Überraschung bei den brasilianischen Präsidentschaftswahlen?
Karl Weiss - Soeben ist die letzte Wählerumfrage des angesehenen brasilianischen Instituts „DataFolha” zur Präsidentenwahl im Oktober herausgekommen. Lula liegt demnach bei 44%, der Gegenkandidat der konservativen (noch konservativeren) Opposition Alckmin bei 28% und die Senatorin Heloísa Helena bei 10%.
Kein anderer Kandidat kommt auf mehr als 1%. Dazu kommen mit 7% jene, die nicht wählen bzw. einen „weißen” oder ungültigen Wahlzettel abgeben wollen. (In Wirklichkeit gibt es in Brasilien keine Wahlzettel mehr. Das ganze System ist auf Wahlcomputer umgestellt, die wie die meisten in den USA auch, keinerlei Ausdruck herstellen und somit eine Nachprüfbarkeit unmöglich machen. Wahlfälschung ist damit Tür und Tor geöffnet. Aber das ist heute nicht das Thema.)
Die Überraschung dieser neuen Umfrage sind die 10% von Heloísa Helena. Sie ist eine Art von brasilianischem Lafontaine. Bereits bei der Juni-Umfrage war sie mit 6 % als wichtigste Kandidatin der „kleinen“ Parteien aufgefallen, aber das hätte ein Ausreißer sein können. Mit den 10% der jetzigen Umfrage ist das auszuschließen. Natürlich heißt das noch lange nicht, daß sie bei den Wahlen 10% erreichen wird. Es sind noch fast drei Monate bis zu den Wahlen. Da kann noch viel geschehen.
Trotzdem Sieg
Trotzdem ist es bereits jetzt ein Sieg für sie, auf diese 10% gekommen zu sein. Das wären hochgerechnet auf etwa 100 Millionen brasilianische Wähler glatte 10 Millionen Brasilianer. Die symbolische Bedeutung dieser Zahl kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die faktische Bedeutung ist, daß damit ein zweiter Wahlgang in den Bereich des Möglichen rückt.
Seit Umfragen zu dieser Wahl durchgeführt werden, hat Präsident Lula immer mit so weitem Vorsprung geführt, daß er demnach im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit rechnen konnte und damit keine zweiter Wahlgang nötig wäre.
Nun aber ist die Möglichkleit, daß er unter 50% der abgegebenen gültigen Stimmen kommt, rechnerisch in den Bereich der Schwankungen der Umfrage gerückt. Entsprechend feierten die konservativen Parteien, die sich allesamt hinter dem Kandidaten Alckmin versammelt haben, bereits einen abzusehenden 2. Wahlgang zwischen Lula und Alckmin.
Tendenz nationales von sich zu geben
Der Vergleich von Heloísa Helena mit Lafontaine ist nicht ganz gerecht, denn sie hat keinen einzigen schwarzen Fleck auf ihrer Weste aufzuweisen, während Lafontaine bereits SPD-Vorsitzender und Kanzlerkandidat war, mitverantwortlich für die praktische Abschaffung des Asylrechts in Deutschland ist und eine Tendenz hat, Nationales von sich zu geben.
Aber ebenso wie Lafontaine war sie lange Zeit in der großen sozialdemokratischen Partei (in Brasilien die PT) und vertritt heute die Positionen, von denen sie sagt, sie stünden immer noch im Programm der PT, in der kleinen PSOL (Partei des Sozialismus und der Freiheit, die Abkürzung enthält gleichzeitig das Wort sol = Sonne).
Heloísa Helena ist bei weitem die bekannteste linke Persönlichkeit in Brasilien. Sie ist eine kleine, schlanke Person, sieht weit jünger aus als sie ist (sie ist 43 und wirkt wie 25) und hat eine Persönlichkeit von gigantischer Größe. Sie wuchs im bettelarmen Nordosten Brasiliens auf, im Bundesstaat Alagoas. Ihre Mutter war Näherin und „nähte sich die Hände wund“, um sie und ihren Bruder durchzubringen, nachdem Heloísas Vater bereits gestorben war, als sie noch klein war.
haare bis zum Knie
Als Kind war sie so krank, daß zu befürchten war, sie käme nicht durch. Rachitis, Asthma und Nierenprobleme. Ihre Mutter machte einen Schwur, der Kleinen die Haare nicht zu schneiden, wenn sie es bis zum 9. Lebensjahr schaffen sollte. Zu diesem Zeitpunkt erreichten ihre Haare die Knie. Seit damals sind die langen Haare eines der Markenzeichen von Heloisa Helena. Sie trägt sie aber fast nie offen.Vielmehr bindet sie sie zusammen, wie das Tradition bei den armen Frauen des brasilianischen Nordostens ist.
