Schweizer CIA-Affäre: Blankoschein von Delegation
Stephan Fuchs – Es wurde nichts anderes erwartet. Die schweizerische Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) stellt dem Strategischen Nachrichtendienst SND und dem Eidgenössischen Departament für Äussere Angelegenheiten EDA in der Geheimdienstaffäre Blankoscheine aus.
Gut gemacht, richtig gehandelt ist der Tenor der Delegation. Somit ist erneut ein Geheimdienstskandal hinter verschlossenen Türen rein gewaschen worden. Die Geschäftsprüfungsdelegation schiesst auch gleich sämtliche Anfragen ab. Die Schweiz liebt es eben sauber.
Bern's Geheimdienstkontrolleure werden vom Geheimdienst kontrolliert
Die GPDel ist ein ständiger Ausschuss der beiden Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) der eidgenössischen Räte. Sie besteht aus je drei Mitgliedern des Nationalrates und des Ständerates aus den vier Bundesratsparteien und der Grünen und übt die Oberaufsicht über den Staatsschutz und die Nachrichtendienste aus. Im folgenden der ungekürzte Bericht der GPDel:
A. Gegenstand der Kontrolltätigkeit der Geschäftsprüfungsdelegation
Im Verlaufe des Jahres 2005 haben schweizerische und ausländische Medien sowie Menschenrechtsorganisationen verschiedentlich Behauptungen über mutmassliche Aktivitäten zur Terrorismusbekämpfung der amerikanischen Nachrichtendienste in Europa aufgestellt.
Gemäss diesen Quellen hätten mehrere CIA-Flugzeuge das europäische Territorium und/oder den europäischen Luftraum für illegale Gefangenentransporte benutzt. In gewissen europäischen Ländern hätten sich geheime Gefängnisse der CIA befunden oder befänden sich sogar heute noch dort.
Diese Behauptungen führten zu mehreren parlamentarischen Vorstössen (Frage Banga 05.1093 , Frage Günter 05.5232 und Fragen Teuscher 05.5244 und 05.5282 ). Der Bundesrat beantwortete sie am 23. September, am 5. Dezember und am 12. Dezember 2005.
Die Beantwortung weiterer parlamentarischer Vorstösse ist noch ausstehend (Motion Müller Geri 05.3842 , Motion Zisyadis 05.3819 , Interpellation Lang 05.3744 , Fragen Banga 05.1181 und 05.1182 ).
Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) beschloss an ihrer Sitzung vom 13. Dezember 2005, diese Vorwürfe - soweit sie in den Kompetenzbereich der parlamentarischen Oberaufsicht über den Staatsschutz und die Nachrichtendienste fallen (Art. 53 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 2002; SR 171.10) - zu untersuchen.
Die GPDel wollte mit ihrer Untersuchung in Erfahrung bringen, welche Informationen die Bundesbehörden besitzen und welche Massnahmen sie ergriffen haben. Im Fokus der Untersuchung stand auch die Frage, ob die schweizerischen Nachrichtendienste Kenntnis der CIA-Aktivitäten hatten und gegebenenfalls aktiv oder passiv involviert waren.
Schliesslich wollte die GPDel vom Bundesrat wissen, wie er die Arbeiten des Europarats zu diesem Dossier zu unterstützen gedenkt.
Die GPDel liess dem Bundesrat am 15. Dezember 2005 einen Katalog mit über 20 Fragen zukommen und forderte ihn zu einer Stellungnahme bis am 20. Januar 2006 auf.
Am 8. Januar 2006 veröffentlichte der SonntagsBlick ein geheimes Dokument des Eidg. Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS).
Es handelt sich um die französische Übersetzung eines Fax der ägyptischen Behörden. In diesem vom VBS abgefangenen Fax wird darauf hingewiesen, dass die Existenz von geheimen Gefängnissen in gewissen europäischen Ländern wahrscheinlich sei.
Am 25. Januar 2006 analysierte die GPDel die Antwort des Bundesrates auf ihre Fragen vom 15. Dezember 2005. Sie hörte danach eine Delegation des Bundesrates an.
Diese bestand aus Frau Bundesrätin Micheline Calmy-Rey, Vorsteherin des Eidg. Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), aus Herrn Bundesrat Samuel Schmid, Vorsteher des VBS, und aus Herrn Bundesrat Christoph Blocher, Vorsteher des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements (EJPD).
