Die Heuschreckenpresse
Malte Olschewski - Outsourcing, Gratisblätter, Heuschrecken und Konkurrenz im Internet machen den traditionsreichen Lokalzeitungen das Überleben immer schwerer. Die einst blühende Landschaft, in der hunderte „Boten“ und „Kuriere“ unterwegs waren, wird eingeebnet und kahlgefressen. Gab es vor zehn Jahren in Deutschland noch 354 lokale und regionale Abonnentenzeitungen mit einer Gesamtauflage von 18 Millionen, so sind es heute mit weiter fallender Tendenz nur mehr 334 Blätter mit rund 14 Millionen Auflage.
Unter vielen Verlegern hat sich die Meinung eingebürgert, dass Zeitungen ein Produkt wie Wäscheklammern oder Nasenspay seien und einzig dem Profit zu dienen hätten. Redakteure, Kommentatoren oder Reporter werden dabei eher als hinderlich empfunden, zumal ja ringsum ein Ozean von Informationen zu wogen scheint. Daher wird „ausgelagert“. Meist wird das Lokalressort als Herzstücke jeder Zeitung einem spezialisierten Dienstleistungsanbieter übergeben, der keine Tarifverträge kennt und den gekündigten Journalisten zu minimalen Löhnen weitere Beschäftigung anbietet. Spezialisierung von „Ressort-Löwen“ ist nicht mehr möglich. Neue Multifunktionsjournalisten müssen einen Mord ebenso gut recherchieren wie Theaterkritiken schreiben können. Mit umgehängter Kamera sind sie ihre eigenen Bildberichterstatter.
Erst im Jänner dieses Jahres sahen sich zwei Dutzend Redakteure der „Münsterschen Zeitung“ über Nacht freigesetzt. Herausgeber Lambert Lensing-Wolff suchte neue Kräfte für das „bundesweit innovativste Redaktionsteam“. Dieses Team fand sich jenseits der Tarifverträge in der Neugegründeten „Media Service GmbH“ zusammen. Der Verlag wurde in Billigeinheiten ohne einen Hauch von Mitbestimmung zerlegt. Auch bei der „Frankfurter Rundschau“ arbeiten Redakteure und Outgesourcte vom „Pressedienst Frankfurt“ Tisch an Tisch. Wozu soll man sich hochbezahlte Redakteure mit einem Fachwissen in Aussenpolitik und Geschichte halten, wenn die Stummelsätze für die Kurzfassung des Weltgeschehens auch von Mittelschülern aus dem Internet destilliert werden können?
Eine Entprofessionalisierung eines ganzen Berufsstandes
Der besondere Status des Journalismus kommt den Verlegern zugute. Denn kaum ein Beruf ist unter der jüngeren Generation so begehrt wie der eines Journalisten. Ohne lästige Kenntnisse eines guten Stils oder eines Fachbereiches tappen die multifunktionellen Reporter auch für Löhne wie in Somalia in die Tasten. Es kommt bei immer stärkerer Konzernbildung der Heuschreckenpresse zu einer Entprofessionalisierung eines ganzen Berufsstandes.
Anfang 2006 hatte der britische Investor David Montgomery nach der „Berliner Zeitung“ und dem „Berliner Kurier“ auch die „Hamburger Morgenpost“ gekauft. In drei Jahren will Montgomery den Profit aller drei Blätter vervierfacht haben. Dementsprechend wird „outgesourct“. Die „Rhein Zeitung“ hat ihre Lokalredaktion ausgelagert. Eine Presseagentur „Funk“ liefert ihr nun komplette Lokalseiten zu Dumpingpreisen.
Auch in Österreich hat Anfang März die Tageszeitung „Standard“ die Hälfte aller Angestellten in die Tochterfirma „Standard Service“ zu schlechteren Bedingungen umgesiedelt. Doch dieser outgesourcte Journalismus vergisst auf die grosse Enthüllungsgeschichte und auf den Solo-Aufriss. Seine Geschichten sind immer in der Nähe der PR und der Politik angesiedelt. Eine Beliebigkeit wird zur Titelgeschichte erhoben. Eine Selbstverständlichkeit erzeugt Schlagzeilen. Fast immer tauchen am Rande Politiker, Parteien, Organisationen und Konzerne als Sponsoren auf. Der Multijournalist enthüllt nicht mehr, sondern er sucht die PR in ihrer Nacktheit irgendwie zu verhüllen.
