Saddams langer Weg zum Galgen
Persönlichkeit und Werdegang des irakischen Ex-Diktators
Malte Olschewski - In verdächtiger Eile hat man den irakische Ex-Diktator Saddam Hussein zum Galgen geführt. Ursprünglich wollte man, auch wenn es Jahre gedauert hätte, alle zwölf Fälle der Anklage verhandeln. Mehrere Gründe sollten die Vollstreckung jenes Todesurteils beschleunigen, mit dem das erste Verfahren abgeschlossen worden war. Mit der Hinrichtung entfallen alle Folgeprozesse, in denen unweigerlich die Unterstützung Saddams durch den Westen und durch die USA zur Sprache gekommen wäre.
Das erste Todesurteil im Fall Dujail ist am 5.11.2006 gefällt worden. Das Berufungsgericht hat am 26.12. den Richtspruch bestätigt. Das Staatspräsidium hat unterschrieben. Staatspräsident Jalal Talabani hat seine Signatur an einen Sekretär delegiert. Dann haben Talabanis schiitischer Stellvertreter Adil Abdul Mahdi und der sunnitische Vize Tariq Al Hashimi ihre Unterschrift geleistet. Innerhalb von 30 Tagen muss nach irakischem Recht dem Angeklagte die Schlinge um den Hals gelegt werden. Die Forderungen schiitischer Radikaler, wonach Saddam öffentlich und in einer TV- Liveübertragung zu exekutieren sei, wurden ebenso abgelehnt wie der Wunsch Saddams, als Militärangehöriger erschossen zu werden. Saddam Hussein mag dieses Urteil verdient haben, doch war der Prozess die arrangierte Farce einer Siegerjustiz.
Saddam bei bombigen Verhandlungen mit Rumsfeld
Zunächst hatten die US-Besatzer das irakische Justizwesen umgestaltet, was nach dem Völkerrecht der 4.Genfer Konvention (Artikel 64,2) nicht erlaubt ist. Das irakische Strafgesetz von 1970 wurde reinstalliert und um die Statuten des in Rom beschlossenen, internationalen Strafgerichtshofes erweitert. Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden nun auch im Irak mit schweren Strafen bedroht. Das vierte Kapitalverbrechen, der Angriffskrieg, wurde nicht in die neue Judikatur aufgenommen, denn eine Anklage in diesem Punkt hätte Saddam die Möglichkeit gegeben, nach dem Prinzip „tu quoque“ (auch Du) auf den amerikanischen Angriffskrieg gegen sein Land zu verweisen.
Washington hatte rund hundert Millionen Dollar aufgewandt, um ein Sondertribunal einzurichten. Etwa fünfzig Kandidaten wurden zur Ausbildung nach London und Den Haag geflogen. Eine Ex-pertengruppe des US-Justizministeriums nahm in der geschützten „Grünen Zone“ Bagdads Platz. Fachleute des FBI sind hierbei eingesetzt worden. Einem sterbenden Saddam-Anhänger hat man mit dem letzten Röcheln Details entrissen. Da viele Zeugen nur über Video aussagten, konnten sie von der Verteidigung nicht befragt werden. Die Anwälte Saddams wurden eingeschüchtert und ihrer Rechte beraubt. Ein Richter und drei Verteidiger Saddams sind im Laufe des Verfahrens ermordet worden.
Kodewort Anfal
Für die erste der insgesamt zwölf Anklagen nahm man einen Vorfall, der gut dokumentiert war und auch keine Spuren in andere Länder aufwies. Auf Saddams Wagenkolonne war 1982 im schiitischen Dorf Dujail ein Attentat verübt worden. Saddams Geheimdienst hat in einer Racheaktion 148 Einwohner ergriffen, die alle gefoltert und hingerichtet wurden. Nach dem Todesurteil im Fall Dujail begann die Anklage mit dem zweiten Fall.