Sie ist diplomierte Krankenschwester und hat einen Lehrstuhl für Epidemiologie an der staatlichen Universität ihres Heimatstaates (von dem sie als Senatorin momentan ohne Bezüge freigestellt ist).
1985, noch während der Militärdiktatur, trat sie ins Lulas PT ein. In die Politik ging sie, wie sie sagt, um die ‚Usineiros’ beschimpfen zu können. In den Gegenden mit viel Zuckerrohranbau, so wie Alagoas, haben die Großgrundbesitzer, die Oligarchen der Region, nicht nur riesige Ländereien, sondern auch Zuckerfabriken (Usinas) und werden daher ‚Usineiros’ genannt.
Sie war als Stellvertretende Bürgermeisterin 1992 Teil des Teams, das sensationell die etablierten Kräfte in der Kommunalwahl in Maceió, der Hauptstadt von Alagoas, besiegte. 1994 zog sie als Bundestagsabgeordnete für Alagoas ins Parlament ein. 1998 schließlich wird sie zur Senatorin gewählt (in jedem Bundesstaat gibt es nur zwei Senatoren), einer der ersten Senatorenposten für die PT überhaupt.
Persoenliche Angriffe
Seither ist sie im Senat eine der beredesten Stimmen und wird von allen Reaktionären angefeindet. Mit Vorliebe werden persönlichste Angriffe tief unter der Gürtellinie benutzt. So behauptete zum Beispiel einer der wichtigsten Führer der Reaktionäre, Antonio Carlos Magalhães, kurz ACM genannt, ein getreues Abbild von Franz-Josef Strauss auf brasilianisch, er habe Einblick in die (geheimen) Wahlzettel gehabt, als der Senator Louis Estevão trotz eindeutiger Vergehen nicht seinen Senatorensitz abgesprochen bekam. Heloísa Helena habe gegen die Aberkennung gestimmt. Sie sei mit Estevão ins Bett gegangen.
Heloísas Kommentare: „Louis Estevão ist nicht mein Typ. Reiche und ordinäre Männer bringen mich zum Kotzen.“ „Das ist das Gewäsch von Hurenböcken am Bartisch.“
Bevor sie in das Plenum des Senats geht, bringt sie sich mit dem Zitieren von Psalmen in Form. „Ich brauche Schutz im Plenum. Mir laufen da die kalten Schauer herunter mit diesen Parasiten.“
Sie attackierte heftig die neoliberale Politik des damaligen Präsidenten Cardoso. Sie war überzeugt, so etwas könnte es unter einer PT-Regierung nicht geben. Welche Illusion!
2002 waren nicht nur Präsidentenwahlen (bei denen dann Lula gewählt wurde), sondern auch Gouverneurswahlen (die Gouverneure sind, wie in den Vereinigten Staaten, die Ministerpräsidenten der Teilstaaten, direkt vom Volk gewählt). Heloísa Helena sollte als Kandidatin für den Gouverneursposten in Alagoas aufgestellt werden und wäre nach den Umfragen auch gewählt worden. Aber die PT beschloß ein Wahlbündnis mit der PL (Liberale Partei). Heloísa Helena weigerte sich, für diese Koalition zu kandidieren. „Die PL repräsentiert in Alagoas genau jene Kräfte, gegen die ich angetreten bin.“
Sie wurde erneut in den Senat gewählt. Dann wurde nach Lulas Amtsantritt Anfang 2003 klar, daß er exakt die gleiche „neoliberale ökonomische Poltik vertieft, die von Collor angefangen und von FHC (Präsident Cardoso) weitergeführt wurde“.
Eklat bei der „Rentenreform“
Es kam zum Eklat bei der „Rentenreform“, sprich Kürzung von Renten und Rentenansprüchen. Heloísa weigert sich, für so etwas zu stimmen. Die PT verlangt Fraktionsdisziplin und droht mit Ausschluß. Das würde das Ende der politischen Karriere Heloísas bedeuten - jedenfalls aus der damaligen Sicht.
