Parfüm und Weichmacher im Gehirn
Harald Haack - Nach den neusten Ergebnissen der PISA-Studie schnitten Schulkinder in Berlin und Brandenburg am schlechtesten ab. Ob diese Kinder auch am aggressivsten sind, sollte untersucht werden. Doch welcher Politiker möchte sich dafür stark machen, damit Forschungsgelder fließen können? Berichte über den Terror der Schüler in Berliner Schulen, besonders jene im Stadtteil Kreuzberg, gab es etliche. Doch Boulevard-Nachrichten verzerren die Realität, weil so gut wie nichts darin hinterfragt wird.
Warum Kinder aggressives Verhalten zeigen, darüber gibt es weltweit Forschungsergebnisse. Besonders in den USA, den Homelands wild um sich schießender Schulkinder, wurde nach den Ursachen geforscht. Die Ergebnisse wurden jedoch meistens für die Öffentlichkeit unter Verschluss gehalten. Will man mehr erfahren, muss man sich durch medizinische Fachbücher quälen und Wissenschaftler direkt befragen.
Quellensuche
Eine exzellente Quelle stellt ein Buch über Kindermedizin dar, das nach etlichen Neuauflagen inzwischen ebenso zum Standardwerk wurde wie die "Allgemeine und spezielle Pharmakologie und Toxikologie" des Bibliographischen Instituts Mannheim/Wien/Zürich. In dem von LANGE-Medical-Books/McGraw-Hill veröffentlichten Buch "Current Pediatric Diagnosis & Treatment" berichten die Professoren William W. Hay, Jr,, MD, Anthony R. Hayward, MD, PhD, Myron J. Levin, MD und Judith M. Sondheimer, MD, über plötzliche "Stimmungsveränderungen" bei Kindern wie auch über "Angst- und Panikattacken", deren Kausalität sie als Überempfindlichkeits-Reaktion auf Parfüme und anderen toxischen Chemikalien erkannt haben. Besonders Parfüm machen sie dafür verantwortlich.
Laut des in Trier ansässigen Nervenarztes Dr. Peter Binz werden die Folgen solcher schweren Überempfindlichkeiten gegenüber Parfüm häufig "als böse Absicht gedeutet" und als Aggression missverstanden, was "nicht selten" sei und "zu schweren Konsequenzen", besonders in strafrechtlicher Hinsicht, führen kann. Seiner Ansicht nach gibt es gegenwärtig "nur eine kausale Behandlung, nämlich Expositionsvermeidung". Leider aber stellt dies die Betroffenen, in unserer heutigen vom Parfüm-Terror beherrschten Welt, vor ein schier unlösbare Problemen.
In den USA erkannten international anerkannte Wissenschaftler, darunter die Professorin Betty Bridges, wie auch in Deutschland beispielsweise Dr. Runow von der Klinik Bad Emstal und Doz. Dr. sc. Med. Bodo Kuklinski, vom Diagnostik- und Therapiezentrum für umweltmedizinische Erkrankungen in Rostock, dass Parfüme und viele andere Chemikalien, mit denen wir im täglichen Leben in Kontakt geraten, zum Beispiel Weichmacher in Kunststoff-Laminat-Fussböden, Hirnzellen dauerhaft schädigen.
Zu solchen Schäden käme es, wie die Autoren Kuklinski, Schiefer und Beyer in ihrem Aufsätzen "Hirnschrankenprotein S-100 und Xenobiotika-Suszeptibilität" und "Zur Praxisrelevanz von nitrosativem Stress" erklären, dass die in Parfümen enthaltenen toxischen Lösemittel Stress im menschlichen Körper auslösen - nitrosativer Stress - der die Hirnrinde veranlasst (die ihre Funktion als Bluthirnschranke hat und verhindern soll, dass toxisches Stoffe ins Gehirn gelangen und damit unmittelbar in den Stoffwechsel eingreifen können) das saure und hirnzellenschädigende Protein S-100 zu produzieren. Dr. Kuklinski teilte auf Anfrage mit: "Wenn S-100 pathologisch erhöht ist, liegt eine offene Bluthirnschranke und eine gesteigerte Schadstoffempfänglichkeit vor, da Fremdsubstanzen sofort ins Gehirn gelangen und toxische Reaktionen auslösen", zum Beispiel solche, die allgemein als psychisch fundierte Aggressivität mißgedeutet werden.
