Pentagons „Blutgrenzen“ in Nahost (Teil 2)- Umstrittene US-Pläne
Malte Olschewski - ---3.10.2006 ---- Der vom Pentagon geleitete Militärtheoretiker Ralph Peters lässt in seinem umstrittenen Artikel „Blood Borders“ (Armed Forces Journal“ 2006/06) den bisherige Verbündete Pakistan nicht ungeschoren. Der grossteils von Paschtunen besiedelte Norden soll zur Gänze Afghanistan zugeschlagen werden. Und im Westen würde mit dem „Freien Belutschistan“ ein ethnisch reiner Staat des iranischen Belutschen-Stammes entstehen.
Die pakistanische Tageszeitung „Dawn“ sieht hier eine „Retribalisierung“ und eine Rückkehr zum Stammesdenken. Zwischen den US-Plänen und den erst kürzlich ausgebrochenen Aufständen in Belutschistan bestünde einen Zusammenhang. Ein Hintergrund für die Halbierung Pakistans mag die Unzufriedenheit der USA mit dem Militärdiktator Pervez Musharraf in Islamabad gewesen sein. Seiner Armee will womöglich mit Absicht die Kontrolle der Paschtunenstämme in den „Northern Territories“ nicht gelingen.
Diese Stämme verbergen Osama Bin Laden und seine Anhänger. Sie haben auch zum Erstarken der Taliban im Süden Afghanistans beigetragen. Mit der erst kürzlich erfolgten Konsolidierung der Taliban im Raum von Kandahar hat Peters nicht gerechnet. Er setzt historische Irrtümer fort, die ein befriedetes Afghanistan nur durch eine Vereinigung der dominanten Paschtunenstämme für möglich halten. Hierbei wird ein gutes Dutzend anderer Volksgruppen Afghanistans wie die Tadschiken, Mongolen oder Usbeken beiseite gelassen.
Peters glaubt in einem sich fortpflanzenden Irrtum, dass ein durch heimkehrende Paschtunen aus Pakistan bereichertes Afghanistan den USA gehorchen und vor allem die geplanten Öl-Pipeline aus Zentralasien nach Karachi akzeptieren würde. Daher wird Afghanistan durch die pakistanischen „Northern Territories“ zu Gross-Afghanistan. angereichert. „Gross“ werden all jene, die den USA genehm sind.
Es muss auch der Iran für ein „Freies Belutschistan“ seinen Beitrag leisten, zumal Belutschen zu den iranischen Völkern zählen. Ausserdem werden dem Iran nördliche Gebiete abgetrennt und mit einem „Gross-Aserbeidschan“ vereinigt, da das Regime Alijew in Baku amerikanische Wünsche nach Öl so vorbildlich erfüllt hat. Des weiteren soll dem Iran ein Großteil der Ölgebiete im Südwesten und an der Golfküste genommen und dem irakischen „Schiitistan“ zugeschlagen werden.
Ebenso muss der Iran zur Arrondierung des Kurdenstaates seinen Beitrag leisten. Ein „Freies Kurdistan“ von Diyabakir bis Täbris wäre dem Westen und den USA wie kein Staat zwischen Bulgarien und Japan dankbar und ergeben, heisst es in dem Papier. Bagdad könnte eine internationalisierte Hauptstadt werden. Drei Provinzen nördlich von Bagdad würden einen kleinen Sunnitenstaat ohne Öl ergeben, der sich zu einem späteren Zeitpunkt Syrien anschliessen müsste. Syrien verliert seine Mittelmeerküste, die an ein Gross-Libanon geht. „Phoenicia reborn!“ ruft Peters zum Beweis seines irrationalen Geschichtsverständnisses aus.
Einmal entstandenen und untergegangenen Grossreichen, so eine Übereinkunft unter Historikern, sollte mit allen Mitteln eine Wiedergeburt oder Wiederaufführung versagt werden.