Nebst den öffentlich zugänglichen Informationen standen der Geschäftsprüfungsdelegation insbesondere folgende Dokumente zur Verfügung:
die Liste der verdächtigten Flugzeuge, welche die Schweiz überflogen haben oder in der Schweiz gelandet sind (inkl. Abflugsorte und Destinationen),
der Entscheid des Bundesrates vom 12. Februar 1997 betreffend das Überfliegen des schweizerischen Hoheitsgebiets und die Landung auf schweizerischen Flugplätzen durch ausländische Militär- und andere Staatsluftfahrzeuge (Bewilligungskategorien und zuständige Bewilligungsbehörden),
ein Beispiel der Jahresbewilligungen des Bundesamtes für Zivilluftfahrt (BAZL) für ausländische Militär- und andere Staatsluftfahrzeuge,
eine Kopie des durch die elektronische Funkaufklärung des VBS abgefangenen Fax,
eine Kopie der integralen Übersetzung des abgefangenen Fax,
eine Kopie der aufgrund des Fax erstellten Informationsnotiz des Strategischen Nachrichtendienstes (SND).
Die GPDel erhielt alle von ihr geforderten Informationen. Sie wurde durch den Bundesrat und seine Delegation umfassend und transparent informiert.
B. Feststellungen der Delegation
Zu den aussergerichtlichen Gefangenentransporten der Vereinigten Staaten
1. Der Bundesrat ist klar gegen aussergerichtliche Gefangenentransporte. Solche Transporte sind ein Verstoss gegen das Völkerrecht. Auch stehen sie im Widerspruch zum Schweizer Recht, soweit die Schweiz oder ihr Luftraum für solche Zwecke benutzt wird. Das EDA hat gegenüber den Vereinigten Staaten verlauten lassen, dass die Schweiz es nicht zulassen werde, dass ihr Gebiet und ihre Luftraum für aussergerichtliche Gefangenentransporte benutzt werden. Solche Transporte würden eine Verletzung der Schweizer Souveränität darstellen.
2. Anlässlich von Besuchen in Washington teilte der Staatssekretär des EDA am 14. Juni und die Vorsteherin des EDA am 27. Juni 2005 mittels eines Memorandums ihren amerikanischen Amtskollegen im Aussenministerium die Besorgnis der Schweiz über die Praxis der ausserordentlichen Überstellungen ("extraordinary renditions") mit und ersuchten sie, sich an die Völkerrechtsnormen zu halten.
3. Am 8. Dezember 2005 hat die Botschaft der Vereinigten Staaten in der Schweiz dem EDA eine Kopie der Erklärung von Staatssekretärin Condoleezza Rice übermittelt, welche sie anlässlich ihrer Reise nach Europa am 5. Dezember 2005 abgegeben hatte: "The United States has not transported anyone, and will not transport anyone, to a country when we believe he will be tortured".
Zur Benutzung der Schweiz und ihres Luftraumes für den aussergerichtlichen Gefangenentransport
4. Der Bundesrat und seine Nachrichtendienste wissen, dass die Geheimdienste der Vereinigten Staaten, insbesondere die CIA, über eigene Flugzeuge verfügen oder solche bei privaten Gesellschaften chartern. Die Bundesverwaltung hat indessen weder konkrete Kenntnisse über die Benutzung dieser Flugzeuge noch über die beförderten Personen und/oder das Frachtgut.
5. Alle ausländischen Militär- und anderen Staatsluftfahrzeuge sind verpflichtet, für Überflüge über die Schweiz oder Landungen in der Schweiz eine Bewilligung ("diplomatic clearance") einzuholen. Diese werden vom BAZL ausgestellt. Es gibt Jahresbewilligungen wie auch Einzelbewilligungen. 26 Staaten, darunter die Vereinigten Staaten, und zwei internationale Organisationen verfügen für ihre Flugzeuge über eine Jahresbewilligung des BAZL. Zudem werden ihnen einmalige Bewilligungen für besondere Flüge ausgestellt.
6. Privatluftfahrzeuge müssen keine Überflug- und Landebewilligungen einholen (Art. 5 des Abkommens vom 7. Dezember 1944 über die internationale Zivilluftfahrt; Abkommen von Chicago; SR 0.748.0).
