Wie mit den Augen eines Außerirdischen (1)

Harald Haack - Der Schweizer Fernseh-Meteorologe Jörg Kachelmann geriet mitten in seiner Wetter-Show beim Aussprechen des Namens eines Fotografen ins Stottern: Koshima Aki, britischer Schauspieler und Fotograf, hatte im Hamburger Hafen eine stürmische Szene unglaublich malerisch schön eingefangen und dem „Wettermacher“ für dessen Wetterbericht nur so zum Spaß zur Verfügung gestellt. Die Zeitschrift „Computer-Foto“ prämierte mehrfach hintereinander die von Koshima Aki auch nur zum Spaß eingesandten Fotos. Nachdem er auch zu anderen Foto-Zeitschriften seine Fotos einsandte und sich die Auszeichnungen in Form von Fotobearbeitungssoftwares stapelten, wusste er, dass er fotografieren kann und dass seine Fotos gerne gesehen wurden. Ärgerlich war nur, dass es jedes Mal ein und dieselbe Softwareversion war, die er erhielt.
Japan ist weit. Auch für Koshima Aki. Obwohl er einst auf dem Wunsch seines Vaters hin, der als Diplomat in Bonn wirkte, in Kyoto mehrere Jahre lang als Novize eines buddhistischen Klosters lebte und mit der Zeit zum Zen-Meister wurde, kann er sich nicht mehr vorstellen woanders als in Europa wie ein Außerirdischer unter den Menschen zu leben und zu schauen.

Steine unter einer Themse-Brücke.
© 2002 Foto: Koshima Aki

Alter hölzerner Stützpfeiler einer alten Kajenanlage im Hafen von Gent.
© 2003 Foto: Koshima Aki

Unter einer zugeschütteten Brücke des Hamburger Hafens.
© 2004 Foto: Koshima Aki

Schlackesteine und rostiger Eisenring unter der Großen Elbbrücke in Hamburg.
© 2004 Foto: Koshima Aki
Den Zen-Bogen tauschte er gegen eine digitale Fotokamera – natürlich „Made in Japan“. Vor allem die Spuren menschlicher Zivilisation haben es ihm angetan. Völlig banale Dinge in den schattigen Randzonen der Städte entdeckt er für sich neu und erkennt in ihnen sensationelle Kulturgüter – als käme er aus einer anderen Welt.

Die Rosen eines Pariser Friedhofswärters.
© 2005 Foto: Koshima Aki

Junge Birkenstämme in schwarzem Straßensplit in Kilmahog/Scotland.
© 2002 Foto: Koshima Aki

Eines seiner mehrfach ausgezeichneten Fotos: Objektiv einer alten polnischen Plattenkamera und Schwanenfeder.
© 2001 Foto: Koshima Aki
Er fotografierte in den dunklen, dreckigen Ecken unter Brücken der europäischen Metropolen. Nicht er sucht nach den Motiven für seine Fotos, sondern die Motive suchen ihn und er folgt ihren Rufen, fühlt sich von ihnen gelenkt als seien es Gespenster. Aber Gespenster sollen angeblich auch intrigant sein. In London holte ihn die Metropolitan Police von einem Brückengeländer, auf dem er sich gesetzt hatte, um eine bessere Sicht auf ein unter der Brücke existierendes Motiv zu haben. Für 48 Stunden hielten sie ihn fest, verhörten ihn und verdächtigten ihn als Terrorist. Danach hatte er, wie er gerne behauptet, die Schnauze von London mit den allgegenwärtigen Überwachungskameras und hysterischer Terrorangst voll, kaufte sich ein Flugticket und flog nach Paris, wo er bald vergammelnde Blumen der Grabgestecke auf Friedhöfen fotografierte und prompt als Grabschänder verdächtigt wurde. Ein Friedhofswärter hatte wegen der eigenartigen Liebe von Koshima Aki zu verwelkenden Blumen so sehr Mitleid mit ihm, dass er einen Strauß frischer roter Rosen kaufte und ihm schenkte.
Nachdem ihm auf dem europäischen Kontinent das Geld zur Neige ging, trampte er zurück nach London und wurde wieder bei seinem Agenten vorstellig, der ihn für Werbefilmproduktionen als Darsteller vermittelte. Obwohl Bühnenrollen für Asiaten wohl eher rar sind, erhielt er dennoch eines Tages ein Engagement eines kleinen, jungen Theaters in Edinburgh. Wie er damit wirtschaftlich so gut überleben kann, ist mir oft ein Rätsel. Aber er ist kein Krimineller, dealt nicht mit Drogen und raubt keine Banken aus. Entweder ist er tatsächlich ein Außerirdischer oder aber er folgte den väterlichen Spuren und arbeitet als einer unter den vielen unbekannten und unsichtbaren Geheimnisträgern im Auftrag ihrer Majestät. Obwohl er jede Spekulation darüber dementiert, könnten seine künstlerischen Fotos ihn verraten. Immerhin offenbaren sie seinen Hang zu Operationen im Verborgenen. Und die Möglichkeit einen gut bezahlten Job im „Staatsdienst“ zu erhalten, wenn man nur einmal kurz aufs Geländer der Londoner Albert-Bridge steigt und daraufhin verhaftet wird, ist, nach britischen Maßstäben, nicht auszuschließen.

sfux - 30. Nov, 08:11 Article 1312x read