„Minarette sind Bajonette!“
Kemalismus versus Islamismus im Balanceakt der Türkei
Malte Olschewski - Von oben dekretiert der Kemalismus und von unten drängt der Islam heran, sodass es einmal zur Kollision kommen muss. Hatte bis in die Achtzigerjahre der von Staatsgründer Kemal Atatürk verordnete Laizismus und die Trennung von Staat und Religion gegolten, so ist seitdem ein ständiger Vormarsch des fundamentalen Islams festzustellen. Nationalismus und Islamismus haben auch zu jenen Schwierigkeiten geführt, die Ankara mit dem EU-Beitritt und mit dem Besuch des Papstes hat. Die EU hat nun weitere Schritte zu einem Beitritt auf Eis gelegt. Fast zeitgleich hat der Papst bei seinem Besuch in Istanbul zusammen mit dem orthodoxen Patriarchen Bartholomaois Religionsfreiheit für die Christen in der Türkei gefordert.
Der Kemalismus und die Modernisierung der Türkei waren von oben verordnet und hatten die ländlichen Massen in Anatolien kaum erfasst. Der Kemalismus betont die Einzigartigkeit des Türkentums und sieht im Islam ein natürliches Bedürfnis. Der Islamismus greift über die Türkei und Nationalität hinaus und sieht die Türken als Mitglieder der weltumspannenden moslemischen Gemeinschaft. Beide Strömungen ergänzen und bekämpfen einander. Nationalistische Ausbrüche haben oft religiöse Untertöne. (Siehe Udo Steinbach: „Geschichte der Türkei“)
Es ist vor allem der übersteigerte fieberhafte Nationalismus, der einen EU-Beitritt verhindert. In Europa ist nach vielen Kriegen und Opfern der übersteigerte Nationalismus oder Chauvinismus als zerstörende Kraft erkannt und in den Bereich der Folklore verwiesen worden. Doch in der Türkei wird schon den Schulkindern der Satz Atatürks eingehämmert: „Glücklich ist der, der sagen kann: Ich bin ein Türke!“ Und als einmal Kurden aus Protest die türkische Fahne verbrannten, liess Generalstabschef Harun Ötztürk sofort wissen: „Die erhabene türkische Nation wird ihre Fahne bis zum letzten Blutstropfen verteidigen.“
Die Polizei trug damals als Zeichen des Protestes eine 1500 Meter lange Nationalfahne durch Istanbul. Bei Fußball gegen eine europäische Mannschaft klingen oft drohende Schlachtrufe von den Tribünen: „Europa! Höre unsere Stimme! / Was Du hörst, sind die Schritte der Türken./ Niemand kann es mit den Türken aufnehmen. / Europa, Du Schlampe! / Nimm Dich in Acht! „ Begeisterung erfasst das Land, wenn in einem internationalen Wettbewerbe ein türkisches Team den ersten Preis gewinnt.
Getränkehändler zerschlugen TV-wirksam hunderte Flaschen mit französischem Rotwein, als die Pariser Nationalversammlung die Leugnung des Genozids an Armeniern unter Strafe stellte. In den letzten Monaten sind auch immer öfter Übergriffe gegen türkische Christen zu verzeichnen. Die wenigen Christen des Landes, etwa 0,2 Prozent der Bevölkerung, beklagen sich über wachsende Repressionen. Der katholische Bischof von Iskenderun, Luigi Padovese, musste um Personenschutz ansuchen. Mehrere Christen sind angeklagt, für ihre Religion öffentlich geworben zu haben, was durch den Paragraphen über „Beleidigung des Türkentums“ bestraft werden kann.
Das türkische Militär hatte auch nach dem Tod von Kemal Atatürk 1938 das Heft in der Hand behalten. Die bisherige Einheitspartei, die Republikanische Volkspartei, erhielt nach Kriegsende Konkurrenz durch den Anti-Kemalisten Adnan Menderes, dessen „Demokratische Partei“ 1950 die Wahlen gewann. Menderes sympathisierte als Ministerpräsident mit islamischen Kräften. Am 6. und 7.9.1955 kam es in Istanbul zu schweren Ausschreitungen gegen die christliche Minderheit. Menderes wurde 1960 vom Militär gestürzt und nach einem fragwürdigen Todesurteil auch gehenkt. Das Militär behielt über den „Nationalen Sicherheitsrat“ weiterhin Einfluss auf die Politik, denn der türkischer Offizier hatte nicht nur sein Land gegen äussere, sondern auch die Prinzipien des Kemalismus gegen innere Feinde zu verteidigen. 1980 kam es zu einem neuen Putsch, der sich vor allem gegen linke Kräfte richtete. Das Militär setzte dabei erstmals den Islam als Instrument gegen die Linke ein.