7. Im Mai 2005 wurden Bundesstellen auf Meldungen in der Presse und in NGO-Berichten aufmerksam, wonach die CIA auch in Europa aussergerichtliche Transporte von Gefangenen durchgeführt haben soll.
Anhand der veröffentlichten Immatrikulationsnummern und den Angaben von Skyguide konnte das BAZL die Start- und Landeorte der fraglichen Flugzeuge (hiernach: verdächtige Flugzeuge) feststellen.
Aus den Ermittlungen des BAZL ging hervor, dass in der Zeit zwischen Dezember 2001 und Dezember 2005 vier der in den Medien erwähnten verdächtigen Flugzeuge in Genf landeten und verschiedene andere verdächtige Flugzeuge die Schweiz überflogen (insgesamt 74 Überflüge [Stand: 5. Januar 2006]).
Unter den verdächtigen Flugzeugen hatten alle offiziellen Flugmaschinen eine entsprechende Bewilligung. Die Privatflugzeuge waren, wie unter Ziff. 6 erwähnt, nicht bewilligungspflichtig.
8. Keines der verdächtigen Flugzeuge, das die Schweiz überflogen hat oder in der Schweiz zwischengelandet ist, befand sich im Direktkurs von oder nach Guantánamo-Bay. Es kann nicht festgestellt werden, ob es sich um Anschlussflüge von oder nach Guantánamo-Bay handelte.
9. Die Schweizer Nachrichtendienste und andere Bundesstellen haben keine Kenntnis darüber, ob die verdächtigen Flugzeuge, welche die Schweiz überflogen haben oder hier zwischengelandet sind, in diesem bestimmten Zeitpunkt von der CIA benutzt wurden und falls ja, zu welchem Zweck. Im Zeitpunkt, als diese Flugzeuge die Schweiz überflogen oder hier zwischenlandeten, bestand kein Verdachtsgrund, der eine besondere Kontrolle durch die Schweizer Behörden gerechtfertigt hätte.
10. Neben seiner Demarchen vom 14. Juni und 27. Juni 2005 (vgl. Ziff. 2), hat das EDA viermal Auskünfte über Landungen verdächtiger Flugzeuge in Genf verlangt (Auskunftsbegehren vom 26. Juli, 2. September, 15. November und 14. Dezember 2005). Trotz der partiellen Antworten der amerikanischen Staatssekretärin, die sie anlässlich ihrer Europareise gab, wartet die Schweiz - wie viele andere europäische Länder - noch immer auf entsprechende Erklärungen der Vereinigten Staaten.
Aus diesem Grund wurde die bis anhin geltende Jahresbewilligung für die betroffenen Staatsflugzeuge der Vereinigten Staaten nicht erneuert, sondern nur bis Ende Januar 2006 verlängert.
11. Der Bundesrat und seine Verwaltung verfügen momentan über keine Beweise, dass die amerikanischen Flugzeuge, welche die Schweiz überflogen haben oder hier gelandet sind, erstens von der CIA, zweitens zur Verschleppung von Personen, drittens zur Durchführung von Folterverhören an diesen Personen in Drittländern benutzt wurden.
12. Dem Bundesrat und seiner Verwaltung liegen Hinweise vor, wonach ein amerikanisches Flugzeug, das die Schweiz am 17. Februar 2003 überflog, für einen aussergerichtlichen Transport von Italien nach Ägypten (via die amerikanische Militärbasis Ramstein in Deutschland) hätte benutzt werden können. Bei der beförderten Person soll es sich um den ägyptischen Imam Abu Omar gehandelt haben - mit richtigem Namen Hassan Mustafa Osama Nasr - der von der CIA aus Mailand entführt worden sei. Da genügend Indizien für eine Verletzung des Schweizer Rechts vorlagen, wurde von der Bundesanwaltschaft ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Zur Frage der Existenz geheimer Gefängnisse der CIA in Europa
13. Der Bundesrat und seine Verwaltung haben Kenntnis von den Pressemeldungen und den Berichten von NGOs über mutmassliche Geheimgefängnisse der CIA in Europa.
14. Der Bundesrat und seine Verwaltung haben derzeit weder Beweise für die Existenz geheimer CIA-Gefängnisse in Europa noch Informationen über Folterpraktiken der CIA in Europa. Der Bundesrat kann dementsprechend dem Europarat dazu keine Informationen zur Verfügung stellen, die den Arbeiten des Europarats dienlich wären.
