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Urs Paul Engeler - Der Fichenskandal war gestern, jetzt kommt Onyx: Das Abhörsystem kann jeden Bürger belauschen und ist so geheim, dass selbst Parlamentarier nur den Tarnnamen kennen.
Wäre im Januar 1999 ein Gemeinderat der kleinen Berner Kommune Zimmerwald nicht etwas zu geschwätzig geworden und hätte Der Bund die kleine Information, dass die bestehende Horch- und Auswertungszentrale auf dem Längenberg südlich der Bundesstadt ausgebaut werde, nicht aufgeschnappt und verbreitet, wüsste die Schweizer Bevölkerung bis heute gar nichts.
Sie wüsste nicht, dass Hunderte von Millionen Franken am Parlament vorbeigeschmuggelt wurden.
Sie wüsste nicht, wozu an drei Orten der Schweiz riesige Parabolantennen errichtet wurden. Sie wüsste nicht, dass Hunderte von Millionen Franken am Parlament vorbeigeschmuggelt wurden. Sie wüsste nicht, dass militärische Schnüffler sämtliche Telefongespräche und andere Kommunikationsakte via Satellitenlinks registrieren und auswerten können. Und sie wüsste nicht, dass alle ins Ausland laufenden Satellitenverbindungen tatsächlich auch systematisch überwacht und nach bestimmten, aber geheim gebliebenen Kriterien durchforscht werden.
Was die Geheimdienstler allerdings genau abhören und wer welches Material zu welchem Zweck erhält und wie weiterverwendet, ist auch bis heute nicht ganz klar. Zwar stellen Parlamentarier ab und zu Fragen, doch das zuständige Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) windet sich.
Der grösste und perfideste Lauschangriff der Geschichte der Schweiz wurde an allen Kontrollinstanzen vorbei eingerichtet und dem Volk verschwiegen. Darum ist denkbar bis sehr wahrscheinlich, dass in einigen Jahren (wieder einmal) eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) diese Anmassung der Militärs und Politiker aufarbeiten und stoppen muss.
Am Mittwoch, dem 13. August 1997, tagte der Bundesrat in der Besetzung Jean-Pascal Delamuraz (FDP), Kaspar Villiger (FDP), Arnold Koller (CVP), Flavio Cotti (CVP), Ruth Dreifuss (SP), Moritz Leuenberger (SP) und Adolf Ogi (SVP). Ogi, der damalige Wehrminister, brachte den hochgeheimen Antrag ein, es sei das «Projekt Satos 3» zu starten, die dritte Stufe eines seit Anfang der neunziger Jahre laufenden militärischen Geheimprogramms.
«Satos 1» und «Satos 2» waren Systeme, mit denen die Kommunikation per Kurzwellen, Richtfunk und Faxsignale abgefangen werden konnte. Nun sollte Satos 3 die vollständige «elektronische Aufklärung von Satellitenverbindungen» ermöglichen, genau wie das grosse Vorbild, das «Echelon»-System der USA.
Plan unter dem Kommando von Divisionär Peter Regli ausgearbeitet
Ausgearbeitet hatte den Plan, von Zimmerwald aus weltweit die Telefon-, Fax- und Mailverbindungen zu überwachen, der militärische Geheimdienst unter dem Kommando von Divisionär Peter Regli. Die Kosten für den Aufbau der Infrastrukturen und für die Software wurden intern auf rund fünfzig Millionen Franken geschätzt, ohne die Löhne der über vierzig Sprachspezialisten und Informatiker, die rekrutiert werden mussten.
Die Landesregierung stimmte erstens dem Vorhaben Satos 3 zu, segnete zweitens die versteckte, also illegale Finanzierung und drittens die totale Geheimhaltung ab. Der Entscheid vom 13. August 1997 fehlt sogar im hochvertraulichen Verzeichnis der Beschlüsse des Bundesrates. Ein Protokoll existiert offenbar auch nicht; an die Öffentlichkeit drang nichts.
Mysteriöser Gedächtnisschwund
Bis die lokalen Behörden schwatzten. Der Generalstab reagierte mit einem summarischen Communiqué des spärlichen Inhalts, dass er «zwecks elektronischer Aufklärung sicherheitspolitisch bedeutsame Informationen» sammeln wolle. Ende der Durchsage. «Weiter gehen wir, im Interesse des Projekts, nicht», erklärte Divisionär Regli, Chef der Untergruppe Nachrichtendienst (Una), im betriebsinternen Blättchen, «wir müssen auch dafür sorgen, dass wir es der ‹Gegenseite› nicht zu leicht machen.» Wobei er und seine Geheimdienstler mit «Gegenseite» offensichtlich vorab das Parlament und das Volk meinten.
Erst einige Wochen nachdem das Vorhaben durch die Info-Panne publik geworden war, also knapp zwei Jahre nach dem Beschluss und nach ersten Pressemeldungen, bequemte sich Generalstabschef Hans-Ulrich Scherrer, die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) knapp einzuweihen. Die sechs GPDel-Mitglieder, verantwortlich für die parlamentarische Kontrolle der Geheimbereiche, hielten sich brav an die von der VBS-Spitze ausgegebene Order («Es wurde strengstes Stillschweigen befohlen!») und konnten sich wie SVP-Ständerat Bernhard Seiler, Präsident des behördentreuen Ausschusses, bald «an gar nichts mehr erinnern».
Die sicherheitspolitischen Kommissionen wurden gar nie informiert. Nur deren Präsidenten, Nationalrat Jean-Pierre Bonny (FDP, BE) und Ständerat Eric Rochat (LPS, VD), erhielten nachträglich eine vertrauliche Abreibung mit dem Ziel der Vertuschung und Verwedelung. In keinem parlamentarischen Ausschuss wurde das folgenschwere Projekt je andiskutiert.
In fast fahrlässiger Ahnungslosigkeit hatte darum das Parlament zuerst unter nicht näher deklarierten Rubriken, später unter dem verschleiernden Titel «Neubau eines Mehrzweckgebäudes in Zimmerwald» blind ab 1997 regelmässig Kredittranchen bewilligt. Unter den «verschiedenen Zwecken» der Anlage, die nie genau benannt wurden, sind Dutzende von Arbeitsplätzen für die elektronischen Überwacher, Antennen sowie der Einbau von Grossrechnern zu verstehen.
Die Abhöranlage war bereits konzipiert, viele Einrichtungen erstellt, als ausgewählte Vertreter des Parlaments erstmals davon erfuhren. Als der Nationalrat das Projekt kurz besprach (die Ständeräte verzichteten auf jede Wortmeldung!), waren erste Probeläufe schon absolviert. Im April 2000 nahm das mittlerweile in «Onyx» umgetaufte System zum ersten Mal seinen Betrieb auf; im April 2001 ging es in einen «operationellen Probebetrieb» über. Ab 2004 läuft der «operationelle Betrieb». Ab 2005 soll Onyx mit voller Leistung arbeiten; dazu wird die Zahl der Parabolantennen nochmals verdoppelt.