Nach dem Waffenstillstand im Krieg gegen den Iran hatte Saddam seine Armeen in die Kurdengebiete entsandt. Unter dem Kodewort „Anfal“ sind ab 1988 bei den Offensiven gegen die Kurden rund 120 000 Menschen getötet worden. Symbol dieser Ausrottungskampagne wurde der Giftgasangriff auf die kurdische Stadt Halabdscha, bei dem Saddams Cousin Ali Hassan vom Westen gelieferte Stoffe wie Sarin und Tabun eingesetzt hat. Dujail wurde von Saddams Geheimdienst Mukhabharat im Alleingang erledigt, doch bei der Offensive gegen die Kurden wäre unweigerlich das Ausland ins Spiel gekommen.
Bei der Verhandlung kam immer wieder zu turbulenten bis gespenstischen Szenen. Saddam schrie mehrmals mit dem Koran in der Hand: „Gott ist gross!“ Er bezichtige den Westen der Mittäterschaft. Er wollte sich nicht vom Sitz erheben. Er rief mehrmals: „Ich bin und bleibe Präsident! Es lebe der Irak! Nieder mit den Verrätern!“ Saddam trat in Hungerstreik und wurde in einem Krankenhaus zwangsernährt. Der Prozess im Fall Dujail hatte am 19.10.2005 begonnen. Das Urteil erfolgte am 5.11.2006, das waren zwei Tage vor den amerikanischen Kongresswahlen.
Frühlingsgott Tammuz
Saddam Hussein ist ein Spieler, der am liebsten mit dem Leben anderen Menschen spielt. Er hat wie viele Spieler eine humorige Seite, deren Scherze oft in einem Blutbad enden. Saddam hat im Putschjahr 1963 seine Opfer die Methode auswählen lassen, nach der sie gefoltert werden sollten. Der Name seines Geheimdienstes war „Jihaz Jadeen“: Instrument der Sehnsucht. Seine Säuberungen waren oft kunstvoll arrangierte, blutige Humoresken.
Gern trat er als oberster Clown auf, der Todesurteile fällte. Als Spieler liebt er das Risiko. Mehrmals hat er sich ohne Notwendigkeit in gefährliche Situationen begeben. Er sah sich als Erbe der ältesten Kultur der Menschheit. Er verglich sich mit Nebukadnezar und dem Frühlingsgott Tammuz. Er leitete seine Herkunft vom Propheten ab. Sein Werdegang war von Leichenbergen gesäumt. Er war ein hochrangiger Techniker der Macht, der durch zwei Dutzend Attentate nicht beseitigt werden konnte. Dies auch deshalb, weil Saddam als Attentäter begonnen hatte.
Saddam aus dem Loch - Freund Rumsfeld hilft nicht
Saddam ist am 28.4.1937 in Al Auja, einem Vorort von Takrit geboren. Sein Vater war zum Zeitpunkt seiner Geburt verschwunden. Seine Mutter heiratete ein zweites Mal. Saddams Stiefvater Ibrahim Hassan war ein Tyrann, der Saddam oft mit Prügel bestraft hat. Die gewalttätige, archaische Atmosphäre der Stadt Takrit hatte einen starken Einfluss auf den Heranwachsenden. Mit zehn Jahren tauchte Saddam bei seinem Onkel Kairallah Tulfa auf.
Dieser erkannte bald die Talente seines Neffen. Der Halbwüchsige wurde gegen andere Familien eingesetzt. Saddam hat in einem zarten Alter Sadun Al Alousi, einen Feind seines Onkels, eigenhändig ermordet. Kairallah schickte seinen Neffen auf die Mittelschule in Bagdad. Danach sollte er die Militärakademie besuchen. Ein Takriter hatte damals im Militär Karriere gemacht. Er ermöglichte jungen Männern aus seiner Heimatstadt die Offizierslaufbahn. Das war der Beginn des takritischen Clans, der den Aufstieg Saddams ermöglicht hat. In Bagdad kam Saddam bald mit der Baath-Partei in Berührung. Die vom christlichen Syrer Michel Aflak begründete Ideologie hatte eine Vereinigung aller arabischer Länder zum Ziel. Im Irak herrschte nach dem Sturz der Monarchie 1958 der prokommunistische General Abdel Kassem.