Zur Veröffentlichung eines als geheim klassifizierten Dokumentes
15. Bei der am 8. Januar 2006 im SonntagsBlick publizierten Abschrift handelt es sich um ein Dokument des VBS. Es ist die Übersetzung eines Auszugs einer Dienstnote, welche das Büro des Assistenten des ägyptischen Ministers für europäische Angelegenheiten im Aussenministerium per Fax an die Botschaften und Konsulate Ägyptens in Europa übermittelte. Darin werden verschiedene aktuelle Ereignisse kommentiert, unter anderem die Wahrscheinlichkeit der Existenz von geheimen Gefängnissen in Europa. Das arabische Original war nicht verschlüsselt.
16. Der Fax aus Ägypten wurde zufällig vom elektronischen Aufklärungssystem des VBS abgefangen.
17. Der Fax wurde im VBS übersetzt und an den SND zur Auswertung weitergeleitet. Davon ausgehend wurde, ohne Angabe der Quelle, eine Informationsnotiz mit einer Zusammenfassung der Fax-Meldung erstellt.
Diese Notiz wurde am 29. November 2005 dem Vorsteher des VBS, dem Chef der Armee und drei Dienstchefs des EDA zugestellt. Die Vorsteherin des EDA und der Vorsteher des EJPD erhielten weder eine Abschrift des Fax, noch seiner Übersetzung, noch die Informationsnotiz des SND.
18. Der Inhalt des Fax enthält mit Ausnahme der Nationalitäten der mutmasslich im Gefängnis in Rumänien verhörten Personen keine Neuigkeiten. Er gibt Informationen wieder, welche aus der Presse und aus einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) bereits hinlänglich bekannt sind.
19. Die Geheimklassifizierung des im Sonntagsblick veröffentlichten Dokuments war gerechtfertigt, weil es Informationen über die Aufklärungsverfahren der Schweizer Nachrichtendienste enthält.
20. Die Weiterleitung und die Publikation eines Geheimdokumentes ist u.a. eine strafbare Handlung im Sinne des Strafgesetzbuchs. Aus diesem Grund sind von den zuständigen Justizorganen Untersuchungen gegen den Autor der Indiskretion und gegen die Zeitung, die das Dokument publiziert hat, eingeleitet worden.
Beurteilung und Kommentar der Delegation
21. Den Schweizer Behörden liegt gegenwärtig kein Beweis vor, dass der Schweizer Luftraum oder Schweizer Flughäfen von der CIA für illegale Tätigkeiten benutzt wurden. Im Falle Abu Omar besteht ein Verdacht auf eine unrechtmässige Nutzung des Schweizer Luftraums. Dieser Verdacht bildet derzeit Gegenstand eines gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens.
22. Das EDA handelte richtig, als es wiederholt an die amerikanischen Behörden gelangte. Dies ermöglichte dem EDA, die Position der Schweiz zu aussergerichtlichen Gefangenentransporten klar zu machen und von den Vereinigten Staaten Erklärungen in Bezug auf die für die Schweiz relevanten Flüge zu verlangen. Mit seinen wiederholten Interventionen zeigte das EDA Beharrlichkeit gegenüber den amerikanischen Behörden.
23. Das EDA hat gegenüber den Vereinigten Staaten alles getan, was auf Grund der wenigen Informationen, die ihm zur Verfügung standen, möglich war.
24. Das Abfangen des ägyptischen Fax durch die Dienste des VBS erfolgte innerhalb des legalen Rahmens des Schweizer Rechts.
25. Der ägyptische Fax enthält keine grundsätzlich neuen Informationen; jedenfalls bildet sein Inhalt kein Beweis für die Existenz von geheimen Gefängnissen in Europa. Aus diesem Grund bestand zum damaligen Zeitpunkt kein Anlass, ihn der Vorsteherin des EDA und dem Vorsteher des EJPD zur Kenntnis zu bringen.
26. Der Bundesrat hat der GPDel versichert, dass er zu allen Fragen, die ihm der Berichterstatter der parlamentarischen Versammlung des Europarates offiziell vorlege, Stellung nehmen werde.