Bereits die verdeckte, illegale Finanzierung des gigantischen Systems ist ein Skandal, wenn auch noch der kleinste. Das zweite Ärgernis ist der steile Anstieg der Kosten. Gemäss inoffiziellen Angaben bewilligte der Bundesrat im August 1997 einen Betrag von 50 Millionen für das Projekt. Diese Summe hat sich laut GPDel-Berichterstatterin, FDP-Ständerätin Helen Leumann (LU), bis Mitte 2003 bereits verdreifacht.
Experten sprechen sogar davon, dass die derzeit erwarteten (aber nie bestätigten) Gesamtkosten für das ausser Kontrolle geratene Vorhaben nicht bei 150 Millionen, sondern bei rund 400 Millionen Franken lägen. Die Betriebskosten werden, je nach Quelle, auf 10 bis 30 Millionen Franken jährlich beziffert. Die Zahlen werden dem Steuerzahler aus Gründen der Geheimhaltung verschwiegen.
Genaue Beträge will auch die spät auf den delikaten Fall aufmerksam gewordene Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) nicht nennen. Sie monierte indes in ihrem Jahresbericht 2003 erstmals, «dass die geschätzten Kosten, die dem Entscheid des Bundesrates zugrunde gelegt wurden, zu wenig fundiert waren beziehungsweise ungenügende Hinweise auf Unsicherheiten und Risiken gemacht wurden». Mit der Abwicklung des Projektes über drei verschiedene Budgetrubriken werde zudem die finanzielle Transparenz eingeschränkt. Mehr hat die zahlende Öffentlichkeit bisher nicht vernommen. Offensichtlich ist das Projekt Satos-Onyx den internen Revisoren bereits definitiv entglitten.
Denn auch die Finanzdelegation des Parlaments, die sich am 1. April 2004 zum Problem äusserte, erklärte sich für überfordert. Sie «erkannte am Beispiel von Satos gewisse Schwächen bei der Bewilligung von Krediten bei Projekten, bei denen ein Geheimhaltungsbedürfnis besteht und bei denen aus diesem Grund den parlamentarischen Organen und der Öffentlichkeit nicht die sonst üblichen Informationen gegeben werden können». Resignierend stellte sie fest, dass sie bei der Kontrolle «dieses schwierigen Projekts» an ihre Grenze stosse: «Kreditteile sind aber verstreut in verschiedenen Krediten, was von den Finanzaufsichtsorganen einen speziellen Effort verlangt, um sich einen Überblick zu verschaffen.» Die skeptisch gewordenen Oberaufseher versprachen, später «auch Fragen über das Verhältnis von Aufwand und Ertrag bei Onyx zu thematisieren».
Illegale Volksbeschnüffelung
Zwischenzeitlich aber werden über verdeckte Zusatz- und Ergänzungskredite laufend Dutzende von Millionen Franken für Onyx abgezweigt, und zwar weiterhin so, «dass sie nicht ohne weiteres von jeder Person in Erfahrung gebracht werden können», wie der Bundesrat die wiederholte Irreführung von Parlament und Öffentlichkeit erst kürzlich wieder begründete.
Konsequent hat das Verteidigungsdepartement darum per 2005 im Sammelkredit Projektierung, Erprobung und Vorbereitung von Rüstungsbeschaffungen (PEB) wieder zehn Millionen Franken versteckt, die der Weiterentwicklung der Onyx-Technologie dienen, wie das VBS auf Nachfragen herausrückt. Der neue Tarnbegriff stammt wie der Halbedelstein Onyx aus der Mineralogie und lautet «Malachit». Ob unter diesem Namen das jetzige System erweitert, schon neu konzipiert oder einfach anders verschleiert wird, muss offen bleiben.
Die geheimen Spionageanlagen werden von der Generalstabsabteilung Elektronische Kriegsführung (EFK) betrieben. Die Führungsunterstützungsbrigade 41 führt Recherchieraufträge aller Art aus. Auftraggeber und Abnehmer ist offiziell der Strategische Nachrichtendienst (SND), wie der militärische Auslandgeheimdienst inzwischen heisst. Obwohl die rechtlichen Grundlagen dazu fehlen, wird die Einrichtung indes auch von zivilen Stellen genutzt, besonders vom Dienst für Analyse und Prävention (DAP), dem früher und klarer Bundespolizei oder Fichenpolizei genannten Inlandgeheimdienst, aber auch vom Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).
Die Bewilligungen erteilt, ohne öffentliche Orientierung, der Bundesrat, der die grossen Onyx-Ohren vom Aus- auch ins Inland lenken kann, etwa zur Überwachung von Grossanlässen wie dem WEF in Davos oder dem G-8-Gipfel. Der Grund für diese schlanke Erweiterung der Kompetenzen ist ebenso einfach wie illegitim: Für die traditionelle Telefon- und Faxkontrolle braucht es einen dringenden Tatverdacht und eine richterliche Verfügung. Dank Onyx werden die Bundespolizei und politische Instanzen neu formlos und frei Haus und unkontrolliert mit den gewünschten Informationen beliefert.
Hochgeheime Liste
Die Resultate des Systems dürfen nicht unterschätzt und als Spielerei abgetan werden. Auf den Onyx-Grossrechnern laufen Programme, welche alle abgesaugten Rohinformationen mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI), optischer Texterkennung (OCR), Sprach- und Stimmprüfung sowie von Schlüsselwort- und Themenanalysen filtern und sortieren. Werden vier bis fünf dieser «hitwords» oder «keywords» kombiniert, lässt sich die riesige Datenflut entscheidend kanalisieren.
Nach Meinung des deutschen Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom kann mit dieser Methode der undurchschaubar scheinende Informationswirrwarr auf eine überschaubare Menge reduziert werden: «Werden die Suchbegriffe gezielt verbunden, reduziert sich die gigantische Informationsmasse rasch auf ein politisch und polizeilich verwertbares Mass.» Von der hochgeheimen Liste dieser Schlüsselwörter, erstellt von den Geheimdiensten, offiziell abgesegnet vom Bundesrat, weiss man nur, dass sie «laufend aktualisiert» wird. Die Liste der «hitwords» im Bereich des Waffenhandels soll mehr als zehn Seiten mit je 25 Begriffen umfassen.
