildung desselben, von dem er eine Seitenansicht nie gesehen. Die rückliegende Stirn und das Vortreten des Oberkiefers mit den Zähnen entsprechen nicht den Bildern und Büsten des großen Toten und, was wichtiger ist, sie lassen sich in den Gesichtsmasken desselben nicht erkennen. Er kann es nicht leugnen, dass ihm ein leiser Zweifel an der Echtheit des Schädels aufstieg, wiewohl das große Schädelvolumen für dieselbe spricht."
Der von Schaafhausen geäußerte dringende Wunsch, der Schädel in Beethovens Grab möge einer erneuten eingehenden anatomischen Untersuchung unterworfen werden, hat sich nie erfüllt. Lediglich die Schädelknochenfragmente, die der Wiener Arzt Romeo Seligmann 1863 nach der 1. Exhumierung erworben haben soll, die er behandelte wie eine Reliquie und die dann von Generation zu Generation innerhalb seiner Familie weitervererbt wurden und schließlich in die USA gelangten, nach Hawaii, Frankreich und wieder zurück in die USA, wurden mit modernen forensischen Methoden untersucht. Zur Erinnerung: 1827 nach der Obduktion Beethovens soll der Sektionsdiener Schädelknochenfragmente an einen ausländischen Arzt verkauft haben. Von wem hatte Seligmann seine Reliquien, die Schädelknochenfragmente Beethovens, erworben?
Zweifel in einer Zeit des aufkeimenden Rassismus'
Der Berliner Pathologe und Anthropologe Rudolf Virchow (13. Oktober 1821- 5. September 1902), der als Begründer der modernen Pathologie gilt, stellte fest, dass die Form der Scheitelkurve Beethovens "mit keiner der in Mitteleuropa typisch vorkommenden Formen übereinstimmt. Das "Illustrierte Wiener Extrablatt" schreibt am 22. Juni 1888 über das Ergebnis der 2. Exhumierung: "Aus den Messungen ergab sich, dass Beethovens Schädelbildung keine ungewöhnlich schöne war, welche auf hohe Intelligenz hindeutete. Nach der Zusammenstellung der einzelnen Gesichtspartien muss der Tondichter ein sogenanntes Mulattengesicht gehabt haben, mit überaus stark hervortretenden Mundpartien." Die Bildung des Unterkiefers bei Beethoven sei mohrenhaft gewesen, die darauf zurückzuführen sei, dass der Schöpfer unsterblicher Meisterwerke einen der schwarzen Rasse eigentümlichen Unterkiefer besessen habe, erklärte das "Illustrierte Wiener Extrablatt".
Jedoch auf keinem seiner zeitgenössischen Bildnisse wurde Ludwig van Beethoven mit diesen negriden Merkmalen gezeigt. Müssen wir annehmen, dass in Beethovens Grab der Schädel eines ermordeten Schwarzen, möglicherweise eines Opfers des Sklavenhandels liegt?
SPIEGEL: DNA-Analyse - Schädelknochen stammen von Beethoven
Elitäre Knochenmänner und geheimnisvolle, prominente Totenschädel
Literatur:
Schädel-Schicksale historischer Persönlichkeiten,
Herbert Ullrich, Verlag Dr. Friedrich-Pfeil, München,
ISBN 3-89937-055-4
sfux - 21. Nov, 08:49 Article 8457x read