Um das Erbe des toten Diktators
Malte Olschewski - Man hat mit genauer Adresse an die Offiziere der Armee ein Manifest verschickt, wonach die Regierung die Streitkräfte auflösen würde. Auf gestohlenem Briefpapier der „Unidad Popular“ wurden den Haushalten Fragebogen zu gestellt, auf dem anzugeben war, welche Dinge man mit den Armen des Landes teilen wolle. Immer wieder kreuzten US-Kriegsschiffe vor den Küsten Chiles.
Vor den Kasernen versammelten sich hysterische Hausfrauen und beschimpften die Offiziere als „Hühner“. Heute nach 36 Jahren ist es schwer zu erklären, warum die USA und ihre Befehlsempfänger in Chile derart viel Energie, Geld und auch Fantasie aufgebracht haben, um ein unliebsames Regime zu stürzten. Der Tod des früheren Diktators Augusto Pinochet war Anlass, dass Medien und Historiker, so etwa Jaime Etchepare in der Tageszeitung „El Sur“, bisher unbekannte Aspekte des Dramas zwischen 1970 und 1973 beleuchten.
„Tricky Dicky“
Mehrmals war bei hochrangigen Treffen im Weissen Haus festgestellt worden, dass Chile für die USA bei weitem nicht von ähnlichem strategischen Interesse wie etwa Kuba oder Brasilien gewesen wäre. Trotzdem wurden alle denkbaren Mittel gegen Allende eingesetzt. Nixon stellte mit einem Federstrich zehn Millionen Dollar zur Verfügung. Sicherheits-berater Henry Kissinger führte das Oberkommando. CIA-Vize Thomas Karames-sines plant die Angriffe. Im „Komitee 40“ wurden weitere Kräfte gegen Allende gesammelt. Einige Quellen führen an, dass „Tricky Dicky“ Nixon den aristokratisch wirkenden, marxistischen Intellektuellen Allende verachtet und gehasst hat.
Augusto José Ramón Pinochet: Dramas zwischen 1970 und 1973
Schon im Wahlkampf des Jahres 1964, in dem Allende gegen den Christdemokraten Eduardo Frei angetreten war, hatten im Projekt „Camelot“ Meinungsforscher die Chilenen befragt. Die Ergebnisse wurden bereits damals mit Hilfe von Computern ausgewertet. Alles, was den Chilenen Sorgen machte, wurde als „kommunistisch“ in den Wahlkampf eingebracht. Die US-Firma „Abt“ hatte in diesen Jahren das Simulationsspiel „Politica“ entwickelt, das 1966 vom Pentagon angekauft und mehrfach in der Planung gegen Allende eingesetzt wurde. Eduardo Frei und christdemokratische Kongress-Kandidaten sind von den USA mit drei Millionen Dollar unterstützt worden. Vor den Wahlen von 1970 hat man die Zentrale des amerikanischen ITT-Konzerns in Santiago zu einer Operationsbasis ausgebaut. Die US-Firmen Kennecott und Anaconda stellten sich in den Dienst der CIA, um die Wahl Allendes zu verhindern.
Die USA hatten alle Mittel eingesetzt, um Christdemokraten und Konservative auf einen gemeinsamen Kandidaten einzuschwören. Da dies nicht gelungen war, entfielen beim Urnengang vom 4.9.1970 auf Allende 36.6 Prozent der Stimmen. Der Konservative Jorge Alessandri erhielt 35,3, der Christdemokrat Radomir Tomic 28,1 Prozent der Stimmen. Die USA hatten über ihren Botschafter Edward Korry Kontakte zum amtierenden Präsidenten Eduardo Frei geknüpft. Es wurden mehrere „Tracks“ (Gleise) entwickelt, um die endgültige Wahl Allendes durch das Parlament zu verhindern. Ein Lawine von „Korrygrammen“ ratterte über „Gleis 1“ in das US-Aussenamt, während über „Gleis 2“ die Massnahmen der CIA zu greifen begannen.