Sie, zusammen mit einigen wenigen Parlamentsabgeordneten der PT, bleibt standhaft. Vielen ist noch die Rede in Erinnerung, die sie damals, 2003, im Senat hielt, um ihre Nein-Stimme zu begründen. Mit Tränen in den Augen und zeitweise brechender Stimme verteidigte sie sich gegen die wutschnaubenden Angriffe der „Fürsten“ iher eigenen Partei, allen voran José Dirceu, heute bereits überführter Krimineller. Sie legt dar, daß sie es ist, die den Grundsätzen der Partei treu geblieben ist und daß die Partei das Volk verraten hat, belegt 10 Minuten lang mit Zitaten, daß die PT genau dies in all den Jahren vorher angeprangert hat und ausgeschlossen, daß sie selbst es machen würde.
Bezüglich der Drohung, sie aus der PT auszuschließen, sagte sie: „Es ist als würden sie mir mein Herz aus dem Leib reißen - sie können mir nicht die besten Jahre meines Lebens zurückgeben, die ich geopfert habe, um diese Partei mit aufzubauen.“ Nach diesen Worten trat eine Stille von fast einer Minute ein, während der die Rednerin nicht mehr in der Lage war, weiterzusprechen und verschiedentlich Schluchzer zu hören sind, von ihr, von anderen Senatoren und auch von Angestellten des Senats.
Protest-Demonstrationen gegen die Rentenreform
Ihr Protest blieb nicht nur bei Worten. Sie reihte sich damals auch in die Protest-Demonstrationen gegen die Rentenreform ein. Die Polizei im Auftrag Lulas löste einer der Demonstrationen mit Heloísa Helena an der Spitze mit brutaler Gewalt auf und verletzte die Senatorin ernsthaft. Seitdem kann sie wegen eines kaputten Knies nicht mehr die Langstreckenläufe machen, mit denen sie sich vorher entspannte.
Sie wurde zusammen mit den Bundestagsabgeordneten aus der PT ausgeschlossen, die gegen die neoliberale „Reform“ gestimmt haben. Sie gründete später zusammen mit ihnen die PSOL, die nun zu diesen Präsidentenwahlen zusammen mit den Überresten der alten Kommunistischen Partei und den Trotzkisten mit ihr als Spitzenkandidatin antritt.
Insoweit gibt es also schon auch Parallelen zu Lafontaine und auch die 10% in den Umfragen treffen ja etwa das, was die Linkspartei in den Umfragen vor der Bundestagswahl hatte.
Wäre Heloísa an einer persönlichen Karriere interessiert, hätte sie nun als Kandidatin für den Gouverneursposten in Alagoas antreten können, wo sie wahrscheinlich gewählt worden wäre. Sie opferte sich aber mit einer Präsidentschaftkandidatur, um die neue Partei bekannt zu machen und schafft so - wie die Umfragen zeigen - die dringend benötigte Alternative links von der PT.
Vielleicht knallen bei Brasiliens Konservativen zu früh die Sektkorken, wenn sie feiern, daß sie nun mit Lula in den zweiten Wahlgang kommen können, aber nicht sehen, daß da etwas heranwachsen könnte, das ihnen weit mehr Kopfzerbrechen bereiten dürfte als vier weitere Jahre Lula.
In Kürze beginnt in Brasilien die offizielle Wahlwerbung am Fernsehen. Die einzelnen Parteien bekommen dabei innerhalb der halbstündigen Sendungen dreimal am Tag soviel Minuten zugeteilt, wie es ihrem Stimmanteil bei den letzten Wahlen entspricht. Auf dieser Basis hat Alckmin deutlich mehr als die Hälfte der Sendezeit, Lula deutlich weniger und Heloísa nur Sekunden.Ihr Kommentar dazu: „Wie gut, daß ich wegen meinem Asthma gelernt habe zu reden ohne Luft zu holen.“
Zwar schwören die Brasilianer Stein und Bein, daß sie diese Wahlpropraganda gar nicht ansähen und überhaupt nicht beeinflußt würden, aber die Entwicklungen der Umfragen nach Beginn der Fernsehwerbung hat bisher noch immer das Gegenteil bewiesen. Die monatelange Wiederholung von Bildern von glücklichen Familien, die der Sonne entgegen laufen in Verbindung mit dem Bild eines Kandidaten hat Einfluß, ob man will oder nicht.
Aber wer weiß, vielleicht beweisen die Brasilianer diesmal genausoviel politische Reife wie die Deutschen im letzten Jahr und geben Heloísa 8 bis 10 % der Stimmen?