Weiterführende Artikel:
"SonntagsBlick"-Chef verweigert Zusammenarbeit mit Militärjustiz
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Gut gemacht, richtig gehandelt ist der Tenor der Delegation. Somit ist erneut ein Geheimdienstskandal hinter verschlossenen Türen rein gewaschen worden. Die Geschäftsprüfungsdelegation schiesst auch gleich sämtliche Anfragen ab. Die Schweiz liebt es eben sauber.
Bern's Geheimdienstkontrolleure werden vom Geheimdienst kontrolliert
Die GPDel ist ein ständiger Ausschuss der beiden Geschäftsprüfungskommissionen (GPK) der eidgenössischen Räte. Sie besteht aus je drei Mitgliedern des Nationalrates und des Ständerates aus den vier Bundesratsparteien und der Grünen und übt die Oberaufsicht über den Staatsschutz und die Nachrichtendienste aus. Im folgenden der ungekürzte Bericht der GPDel:
A. Gegenstand der Kontrolltätigkeit der Geschäftsprüfungsdelegation
Im Verlaufe des Jahres 2005 haben schweizerische und ausländische Medien sowie Menschenrechtsorganisationen verschiedentlich Behauptungen über mutmassliche Aktivitäten zur Terrorismusbekämpfung der amerikanischen Nachrichtendienste in Europa aufgestellt.
Gemäss diesen Quellen hätten mehrere CIA-Flugzeuge das europäische Territorium und/oder den europäischen Luftraum für illegale Gefangenentransporte benutzt. In gewissen europäischen Ländern hätten sich geheime Gefängnisse der CIA befunden oder befänden sich sogar heute noch dort.
Diese Behauptungen führten zu mehreren parlamentarischen Vorstössen (Frage Banga 05.1093 , Frage Günter 05.5232 und Fragen Teuscher 05.5244 und 05.5282 ). Der Bundesrat beantwortete sie am 23. September, am 5. Dezember und am 12. Dezember 2005.
Die Beantwortung weiterer parlamentarischer Vorstösse ist noch ausstehend (Motion Müller Geri 05.3842 , Motion Zisyadis 05.3819 , Interpellation Lang 05.3744 , Fragen Banga 05.1181 und 05.1182 ).
Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) beschloss an ihrer Sitzung vom 13. Dezember 2005, diese Vorwürfe - soweit sie in den Kompetenzbereich der parlamentarischen Oberaufsicht über den Staatsschutz und die Nachrichtendienste fallen (Art. 53 des Parlamentsgesetzes vom 13. Dezember 2002; SR 171.10) - zu untersuchen.
Die GPDel wollte mit ihrer Untersuchung in Erfahrung bringen, welche Informationen die Bundesbehörden besitzen und welche Massnahmen sie ergriffen haben. Im Fokus der Untersuchung stand auch die Frage, ob die schweizerischen Nachrichtendienste Kenntnis der CIA-Aktivitäten hatten und gegebenenfalls aktiv oder passiv involviert waren.
Schliesslich wollte die GPDel vom Bundesrat wissen, wie er die Arbeiten des Europarats zu diesem Dossier zu unterstützen gedenkt.
Die GPDel liess dem Bundesrat am 15. Dezember 2005 einen Katalog mit über 20 Fragen zukommen und forderte ihn zu einer Stellungnahme bis am 20. Januar 2006 auf.
Am 8. Januar 2006 veröffentlichte der SonntagsBlick ein geheimes Dokument des Eidg. Departements für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS).
Es handelt sich um die französische Übersetzung eines Fax der ägyptischen Behörden. In diesem vom VBS abgefangenen Fax wird darauf hingewiesen, dass die Existenz von geheimen Gefängnissen in gewissen europäischen Ländern wahrscheinlich sei.
Am 25. Januar 2006 analysierte die GPDel die Antwort des Bundesrates auf ihre Fragen vom 15. Dezember 2005. Sie hörte danach eine Delegation des Bundesrates an.
Diese bestand aus Frau Bundesrätin Micheline Calmy-Rey, Vorsteherin des Eidg. Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), aus Herrn Bundesrat Samuel Schmid, Vorsteher des VBS, und aus Herrn Bundesrat Christoph Blocher, Vorsteher des Eidg. Justiz- und Polizeidepartements (EJPD).