„Let the economy scream“
Die USA blockierten nach der Wahl Allendes jede Hilfe an Chile. Sie sorgten dafür, das die Preise für chilenische Hauptexportgüter wie Kupfer und Zinn am Weltmarkt abstürzten. „Let the economy scream,“ hatte Nixon befohlen: Lasst die Wirtschaft aufschreien! Das „American Institute for Free Labor“ köderte chilenische Gewerkschafter mit grosszügigen Stipendien. Man kaufte die gesamte chilenische Marinegewerkschaft. Drei bis fünf Millionen Dollar gingen allein an den Mercurio-Konzern, dessen Falschmeldungen über US-Agenturen in der ganzen Welt verbreitet wurden. „Time“ brachte eine Titelgeschichte, die vom CIA geschrieben war.
Die CIA liess eigene Zeitungen und Radiostationen gründen. „Maulwürfe“ drangen in die Parteien der „Unidad Popular“ ein. Streiks, Zusam-menstösse und Sabotageakte wurden finanziert. In der Woche vor dem Putsch kam es allein im Distrikt Santiago zu 400 Zwischenfällen. Richtig an den Enthüllungen über Allende war nur, dass er ein Freimaurer war, gern „Chivas Regal“ trank und eine Geliebte hatte. Völlig falsch waren die Meldungen über ein sowjetisch-kubanisch dominiertes Chile. Die UdSSR hat auf die Ereignisse kaum Einfluss genommen und Kuba war dazu nicht in der Lage.
Botschafter Korry berichtete, dass alle Einflussnahme vergeblich sei, da Armeechef Rene Schneider eine eigene Doktrin entwickelt hätte, um das Militär aus der Innenpolitik herauszuhalten. Chile ist stolz auf eine historische Tatsache: Während in Europa noch der Absolutismus mit Kaisern und Königen herrschte, schritt man in Chile alle sechs Jahre zur Wahl des Präsidenten. Zwar hatte nur die Oberschichte das Wahlrecht im „portalischen Staat“, doch hat das chilenische Militär sehr selten und nur, wenn es unbedingt notwendig war, in die Innenpolitik eingegriffen. Chile ist ein stark militarisierter Staat und hat zwei Kriege gegen nördliche Nachbarn gewonnen. Das Militär wünscht die endlos langen Grenzen eines funktionierenden Staates zu garantieren und nicht in Strassenschlachten verwickelt zu werden.
Waffen für Santiago
Auf „Track 2“ hatte die CIA mit Wissen Nixons und Kissingers Alternativen entwickelt. Die beiden pensionierten Generäle Camilo Valenzuela und Roberto Viaux bilden voneinander unabhängige Verschwörungs-ruppen, die mit US-Geld versorgt werden und den Mord an Schneider planen. Im amerikanischen Diplomatengepäck lässt Thomas Karaessines sogar Waffen nach Santiago schmuggeln. Nach zwei Versuchen gelingt am 22.10.1970 der Anschlag auf den Armeechef.
Allende wird am 24.10. vom Parlament mit Stimmen der Christdemokraten zum Präsi-enten gewählt. Schneider stirbt einen Tag später. Sein Nachfolger als Armeechef wird Carlos Prats. Er wird 1972 Innenminister und Vizepräsident. Er kann mehrere Rebellionen des Militärs unterdrücken. Nach einem bizarren Zwischenfall mit einer hysterischen Hausfrau muss er zurücktreten. Er geht nach Argentinien, wo er am 30.9.1974 ermordet wird. Prats hat vor seinem Rücktritt Augusto Pinochet als Nachfolger vorgeschlagen, der als Anhänger der Schneider-Doktrin oder der Nichteinmischung gilt. Doch Pinochet hat alle getäuscht. Schon am 11.9.1973 führt er den Militärputsch gegen Allende an.