Mit Google Earth in der Krypto Hauptstadt
Wie die Internetsuchmaschine Google innert Sekunden das endlos scheinende WWW-Meer nach den gewünschten Begriffen ausfischt, so kann auch Onyx den gesamten Telefon-, Fax- und Mailverkehr, der über Satelliten läuft, permanent und methodisch clever überwachen. Je nach Auftrag werden zwischen fünf und mehreren hundert Begriffen eingegeben.
Je präziser die Schlüsselwörter, desto exakter die Resultate. Allgemeine Ausdrücke wie «Terrorismus», «Bombe» oder «Anthrax» sind laut Spezialisten ungeeignet. Die Verknüpfung konkreter Städtenamen wie «Riad», «Bagdad» oder «Falludscha» mit Sprengstoffen wie «TNT», «Anfos» oder «RDX» und den Namen verdächtiger extremer Muslime im Mittleren und Nahen Osten hingegen ist als Filter bereits durchaus geeignet. Nach dem gleichen Muster werden derzeit konkret auch Vorgänge in der russischen Politik und Wirtschaft (vom Handel mit Erdgas bis zum Verkauf von radioaktivem Material), in Transkaukasien und auf dem indischen Subkontinent ausgehorcht.
So weit, nicht so bedrohlich, könnte der Schweizer Bürger hier aufschnaufen – bis er merkt, dass er in den letzten zwei Wochen telefonische Kontakte in eine dieser Regionen hatte und dass per Parlamentsbeschluss sein Handy nun registriert ist. Was den Schnüfflern allenfalls aufgefallen ist, wird er nie erfahren.
Die tatsächlichen Recherchestrategien und deren (auch in der Schweiz verwertbare) Ziele bleiben streng geheim; zum Missbrauch wird nachgerade eingeladen. Denn die Nachrichtendienste sind im Unterschied zur Polizei «befugt, Personendaten, mit Einschluss von besonders schützenswerten Personendaten und von Persönlichkeitsprofilen, zu bearbeiten, gegebenenfalls ohne Wissen der betroffenen Personen... [Sie können] im Einzelfall Personendaten in Abweichung von den datenschutzrechtlichen Bestimmungen ins Ausland weitergeben.» Und dürfen, immer gemäss Artikel 99 des Militärgesetzes, solche Informationen, sollten sie «für die innere Sicherheit oder die Strafverfolgung von Bedeutung sein», dem Bundesamt für Polizei weiterleiten.
Sammelstelle der Informationen
Die abgefangenen Daten fliessen den Hochleistungscomputern, die im Bunker von Zimmerwald stehen, aus zwei Quellen zu: zum einen von Leuk im Kanton Wallis, wo die Bodenstation der Swisscom mit einem zusätzlichen Parabolspiegel (für 0,9 Millionen Franken) ausgestattet wurde. Die ins Weltall gerichteten Riesenohren fangen alle Wellenbündel («downlinks») ab, die von den Kommunikationssatelliten Intelsat, Eutelsat, PanAmSat, Arabsat und Gorizont an ihre Bodenstationen geschickt werden. Pro Satellit, der überwacht wird, ist eine Antenne notwendig.
Gefälligkeiten fürs US-Militär
Mittlerweile hat die Swisscom das Areal in Leuk an die Verestar Teleport verkauft, einen amerikanischen Telekommunikationskonzern, der alle Arten von leitungsgebundenen oder satellitengestützten Verbindungen anbietet und auch das US-Verteidigungsministerium beliefert. Die Behauptung, dass technische und organisatorische Verbindungen zwischen dem Schweizer Horchposten und der Verestar-Anlage bestünden, geht auf Berichte der französischen und belgischen Sicherheits- und Verteidigungskommissionen aus dem Jahr 2002 zurück.
Trotz der unmittelbaren Nachbarschaft der beiden Kommunikationsknotenpunkte beruhigte der Bundesrat: Es gebe keine Verbindung zwischen dem Onyx-System und der US-Firma; und die Verestar AG operiere nicht mit sensiblem Material. Zumindest die zweite Behauptung ist mittlerweile widerlegt: Die Verestar stellt für die US-Navy Satellitenverbindungen her, unter anderem für die Flotte im Mittelmeer.
Diese Dienste wurden zumindest zeitweise von Leuk aus erbracht. Überdies arbeitet die Firma mittlerweile eng mit der SES Americom zusammen, deren Kerngeschäft die Satellitenkommunikation für das US-Verteidigungsdepartement ist. Was für die Schweizer Behörden offenbar kein Problem darstellt. Man arbeitet, quasi als Juniorpartner, ohnehin eng mit den mächtigen US-Diensten zusammen.
Die zweite Abhörstation befindet sich in der «permanenten Einsatzzentrale Heimenschwand» ob dem Thunersee, die mittlerweile mit acht Parabolspiegeln (und Betonsockeln für weitere Anlagen) von zwischen 11 und 13 Meter Durchmesser bestückt ist (erste Kostenschätzung: 7 Millionen Franken). Verkauft wurden dem ahnungslos zunickenden Parlament die beeindruckenden Anlagen als «Umbauarbeiten an zwei Standorten für permanente Einsatzzentralen im Rahmen des Projektes Satos 3» (das es offiziell gar nicht gab).
Heute stehen ausserhalb des kleinen Dörfchens, an einem Waldrand in Richtung Hirsetschwendi, nicht nur riesige Antennen, sondern auch zwei grosse, ganz neu erstellte Gebäude mit Dutzenden von Büroräumen und eine Baracke – alles geschützt mit einem Stacheldrahthang und Überwachungskameras.
Permanente Rechtsverletzung
«Das System hat nicht nur Vorteile», stellte in auffallendem Understatement die GPDel nach einer ersten Prüfung Ende 2003 fest: Es könne «bedeutsame Risiken für die Grundrechte zeitigen». Bei näherer Prüfung durch die Parlamentarier zeigte sich, dass der Grosse Bruder Onyx während 365 Tagen im Jahr und rund um die Uhr in einer mehr oder weniger rechtsfreien Zone agiert. Das ist nach dem Finanzskandal die andauernde Verletzung der Bürgerrechte. Diese Verstösse haben das Potenzial, in den nächsten Jahren zu platzen.
Laut Vorgaben dient das Onyx-System allein dazu, Verbindungen im Ausland, vom Ausland in die Schweiz oder von der Schweiz ins Ausland abzuhören, lediglich Telekommunikationsteilnehmer im Ausland zu identifizieren und nur aus dem Ausland stammende Daten abzufangen und zu bearbeiten. Beteiligt an diesen Gesprächen sind jedoch meist auch Bewohner des eigenen Landes. Fallen bei dieser «Massenüberwachung von Kommunikation» (GPDel) als «Nebenprodukte» Informationen über Schweizer Bürgerinnen und Bürger an, so darf die militärische Elektronische Kriegsführung (EKF) auch solche Daten «bearbeiten» und sie in dieser Form an die «betreffenden Auftraggeber», das heisst vor allem den früheren Ficheuren und «Staatsschützern», den Bundespolizisten im Dienst für Analyse und Prävention (DAP), weiterleiten.