Bisherige religiöse Einschränkungen wurden aufgehoben. Islamische Parteien waren bald auf dem Vormarsch, bis ihnen das Militär Einhalt gebot. Necmettin Erbakan wagte sich als Ministerpräsident mit seiner islamische Wohlfahrts-Partei („Refah“) am weitesten vor, wurde aber 1997 von den Generälen entmachtet. Es kam zu einem zähen Kampf zwischen dem Militär und islamistisch orientierten Parteien. In den beiden letzten Jahrzehnten erscheint die türkische Politik von der Konfrontation zwischen den Kemalisten und Islamisten geprägt, die zusätzlich von sozialistischen und konservativen Orientierungen überlagert wird. Es kam zu politischen Prozessen, in denen den Angeklagten die Ausübungen politischer Ämter verboten wurde. Parteien sind aufgelöst und neu gegründet worden. In einer verhängnisvollen Verfassungsänderung wurde eine Zehnprozent-Klausel bei Wahlen für das Parlament beschlossen.
Das alles hat zur Popularität eines Gefolgsmannes von Erbakan beigetragen. Der Istanbuler Bürgermeisters Recep Erdogan hat in mehreren Prozesses den Umgang mit kemalistischen Mächten gelernt. Er hatte bei einer Rede in Sirt ein Gedicht des Dichetsr Ziya Gökalp zitiert: „Die Moscheen sind unsere Kasernen. Die Minarette sind unsere Bajonette. Und die Kuppeln sind unsere Helme.“ Dafür erhielt er eine Haftstrafe mit einem folgenden Verbot politischer Betätigung. Über Vertraute liess Erdogan die „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ (AKP) gründen. Eine wachsende Anhängerschaft erreichte auch eine Aufhebung des Politikverbotes. Die AKP erreichte beiden den Wahlen von 2002 rund 30 Prozent, stellte aber auf Grund der neuen Gesetze 363 der 500 Abgeordneten.
Erdogan meidet eine direkte Konfrontation mit den Generälen. Er präsentiert die AKP als eine konservative, islamorientierte Partei und vergleicht sie gern mit der CDU in Deutschland. Die türkische Linke und europäische Beobachter wie Bassam Tibi („Mit dem Kopftuch nach Europa“) sehen in ihm einen unverbesserlichen Islamisten, der den Konservativen nur vortäuscht. Seine Gattin ist beharrliche Kopftuchträgerin und wird daher zu Empfängen des kemalistischen Staatschefs Nezer nicht eingeladen. Um dem in allen staatlichen Institutionen geltenden Kopftuch-verbot zu entgehen, lässt Erdogan seine beiden Töchter in den USA studieren. Beim Besuch des Geburtshauses von Kemal Atatürk in Saloniki hat Erdogan aus dem Gästebuch eine Seite herausgerissen, auf der ihm ein Besucher Verrat am Staatsgründer vorge-worfen hatte.
Die Kemalisten sind über die Zukunftspläne Erdogans äussert beunruhigte, denn 2007 muss das Parlament einen neuen Staatschef wählen. Mit seiner Mehrheit könnte Erdogan diesen Posten übernehmen und dann an die Ausschalktung der Kemalisten in Schlüsselpositionen gehen. Sein politischer Partner und derzeitige Aussenminister Abdullah Gül würde dabei die Regierung übernehmen. Der bisherige Staatschef, der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Ahmed Sezer, hatte sich regelmässig dem Vormarsch der Islamisten in den Weg gestellt. Da der Staatschef auch den Nationalen Sicherheitsrat leitet, würden Erdogan und Gül vermehrte Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Ziele erhalten. Die Generäle wissen von diesem Szenarium und könnten mit einem Putsch antworten.