We didn't do it
Die Details des Staatsstreiches sind bekannt. Von mehreren Zeugen wird übereinstimmend angegeben, das Allende mit der von Fidel Castro geschenkten Maschinenpistole Selbstmord begangen hat. Eine direkte Beauftragung Pinochets durch die USA kann durch Dokumente nicht nachgewiesen werden. Akustisch festgehalten ist eine Äusserung Kissingers im Gespräch mit Nixon: „We didn't do it. I mean we helped them. We created the conditions as great as possible“ (Wir taten es nicht. Wir haben ihnen geholfen. Wir haben nur die bestmöglichen Bedingungen geschaffen)
Der Sturz Allendes ist die am besten bekannte und dokumentierte Intervention der CIA seit 1945. Die Details darüber begannen schon 1974 über jene Chilenen hervorzukommen, die von der Diktatur Pinochets in Ausland getrieben worden waren. Der US-Kongress war beunruhigt. Mit der CIA wurde ein „Deal“ geschlossen. Der Geheimdienst würde in einem „limited hangout“ (begrenzte Öffnung) einer von Frank Church geleiteten Kommission alles über Chile mitteilen, dafür dürfe sich der Kongress nicht für die CIA-Aktivitäten in fünf anderen Staaten der Region interessieren. Da Nixon Gespräche und Telephonate aus dem Oval Office geheim aufzeichnen liess, kann man heute via Internet seine Anordnung hören, gegen Chile alles zu tun „short of an intervention like in the Dominican Republic“.
Warum rollten in Lateinamerika in den Jahren zwischen 1960 und 1980 immer wieder Staatsstreiche des Militärs durch die Regierungsviertel? Und wieso erobern seit 1990 linksgerichtete Parteien ohne Blutvergiessen und über die Wahlurne die Macht. Heute regieren linksgerichtete Parteien in Chile, Argentinien, Uruguay, Brasilien, Bolivien, Peru, Venezuela und Ekuador. Rechtsparteien sind nur mehr in Paraguay und in Kolumbien an der Macht. Für diesen langsamen Wandel sind mehrere Gründe festzustellen. Das historische Bündnis der Oberschichten und Eliten Südamerikas mit dem Militär ist brüchig geworden. Es haben sich neue Eliten gebildet, wie auch das Militär von Aufsteigern aus unteren Klassen durchsetzt worden ist. Mit entscheidend ist auch eine mit der Regierung Clintons beginnende Distanzierung von Lateinamerika.
Hühnerhof der USA
Der ganze Kontinent war von bisherigen Regierungen als „Hinterhof“ oder gar „Hühnerhof“ der USA angesehen worden. Damals haben die USA jede Linksregierung in Ländern bekämpft, die wie Jacobo Arbenz in Guatemala oder Juan Bosch in der Dominikanischen Republik vorsichtige Reformen begonnen hatte und kaum die Interessen der USA bedrohen konnte. Die Vereinigten Staaten intervenierten in der Dominikanischen Republik eben so offen wie auf der Karibikinsel Grenada. Sie haben Dutzende Male demokratische Entwicklungen mit Geld und Operationen des Geheimdienstes abgewürgt. Der linksgerichtete Präsi-dent Brasiliens Joao Goulart konnte Washington ebenso wenig gefährlich werden wie Chiles Salvador Allende oder die Sandinisten in Nikaragua.
Doch ist den USA mit dem islamischen Terror ein neuer Feind erwachsen, der ihnen wie die Flugattentate von New York bewiesen haben, sehr wohl gefährlich werden kann. Nicht aus Nächstenliebe oder Menschenfreundlichkeit haben die USA von Lateinamerika abgelassen. Sie mussten es tun. Ob in der einen oder anderen Republik dieser oder jener Caudillo herrschte, war unwichtig geworden. Mit 9/11 sind neue Bedrohungen erschienen, deren Bekämpfung alle Ressourcen erfordert.
Derzeit sind alle Energien, Gelder und Kräfte darauf gerichtet, einen halbwegs ehrenvollen Abzug aus dem Irak zu schaffen. Lateinamerika ist auf der Prioritätenliste weit nach unten gerutscht. Daher konnte Venezuelas Staatschef Hugo Chavez zum Führer des neuen Anitamerikanismus im Süden aufsteigen. Chavez ist ein charismatische Führerfigur. Im Vergleich mit diesem begnadeten Populisten erscheint Salvador Allende als ein biederer Beamter. Es dürfte aber erst mit dem Rückzug der USA aus Südamerika und mit der Lockerung bisheriger Bündnisse jene Entwicklung möglich geworden zu sein, die zu einem Linksruck auf dem ganzen Kontinent geführt hat. Unfreiwillig und durch eine erzwungene Verschiebung ihrer Interessen sind die USA zum Geburtshelfer einer neuen Epoche für den Subkontinent geworden.