Eine aus mehreren Departementen zusammengesetzte UKI (eine sogenannte Unabhängige Kontrollinstanz, faktisch bestellt vom VBS selbst, abgesegnet vom Sicherheitsausschuss des Bundesrates) soll seit 2003 den Verkehr zwischen Auftraggebern und Lauschern überprüfen, «wobei sie die Prioritäten, die durch die Nachrichtenbedürfnisse der politischen Instanzen vorgegeben sind, berücksichtigt». Sonst ist von dieser UKI nichts bekannt: nicht die Zusammensetzung nach Namen oder Bundesämtern, nicht einmal die genaue Anzahl ihrer Mitglieder, nicht ein einziger Kontrollbericht. Die geheime UKI arbeitet mindestens so geheim wie die Geheimdienstler, die sie überwacht.
2003 hat sich – endlich – die Geschäftsprüfungsdelegation die Mühe gemacht, sich das diskret errichtete Ermittlungssystem etwas genauer anzuschauen. Am 10. November lieferte sie einen Bericht ab, der mit dem Bekenntnis zur Zurückhaltung beginnt. So werden explizit keinerlei «Angaben über Kapazität, Kosten und Leistungsfähigkeit des Systems» gemacht, weil diese – man staune – «den Aussenbeziehungen der Schweiz abträglich sein» und – nicht ganz unerwartet – «die Privatsphäre Dritter» verletzen könnten.
Immerhin erwähnen die vorsichtigen Parlamentarier, dass der laufende Onyx-Betrieb mit der geltenden schweizerischen Rechtsordnung unter verschiedenen Titeln gar nicht vereinbar ist:
1 - Bereits die vom militärischen Geheimdienst unter dem Titel «äussere Sicherheit» getätigten Abhörungen seien gesetzlich kaum abgestützt.
2 - In keinem Gesetz vorgesehen und geregelt, also völlig illegal seien vor allem die von den präventiv schnüffelnden Bundespolizisten im DAP in Auftrag gegebenen Kommunikationsüberwachungen. Auch wenn der Bundesrat verspreche, die gesetzliche Lücke gelegentlich zu schliessen, bestehe die Gefahr, dass der gegenwärtige Probebetrieb ein Präjudiz für neue Kompetenzen der Staatsschützer schaffe.
3 - Das Abhören eines Kommunikationsteilnehmers im Ausland auf fremdem Hoheits-gebiet stehe im Widerspruch zur territorialen Souveränität dieses Landes. Es sei zumindest denkbar, dass ein Staat oder eine Privatperson den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, den Menschenrechtsausschuss der Uno oder den Internationalen Gerichtshof anrufe, um die Schweizer Behörden anzuklagen.
Besorgt stellte die GPDel schliesslich fest, dass die Onyx-Geheimaktivitäten «mehr als andere Tätigkeiten ein Missbrauchspotenzial aufweisen, da sie sich weitgehend der traditionellen Kontrolle wie der Justiz oder den Medien entziehen». Die Aufsicht wird erstens durch die verwaltungsinterne und anonyme UKI und zweitens durch eine kleine Gruppe, bestehend aus dem VBS-Departementschef, seinem unterstellten Generalstabschef sowie dem Onyx-Projektleiter, ausgeübt. Das System wird also ausschliesslich durch seine Ersteller und Profiteure kontrolliert.
Weltweite Tauschbörse
Vollends im Dunkeln verbleibt die Verwendung des aus dem Äther gefischten Geheimmaterials. Laut GPDel-Bericht bilden die Onyx-Informationen «ein nützliches Tauschmittel» an der internationalen Geheimdienstbörse.
Der Aufwand von Hunderten von Millionen Franken wird demnach hauptsächlich betrieben, um «befreundete Dienste» (im Klartext: die Secret Services der USA) zu beliefern: «Die mit Hilfe von Onyx eingeholten Informationen sind deshalb auch ein Instrument, mit dem die Türen zu anderen Nachrichtendiensten geöffnet werden können und mit dem sich die schweizerischen Nachrichtendienste im Ausland Glaubwürdigkeit verschaffen können.»
Freimütig bekennt sich Hans Wegmüller, Chef des Strategischen Nachrichtendienstes der neutralen Schweiz, zur schlanken Kooperation mit den USA: «Wir sind da relativ offen.» Bundesrat Samuel Schmid, oberster Chef der helvetischen Horcher und Spione, prahlte kürzlich in einer Bundesratssitzung gar: «Mein Nachrichtendienst ist die einzige Schweizer Dienststelle, die in den USA noch Vertrauen hat und die von den Amerikanern ernst genommen wird!»
Bei derart engen Verflechtungen zwischen den Schweizer und den US- oder Nato-Diensten schrumpft die immer wieder gestellte Frage nach der direkten technischen Vernetzung von Onyx mit dem amerikanischen Echelon-System zur Bagatelle. Wenn die Geschäftsprüfer vermelden, dass sie keine Hinweise «auf eine mögliche Integration des Systems Onyx in irgendein internationales Abhörnetz» gefunden hätten, dass Onyx «autonom» funktioniere und «über keine Schnittstellen mit einem anderen, ausländischen System» verfüge, dann sind diese Erkenntnisse relativ unerheblich.
Die Zusammenarbeit funktioniert vor dem Akt der Abhörung. Es werden Frequenzen, Übermittlungskanäle, Verkehrsanalysen und sogar auch Rufnummern ausgetauscht, um die Aufklärungsziele besser zu identifizieren oder um Doppelspurigkeiten zu vermeiden. Und die internationale Gruppenarbeit wird nach erfolgter Belauschung fortgesetzt: Die Resultate werden quasi automatisch weitergeleitet und gegenseitig abgeglichen.
Der allenfalls betroffene Bürger hat keine Möglichkeit, sich zu wehren, findet im ganzen Rechtsstaat Schweiz keine Instanz, die er anrufen könnte. Zustände, schlimmer noch als zur schlimmsten Zeit der Fichenproduktion in der Bundespolizei. Als Odilo Guntern noch oberster eidgenössischer Datenschützer war, verwies er bei Fragen nach Kontrolle und Grenzen der militärischen Sammelwut und nach den Rechten der Bürger, die Schultern zuckend, auf Artikel 99 des Militärgesetzes, das dem Nachrichtendienst alle Ausnahmen vom Schweizer Datenschutzrecht gewährt. Und er schloss seine Ausführungen jeweils mit dem deprimierenden Satz: «Ein Nachrichtendienst ist eben ein Nachrichtendienst.» Politik und Recht, Bürgerinnen und Bürger bleiben ausgesperrt.