Wissenschafts-Zirkus
In der Tiermedizin waren die Auswirkungen von S-100 schon lange bekannt, ja, anfangs hielten einige Forscher es für die Ursache des Rinderwahnsinns, der BSE. Dass sie damit nicht so falsch lagen, bestätigten nachfolgende Forschungsergebnisse, demnach eine andere Art von Protein, so genannte Prione, sich rasant vermehren können, womit die BSE zumindest in neurologischer Hinsicht erklärt wurde. Die Erkenntnisse der Veterinäre landen aber leider immer wieder zu spät auf den Tischen der Humanmediziner, weil offensichtlich Interessen der für Gesundheitsschäden verantwortlichen Chemischen Industrie eine Verbesserung interdisziplinärer Zusammenarbeit verhindern. Allzu oft müssen Tiere leiden und sterben für hirnrissige Studien, deren Ergebnisse von den Auftraggebern lange vorher festgelegt wurden. An Studien beteiligte Wissenschaftler werden oftmals in ein Scheuklappendenken gezwungen, welches wichtige Randergebnisse unberücksichtigt und nur solche Ergebnisse gelten lässt, die bewiesen werden sollen. In den Medien, in denen dann die "erfolgreichen" Studien breitgetreten werden, wagt so gut wie kein Journalist - vielleicht aus Nichtwissen und Ehrfurcht vor dem Rang der beteiligten Wissenschaftler - Studien zu hinterfragen.
Verbrauchern kann man nur raten, bei Berichten über Studien, in denen irgendwelche Lebens- und Genussmittel hochgelobt und ihnen wundersame Wirkungen auf die Gesundheit zugeschrieben werden, als plumpe Public-Relation aufzufassen.
Industrielle Quacksalberei
Scheinbar über Leichen scheinen die spanischen Verfasser einer jüngsten Studie zu gehen, in der "bestimmte Inhaltsstoffe" von Olivenöl nach fettem Essen die Blutzirkulation "ankurbeln" sollen. Einmal davon abgesehen, dass Ernährungsberater von fettem Essen abraten und zu leichter mediterraner Kost raten, in denen Öle und Fette sparsam verwendet werden, dreht der PR-Text über die angebliche Olivenöl-Studie die Fakten um. Es wird suggeriert, als sei Olivenöl Hauptbestandteil einer "Mittelmeer-Diät", dessen "positive Wirkung auf das Herz-Kreislauf-System seit langem bekannt" sei. Schnell wird vom Phenolgehalt des Olivenöls gesprochen und Phenol, als Biozit und Nervengift bekannt, zum Elixier erhoben, das den Cholesterinspiegel senken soll. Während in seriösen Studien mit Hunderten von Probanden gearbeitet wird, um zu verlässlichen Ergebnissen zu kommen, werden für die Olivenölstudie lediglich 5 Männer und 16 Frauen genannt. Dennoch sei das Ergebnis der "Studie" eindeutig gewesen. Klar doch, das Ergebnis stand mutmaßlich schon zu Beginn fest. Demnach soll Phenol "die Anpassungsfähigkeit der Gefäßwände an schnelle Schwankungen der Blutmenge" verbessern. Die Tatsache, dass Phenol gefässwanderweichend wirkt, war schon im 19. Jahrhundert als Symptom für eine akute Vergiftung bekannt.
Phenol wird auch als Karbolsäure bezeichnet. In Konzentrationen über 3 Prozent kann es auf der Haut zu Gewebsschädigungen führen. Bei Aufnahme über den Magen führt Phenol zu Nierenschäden und in schweren Fällen zu Störungen des Zentralen Nervensystems, besonders der Bluthirnschranke, deren Zellen unrettbar geschädigt werden und damit anderen Schadstoffen den Zutritt zum Gehirn und zum Stoffwechsel ermöglichen. Der Tod aufgrund einer Phenol-Vergiftung tritt somit durch Atemlähmung ein.