Vor den Kasernen versammelten sich hysterische Hausfrauen und beschimpften die Offiziere als „Hühner“. Heute nach 36 Jahren ist es schwer zu erklären, warum die USA und ihre Befehlsempfänger in Chile derart viel Energie, Geld und auch Fantasie aufgebracht haben, um ein unliebsames Regime zu stürzten. Der Tod des früheren Diktators Augusto Pinochet war Anlass, dass Medien und Historiker, so etwa Jaime Etchepare in der Tageszeitung „El Sur“, bisher unbekannte Aspekte des Dramas zwischen 1970 und 1973 beleuchten.
„Tricky Dicky“
Mehrmals war bei hochrangigen Treffen im Weissen Haus festgestellt worden, dass Chile für die USA bei weitem nicht von ähnlichem strategischen Interesse wie etwa Kuba oder Brasilien gewesen wäre. Trotzdem wurden alle denkbaren Mittel gegen Allende eingesetzt. Nixon stellte mit einem Federstrich zehn Millionen Dollar zur Verfügung. Sicherheits-berater Henry Kissinger führte das Oberkommando. CIA-Vize Thomas Karames-sines plant die Angriffe. Im „Komitee 40“ wurden weitere Kräfte gegen Allende gesammelt. Einige Quellen führen an, dass „Tricky Dicky“ Nixon den aristokratisch wirkenden, marxistischen Intellektuellen Allende verachtet und gehasst hat.
Augusto José Ramón Pinochet: Dramas zwischen 1970 und 1973
Schon im Wahlkampf des Jahres 1964, in dem Allende gegen den Christdemokraten Eduardo Frei angetreten war, hatten im Projekt „Camelot“ Meinungsforscher die Chilenen befragt. Die Ergebnisse wurden bereits damals mit Hilfe von Computern ausgewertet. Alles, was den Chilenen Sorgen machte, wurde als „kommunistisch“ in den Wahlkampf eingebracht. Die US-Firma „Abt“ hatte in diesen Jahren das Simulationsspiel „Politica“ entwickelt, das 1966 vom Pentagon angekauft und mehrfach in der Planung gegen Allende eingesetzt wurde. Eduardo Frei und christdemokratische Kongress-Kandidaten sind von den USA mit drei Millionen Dollar unterstützt worden. Vor den Wahlen von 1970 hat man die Zentrale des amerikanischen ITT-Konzerns in Santiago zu einer Operationsbasis ausgebaut. Die US-Firmen Kennecott und Anaconda stellten sich in den Dienst der CIA, um die Wahl Allendes zu verhindern.
Die USA hatten alle Mittel eingesetzt, um Christdemokraten und Konservative auf einen gemeinsamen Kandidaten einzuschwören. Da dies nicht gelungen war, entfielen beim Urnengang vom 4.9.1970 auf Allende 36.6 Prozent der Stimmen. Der Konservative Jorge Alessandri erhielt 35,3, der Christdemokrat Radomir Tomic 28,1 Prozent der Stimmen. Die USA hatten über ihren Botschafter Edward Korry Kontakte zum amtierenden Präsidenten Eduardo Frei geknüpft. Es wurden mehrere „Tracks“ (Gleise) entwickelt, um die endgültige Wahl Allendes durch das Parlament zu verhindern. Ein Lawine von „Korrygrammen“ ratterte über „Gleis 1“ in das US-Aussenamt, während über „Gleis 2“ die Massnahmen der CIA zu greifen begannen.
„Let the economy scream“
Die USA blockierten nach der Wahl Allendes jede Hilfe an Chile. Sie sorgten dafür, das die Preise für chilenische Hauptexportgüter wie Kupfer und Zinn am Weltmarkt abstürzten. „Let the economy scream,“ hatte Nixon befohlen: Lasst die Wirtschaft aufschreien! Das „American Institute for Free Labor“ köderte chilenische Gewerkschafter mit grosszügigen Stipendien. Man kaufte die gesamte chilenische Marinegewerkschaft. Drei bis fünf Millionen Dollar gingen allein an den Mercurio-Konzern, dessen Falschmeldungen über US-Agenturen in der ganzen Welt verbreitet wurden. „Time“ brachte eine Titelgeschichte, die vom CIA geschrieben war.