Die Publikation des Weltwoche Artikels erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Weltwoche Redaktion.
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Sie wüsste nicht, dass Hunderte von Millionen Franken am Parlament vorbeigeschmuggelt wurden.
Sie wüsste nicht, wozu an drei Orten der Schweiz riesige Parabolantennen errichtet wurden. Sie wüsste nicht, dass Hunderte von Millionen Franken am Parlament vorbeigeschmuggelt wurden. Sie wüsste nicht, dass militärische Schnüffler sämtliche Telefongespräche und andere Kommunikationsakte via Satellitenlinks registrieren und auswerten können. Und sie wüsste nicht, dass alle ins Ausland laufenden Satellitenverbindungen tatsächlich auch systematisch überwacht und nach bestimmten, aber geheim gebliebenen Kriterien durchforscht werden.
Was die Geheimdienstler allerdings genau abhören und wer welches Material zu welchem Zweck erhält und wie weiterverwendet, ist auch bis heute nicht ganz klar. Zwar stellen Parlamentarier ab und zu Fragen, doch das zuständige Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) windet sich.
Der grösste und perfideste Lauschangriff der Geschichte der Schweiz wurde an allen Kontrollinstanzen vorbei eingerichtet und dem Volk verschwiegen. Darum ist denkbar bis sehr wahrscheinlich, dass in einigen Jahren (wieder einmal) eine Parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) diese Anmassung der Militärs und Politiker aufarbeiten und stoppen muss.
Am Mittwoch, dem 13. August 1997, tagte der Bundesrat in der Besetzung Jean-Pascal Delamuraz (FDP), Kaspar Villiger (FDP), Arnold Koller (CVP), Flavio Cotti (CVP), Ruth Dreifuss (SP), Moritz Leuenberger (SP) und Adolf Ogi (SVP). Ogi, der damalige Wehrminister, brachte den hochgeheimen Antrag ein, es sei das «Projekt Satos 3» zu starten, die dritte Stufe eines seit Anfang der neunziger Jahre laufenden militärischen Geheimprogramms.
«Satos 1» und «Satos 2» waren Systeme, mit denen die Kommunikation per Kurzwellen, Richtfunk und Faxsignale abgefangen werden konnte. Nun sollte Satos 3 die vollständige «elektronische Aufklärung von Satellitenverbindungen» ermöglichen, genau wie das grosse Vorbild, das «Echelon»-System der USA.
Plan unter dem Kommando von Divisionär Peter Regli ausgearbeitet
Ausgearbeitet hatte den Plan, von Zimmerwald aus weltweit die Telefon-, Fax- und Mailverbindungen zu überwachen, der militärische Geheimdienst unter dem Kommando von Divisionär Peter Regli. Die Kosten für den Aufbau der Infrastrukturen und für die Software wurden intern auf rund fünfzig Millionen Franken geschätzt, ohne die Löhne der über vierzig Sprachspezialisten und Informatiker, die rekrutiert werden mussten.
Die Landesregierung stimmte erstens dem Vorhaben Satos 3 zu, segnete zweitens die versteckte, also illegale Finanzierung und drittens die totale Geheimhaltung ab. Der Entscheid vom 13. August 1997 fehlt sogar im hochvertraulichen Verzeichnis der Beschlüsse des Bundesrates. Ein Protokoll existiert offenbar auch nicht; an die Öffentlichkeit drang nichts.
Mysteriöser Gedächtnisschwund
Bis die lokalen Behörden schwatzten. Der Generalstab reagierte mit einem summarischen Communiqué des spärlichen Inhalts, dass er «zwecks elektronischer Aufklärung sicherheitspolitisch bedeutsame Informationen» sammeln wolle. Ende der Durchsage. «Weiter gehen wir, im Interesse des Projekts, nicht», erklärte Divisionär Regli, Chef der Untergruppe Nachrichtendienst (Una), im betriebsinternen Blättchen, «wir müssen auch dafür sorgen, dass wir es der ‹Gegenseite› nicht zu leicht machen.» Wobei er und seine Geheimdienstler mit «Gegenseite» offensichtlich vorab das Parlament und das Volk meinten.
Erst einige Wochen nachdem das Vorhaben durch die Info-Panne publik geworden war, also knapp zwei Jahre nach dem Beschluss und nach ersten Pressemeldungen, bequemte sich Generalstabschef Hans-Ulrich Scherrer, die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) knapp einzuweihen. Die sechs GPDel-Mitglieder, verantwortlich für die parlamentarische Kontrolle der Geheimbereiche, hielten sich brav an die von der VBS-Spitze ausgegebene Order («Es wurde strengstes Stillschweigen befohlen!») und konnten sich wie SVP-Ständerat Bernhard Seiler, Präsident des behördentreuen Ausschusses, bald «an gar nichts mehr erinnern».
Die sicherheitspolitischen Kommissionen wurden gar nie informiert. Nur deren Präsidenten, Nationalrat Jean-Pierre Bonny (FDP, BE) und Ständerat Eric Rochat (LPS, VD), erhielten nachträglich eine vertrauliche Abreibung mit dem Ziel der Vertuschung und Verwedelung. In keinem parlamentarischen Ausschuss wurde das folgenschwere Projekt je andiskutiert.
In fast fahrlässiger Ahnungslosigkeit hatte darum das Parlament zuerst unter nicht näher deklarierten Rubriken, später unter dem verschleiernden Titel «Neubau eines Mehrzweckgebäudes in Zimmerwald» blind ab 1997 regelmässig Kredittranchen bewilligt. Unter den «verschiedenen Zwecken» der Anlage, die nie genau benannt wurden, sind Dutzende von Arbeitsplätzen für die elektronischen Überwacher, Antennen sowie der Einbau von Grossrechnern zu verstehen.
Die Abhöranlage war bereits konzipiert, viele Einrichtungen erstellt, als ausgewählte Vertreter des Parlaments erstmals davon erfuhren. Als der Nationalrat das Projekt kurz besprach (die Ständeräte verzichteten auf jede Wortmeldung!), waren erste Probeläufe schon absolviert. Im April 2000 nahm das mittlerweile in «Onyx» umgetaufte System zum ersten Mal seinen Betrieb auf; im April 2001 ging es in einen «operationellen Probebetrieb» über. Ab 2004 läuft der «operationelle Betrieb». Ab 2005 soll Onyx mit voller Leistung arbeiten; dazu wird die Zahl der Parabolantennen nochmals verdoppelt.