Wer sich also unbedingt mit Olivenöl vergiften will, der sollte so dumm sein und die Ausführungen der von der spanischen Olivenölindustrie in Auftrag gegebenen Studie glauben und "daher nach Olivenölsorten greifen, die mit VIRGIN oder EXTRA VIRGIN bezeichnet werden: Sie weisen den höchsten Phenolgehalt auf." Wie gut, dass es toxikologisches Wissen gibt, auf das trotz solcher industriellen Quacksalbereien und Verblödungskampagnen zugegriffen werden kann. Wer solchen kommerziellen Unsinn, wie der Olivenöl-Studie" folgt, für den kann es rasch zu spät sein.
Babykiller und Verblöder
Als zu spät könnte man auch die Erkenntnis eines Forscherteams um Scott Belcher von der Universität von Cincinnati bezeichnen. Die Forscher konnten in Tierversuchen nachweisen, dass der Weichmacher Bisphenol A(BPA) gerade in kleinsten Dosierungen die Hirnentwicklung von Kindern beeinflusst. Die Ergebnisse ihrer im Fachblatt "Endocrinology" veröffentlichten Studie erklären die Substanz zum Hirnkiller. Dies könnte nun endlich massive Auswirkungen auf den europäischen Verbraucherschutz haben, denn Experten verdächtigten Bisphenol A schon länger, die Gesundheit von Verbrauchern nachhaltig zu schädigen. Wie die Forscher schreiben, blockiert die über die Nahrung aufgenommene Chemikalie die Aktivität des körpereigenen Hormons Östrogen, das für die Entwicklung bestimmter Hirnregionen unerlässlich ist.
Das Ergebnis der Untersuchung der von BPA geschädigten Rattenhirne könnte sich als "kleine Sensation in der BPA-Diskussion erweisen, falls es auch anderen Forschergruppen gelingt, die Ergebnisse zu reproduzieren", kommentiert Jürgen Kundke, Sprecher des Berliner Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR).
Zu ihrem Ergebnis gelangten die Forscher über Tierversuche. Über einen Zeitraum von lediglich sechs Minuten hatte man Ratten eine hoch verdünnte BPA-Lösung in den Teil des Gehirns gespritzt, der bisher als unempfindlich gegenüber BPA galt: den so genannten zerebralen Kortex. Schon wenige Minuten nach Verabreichung erzeugte der Weichmacher eine verheerende Wirkung: Der Signalweg des weiblichen Sexualhormons Östrogen wurde gestoppt und damit die natürliche Entwicklung der Gehirnzellen. Das Geschlecht der getesteten Tiere spielte hierbei keine Rolle, da Östrogen bei beiden Geschlechtern erzeugt und genutzt wird.
Seit den fünfziger Jahren setzt die Chemische Industrie den Weichmacher Bisphenol A bei der Herstellung von Plastikverpackungen aller Art ein. Jährlich werden Millionen Tonnen dieses Hirnkillers produziert. Immer wieder wurde vor der Gefahr der Weichmacher gewarnt. Dennoch fand er ungehindert Verwendung in unzähligen Produkten, vom Kunststoff-Laminat-Fussboden bis hin zu Plastikflaschen, wie sie für die Ernährung von Säuglingen genutzt werden.
Die Unverbesserlichen
In Deutschland scheint es aber immer noch unverbesserliche Ignoranten zu geben. Thomas Simat, Professor am Institut für Lebensmittelchemie der TU Dresden, hält die Grundchemikalie für toxikologisch "sehr gut untersucht". Dem widerspricht jedoch das Ergebnis der amerikanischen Studie zweifellos.
Endlich wurde jetzt erforscht wie der Weichmacher BPA in kleinsten Dosierungen wirkt. Bis vor kurzem noch hieß es - manchmal als Verkaufsargument -, die toxisch wirksame Menge des BPA in den Produkten sei zu gering, um Schäden verursachen zu können. Eine tückische Meinung, keine wissenschaftliche Erkenntnis! So kam bisher (in Deutschland) niemand auf die Idee ein entsprechendes Forschungsprojekt einzuleiten.