Sie hat übrigens schon angekündigt, daß sie nach einer Niederlage (und etwas anderes wäre ein politischer Tsunami) an ihren Arbeitsplatz als Hochschullehrerin in Maceió zurückkehren wird.
Kein anderer Kandidat kommt auf mehr als 1%. Dazu kommen mit 7% jene, die nicht wählen bzw. einen „weißen” oder ungültigen Wahlzettel abgeben wollen. (In Wirklichkeit gibt es in Brasilien keine Wahlzettel mehr. Das ganze System ist auf Wahlcomputer umgestellt, die wie die meisten in den USA auch, keinerlei Ausdruck herstellen und somit eine Nachprüfbarkeit unmöglich machen. Wahlfälschung ist damit Tür und Tor geöffnet. Aber das ist heute nicht das Thema.)
Die Überraschung dieser neuen Umfrage sind die 10% von Heloísa Helena. Sie ist eine Art von brasilianischem Lafontaine. Bereits bei der Juni-Umfrage war sie mit 6 % als wichtigste Kandidatin der „kleinen“ Parteien aufgefallen, aber das hätte ein Ausreißer sein können. Mit den 10% der jetzigen Umfrage ist das auszuschließen. Natürlich heißt das noch lange nicht, daß sie bei den Wahlen 10% erreichen wird. Es sind noch fast drei Monate bis zu den Wahlen. Da kann noch viel geschehen.
Trotzdem Sieg
Trotzdem ist es bereits jetzt ein Sieg für sie, auf diese 10% gekommen zu sein. Das wären hochgerechnet auf etwa 100 Millionen brasilianische Wähler glatte 10 Millionen Brasilianer. Die symbolische Bedeutung dieser Zahl kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Die faktische Bedeutung ist, daß damit ein zweiter Wahlgang in den Bereich des Möglichen rückt.
Seit Umfragen zu dieser Wahl durchgeführt werden, hat Präsident Lula immer mit so weitem Vorsprung geführt, daß er demnach im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit rechnen konnte und damit keine zweiter Wahlgang nötig wäre.
Nun aber ist die Möglichkleit, daß er unter 50% der abgegebenen gültigen Stimmen kommt, rechnerisch in den Bereich der Schwankungen der Umfrage gerückt. Entsprechend feierten die konservativen Parteien, die sich allesamt hinter dem Kandidaten Alckmin versammelt haben, bereits einen abzusehenden 2. Wahlgang zwischen Lula und Alckmin.
Tendenz nationales von sich zu geben
Der Vergleich von Heloísa Helena mit Lafontaine ist nicht ganz gerecht, denn sie hat keinen einzigen schwarzen Fleck auf ihrer Weste aufzuweisen, während Lafontaine bereits SPD-Vorsitzender und Kanzlerkandidat war, mitverantwortlich für die praktische Abschaffung des Asylrechts in Deutschland ist und eine Tendenz hat, Nationales von sich zu geben.
Aber ebenso wie Lafontaine war sie lange Zeit in der großen sozialdemokratischen Partei (in Brasilien die PT) und vertritt heute die Positionen, von denen sie sagt, sie stünden immer noch im Programm der PT, in der kleinen PSOL (Partei des Sozialismus und der Freiheit, die Abkürzung enthält gleichzeitig das Wort sol = Sonne).
Heloísa Helena ist bei weitem die bekannteste linke Persönlichkeit in Brasilien. Sie ist eine kleine, schlanke Person, sieht weit jünger aus als sie ist (sie ist 43 und wirkt wie 25) und hat eine Persönlichkeit von gigantischer Größe. Sie wuchs im bettelarmen Nordosten Brasiliens auf, im Bundesstaat Alagoas. Ihre Mutter war Näherin und „nähte sich die Hände wund“, um sie und ihren Bruder durchzubringen, nachdem Heloísas Vater bereits gestorben war, als sie noch klein war.
haare bis zum Knie
Als Kind war sie so krank, daß zu befürchten war, sie käme nicht durch. Rachitis, Asthma und Nierenprobleme. Ihre Mutter machte einen Schwur, der Kleinen die Haare nicht zu schneiden, wenn sie es bis zum 9. Lebensjahr schaffen sollte. Zu diesem Zeitpunkt erreichten ihre Haare die Knie. Seit damals sind die langen Haare eines der Markenzeichen von Heloisa Helena. Sie trägt sie aber fast nie offen.Vielmehr bindet sie sie zusammen, wie das Tradition bei den armen Frauen des brasilianischen Nordostens ist.