Bereits die verdeckte, illegale Finanzierung des gigantischen Systems ist ein Skandal, wenn auch noch der kleinste. Das zweite Ärgernis ist der steile Anstieg der Kosten. Gemäss inoffiziellen Angaben bewilligte der Bundesrat im August 1997 einen Betrag von 50 Millionen für das Projekt. Diese Summe hat sich laut GPDel-Berichterstatterin, FDP-Ständerätin Helen Leumann (LU), bis Mitte 2003 bereits verdreifacht.
Experten sprechen sogar davon, dass die derzeit erwarteten (aber nie bestätigten) Gesamtkosten für das ausser Kontrolle geratene Vorhaben nicht bei 150 Millionen, sondern bei rund 400 Millionen Franken lägen. Die Betriebskosten werden, je nach Quelle, auf 10 bis 30 Millionen Franken jährlich beziffert. Die Zahlen werden dem Steuerzahler aus Gründen der Geheimhaltung verschwiegen.
Genaue Beträge will auch die spät auf den delikaten Fall aufmerksam gewordene Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) nicht nennen. Sie monierte indes in ihrem Jahresbericht 2003 erstmals, «dass die geschätzten Kosten, die dem Entscheid des Bundesrates zugrunde gelegt wurden, zu wenig fundiert waren beziehungsweise ungenügende Hinweise auf Unsicherheiten und Risiken gemacht wurden». Mit der Abwicklung des Projektes über drei verschiedene Budgetrubriken werde zudem die finanzielle Transparenz eingeschränkt. Mehr hat die zahlende Öffentlichkeit bisher nicht vernommen. Offensichtlich ist das Projekt Satos-Onyx den internen Revisoren bereits definitiv entglitten.
Denn auch die Finanzdelegation des Parlaments, die sich am 1. April 2004 zum Problem äusserte, erklärte sich für überfordert. Sie «erkannte am Beispiel von Satos gewisse Schwächen bei der Bewilligung von Krediten bei Projekten, bei denen ein Geheimhaltungsbedürfnis besteht und bei denen aus diesem Grund den parlamentarischen Organen und der Öffentlichkeit nicht die sonst üblichen Informationen gegeben werden können». Resignierend stellte sie fest, dass sie bei der Kontrolle «dieses schwierigen Projekts» an ihre Grenze stosse: «Kreditteile sind aber verstreut in verschiedenen Krediten, was von den Finanzaufsichtsorganen einen speziellen Effort verlangt, um sich einen Überblick zu verschaffen.» Die skeptisch gewordenen Oberaufseher versprachen, später «auch Fragen über das Verhältnis von Aufwand und Ertrag bei Onyx zu thematisieren».
Illegale Volksbeschnüffelung
Zwischenzeitlich aber werden über verdeckte Zusatz- und Ergänzungskredite laufend Dutzende von Millionen Franken für Onyx abgezweigt, und zwar weiterhin so, «dass sie nicht ohne weiteres von jeder Person in Erfahrung gebracht werden können», wie der Bundesrat die wiederholte Irreführung von Parlament und Öffentlichkeit erst kürzlich wieder begründete.
Konsequent hat das Verteidigungsdepartement darum per 2005 im Sammelkredit Projektierung, Erprobung und Vorbereitung von Rüstungsbeschaffungen (PEB) wieder zehn Millionen Franken versteckt, die der Weiterentwicklung der Onyx-Technologie dienen, wie das VBS auf Nachfragen herausrückt. Der neue Tarnbegriff stammt wie der Halbedelstein Onyx aus der Mineralogie und lautet «Malachit». Ob unter diesem Namen das jetzige System erweitert, schon neu konzipiert oder einfach anders verschleiert wird, muss offen bleiben.
Die geheimen Spionageanlagen werden von der Generalstabsabteilung Elektronische Kriegsführung (EFK) betrieben. Die Führungsunterstützungsbrigade 41 führt Recherchieraufträge aller Art aus. Auftraggeber und Abnehmer ist offiziell der Strategische Nachrichtendienst (SND), wie der militärische Auslandgeheimdienst inzwischen heisst. Obwohl die rechtlichen Grundlagen dazu fehlen, wird die Einrichtung indes auch von zivilen Stellen genutzt, besonders vom Dienst für Analyse und Prävention (DAP), dem früher und klarer Bundespolizei oder Fichenpolizei genannten Inlandgeheimdienst, aber auch vom Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA).
Die Bewilligungen erteilt, ohne öffentliche Orientierung, der Bundesrat, der die grossen Onyx-Ohren vom Aus- auch ins Inland lenken kann, etwa zur Überwachung von Grossanlässen wie dem WEF in Davos oder dem G-8-Gipfel. Der Grund für diese schlanke Erweiterung der Kompetenzen ist ebenso einfach wie illegitim: Für die traditionelle Telefon- und Faxkontrolle braucht es einen dringenden Tatverdacht und eine richterliche Verfügung. Dank Onyx werden die Bundespolizei und politische Instanzen neu formlos und frei Haus und unkontrolliert mit den gewünschten Informationen beliefert.
Hochgeheime Liste
Die Resultate des Systems dürfen nicht unterschätzt und als Spielerei abgetan werden. Auf den Onyx-Grossrechnern laufen Programme, welche alle abgesaugten Rohinformationen mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz (KI), optischer Texterkennung (OCR), Sprach- und Stimmprüfung sowie von Schlüsselwort- und Themenanalysen filtern und sortieren. Werden vier bis fünf dieser «hitwords» oder «keywords» kombiniert, lässt sich die riesige Datenflut entscheidend kanalisieren.
Nach Meinung des deutschen Geheimdienstexperten Erich Schmidt-Eenboom kann mit dieser Methode der undurchschaubar scheinende Informationswirrwarr auf eine überschaubare Menge reduziert werden: «Werden die Suchbegriffe gezielt verbunden, reduziert sich die gigantische Informationsmasse rasch auf ein politisch und polizeilich verwertbares Mass.» Von der hochgeheimen Liste dieser Schlüsselwörter, erstellt von den Geheimdiensten, offiziell abgesegnet vom Bundesrat, weiss man nur, dass sie «laufend aktualisiert» wird. Die Liste der «hitwords» im Bereich des Waffenhandels soll mehr als zehn Seiten mit je 25 Begriffen umfassen.
Mit Google Earth in der Krypto Hauptstadt
Wie die Internetsuchmaschine Google innert Sekunden das endlos scheinende WWW-Meer nach den gewünschten Begriffen ausfischt, so kann auch Onyx den gesamten Telefon-, Fax- und Mailverkehr, der über Satelliten läuft, permanent und methodisch clever überwachen. Je nach Auftrag werden zwischen fünf und mehreren hundert Begriffen eingegeben.