Die CIA liess eigene Zeitungen und Radiostationen gründen. „Maulwürfe“ drangen in die Parteien der „Unidad Popular“ ein. Streiks, Zusam-menstösse und Sabotageakte wurden finanziert. In der Woche vor dem Putsch kam es allein im Distrikt Santiago zu 400 Zwischenfällen. Richtig an den Enthüllungen über Allende war nur, dass er ein Freimaurer war, gern „Chivas Regal“ trank und eine Geliebte hatte. Völlig falsch waren die Meldungen über ein sowjetisch-kubanisch dominiertes Chile. Die UdSSR hat auf die Ereignisse kaum Einfluss genommen und Kuba war dazu nicht in der Lage.
Botschafter Korry berichtete, dass alle Einflussnahme vergeblich sei, da Armeechef Rene Schneider eine eigene Doktrin entwickelt hätte, um das Militär aus der Innenpolitik herauszuhalten. Chile ist stolz auf eine historische Tatsache: Während in Europa noch der Absolutismus mit Kaisern und Königen herrschte, schritt man in Chile alle sechs Jahre zur Wahl des Präsidenten. Zwar hatte nur die Oberschichte das Wahlrecht im „portalischen Staat“, doch hat das chilenische Militär sehr selten und nur, wenn es unbedingt notwendig war, in die Innenpolitik eingegriffen. Chile ist ein stark militarisierter Staat und hat zwei Kriege gegen nördliche Nachbarn gewonnen. Das Militär wünscht die endlos langen Grenzen eines funktionierenden Staates zu garantieren und nicht in Strassenschlachten verwickelt zu werden.
Waffen für Santiago
Auf „Track 2“ hatte die CIA mit Wissen Nixons und Kissingers Alternativen entwickelt. Die beiden pensionierten Generäle Camilo Valenzuela und Roberto Viaux bilden voneinander unabhängige Verschwörungs-ruppen, die mit US-Geld versorgt werden und den Mord an Schneider planen. Im amerikanischen Diplomatengepäck lässt Thomas Karaessines sogar Waffen nach Santiago schmuggeln. Nach zwei Versuchen gelingt am 22.10.1970 der Anschlag auf den Armeechef.
Allende wird am 24.10. vom Parlament mit Stimmen der Christdemokraten zum Präsi-enten gewählt. Schneider stirbt einen Tag später. Sein Nachfolger als Armeechef wird Carlos Prats. Er wird 1972 Innenminister und Vizepräsident. Er kann mehrere Rebellionen des Militärs unterdrücken. Nach einem bizarren Zwischenfall mit einer hysterischen Hausfrau muss er zurücktreten. Er geht nach Argentinien, wo er am 30.9.1974 ermordet wird. Prats hat vor seinem Rücktritt Augusto Pinochet als Nachfolger vorgeschlagen, der als Anhänger der Schneider-Doktrin oder der Nichteinmischung gilt. Doch Pinochet hat alle getäuscht. Schon am 11.9.1973 führt er den Militärputsch gegen Allende an.
We didn't do it
Die Details des Staatsstreiches sind bekannt. Von mehreren Zeugen wird übereinstimmend angegeben, das Allende mit der von Fidel Castro geschenkten Maschinenpistole Selbstmord begangen hat. Eine direkte Beauftragung Pinochets durch die USA kann durch Dokumente nicht nachgewiesen werden. Akustisch festgehalten ist eine Äusserung Kissingers im Gespräch mit Nixon: „We didn't do it. I mean we helped them. We created the conditions as great as possible“ (Wir taten es nicht. Wir haben ihnen geholfen. Wir haben nur die bestmöglichen Bedingungen geschaffen)
Der Sturz Allendes ist die am besten bekannte und dokumentierte Intervention der CIA seit 1945. Die Details darüber begannen schon 1974 über jene Chilenen hervorzukommen, die von der Diktatur Pinochets in Ausland getrieben worden waren. Der US-Kongress war beunruhigt. Mit der CIA wurde ein „Deal“ geschlossen. Der Geheimdienst würde in einem „limited hangout“ (begrenzte Öffnung) einer von Frank Church geleiteten Kommission alles über Chile mitteilen, dafür dürfe sich der Kongress nicht für die CIA-Aktivitäten in fünf anderen Staaten der Region interessieren. Da Nixon Gespräche und Telephonate aus dem Oval Office geheim aufzeichnen liess, kann man heute via Internet seine Anordnung hören, gegen Chile alles zu tun „short of an intervention like in the Dominican Republic“.