Trinken & prügeln
Am 7.10.1959 verübt der 21jährige Saddam Hussein in der Raschid-Strasse ein Attentat auf Kassem. Bei der Schiesserei wird Kassem leicht verletzt. Saddam flüchtet nach Ägypten. Dort lebt er von einem Stipendium des nasseristischen Geheimdienstes, der ihn als mögliches Instrument gegen den vereinigungsfeindlichen Kassem ansah. Saddam trank viel und war ständig in Prügeleien verwickelt. Wegen seiner Auffälligkeit wurde er damals auch erfolglos vom US-Geheimdienst CIA kontaktiert. Am 8.2.1963 rollte ein präzis geplanter Putsch nationalistischer Offiziere durch Bagdad. Aus den Armenvierteln strömten die Massen zum Verteidigungsministerium, um ihren Helden zu retten. Kassem wurde im Tonstudio des Bagdader Rundfunks ermordet.
Es begann eine Treibjagd gegen Kommunisten, an der sich auch der heimgekehrte Saddam beteiligte. Zwischen den Flügeln der Baath-Partei und Militärgruppen brachen Kämpfe aus, bei denen Saddam nicht immer auf der richtigen Seite stand. Er wurde wie viele andere Baathisten verhaftet. Durch Protektion aus Takrit hat er ein Jahr im Gefängnis gut überstanden. Am 17.7.1968 stürmte Saddam mit einem baathistischen Kommando in den Präsidentenpalast. Staats-chef Abdel Raham Aref wurde ins Exil geschickt.
Saddam während den Verhandlungen - Freund Rumsfeld noch auf freiem Fuss
Die Baathisten unter dem Takriter General Hassan Al Bakr waren endlich an der Macht. Saddam wurde relativ schnell und mit hoher Todesrates unter möglichen Konkurrenten die Nr. 2. des Regimes. Al Bakr und Saddam inszenierten umfangreiche Säuberungen. Im Jänner 1969 begannen die ersten Schauprozesse. Am 27.1.1969 wurden die ersten elf Angeklagten am Befreiungsplatz zum Galgen geführt. Saddam heizte in Reden die aus Vorstädten herangekarrte Menge an. Die Angeklagten wurden gehenkt. Dann drängten die Massen an die Galgen heran, um die Opfer zu beschimpfen, zu bespucken und in die Beine zu beissen. Weitere Schauprozesse und Exekutionen folgten. Bis Ende 1972 sind sieben hochrangige Baath-Führer ermordet wurden. Sie alle galten als mögliche Nachfolger Al Bakrs und als Konkurrenten Saddams. Nach jedem Mord schien die Position Saddams besser zu werden.
Nicht zu töten: Kzar
Unermordbar blieb nur Geheimdienstchef Nadhum Kzar, der schlimmste Folterer des Re-gimes. Im Juli 1973 plante Kzar ein Attentat gegen Saddam, der am Flugplatz auf die Rückkehr von Al Bakr von einem Besuch in Bulgarien wartete. Bulgariens Präsident Schiwkoff soll aus Moskau einem Wink bekommen und Saddam gewarnt haben. Kzar musste flüchten. Er wurde nach einer Verfolgungsjagd gestellt und exekutiert. Neue Hinrichtungen folgten. Und jedesmal, wenn hohe Positionen frei wurden, rückte ein Mann aus Takrit nach. Saddam sammelte seine Mannschaft. Und er wußte zu warten.