Je präziser die Schlüsselwörter, desto exakter die Resultate. Allgemeine Ausdrücke wie «Terrorismus», «Bombe» oder «Anthrax» sind laut Spezialisten ungeeignet. Die Verknüpfung konkreter Städtenamen wie «Riad», «Bagdad» oder «Falludscha» mit Sprengstoffen wie «TNT», «Anfos» oder «RDX» und den Namen verdächtiger extremer Muslime im Mittleren und Nahen Osten hingegen ist als Filter bereits durchaus geeignet. Nach dem gleichen Muster werden derzeit konkret auch Vorgänge in der russischen Politik und Wirtschaft (vom Handel mit Erdgas bis zum Verkauf von radioaktivem Material), in Transkaukasien und auf dem indischen Subkontinent ausgehorcht.
So weit, nicht so bedrohlich, könnte der Schweizer Bürger hier aufschnaufen – bis er merkt, dass er in den letzten zwei Wochen telefonische Kontakte in eine dieser Regionen hatte und dass per Parlamentsbeschluss sein Handy nun registriert ist. Was den Schnüfflern allenfalls aufgefallen ist, wird er nie erfahren.
Die tatsächlichen Recherchestrategien und deren (auch in der Schweiz verwertbare) Ziele bleiben streng geheim; zum Missbrauch wird nachgerade eingeladen. Denn die Nachrichtendienste sind im Unterschied zur Polizei «befugt, Personendaten, mit Einschluss von besonders schützenswerten Personendaten und von Persönlichkeitsprofilen, zu bearbeiten, gegebenenfalls ohne Wissen der betroffenen Personen... [Sie können] im Einzelfall Personendaten in Abweichung von den datenschutzrechtlichen Bestimmungen ins Ausland weitergeben.» Und dürfen, immer gemäss Artikel 99 des Militärgesetzes, solche Informationen, sollten sie «für die innere Sicherheit oder die Strafverfolgung von Bedeutung sein», dem Bundesamt für Polizei weiterleiten.
Sammelstelle der Informationen
Die abgefangenen Daten fliessen den Hochleistungscomputern, die im Bunker von Zimmerwald stehen, aus zwei Quellen zu: zum einen von Leuk im Kanton Wallis, wo die Bodenstation der Swisscom mit einem zusätzlichen Parabolspiegel (für 0,9 Millionen Franken) ausgestattet wurde. Die ins Weltall gerichteten Riesenohren fangen alle Wellenbündel («downlinks») ab, die von den Kommunikationssatelliten Intelsat, Eutelsat, PanAmSat, Arabsat und Gorizont an ihre Bodenstationen geschickt werden. Pro Satellit, der überwacht wird, ist eine Antenne notwendig.
Gefälligkeiten fürs US-Militär
Mittlerweile hat die Swisscom das Areal in Leuk an die Verestar Teleport verkauft, einen amerikanischen Telekommunikationskonzern, der alle Arten von leitungsgebundenen oder satellitengestützten Verbindungen anbietet und auch das US-Verteidigungsministerium beliefert. Die Behauptung, dass technische und organisatorische Verbindungen zwischen dem Schweizer Horchposten und der Verestar-Anlage bestünden, geht auf Berichte der französischen und belgischen Sicherheits- und Verteidigungskommissionen aus dem Jahr 2002 zurück.
Trotz der unmittelbaren Nachbarschaft der beiden Kommunikationsknotenpunkte beruhigte der Bundesrat: Es gebe keine Verbindung zwischen dem Onyx-System und der US-Firma; und die Verestar AG operiere nicht mit sensiblem Material. Zumindest die zweite Behauptung ist mittlerweile widerlegt: Die Verestar stellt für die US-Navy Satellitenverbindungen her, unter anderem für die Flotte im Mittelmeer.
Diese Dienste wurden zumindest zeitweise von Leuk aus erbracht. Überdies arbeitet die Firma mittlerweile eng mit der SES Americom zusammen, deren Kerngeschäft die Satellitenkommunikation für das US-Verteidigungsdepartement ist. Was für die Schweizer Behörden offenbar kein Problem darstellt. Man arbeitet, quasi als Juniorpartner, ohnehin eng mit den mächtigen US-Diensten zusammen.
Die zweite Abhörstation befindet sich in der «permanenten Einsatzzentrale Heimenschwand» ob dem Thunersee, die mittlerweile mit acht Parabolspiegeln (und Betonsockeln für weitere Anlagen) von zwischen 11 und 13 Meter Durchmesser bestückt ist (erste Kostenschätzung: 7 Millionen Franken). Verkauft wurden dem ahnungslos zunickenden Parlament die beeindruckenden Anlagen als «Umbauarbeiten an zwei Standorten für permanente Einsatzzentralen im Rahmen des Projektes Satos 3» (das es offiziell gar nicht gab).
Heute stehen ausserhalb des kleinen Dörfchens, an einem Waldrand in Richtung Hirsetschwendi, nicht nur riesige Antennen, sondern auch zwei grosse, ganz neu erstellte Gebäude mit Dutzenden von Büroräumen und eine Baracke – alles geschützt mit einem Stacheldrahthang und Überwachungskameras.
Permanente Rechtsverletzung
«Das System hat nicht nur Vorteile», stellte in auffallendem Understatement die GPDel nach einer ersten Prüfung Ende 2003 fest: Es könne «bedeutsame Risiken für die Grundrechte zeitigen». Bei näherer Prüfung durch die Parlamentarier zeigte sich, dass der Grosse Bruder Onyx während 365 Tagen im Jahr und rund um die Uhr in einer mehr oder weniger rechtsfreien Zone agiert. Das ist nach dem Finanzskandal die andauernde Verletzung der Bürgerrechte. Diese Verstösse haben das Potenzial, in den nächsten Jahren zu platzen.
Laut Vorgaben dient das Onyx-System allein dazu, Verbindungen im Ausland, vom Ausland in die Schweiz oder von der Schweiz ins Ausland abzuhören, lediglich Telekommunikationsteilnehmer im Ausland zu identifizieren und nur aus dem Ausland stammende Daten abzufangen und zu bearbeiten. Beteiligt an diesen Gesprächen sind jedoch meist auch Bewohner des eigenen Landes. Fallen bei dieser «Massenüberwachung von Kommunikation» (GPDel) als «Nebenprodukte» Informationen über Schweizer Bürgerinnen und Bürger an, so darf die militärische Elektronische Kriegsführung (EKF) auch solche Daten «bearbeiten» und sie in dieser Form an die «betreffenden Auftraggeber», das heisst vor allem den früheren Ficheuren und «Staatsschützern», den Bundespolizisten im Dienst für Analyse und Prävention (DAP), weiterleiten.