Nebst den öffentlich zugänglichen Informationen standen der Geschäftsprüfungsdelegation insbesondere folgende Dokumente zur Verfügung:
die Liste der verdächtigten Flugzeuge, welche die Schweiz überflogen haben oder in der Schweiz gelandet sind (inkl. Abflugsorte und Destinationen),
der Entscheid des Bundesrates vom 12. Februar 1997 betreffend das Überfliegen des schweizerischen Hoheitsgebiets und die Landung auf schweizerischen Flugplätzen durch ausländische Militär- und andere Staatsluftfahrzeuge (Bewilligungskategorien und zuständige Bewilligungsbehörden),
ein Beispiel der Jahresbewilligungen des Bundesamtes für Zivilluftfahrt (BAZL) für ausländische Militär- und andere Staatsluftfahrzeuge,
eine Kopie des durch die elektronische Funkaufklärung des VBS abgefangenen Fax,
eine Kopie der integralen Übersetzung des abgefangenen Fax,
eine Kopie der aufgrund des Fax erstellten Informationsnotiz des Strategischen Nachrichtendienstes (SND).
Die GPDel erhielt alle von ihr geforderten Informationen. Sie wurde durch den Bundesrat und seine Delegation umfassend und transparent informiert.
B. Feststellungen der Delegation
Zu den aussergerichtlichen Gefangenentransporten der Vereinigten Staaten
1. Der Bundesrat ist klar gegen aussergerichtliche Gefangenentransporte. Solche Transporte sind ein Verstoss gegen das Völkerrecht. Auch stehen sie im Widerspruch zum Schweizer Recht, soweit die Schweiz oder ihr Luftraum für solche Zwecke benutzt wird. Das EDA hat gegenüber den Vereinigten Staaten verlauten lassen, dass die Schweiz es nicht zulassen werde, dass ihr Gebiet und ihre Luftraum für aussergerichtliche Gefangenentransporte benutzt werden. Solche Transporte würden eine Verletzung der Schweizer Souveränität darstellen.
2. Anlässlich von Besuchen in Washington teilte der Staatssekretär des EDA am 14. Juni und die Vorsteherin des EDA am 27. Juni 2005 mittels eines Memorandums ihren amerikanischen Amtskollegen im Aussenministerium die Besorgnis der Schweiz über die Praxis der ausserordentlichen Überstellungen ("extraordinary renditions") mit und ersuchten sie, sich an die Völkerrechtsnormen zu halten.
3. Am 8. Dezember 2005 hat die Botschaft der Vereinigten Staaten in der Schweiz dem EDA eine Kopie der Erklärung von Staatssekretärin Condoleezza Rice übermittelt, welche sie anlässlich ihrer Reise nach Europa am 5. Dezember 2005 abgegeben hatte: "The United States has not transported anyone, and will not transport anyone, to a country when we believe he will be tortured".
Zur Benutzung der Schweiz und ihres Luftraumes für den aussergerichtlichen Gefangenentransport
4. Der Bundesrat und seine Nachrichtendienste wissen, dass die Geheimdienste der Vereinigten Staaten, insbesondere die CIA, über eigene Flugzeuge verfügen oder solche bei privaten Gesellschaften chartern. Die Bundesverwaltung hat indessen weder konkrete Kenntnisse über die Benutzung dieser Flugzeuge noch über die beförderten Personen und/oder das Frachtgut.
5. Alle ausländischen Militär- und anderen Staatsluftfahrzeuge sind verpflichtet, für Überflüge über die Schweiz oder Landungen in der Schweiz eine Bewilligung ("diplomatic clearance") einzuholen. Diese werden vom BAZL ausgestellt. Es gibt Jahresbewilligungen wie auch Einzelbewilligungen. 26 Staaten, darunter die Vereinigten Staaten, und zwei internationale Organisationen verfügen für ihre Flugzeuge über eine Jahresbewilligung des BAZL. Zudem werden ihnen einmalige Bewilligungen für besondere Flüge ausgestellt.
6. Privatluftfahrzeuge müssen keine Überflug- und Landebewilligungen einholen (Art. 5 des Abkommens vom 7. Dezember 1944 über die internationale Zivilluftfahrt; Abkommen von Chicago; SR 0.748.0).
7. Im Mai 2005 wurden Bundesstellen auf Meldungen in der Presse und in NGO-Berichten aufmerksam, wonach die CIA auch in Europa aussergerichtliche Transporte von Gefangenen durchgeführt haben soll.
Anhand der veröffentlichten Immatrikulationsnummern und den Angaben von Skyguide konnte das BAZL die Start- und Landeorte der fraglichen Flugzeuge (hiernach: verdächtige Flugzeuge) feststellen.