Es waren ein paar wenige glückliche Jahre für den Irak. Durch das Öl kam viel Geld ins Land. Saddam begann mit Hilfe westlicher Firmen die Aufrüstung der Armee. Am Horizont sah er bereits die seit Nassers Tod neu zu besetzende Rolle eines panarabischen Führers. Al Bakr wurde von einer Krankheit zermürbt. 1978 kamen sein Sohn und sein Schwiegersohn bei mysteriösen Autounfällen ums Leben. Der väterliche Freund und Förderer aus Takrit war für Saddam entbehrlich geworden.
Am 17.7.1979 ersucht Al Bakr das Parteigremium des Kommandorates um Rücktritt. Gleichzeitig schlägt er Saddam als Nachfolger im Amt des Staatspräsidenten vor. Ratsekretär Mashadi verlangt eine namentliche Abstimmung. Einen Tag später wird er aus dem Plenum heraus verhaftet und abgeführt. Am 22.7.1979 wird Mashadi gezwungen, vor einem erweiterten Parteirat eine durch Folter eingeübte Verschwörung zuzugeben. Hierbei greift Saddam immer wieder als Dramaturg ein. Er hat Freude an diesem Spiel. Jeder der im Geständnis Mashadis genannt wird, müsse aufstehen und sich der Geheimpolizei ergeben. Die ersten Namen fallen. Die Genannten schreien auf und protestieren. Saddam verteidigt die Verdächtigten. Er meldet Zweifel an. Er bekommt nasse Augen.
Schliesslich gibt er sich angesichts der Beweislast geschlagen. Er erklärt, dass alle Verräter entlarvt seien. Die Überlebenden brechen in hysterischen Jubel aus und feiern Sad-dam in Sprechchören. Ein Sondergericht verurteilt 22 hohe Baath-Führer zum Tod. Sie sollen zusammen mit etwa hundert bereits verurteilten Funktionären hingerichtet werden. Saddam verlangt, dass die von jedem Verdacht befreiten Baath-Funktionäre die Hinrichtung persönlich durchführen. Er dürfte damals auch selbst mitgeschossen haben. Er hat damit zahllose Menschen durch Blutschuld an sich gebunden. Das erklärt auch den Zusammenhalt der irakischen Führung.
Im Delirium in das Feuer der Waffen
Saddam darf sich nie langweilen. Als der Schah gestürzt wird und die Ayatollahs an die Macht kommen, bricht Saddam in den Iran ein. Doch Ayatollah Khomeini weckt schlummernde Kräfte der Schiiten. Freiwillige Jugendliche laufen wie im Delirium in das Feuer irakischer Waffen. Der ektstatische Tanz der Jungschar Khomeinis lässt die Welt erschauern. Saddam aber denkt als Spieler an den nächsten Zug. Er beginnt den Krieg zu verkaufen. Er ernennt den Irak zu einem Schutzschild gegen schiitische Expansion. Die Saudis und die Golfemirate schenken und leihen Saddam Milliarden. Nach Kriegsende durch beiderseitige Erschöpfung drängt vor allem Kuwait auf Rückzahlung.
Da Saddam nicht zahlt, beginnt Kuwait mit Provokationen. Saddam empfängt die US-Botschafterin April Glaspie, die keine Reaktion der USA auf einen Einmarsch in Kuweit in Aussicht stellt. Saddam marschiert in Kuwait ein und löst damit dem Angriff einer US- geführten Allianz aus. Die US-Truppen bleiben im Süden des Iraks stehen. Sie marschieren nicht nach Bagdad. Saddam kann sich halten. Er schlägt einen von den USA ermunterten Aufstand der Schiiten im Süden blutig nieder. In den folgenden Jahren tut er nichts, um den gegen besseres Wissen geäusserten Verdacht der USA zu entkräften, wonach der Irak an Massenvernichtungswaffen arbeiten und den Terror der Al Kaida unterstützen soll. Dieser falsche Verdacht führt 2003 zur Invasion und zum Sturz Saddams.