Die Balkanisierung des Mittleren Ostens geht offenbar von der trügerischen Annahme aus, dass die neuen oder erweiterten Staaten dankbare und gefügige Diener der USA werden würden. Abgesehen davon, das Peters von der Bevölkerungszusammensetzung verschiedener Länder keine Ahnung hat, übt er sich in Vereinfachungen. Er beruft sich auf eine krude und primitive Geschichtsauffassung: „If the borders cannot be amended to reflect the natural ties of blood and faith, we may take it as an article of faith that a portion of the bloodshed in the region will continue to be our own.“ (Wenn die Grenzen nicht verändert werden können, um die natürlichen Bande des Bluts und des Glaubens zu spiegeln, dann können wird es als einen Glaubensartikel nehmen, dass ein Teil des in der Region vergossenen Blutes auch unser eigenes ist.) Weiter schreibt Peters: „Grenzen haben sich über die Jahrhunderte immer verändert. Grenzen sind nie statisch gewesen und viele Grenzen vom Kongo über den Kosovo bis zum Kaukasus ändern sich jetzt und heute...“
Abgesehen von der Tatsache, dass im Kongo und im Kosovo derzeit keine Grenzen verändert werden, kommen die von Peters proklamierten Grenzen entlang des Blutes und des Glaubens der NS-Ideologie sehr nahe. Damals hatten Theoretiker ein „ständiges Fliessen von Staatsgrenzen“ festgestellt, die dem „biologischen Zug der Stämme und Volksgruppen“ folgen würde.
Zwei Weltkriege waren die Folge dieser den Völkern nachfliessenden Grenzen. Es ist richtig, dass die Grenzen in Nahost nach Untergang des Osmanischen Reiches im Sykes-Picot-Abkommen willkürlich gezogen worden sind. Aber willkürlich oder mit Gewalt geschaffene Grenzen können sich über die Jahrzehnte zu anerkannten Grenzen verfestigen. Eine Änderung von Grenzen bedeutet in den meisten Fällen Krieg.
Gerade das „Einfrieren“ der Grenzen nach 1945 hat viele Kriege verhindert. Darum hütet die UNO die Unantastbarkeit nationaler Grenzen wie einen Augapfel. Darum sieht das Völkerrecht so viele Bedingungen für die Staatswerdung eine ethnischen Minorität vor. Und daher können die „Bloodborders“ nur in einem ungeheuren Blutbad, in einem dritten Weltkrieg und möglicherweise in einem atomaren Armageddon gezogen werden.
Teil 1: Pentagons „Blutgrenzen“ in Nahost - Proteste gegen US-Pläne für Neuordnung der Krisenregion
Die pakistanische Tageszeitung „Dawn“ sieht hier eine „Retribalisierung“ und eine Rückkehr zum Stammesdenken. Zwischen den US-Plänen und den erst kürzlich ausgebrochenen Aufständen in Belutschistan bestünde einen Zusammenhang. Ein Hintergrund für die Halbierung Pakistans mag die Unzufriedenheit der USA mit dem Militärdiktator Pervez Musharraf in Islamabad gewesen sein. Seiner Armee will womöglich mit Absicht die Kontrolle der Paschtunenstämme in den „Northern Territories“ nicht gelingen.
Diese Stämme verbergen Osama Bin Laden und seine Anhänger. Sie haben auch zum Erstarken der Taliban im Süden Afghanistans beigetragen. Mit der erst kürzlich erfolgten Konsolidierung der Taliban im Raum von Kandahar hat Peters nicht gerechnet. Er setzt historische Irrtümer fort, die ein befriedetes Afghanistan nur durch eine Vereinigung der dominanten Paschtunenstämme für möglich halten. Hierbei wird ein gutes Dutzend anderer Volksgruppen Afghanistans wie die Tadschiken, Mongolen oder Usbeken beiseite gelassen.
Peters glaubt in einem sich fortpflanzenden Irrtum, dass ein durch heimkehrende Paschtunen aus Pakistan bereichertes Afghanistan den USA gehorchen und vor allem die geplanten Öl-Pipeline aus Zentralasien nach Karachi akzeptieren würde. Daher wird Afghanistan durch die pakistanischen „Northern Territories“ zu Gross-Afghanistan. angereichert. „Gross“ werden all jene, die den USA genehm sind.