Aus den Ermittlungen des BAZL ging hervor, dass in der Zeit zwischen Dezember 2001 und Dezember 2005 vier der in den Medien erwähnten verdächtigen Flugzeuge in Genf landeten und verschiedene andere verdächtige Flugzeuge die Schweiz überflogen (insgesamt 74 Überflüge [Stand: 5. Januar 2006]).
Unter den verdächtigen Flugzeugen hatten alle offiziellen Flugmaschinen eine entsprechende Bewilligung. Die Privatflugzeuge waren, wie unter Ziff. 6 erwähnt, nicht bewilligungspflichtig.
8. Keines der verdächtigen Flugzeuge, das die Schweiz überflogen hat oder in der Schweiz zwischengelandet ist, befand sich im Direktkurs von oder nach Guantánamo-Bay. Es kann nicht festgestellt werden, ob es sich um Anschlussflüge von oder nach Guantánamo-Bay handelte.
9. Die Schweizer Nachrichtendienste und andere Bundesstellen haben keine Kenntnis darüber, ob die verdächtigen Flugzeuge, welche die Schweiz überflogen haben oder hier zwischengelandet sind, in diesem bestimmten Zeitpunkt von der CIA benutzt wurden und falls ja, zu welchem Zweck. Im Zeitpunkt, als diese Flugzeuge die Schweiz überflogen oder hier zwischenlandeten, bestand kein Verdachtsgrund, der eine besondere Kontrolle durch die Schweizer Behörden gerechtfertigt hätte.
10. Neben seiner Demarchen vom 14. Juni und 27. Juni 2005 (vgl. Ziff. 2), hat das EDA viermal Auskünfte über Landungen verdächtiger Flugzeuge in Genf verlangt (Auskunftsbegehren vom 26. Juli, 2. September, 15. November und 14. Dezember 2005). Trotz der partiellen Antworten der amerikanischen Staatssekretärin, die sie anlässlich ihrer Europareise gab, wartet die Schweiz - wie viele andere europäische Länder - noch immer auf entsprechende Erklärungen der Vereinigten Staaten.
Aus diesem Grund wurde die bis anhin geltende Jahresbewilligung für die betroffenen Staatsflugzeuge der Vereinigten Staaten nicht erneuert, sondern nur bis Ende Januar 2006 verlängert.
11. Der Bundesrat und seine Verwaltung verfügen momentan über keine Beweise, dass die amerikanischen Flugzeuge, welche die Schweiz überflogen haben oder hier gelandet sind, erstens von der CIA, zweitens zur Verschleppung von Personen, drittens zur Durchführung von Folterverhören an diesen Personen in Drittländern benutzt wurden.
12. Dem Bundesrat und seiner Verwaltung liegen Hinweise vor, wonach ein amerikanisches Flugzeug, das die Schweiz am 17. Februar 2003 überflog, für einen aussergerichtlichen Transport von Italien nach Ägypten (via die amerikanische Militärbasis Ramstein in Deutschland) hätte benutzt werden können. Bei der beförderten Person soll es sich um den ägyptischen Imam Abu Omar gehandelt haben - mit richtigem Namen Hassan Mustafa Osama Nasr - der von der CIA aus Mailand entführt worden sei. Da genügend Indizien für eine Verletzung des Schweizer Rechts vorlagen, wurde von der Bundesanwaltschaft ein gerichtspolizeiliches Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Zur Frage der Existenz geheimer Gefängnisse der CIA in Europa
13. Der Bundesrat und seine Verwaltung haben Kenntnis von den Pressemeldungen und den Berichten von NGOs über mutmassliche Geheimgefängnisse der CIA in Europa.
14. Der Bundesrat und seine Verwaltung haben derzeit weder Beweise für die Existenz geheimer CIA-Gefängnisse in Europa noch Informationen über Folterpraktiken der CIA in Europa. Der Bundesrat kann dementsprechend dem Europarat dazu keine Informationen zur Verfügung stellen, die den Arbeiten des Europarats dienlich wären.