Malte Olschewski - In verdächtiger Eile hat man den irakische Ex-Diktator Saddam Hussein zum Galgen geführt. Ursprünglich wollte man, auch wenn es Jahre gedauert hätte, alle zwölf Fälle der Anklage verhandeln. Mehrere Gründe sollten die Vollstreckung jenes Todesurteils beschleunigen, mit dem das erste Verfahren abgeschlossen worden war. Mit der Hinrichtung entfallen alle Folgeprozesse, in denen unweigerlich die Unterstützung Saddams durch den Westen und durch die USA zur Sprache gekommen wäre.
Das erste Todesurteil im Fall Dujail ist am 5.11.2006 gefällt worden. Das Berufungsgericht hat am 26.12. den Richtspruch bestätigt. Das Staatspräsidium hat unterschrieben. Staatspräsident Jalal Talabani hat seine Signatur an einen Sekretär delegiert. Dann haben Talabanis schiitischer Stellvertreter Adil Abdul Mahdi und der sunnitische Vize Tariq Al Hashimi ihre Unterschrift geleistet. Innerhalb von 30 Tagen muss nach irakischem Recht dem Angeklagte die Schlinge um den Hals gelegt werden. Die Forderungen schiitischer Radikaler, wonach Saddam öffentlich und in einer TV- Liveübertragung zu exekutieren sei, wurden ebenso abgelehnt wie der Wunsch Saddams, als Militärangehöriger erschossen zu werden. Saddam Hussein mag dieses Urteil verdient haben, doch war der Prozess die arrangierte Farce einer Siegerjustiz.
Saddam bei bombigen Verhandlungen mit Rumsfeld
Zunächst hatten die US-Besatzer das irakische Justizwesen umgestaltet, was nach dem Völkerrecht der 4.Genfer Konvention (Artikel 64,2) nicht erlaubt ist. Das irakische Strafgesetz von 1970 wurde reinstalliert und um die Statuten des in Rom beschlossenen, internationalen Strafgerichtshofes erweitert. Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit werden nun auch im Irak mit schweren Strafen bedroht. Das vierte Kapitalverbrechen, der Angriffskrieg, wurde nicht in die neue Judikatur aufgenommen, denn eine Anklage in diesem Punkt hätte Saddam die Möglichkeit gegeben, nach dem Prinzip „tu quoque“ (auch Du) auf den amerikanischen Angriffskrieg gegen sein Land zu verweisen.
Washington hatte rund hundert Millionen Dollar aufgewandt, um ein Sondertribunal einzurichten. Etwa fünfzig Kandidaten wurden zur Ausbildung nach London und Den Haag geflogen. Eine Ex-pertengruppe des US-Justizministeriums nahm in der geschützten „Grünen Zone“ Bagdads Platz. Fachleute des FBI sind hierbei eingesetzt worden. Einem sterbenden Saddam-Anhänger hat man mit dem letzten Röcheln Details entrissen. Da viele Zeugen nur über Video aussagten, konnten sie von der Verteidigung nicht befragt werden. Die Anwälte Saddams wurden eingeschüchtert und ihrer Rechte beraubt. Ein Richter und drei Verteidiger Saddams sind im Laufe des Verfahrens ermordet worden.
Kodewort Anfal
Für die erste der insgesamt zwölf Anklagen nahm man einen Vorfall, der gut dokumentiert war und auch keine Spuren in andere Länder aufwies. Auf Saddams Wagenkolonne war 1982 im schiitischen Dorf Dujail ein Attentat verübt worden. Saddams Geheimdienst hat in einer Racheaktion 148 Einwohner ergriffen, die alle gefoltert und hingerichtet wurden. Nach dem Todesurteil im Fall Dujail begann die Anklage mit dem zweiten Fall.