Sie ist diplomierte Krankenschwester und hat einen Lehrstuhl für Epidemiologie an der staatlichen Universität ihres Heimatstaates (von dem sie als Senatorin momentan ohne Bezüge freigestellt ist).
1985, noch während der Militärdiktatur, trat sie ins Lulas PT ein. In die Politik ging sie, wie sie sagt, um die ‚Usineiros’ beschimpfen zu können. In den Gegenden mit viel Zuckerrohranbau, so wie Alagoas, haben die Großgrundbesitzer, die Oligarchen der Region, nicht nur riesige Ländereien, sondern auch Zuckerfabriken (Usinas) und werden daher ‚Usineiros’ genannt.
Sie war als Stellvertretende Bürgermeisterin 1992 Teil des Teams, das sensationell die etablierten Kräfte in der Kommunalwahl in Maceió, der Hauptstadt von Alagoas, besiegte. 1994 zog sie als Bundestagsabgeordnete für Alagoas ins Parlament ein. 1998 schließlich wird sie zur Senatorin gewählt (in jedem Bundesstaat gibt es nur zwei Senatoren), einer der ersten Senatorenposten für die PT überhaupt.
Persoenliche Angriffe
Seither ist sie im Senat eine der beredesten Stimmen und wird von allen Reaktionären angefeindet. Mit Vorliebe werden persönlichste Angriffe tief unter der Gürtellinie benutzt. So behauptete zum Beispiel einer der wichtigsten Führer der Reaktionäre, Antonio Carlos Magalhães, kurz ACM genannt, ein getreues Abbild von Franz-Josef Strauss auf brasilianisch, er habe Einblick in die (geheimen) Wahlzettel gehabt, als der Senator Louis Estevão trotz eindeutiger Vergehen nicht seinen Senatorensitz abgesprochen bekam. Heloísa Helena habe gegen die Aberkennung gestimmt. Sie sei mit Estevão ins Bett gegangen.
Heloísas Kommentare: „Louis Estevão ist nicht mein Typ. Reiche und ordinäre Männer bringen mich zum Kotzen.“ „Das ist das Gewäsch von Hurenböcken am Bartisch.“
Bevor sie in das Plenum des Senats geht, bringt sie sich mit dem Zitieren von Psalmen in Form. „Ich brauche Schutz im Plenum. Mir laufen da die kalten Schauer herunter mit diesen Parasiten.“
Sie attackierte heftig die neoliberale Politik des damaligen Präsidenten Cardoso. Sie war überzeugt, so etwas könnte es unter einer PT-Regierung nicht geben. Welche Illusion!
2002 waren nicht nur Präsidentenwahlen (bei denen dann Lula gewählt wurde), sondern auch Gouverneurswahlen (die Gouverneure sind, wie in den Vereinigten Staaten, die Ministerpräsidenten der Teilstaaten, direkt vom Volk gewählt). Heloísa Helena sollte als Kandidatin für den Gouverneursposten in Alagoas aufgestellt werden und wäre nach den Umfragen auch gewählt worden. Aber die PT beschloß ein Wahlbündnis mit der PL (Liberale Partei). Heloísa Helena weigerte sich, für diese Koalition zu kandidieren. „Die PL repräsentiert in Alagoas genau jene Kräfte, gegen die ich angetreten bin.“
Sie wurde erneut in den Senat gewählt. Dann wurde nach Lulas Amtsantritt Anfang 2003 klar, daß er exakt die gleiche „neoliberale ökonomische Poltik vertieft, die von Collor angefangen und von FHC (Präsident Cardoso) weitergeführt wurde“.
Eklat bei der „Rentenreform“
Es kam zum Eklat bei der „Rentenreform“, sprich Kürzung von Renten und Rentenansprüchen. Heloísa weigert sich, für so etwas zu stimmen. Die PT verlangt Fraktionsdisziplin und droht mit Ausschluß. Das würde das Ende der politischen Karriere Heloísas bedeuten - jedenfalls aus der damaligen Sicht.
Sie, zusammen mit einigen wenigen Parlamentsabgeordneten der PT, bleibt standhaft. Vielen ist noch die Rede in Erinnerung, die sie damals, 2003, im Senat hielt, um ihre Nein-Stimme zu begründen. Mit Tränen in den Augen und zeitweise brechender Stimme verteidigte sie sich gegen die wutschnaubenden Angriffe der „Fürsten“ iher eigenen Partei, allen voran José Dirceu, heute bereits überführter Krimineller. Sie legt dar, daß sie es ist, die den Grundsätzen der Partei treu geblieben ist und daß die Partei das Volk verraten hat, belegt 10 Minuten lang mit Zitaten, daß die PT genau dies in all den Jahren vorher angeprangert hat und ausgeschlossen, daß sie selbst es machen würde.