Warum rollten in Lateinamerika in den Jahren zwischen 1960 und 1980 immer wieder Staatsstreiche des Militärs durch die Regierungsviertel? Und wieso erobern seit 1990 linksgerichtete Parteien ohne Blutvergiessen und über die Wahlurne die Macht. Heute regieren linksgerichtete Parteien in Chile, Argentinien, Uruguay, Brasilien, Bolivien, Peru, Venezuela und Ekuador. Rechtsparteien sind nur mehr in Paraguay und in Kolumbien an der Macht. Für diesen langsamen Wandel sind mehrere Gründe festzustellen. Das historische Bündnis der Oberschichten und Eliten Südamerikas mit dem Militär ist brüchig geworden. Es haben sich neue Eliten gebildet, wie auch das Militär von Aufsteigern aus unteren Klassen durchsetzt worden ist. Mit entscheidend ist auch eine mit der Regierung Clintons beginnende Distanzierung von Lateinamerika.
Hühnerhof der USA
Der ganze Kontinent war von bisherigen Regierungen als „Hinterhof“ oder gar „Hühnerhof“ der USA angesehen worden. Damals haben die USA jede Linksregierung in Ländern bekämpft, die wie Jacobo Arbenz in Guatemala oder Juan Bosch in der Dominikanischen Republik vorsichtige Reformen begonnen hatte und kaum die Interessen der USA bedrohen konnte. Die Vereinigten Staaten intervenierten in der Dominikanischen Republik eben so offen wie auf der Karibikinsel Grenada. Sie haben Dutzende Male demokratische Entwicklungen mit Geld und Operationen des Geheimdienstes abgewürgt. Der linksgerichtete Präsi-dent Brasiliens Joao Goulart konnte Washington ebenso wenig gefährlich werden wie Chiles Salvador Allende oder die Sandinisten in Nikaragua.
Doch ist den USA mit dem islamischen Terror ein neuer Feind erwachsen, der ihnen wie die Flugattentate von New York bewiesen haben, sehr wohl gefährlich werden kann. Nicht aus Nächstenliebe oder Menschenfreundlichkeit haben die USA von Lateinamerika abgelassen. Sie mussten es tun. Ob in der einen oder anderen Republik dieser oder jener Caudillo herrschte, war unwichtig geworden. Mit 9/11 sind neue Bedrohungen erschienen, deren Bekämpfung alle Ressourcen erfordert.
Derzeit sind alle Energien, Gelder und Kräfte darauf gerichtet, einen halbwegs ehrenvollen Abzug aus dem Irak zu schaffen. Lateinamerika ist auf der Prioritätenliste weit nach unten gerutscht. Daher konnte Venezuelas Staatschef Hugo Chavez zum Führer des neuen Anitamerikanismus im Süden aufsteigen. Chavez ist ein charismatische Führerfigur. Im Vergleich mit diesem begnadeten Populisten erscheint Salvador Allende als ein biederer Beamter. Es dürfte aber erst mit dem Rückzug der USA aus Südamerika und mit der Lockerung bisheriger Bündnisse jene Entwicklung möglich geworden zu sein, die zu einem Linksruck auf dem ganzen Kontinent geführt hat. Unfreiwillig und durch eine erzwungene Verschiebung ihrer Interessen sind die USA zum Geburtshelfer einer neuen Epoche für den Subkontinent geworden.
sfux - 13. Dez, 08:04 Article 2175x read