Nach dem Waffenstillstand im Krieg gegen den Iran hatte Saddam seine Armeen in die Kurdengebiete entsandt. Unter dem Kodewort „Anfal“ sind ab 1988 bei den Offensiven gegen die Kurden rund 120 000 Menschen getötet worden. Symbol dieser Ausrottungskampagne wurde der Giftgasangriff auf die kurdische Stadt Halabdscha, bei dem Saddams Cousin Ali Hassan vom Westen gelieferte Stoffe wie Sarin und Tabun eingesetzt hat. Dujail wurde von Saddams Geheimdienst Mukhabharat im Alleingang erledigt, doch bei der Offensive gegen die Kurden wäre unweigerlich das Ausland ins Spiel gekommen.
Bei der Verhandlung kam immer wieder zu turbulenten bis gespenstischen Szenen. Saddam schrie mehrmals mit dem Koran in der Hand: „Gott ist gross!“ Er bezichtige den Westen der Mittäterschaft. Er wollte sich nicht vom Sitz erheben. Er rief mehrmals: „Ich bin und bleibe Präsident! Es lebe der Irak! Nieder mit den Verrätern!“ Saddam trat in Hungerstreik und wurde in einem Krankenhaus zwangsernährt. Der Prozess im Fall Dujail hatte am 19.10.2005 begonnen. Das Urteil erfolgte am 5.11.2006, das waren zwei Tage vor den amerikanischen Kongresswahlen.
Frühlingsgott Tammuz
Saddam Hussein ist ein Spieler, der am liebsten mit dem Leben anderen Menschen spielt. Er hat wie viele Spieler eine humorige Seite, deren Scherze oft in einem Blutbad enden. Saddam hat im Putschjahr 1963 seine Opfer die Methode auswählen lassen, nach der sie gefoltert werden sollten. Der Name seines Geheimdienstes war „Jihaz Jadeen“: Instrument der Sehnsucht. Seine Säuberungen waren oft kunstvoll arrangierte, blutige Humoresken.
Gern trat er als oberster Clown auf, der Todesurteile fällte. Als Spieler liebt er das Risiko. Mehrmals hat er sich ohne Notwendigkeit in gefährliche Situationen begeben. Er sah sich als Erbe der ältesten Kultur der Menschheit. Er verglich sich mit Nebukadnezar und dem Frühlingsgott Tammuz. Er leitete seine Herkunft vom Propheten ab. Sein Werdegang war von Leichenbergen gesäumt. Er war ein hochrangiger Techniker der Macht, der durch zwei Dutzend Attentate nicht beseitigt werden konnte. Dies auch deshalb, weil Saddam als Attentäter begonnen hatte.
Saddam aus dem Loch - Freund Rumsfeld hilft nicht
Saddam ist am 28.4.1937 in Al Auja, einem Vorort von Takrit geboren. Sein Vater war zum Zeitpunkt seiner Geburt verschwunden. Seine Mutter heiratete ein zweites Mal. Saddams Stiefvater Ibrahim Hassan war ein Tyrann, der Saddam oft mit Prügel bestraft hat. Die gewalttätige, archaische Atmosphäre der Stadt Takrit hatte einen starken Einfluss auf den Heranwachsenden. Mit zehn Jahren tauchte Saddam bei seinem Onkel Kairallah Tulfa auf.
Dieser erkannte bald die Talente seines Neffen. Der Halbwüchsige wurde gegen andere Familien eingesetzt. Saddam hat in einem zarten Alter Sadun Al Alousi, einen Feind seines Onkels, eigenhändig ermordet. Kairallah schickte seinen Neffen auf die Mittelschule in Bagdad. Danach sollte er die Militärakademie besuchen. Ein Takriter hatte damals im Militär Karriere gemacht. Er ermöglichte jungen Männern aus seiner Heimatstadt die Offizierslaufbahn. Das war der Beginn des takritischen Clans, der den Aufstieg Saddams ermöglicht hat. In Bagdad kam Saddam bald mit der Baath-Partei in Berührung. Die vom christlichen Syrer Michel Aflak begründete Ideologie hatte eine Vereinigung aller arabischer Länder zum Ziel. Im Irak herrschte nach dem Sturz der Monarchie 1958 der prokommunistische General Abdel Kassem.