Bezüglich der Drohung, sie aus der PT auszuschließen, sagte sie: „Es ist als würden sie mir mein Herz aus dem Leib reißen - sie können mir nicht die besten Jahre meines Lebens zurückgeben, die ich geopfert habe, um diese Partei mit aufzubauen.“ Nach diesen Worten trat eine Stille von fast einer Minute ein, während der die Rednerin nicht mehr in der Lage war, weiterzusprechen und verschiedentlich Schluchzer zu hören sind, von ihr, von anderen Senatoren und auch von Angestellten des Senats.
Protest-Demonstrationen gegen die Rentenreform
Ihr Protest blieb nicht nur bei Worten. Sie reihte sich damals auch in die Protest-Demonstrationen gegen die Rentenreform ein. Die Polizei im Auftrag Lulas löste einer der Demonstrationen mit Heloísa Helena an der Spitze mit brutaler Gewalt auf und verletzte die Senatorin ernsthaft. Seitdem kann sie wegen eines kaputten Knies nicht mehr die Langstreckenläufe machen, mit denen sie sich vorher entspannte.
Sie wurde zusammen mit den Bundestagsabgeordneten aus der PT ausgeschlossen, die gegen die neoliberale „Reform“ gestimmt haben. Sie gründete später zusammen mit ihnen die PSOL, die nun zu diesen Präsidentenwahlen zusammen mit den Überresten der alten Kommunistischen Partei und den Trotzkisten mit ihr als Spitzenkandidatin antritt.
Insoweit gibt es also schon auch Parallelen zu Lafontaine und auch die 10% in den Umfragen treffen ja etwa das, was die Linkspartei in den Umfragen vor der Bundestagswahl hatte.
Wäre Heloísa an einer persönlichen Karriere interessiert, hätte sie nun als Kandidatin für den Gouverneursposten in Alagoas antreten können, wo sie wahrscheinlich gewählt worden wäre. Sie opferte sich aber mit einer Präsidentschaftkandidatur, um die neue Partei bekannt zu machen und schafft so - wie die Umfragen zeigen - die dringend benötigte Alternative links von der PT.
Vielleicht knallen bei Brasiliens Konservativen zu früh die Sektkorken, wenn sie feiern, daß sie nun mit Lula in den zweiten Wahlgang kommen können, aber nicht sehen, daß da etwas heranwachsen könnte, das ihnen weit mehr Kopfzerbrechen bereiten dürfte als vier weitere Jahre Lula.
In Kürze beginnt in Brasilien die offizielle Wahlwerbung am Fernsehen. Die einzelnen Parteien bekommen dabei innerhalb der halbstündigen Sendungen dreimal am Tag soviel Minuten zugeteilt, wie es ihrem Stimmanteil bei den letzten Wahlen entspricht. Auf dieser Basis hat Alckmin deutlich mehr als die Hälfte der Sendezeit, Lula deutlich weniger und Heloísa nur Sekunden.Ihr Kommentar dazu: „Wie gut, daß ich wegen meinem Asthma gelernt habe zu reden ohne Luft zu holen.“
Zwar schwören die Brasilianer Stein und Bein, daß sie diese Wahlpropraganda gar nicht ansähen und überhaupt nicht beeinflußt würden, aber die Entwicklungen der Umfragen nach Beginn der Fernsehwerbung hat bisher noch immer das Gegenteil bewiesen. Die monatelange Wiederholung von Bildern von glücklichen Familien, die der Sonne entgegen laufen in Verbindung mit dem Bild eines Kandidaten hat Einfluß, ob man will oder nicht.
Aber wer weiß, vielleicht beweisen die Brasilianer diesmal genausoviel politische Reife wie die Deutschen im letzten Jahr und geben Heloísa 8 bis 10 % der Stimmen?
Sie hat übrigens schon angekündigt, daß sie nach einer Niederlage (und etwas anderes wäre ein politischer Tsunami) an ihren Arbeitsplatz als Hochschullehrerin in Maceió zurückkehren wird.
sfux - 21. Jul, 09:53 Article 2365x read