Malte Olschewski - Von oben dekretiert der Kemalismus und von unten drängt der Islam heran, sodass es einmal zur Kollision kommen muss. Hatte bis in die Achtzigerjahre der von Staatsgründer Kemal Atatürk verordnete Laizismus und die Trennung von Staat und Religion gegolten, so ist seitdem ein ständiger Vormarsch des fundamentalen Islams festzustellen. Nationalismus und Islamismus haben auch zu jenen Schwierigkeiten geführt, die Ankara mit dem EU-Beitritt und mit dem Besuch des Papstes hat. Die EU hat nun weitere Schritte zu einem Beitritt auf Eis gelegt. Fast zeitgleich hat der Papst bei seinem Besuch in Istanbul zusammen mit dem orthodoxen Patriarchen Bartholomaois Religionsfreiheit für die Christen in der Türkei gefordert.
Der Kemalismus und die Modernisierung der Türkei waren von oben verordnet und hatten die ländlichen Massen in Anatolien kaum erfasst. Der Kemalismus betont die Einzigartigkeit des Türkentums und sieht im Islam ein natürliches Bedürfnis. Der Islamismus greift über die Türkei und Nationalität hinaus und sieht die Türken als Mitglieder der weltumspannenden moslemischen Gemeinschaft. Beide Strömungen ergänzen und bekämpfen einander. Nationalistische Ausbrüche haben oft religiöse Untertöne. (Siehe Udo Steinbach: „Geschichte der Türkei“)
Es ist vor allem der übersteigerte fieberhafte Nationalismus, der einen EU-Beitritt verhindert. In Europa ist nach vielen Kriegen und Opfern der übersteigerte Nationalismus oder Chauvinismus als zerstörende Kraft erkannt und in den Bereich der Folklore verwiesen worden. Doch in der Türkei wird schon den Schulkindern der Satz Atatürks eingehämmert: „Glücklich ist der, der sagen kann: Ich bin ein Türke!“ Und als einmal Kurden aus Protest die türkische Fahne verbrannten, liess Generalstabschef Harun Ötztürk sofort wissen: „Die erhabene türkische Nation wird ihre Fahne bis zum letzten Blutstropfen verteidigen.“
Die Polizei trug damals als Zeichen des Protestes eine 1500 Meter lange Nationalfahne durch Istanbul. Bei Fußball gegen eine europäische Mannschaft klingen oft drohende Schlachtrufe von den Tribünen: „Europa! Höre unsere Stimme! / Was Du hörst, sind die Schritte der Türken./ Niemand kann es mit den Türken aufnehmen. / Europa, Du Schlampe! / Nimm Dich in Acht! „ Begeisterung erfasst das Land, wenn in einem internationalen Wettbewerbe ein türkisches Team den ersten Preis gewinnt.
Getränkehändler zerschlugen TV-wirksam hunderte Flaschen mit französischem Rotwein, als die Pariser Nationalversammlung die Leugnung des Genozids an Armeniern unter Strafe stellte. In den letzten Monaten sind auch immer öfter Übergriffe gegen türkische Christen zu verzeichnen. Die wenigen Christen des Landes, etwa 0,2 Prozent der Bevölkerung, beklagen sich über wachsende Repressionen. Der katholische Bischof von Iskenderun, Luigi Padovese, musste um Personenschutz ansuchen. Mehrere Christen sind angeklagt, für ihre Religion öffentlich geworben zu haben, was durch den Paragraphen über „Beleidigung des Türkentums“ bestraft werden kann.
Das türkische Militär hatte auch nach dem Tod von Kemal Atatürk 1938 das Heft in der Hand behalten. Die bisherige Einheitspartei, die Republikanische Volkspartei, erhielt nach Kriegsende Konkurrenz durch den Anti-Kemalisten Adnan Menderes, dessen „Demokratische Partei“ 1950 die Wahlen gewann. Menderes sympathisierte als Ministerpräsident mit islamischen Kräften. Am 6. und 7.9.1955 kam es in Istanbul zu schweren Ausschreitungen gegen die christliche Minderheit. Menderes wurde 1960 vom Militär gestürzt und nach einem fragwürdigen Todesurteil auch gehenkt. Das Militär behielt über den „Nationalen Sicherheitsrat“ weiterhin Einfluss auf die Politik, denn der türkischer Offizier hatte nicht nur sein Land gegen äussere, sondern auch die Prinzipien des Kemalismus gegen innere Feinde zu verteidigen. 1980 kam es zu einem neuen Putsch, der sich vor allem gegen linke Kräfte richtete. Das Militär setzte dabei erstmals den Islam als Instrument gegen die Linke ein.