Trinken & prügeln
Am 7.10.1959 verübt der 21jährige Saddam Hussein in der Raschid-Strasse ein Attentat auf Kassem. Bei der Schiesserei wird Kassem leicht verletzt. Saddam flüchtet nach Ägypten. Dort lebt er von einem Stipendium des nasseristischen Geheimdienstes, der ihn als mögliches Instrument gegen den vereinigungsfeindlichen Kassem ansah. Saddam trank viel und war ständig in Prügeleien verwickelt. Wegen seiner Auffälligkeit wurde er damals auch erfolglos vom US-Geheimdienst CIA kontaktiert. Am 8.2.1963 rollte ein präzis geplanter Putsch nationalistischer Offiziere durch Bagdad. Aus den Armenvierteln strömten die Massen zum Verteidigungsministerium, um ihren Helden zu retten. Kassem wurde im Tonstudio des Bagdader Rundfunks ermordet.
Es begann eine Treibjagd gegen Kommunisten, an der sich auch der heimgekehrte Saddam beteiligte. Zwischen den Flügeln der Baath-Partei und Militärgruppen brachen Kämpfe aus, bei denen Saddam nicht immer auf der richtigen Seite stand. Er wurde wie viele andere Baathisten verhaftet. Durch Protektion aus Takrit hat er ein Jahr im Gefängnis gut überstanden. Am 17.7.1968 stürmte Saddam mit einem baathistischen Kommando in den Präsidentenpalast. Staats-chef Abdel Raham Aref wurde ins Exil geschickt.
Saddam während den Verhandlungen - Freund Rumsfeld noch auf freiem Fuss
Die Baathisten unter dem Takriter General Hassan Al Bakr waren endlich an der Macht. Saddam wurde relativ schnell und mit hoher Todesrates unter möglichen Konkurrenten die Nr. 2. des Regimes. Al Bakr und Saddam inszenierten umfangreiche Säuberungen. Im Jänner 1969 begannen die ersten Schauprozesse. Am 27.1.1969 wurden die ersten elf Angeklagten am Befreiungsplatz zum Galgen geführt. Saddam heizte in Reden die aus Vorstädten herangekarrte Menge an. Die Angeklagten wurden gehenkt. Dann drängten die Massen an die Galgen heran, um die Opfer zu beschimpfen, zu bespucken und in die Beine zu beissen. Weitere Schauprozesse und Exekutionen folgten. Bis Ende 1972 sind sieben hochrangige Baath-Führer ermordet wurden. Sie alle galten als mögliche Nachfolger Al Bakrs und als Konkurrenten Saddams. Nach jedem Mord schien die Position Saddams besser zu werden.
Nicht zu töten: Kzar
Unermordbar blieb nur Geheimdienstchef Nadhum Kzar, der schlimmste Folterer des Re-gimes. Im Juli 1973 plante Kzar ein Attentat gegen Saddam, der am Flugplatz auf die Rückkehr von Al Bakr von einem Besuch in Bulgarien wartete. Bulgariens Präsident Schiwkoff soll aus Moskau einem Wink bekommen und Saddam gewarnt haben. Kzar musste flüchten. Er wurde nach einer Verfolgungsjagd gestellt und exekutiert. Neue Hinrichtungen folgten. Und jedesmal, wenn hohe Positionen frei wurden, rückte ein Mann aus Takrit nach. Saddam sammelte seine Mannschaft. Und er wußte zu warten.