Zur Veröffentlichung eines als geheim klassifizierten Dokumentes
15. Bei der am 8. Januar 2006 im SonntagsBlick publizierten Abschrift handelt es sich um ein Dokument des VBS. Es ist die Übersetzung eines Auszugs einer Dienstnote, welche das Büro des Assistenten des ägyptischen Ministers für europäische Angelegenheiten im Aussenministerium per Fax an die Botschaften und Konsulate Ägyptens in Europa übermittelte. Darin werden verschiedene aktuelle Ereignisse kommentiert, unter anderem die Wahrscheinlichkeit der Existenz von geheimen Gefängnissen in Europa. Das arabische Original war nicht verschlüsselt.
16. Der Fax aus Ägypten wurde zufällig vom elektronischen Aufklärungssystem des VBS abgefangen.
17. Der Fax wurde im VBS übersetzt und an den SND zur Auswertung weitergeleitet. Davon ausgehend wurde, ohne Angabe der Quelle, eine Informationsnotiz mit einer Zusammenfassung der Fax-Meldung erstellt.
Diese Notiz wurde am 29. November 2005 dem Vorsteher des VBS, dem Chef der Armee und drei Dienstchefs des EDA zugestellt. Die Vorsteherin des EDA und der Vorsteher des EJPD erhielten weder eine Abschrift des Fax, noch seiner Übersetzung, noch die Informationsnotiz des SND.
18. Der Inhalt des Fax enthält mit Ausnahme der Nationalitäten der mutmasslich im Gefängnis in Rumänien verhörten Personen keine Neuigkeiten. Er gibt Informationen wieder, welche aus der Presse und aus einem Bericht der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch (HRW) bereits hinlänglich bekannt sind.
19. Die Geheimklassifizierung des im Sonntagsblick veröffentlichten Dokuments war gerechtfertigt, weil es Informationen über die Aufklärungsverfahren der Schweizer Nachrichtendienste enthält.
20. Die Weiterleitung und die Publikation eines Geheimdokumentes ist u.a. eine strafbare Handlung im Sinne des Strafgesetzbuchs. Aus diesem Grund sind von den zuständigen Justizorganen Untersuchungen gegen den Autor der Indiskretion und gegen die Zeitung, die das Dokument publiziert hat, eingeleitet worden.
Beurteilung und Kommentar der Delegation
21. Den Schweizer Behörden liegt gegenwärtig kein Beweis vor, dass der Schweizer Luftraum oder Schweizer Flughäfen von der CIA für illegale Tätigkeiten benutzt wurden. Im Falle Abu Omar besteht ein Verdacht auf eine unrechtmässige Nutzung des Schweizer Luftraums. Dieser Verdacht bildet derzeit Gegenstand eines gerichtspolizeilichen Ermittlungsverfahrens.
22. Das EDA handelte richtig, als es wiederholt an die amerikanischen Behörden gelangte. Dies ermöglichte dem EDA, die Position der Schweiz zu aussergerichtlichen Gefangenentransporten klar zu machen und von den Vereinigten Staaten Erklärungen in Bezug auf die für die Schweiz relevanten Flüge zu verlangen. Mit seinen wiederholten Interventionen zeigte das EDA Beharrlichkeit gegenüber den amerikanischen Behörden.
23. Das EDA hat gegenüber den Vereinigten Staaten alles getan, was auf Grund der wenigen Informationen, die ihm zur Verfügung standen, möglich war.
24. Das Abfangen des ägyptischen Fax durch die Dienste des VBS erfolgte innerhalb des legalen Rahmens des Schweizer Rechts.
25. Der ägyptische Fax enthält keine grundsätzlich neuen Informationen; jedenfalls bildet sein Inhalt kein Beweis für die Existenz von geheimen Gefängnissen in Europa. Aus diesem Grund bestand zum damaligen Zeitpunkt kein Anlass, ihn der Vorsteherin des EDA und dem Vorsteher des EJPD zur Kenntnis zu bringen.
26. Der Bundesrat hat der GPDel versichert, dass er zu allen Fragen, die ihm der Berichterstatter der parlamentarischen Versammlung des Europarates offiziell vorlege, Stellung nehmen werde.
Weiterführende Artikel:
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Kartell des Schweigens
Geheimdienstdokument im Schreibtischchen
Die Befehlskette des Geheimdienstes
Eingelullte Schweizer Presse?
Brigade 41 – Sie liefern perfekte Leistungen ab
Meisterleistung oder tückische List?
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ONYX – Die langen Ohren der Schweiz
sfux - 1. Feb, 09:21 Article 3648x read