Bisherige religiöse Einschränkungen wurden aufgehoben. Islamische Parteien waren bald auf dem Vormarsch, bis ihnen das Militär Einhalt gebot. Necmettin Erbakan wagte sich als Ministerpräsident mit seiner islamische Wohlfahrts-Partei („Refah“) am weitesten vor, wurde aber 1997 von den Generälen entmachtet. Es kam zu einem zähen Kampf zwischen dem Militär und islamistisch orientierten Parteien. In den beiden letzten Jahrzehnten erscheint die türkische Politik von der Konfrontation zwischen den Kemalisten und Islamisten geprägt, die zusätzlich von sozialistischen und konservativen Orientierungen überlagert wird. Es kam zu politischen Prozessen, in denen den Angeklagten die Ausübungen politischer Ämter verboten wurde. Parteien sind aufgelöst und neu gegründet worden. In einer verhängnisvollen Verfassungsänderung wurde eine Zehnprozent-Klausel bei Wahlen für das Parlament beschlossen.
Das alles hat zur Popularität eines Gefolgsmannes von Erbakan beigetragen. Der Istanbuler Bürgermeisters Recep Erdogan hat in mehreren Prozesses den Umgang mit kemalistischen Mächten gelernt. Er hatte bei einer Rede in Sirt ein Gedicht des Dichetsr Ziya Gökalp zitiert: „Die Moscheen sind unsere Kasernen. Die Minarette sind unsere Bajonette. Und die Kuppeln sind unsere Helme.“ Dafür erhielt er eine Haftstrafe mit einem folgenden Verbot politischer Betätigung. Über Vertraute liess Erdogan die „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ (AKP) gründen. Eine wachsende Anhängerschaft erreichte auch eine Aufhebung des Politikverbotes. Die AKP erreichte beiden den Wahlen von 2002 rund 30 Prozent, stellte aber auf Grund der neuen Gesetze 363 der 500 Abgeordneten.
Erdogan meidet eine direkte Konfrontation mit den Generälen. Er präsentiert die AKP als eine konservative, islamorientierte Partei und vergleicht sie gern mit der CDU in Deutschland. Die türkische Linke und europäische Beobachter wie Bassam Tibi („Mit dem Kopftuch nach Europa“) sehen in ihm einen unverbesserlichen Islamisten, der den Konservativen nur vortäuscht. Seine Gattin ist beharrliche Kopftuchträgerin und wird daher zu Empfängen des kemalistischen Staatschefs Nezer nicht eingeladen. Um dem in allen staatlichen Institutionen geltenden Kopftuch-verbot zu entgehen, lässt Erdogan seine beiden Töchter in den USA studieren. Beim Besuch des Geburtshauses von Kemal Atatürk in Saloniki hat Erdogan aus dem Gästebuch eine Seite herausgerissen, auf der ihm ein Besucher Verrat am Staatsgründer vorge-worfen hatte.
Die Kemalisten sind über die Zukunftspläne Erdogans äussert beunruhigte, denn 2007 muss das Parlament einen neuen Staatschef wählen. Mit seiner Mehrheit könnte Erdogan diesen Posten übernehmen und dann an die Ausschalktung der Kemalisten in Schlüsselpositionen gehen. Sein politischer Partner und derzeitige Aussenminister Abdullah Gül würde dabei die Regierung übernehmen. Der bisherige Staatschef, der ehemalige Präsident des Verfassungsgerichtshofes, Ahmed Sezer, hatte sich regelmässig dem Vormarsch der Islamisten in den Weg gestellt. Da der Staatschef auch den Nationalen Sicherheitsrat leitet, würden Erdogan und Gül vermehrte Möglichkeiten zur Durchsetzung ihrer Ziele erhalten. Die Generäle wissen von diesem Szenarium und könnten mit einem Putsch antworten.
sfux - 4. Dez, 08:01 Article 2454x read