Es waren ein paar wenige glückliche Jahre für den Irak. Durch das Öl kam viel Geld ins Land. Saddam begann mit Hilfe westlicher Firmen die Aufrüstung der Armee. Am Horizont sah er bereits die seit Nassers Tod neu zu besetzende Rolle eines panarabischen Führers. Al Bakr wurde von einer Krankheit zermürbt. 1978 kamen sein Sohn und sein Schwiegersohn bei mysteriösen Autounfällen ums Leben. Der väterliche Freund und Förderer aus Takrit war für Saddam entbehrlich geworden.
Am 17.7.1979 ersucht Al Bakr das Parteigremium des Kommandorates um Rücktritt. Gleichzeitig schlägt er Saddam als Nachfolger im Amt des Staatspräsidenten vor. Ratsekretär Mashadi verlangt eine namentliche Abstimmung. Einen Tag später wird er aus dem Plenum heraus verhaftet und abgeführt. Am 22.7.1979 wird Mashadi gezwungen, vor einem erweiterten Parteirat eine durch Folter eingeübte Verschwörung zuzugeben. Hierbei greift Saddam immer wieder als Dramaturg ein. Er hat Freude an diesem Spiel. Jeder der im Geständnis Mashadis genannt wird, müsse aufstehen und sich der Geheimpolizei ergeben. Die ersten Namen fallen. Die Genannten schreien auf und protestieren. Saddam verteidigt die Verdächtigten. Er meldet Zweifel an. Er bekommt nasse Augen.
Schliesslich gibt er sich angesichts der Beweislast geschlagen. Er erklärt, dass alle Verräter entlarvt seien. Die Überlebenden brechen in hysterischen Jubel aus und feiern Sad-dam in Sprechchören. Ein Sondergericht verurteilt 22 hohe Baath-Führer zum Tod. Sie sollen zusammen mit etwa hundert bereits verurteilten Funktionären hingerichtet werden. Saddam verlangt, dass die von jedem Verdacht befreiten Baath-Funktionäre die Hinrichtung persönlich durchführen. Er dürfte damals auch selbst mitgeschossen haben. Er hat damit zahllose Menschen durch Blutschuld an sich gebunden. Das erklärt auch den Zusammenhalt der irakischen Führung.
Im Delirium in das Feuer der Waffen
Saddam darf sich nie langweilen. Als der Schah gestürzt wird und die Ayatollahs an die Macht kommen, bricht Saddam in den Iran ein. Doch Ayatollah Khomeini weckt schlummernde Kräfte der Schiiten. Freiwillige Jugendliche laufen wie im Delirium in das Feuer irakischer Waffen. Der ektstatische Tanz der Jungschar Khomeinis lässt die Welt erschauern. Saddam aber denkt als Spieler an den nächsten Zug. Er beginnt den Krieg zu verkaufen. Er ernennt den Irak zu einem Schutzschild gegen schiitische Expansion. Die Saudis und die Golfemirate schenken und leihen Saddam Milliarden. Nach Kriegsende durch beiderseitige Erschöpfung drängt vor allem Kuwait auf Rückzahlung.
Da Saddam nicht zahlt, beginnt Kuwait mit Provokationen. Saddam empfängt die US-Botschafterin April Glaspie, die keine Reaktion der USA auf einen Einmarsch in Kuweit in Aussicht stellt. Saddam marschiert in Kuwait ein und löst damit dem Angriff einer US- geführten Allianz aus. Die US-Truppen bleiben im Süden des Iraks stehen. Sie marschieren nicht nach Bagdad. Saddam kann sich halten. Er schlägt einen von den USA ermunterten Aufstand der Schiiten im Süden blutig nieder. In den folgenden Jahren tut er nichts, um den gegen besseres Wissen geäusserten Verdacht der USA zu entkräften, wonach der Irak an Massenvernichtungswaffen arbeiten und den Terror der Al Kaida unterstützen soll. Dieser falsche Verdacht führt 2003 zur Invasion und zum Sturz Saddams.
sfux - 1. Jan, 09:00 Article 4685x read