Der Professor für Pharmakologie und Zell-Biophysik, Scott Belcher, erklärt, dass die Gefährdung des Menschen schon vor der Geburt einsetzt, weil BPA die Embryonalentwicklung des Gehirns stört. Aus diesem Grund hatte sein Team auch das Fötenwachstum der Ratten verfolgt und die Tiere nach Ablauf bestimmter Fristen seziert. Junge Ratten gelten als außerordentlich gutes Tiermodell. Aus ihnen lassen sich Rückschlüsse auf die Entwicklung des menschlichen Fötus ziehen. Die Zeit vom Beginn des letzten Schwangerschaftsdrittels bis zu den ersten Lebensjahren des Kindes kann so nachvollzogen werden. Es gebe zwar Unterschiede zwischen Menschen und Ratten, sagt Belcher, doch BPA habe bisher bei jeder Art von Tieren zu ähnlichen schädlichen Effekten geführt, und damit bestünde Grund zur Sorge.
Wie SPIEGEL-ONLINE berichtet, sieht PlasticsEurope, der Verband der Kunststofferzeuger in Deutschland, das, wie sollte es auch anders sein, anders. In einer internen Bewertung, die der Redaktion von SPIEGEL ONLINE vorliegen soll, heißt es über Belchers Arbeit: "Aus der Studie liegen keine Hinweise vor, dass die Beobachtungen beim Menschen zu nachteiligen Folgen führen". Belchers Methodik bei den Versuchen werde angegriffen. Direkte Injektionen ins Hirn seien nicht mit oraler Aufnahme zu vergleichen.
Bei PlasticsEurope übersieht man offensichtlich gerne, dass die direkte Injektion von BPA ins Gehirn mit der Aufnahme über den Luftweg zu vergleichen ist, wenn die Bluthirnschranke mittels Parfüme und anderer Schadstoffe geöffnet wurde, was heutzutage der Fall bei Kindern ist, deren Mütter und Väter geradezu fanatisch und unbedenklich Parfüme verwenden. Es trifft zu, dass u.a. Parfüme in Weichspülern, mit denen die Wäsche der Kleinen behandelt wird, den Weichmacher Bisphenol A seinen Weg ins Gehirn - von Kindern und Erwachsenen - selbst in sehr geringen Mengen ermöglichen - als sei es eine direkte Injektion.
So werden Kinder noch vor ihrer Geburt im Leib der Mutter chemisch verblödet und viele werden es lebenslang bleiben. Daran zu ändern vermag die PISA-Studie, für deren Namen die Microsoft-WORD-Rechtschreibhilfe (neue Rechtschreibung) die Alternative "Piss-Studie" vorschlägt, allein nichts zu ändern.
Literatur:
Allgemeine und spezille Pharmakologie und Toxikologie
Herausgeben von W. Forth, D. Henschler und W. Rummel im B.I. Wissenschaftsverlag, Bibliografisches Institut, ISBN 3-411-01660-4
Current Pediatric Diagnosis & Treatment
Hay, William W., Levin, Myron J., Sondheimer, Judith M., Deterding, Robin R. ISBN 0071429603
Hinrschrankenprotein S-100 und Xenobiotika-Suzeptibilität.
Erste eigen Ergebnisse, Bodo Kuklinski, Raimund Schiefer, Holm Bleyer
umwelt - medizin - gesellschaft 2/2003
Zur Praxisrelevanz von nitrosativem Stress
umwelt - medizin - gesellschaft 2/2005
Links:
Betty Bridges, RN Fragranced Products Information Network (FPIN) For information on health effects of fragrances
Hazardous pleasant odors. Scented substances cause asthma in asthma patients
A common fragrance component increases airway responsiveness after skin sensitisation
Young worker first to be granted chemical sensitivity compensation
chemical-survivors
chemical-survivors
Endocrinology
University of Cincinnati
sfux - 14. Dez, 09:04 Article 5643x read