Eine aus mehreren Departementen zusammengesetzte UKI (eine sogenannte Unabhängige Kontrollinstanz, faktisch bestellt vom VBS selbst, abgesegnet vom Sicherheitsausschuss des Bundesrates) soll seit 2003 den Verkehr zwischen Auftraggebern und Lauschern überprüfen, «wobei sie die Prioritäten, die durch die Nachrichtenbedürfnisse der politischen Instanzen vorgegeben sind, berücksichtigt». Sonst ist von dieser UKI nichts bekannt: nicht die Zusammensetzung nach Namen oder Bundesämtern, nicht einmal die genaue Anzahl ihrer Mitglieder, nicht ein einziger Kontrollbericht. Die geheime UKI arbeitet mindestens so geheim wie die Geheimdienstler, die sie überwacht.
2003 hat sich – endlich – die Geschäftsprüfungsdelegation die Mühe gemacht, sich das diskret errichtete Ermittlungssystem etwas genauer anzuschauen. Am 10. November lieferte sie einen Bericht ab, der mit dem Bekenntnis zur Zurückhaltung beginnt. So werden explizit keinerlei «Angaben über Kapazität, Kosten und Leistungsfähigkeit des Systems» gemacht, weil diese – man staune – «den Aussenbeziehungen der Schweiz abträglich sein» und – nicht ganz unerwartet – «die Privatsphäre Dritter» verletzen könnten.
Immerhin erwähnen die vorsichtigen Parlamentarier, dass der laufende Onyx-Betrieb mit der geltenden schweizerischen Rechtsordnung unter verschiedenen Titeln gar nicht vereinbar ist:
1 - Bereits die vom militärischen Geheimdienst unter dem Titel «äussere Sicherheit» getätigten Abhörungen seien gesetzlich kaum abgestützt.
2 - In keinem Gesetz vorgesehen und geregelt, also völlig illegal seien vor allem die von den präventiv schnüffelnden Bundespolizisten im DAP in Auftrag gegebenen Kommunikationsüberwachungen. Auch wenn der Bundesrat verspreche, die gesetzliche Lücke gelegentlich zu schliessen, bestehe die Gefahr, dass der gegenwärtige Probebetrieb ein Präjudiz für neue Kompetenzen der Staatsschützer schaffe.
3 - Das Abhören eines Kommunikationsteilnehmers im Ausland auf fremdem Hoheits-gebiet stehe im Widerspruch zur territorialen Souveränität dieses Landes. Es sei zumindest denkbar, dass ein Staat oder eine Privatperson den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof, den Menschenrechtsausschuss der Uno oder den Internationalen Gerichtshof anrufe, um die Schweizer Behörden anzuklagen.
Besorgt stellte die GPDel schliesslich fest, dass die Onyx-Geheimaktivitäten «mehr als andere Tätigkeiten ein Missbrauchspotenzial aufweisen, da sie sich weitgehend der traditionellen Kontrolle wie der Justiz oder den Medien entziehen». Die Aufsicht wird erstens durch die verwaltungsinterne und anonyme UKI und zweitens durch eine kleine Gruppe, bestehend aus dem VBS-Departementschef, seinem unterstellten Generalstabschef sowie dem Onyx-Projektleiter, ausgeübt. Das System wird also ausschliesslich durch seine Ersteller und Profiteure kontrolliert.
Weltweite Tauschbörse
Vollends im Dunkeln verbleibt die Verwendung des aus dem Äther gefischten Geheimmaterials. Laut GPDel-Bericht bilden die Onyx-Informationen «ein nützliches Tauschmittel» an der internationalen Geheimdienstbörse.
Der Aufwand von Hunderten von Millionen Franken wird demnach hauptsächlich betrieben, um «befreundete Dienste» (im Klartext: die Secret Services der USA) zu beliefern: «Die mit Hilfe von Onyx eingeholten Informationen sind deshalb auch ein Instrument, mit dem die Türen zu anderen Nachrichtendiensten geöffnet werden können und mit dem sich die schweizerischen Nachrichtendienste im Ausland Glaubwürdigkeit verschaffen können.»
Freimütig bekennt sich Hans Wegmüller, Chef des Strategischen Nachrichtendienstes der neutralen Schweiz, zur schlanken Kooperation mit den USA: «Wir sind da relativ offen.» Bundesrat Samuel Schmid, oberster Chef der helvetischen Horcher und Spione, prahlte kürzlich in einer Bundesratssitzung gar: «Mein Nachrichtendienst ist die einzige Schweizer Dienststelle, die in den USA noch Vertrauen hat und die von den Amerikanern ernst genommen wird!»
Bei derart engen Verflechtungen zwischen den Schweizer und den US- oder Nato-Diensten schrumpft die immer wieder gestellte Frage nach der direkten technischen Vernetzung von Onyx mit dem amerikanischen Echelon-System zur Bagatelle. Wenn die Geschäftsprüfer vermelden, dass sie keine Hinweise «auf eine mögliche Integration des Systems Onyx in irgendein internationales Abhörnetz» gefunden hätten, dass Onyx «autonom» funktioniere und «über keine Schnittstellen mit einem anderen, ausländischen System» verfüge, dann sind diese Erkenntnisse relativ unerheblich.
Die Zusammenarbeit funktioniert vor dem Akt der Abhörung. Es werden Frequenzen, Übermittlungskanäle, Verkehrsanalysen und sogar auch Rufnummern ausgetauscht, um die Aufklärungsziele besser zu identifizieren oder um Doppelspurigkeiten zu vermeiden. Und die internationale Gruppenarbeit wird nach erfolgter Belauschung fortgesetzt: Die Resultate werden quasi automatisch weitergeleitet und gegenseitig abgeglichen.
Der allenfalls betroffene Bürger hat keine Möglichkeit, sich zu wehren, findet im ganzen Rechtsstaat Schweiz keine Instanz, die er anrufen könnte. Zustände, schlimmer noch als zur schlimmsten Zeit der Fichenproduktion in der Bundespolizei. Als Odilo Guntern noch oberster eidgenössischer Datenschützer war, verwies er bei Fragen nach Kontrolle und Grenzen der militärischen Sammelwut und nach den Rechten der Bürger, die Schultern zuckend, auf Artikel 99 des Militärgesetzes, das dem Nachrichtendienst alle Ausnahmen vom Schweizer Datenschutzrecht gewährt. Und er schloss seine Ausführungen jeweils mit dem deprimierenden Satz: «Ein Nachrichtendienst ist eben ein Nachrichtendienst.» Politik und Recht, Bürgerinnen und Bürger bleiben ausgesperrt.
Die Publikation des Weltwoche Artikels erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Autors und der Weltwoche Redaktion.
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sfux - 2. Feb, 08:51 Article 5119x read