Es muss auch der Iran für ein „Freies Belutschistan“ seinen Beitrag leisten, zumal Belutschen zu den iranischen Völkern zählen. Ausserdem werden dem Iran nördliche Gebiete abgetrennt und mit einem „Gross-Aserbeidschan“ vereinigt, da das Regime Alijew in Baku amerikanische Wünsche nach Öl so vorbildlich erfüllt hat. Des weiteren soll dem Iran ein Großteil der Ölgebiete im Südwesten und an der Golfküste genommen und dem irakischen „Schiitistan“ zugeschlagen werden.
Ebenso muss der Iran zur Arrondierung des Kurdenstaates seinen Beitrag leisten. Ein „Freies Kurdistan“ von Diyabakir bis Täbris wäre dem Westen und den USA wie kein Staat zwischen Bulgarien und Japan dankbar und ergeben, heisst es in dem Papier. Bagdad könnte eine internationalisierte Hauptstadt werden. Drei Provinzen nördlich von Bagdad würden einen kleinen Sunnitenstaat ohne Öl ergeben, der sich zu einem späteren Zeitpunkt Syrien anschliessen müsste. Syrien verliert seine Mittelmeerküste, die an ein Gross-Libanon geht. „Phoenicia reborn!“ ruft Peters zum Beweis seines irrationalen Geschichtsverständnisses aus.
Einmal entstandenen und untergegangenen Grossreichen, so eine Übereinkunft unter Historikern, sollte mit allen Mitteln eine Wiedergeburt oder Wiederaufführung versagt werden.
Die Balkanisierung des Mittleren Ostens geht offenbar von der trügerischen Annahme aus, dass die neuen oder erweiterten Staaten dankbare und gefügige Diener der USA werden würden. Abgesehen davon, das Peters von der Bevölkerungszusammensetzung verschiedener Länder keine Ahnung hat, übt er sich in Vereinfachungen. Er beruft sich auf eine krude und primitive Geschichtsauffassung: „If the borders cannot be amended to reflect the natural ties of blood and faith, we may take it as an article of faith that a portion of the bloodshed in the region will continue to be our own.“ (Wenn die Grenzen nicht verändert werden können, um die natürlichen Bande des Bluts und des Glaubens zu spiegeln, dann können wird es als einen Glaubensartikel nehmen, dass ein Teil des in der Region vergossenen Blutes auch unser eigenes ist.) Weiter schreibt Peters: „Grenzen haben sich über die Jahrhunderte immer verändert. Grenzen sind nie statisch gewesen und viele Grenzen vom Kongo über den Kosovo bis zum Kaukasus ändern sich jetzt und heute...“
Abgesehen von der Tatsache, dass im Kongo und im Kosovo derzeit keine Grenzen verändert werden, kommen die von Peters proklamierten Grenzen entlang des Blutes und des Glaubens der NS-Ideologie sehr nahe. Damals hatten Theoretiker ein „ständiges Fliessen von Staatsgrenzen“ festgestellt, die dem „biologischen Zug der Stämme und Volksgruppen“ folgen würde.
Zwei Weltkriege waren die Folge dieser den Völkern nachfliessenden Grenzen. Es ist richtig, dass die Grenzen in Nahost nach Untergang des Osmanischen Reiches im Sykes-Picot-Abkommen willkürlich gezogen worden sind. Aber willkürlich oder mit Gewalt geschaffene Grenzen können sich über die Jahrzehnte zu anerkannten Grenzen verfestigen. Eine Änderung von Grenzen bedeutet in den meisten Fällen Krieg.
Gerade das „Einfrieren“ der Grenzen nach 1945 hat viele Kriege verhindert. Darum hütet die UNO die Unantastbarkeit nationaler Grenzen wie einen Augapfel. Darum sieht das Völkerrecht so viele Bedingungen für die Staatswerdung eine ethnischen Minorität vor. Und daher können die „Bloodborders“ nur in einem ungeheuren Blutbad, in einem dritten Weltkrieg und möglicherweise in einem atomaren Armageddon gezogen werden.
Teil 1: Pentagons „Blutgrenzen“ in Nahost - Proteste gegen US-Pläne für Neuordnung der Krisenregion
sfux - 3. Okt, 08:03 Article 4414x read