In Deutschland hat die Politik rechtzeitig Schritte gegen so genannte „Gratiszeitungen“ unternommen, denen per Gesetz die Bezeichnung „Zeitung“ verweigert wurde. Sie durften sich nur mehr „Anzeigenblätter“ nennen und konnten kein grösseres Publikum erreichen. Ganz anders verlief die Entwicklung in Österreich und der Schweiz, wo man langsam in einem Berg kostenloser Massenblätter versinkt, die sich alle aus den Anzeigeneinnahmen finanzieren. Sie kommen mit wenig Personal aus.
Sie produzieren entbehrliche Informationen bis hin zu blossem Gewäsch. Die vielen kostenlosen Printorgane scheinen alle die „Kronenzeitung“ zu imitieren. Dieses Blatt mit einer Auflage von rund einer Million Exemplaren hat bei einer Bevölkerung von acht Millionen Menschen eine nahezu obszöne Reichweite von drei Millionen Lesern. Die Moser-Holding gibt der „Krone“ nachempfundene, wöchentliche Gratiszeitungen in den Bundesländern Tirol, Salzburg, Burgenland und Niederösterreich heraus, während die Styria-Verlagsgruppe die Bundesländer Steiermark und Kärnten abdeckt.
Im wuchernden Livestyle-Ressort durchgekaut
Die „Kronenzeitung“ im Eigentum des Verlegers Hans Dichand und der deutschen WAZ entdeckte die Wiener U-Bahn als Absatzlokal. Seit September 2004 liegt nun in eigenen Entnahmeboxen die Gratis-Tageszeitung „Heute“ auf, als deren Herausgeberin die Schwiegertochter Dichands agiert. Eva Dichand hat wenig Kosten für das Personal aufzubringen, da sich das Blatt grossteils von Abfällen der „Kronenzeitung“ nährt. Da „Heute“ in die grossen Städte Graz und Linz zu expandieren suchte, sind dort in grosser Eile ähnliche Produkte auf den Markt gekommen. Seit Mai 2006 bewirft in Graz der Styria-Verlag alle Massenverkehrsmittel mit dem Produkt „OK“, während in Linz „Die Neue“ unentgeltlich zu haben ist.
Da die Expansion von „Heute“ nicht ganz gelang, wird in den Entnahmeboxen der Wiener U-Bahn ab März jeden Freitag eine achtzig Seiten starke Hochglanzillustrierte „Live“ zu holen sein. Gleichzeitig wird auch aus Linz ein ähnliches Produkt unter dem Titel „Weekend“ nach Wien geworfen. Schon seit Monaten mischt die Fast-Gratiszeitung „Österreich“ der Brüder Fellner auf dem überfüllten Markt mit. Das in der Produktion teuer gemachte Blatt wird für 50 Cents abgegeben und zu einem gewissen Prozentsatz auch glatt verschenkt. „Österreich“ sucht in dicken Schlagzeilen zu randalieren und unterhält mehrere, der deutschen Sprache nicht mächtige Prominente als Kommentatoren.
All diese bunt glänzenden und adipösen Blätter unterbieten einander in Qualität. Es schien mit der „Kronenzeitung“ schon die unterste Grenze erreicht zu sein, doch zeigte sich, dass die Qualität nach unten kaum Grenzen zu kennen scheint. Dabei sind es auf immer die gleichen oder die ähnlichen Themen, die im wuchernden Livestyle-Ressort durchgekaut werden: Was Prominente so tun und lassen? Womit sich Prominente bekleiden? Was Prominente so essen?
Peinlich vermieden werden alle Berichte, die die herrschende Ordnung hinterfragen oder kritisieren würden. Der Raubtierkapitalismus in seiner gegenwärtigen Phase will, dass Gewinner und Verlierer im System genau und streng unterschieden werden. Daher dürfen die Gewinner auf wachsenden Flächen in Print und TV ihre Zähne blecken und grinsen. In die Lücke zwischen redaktionellen Text und Werbung werden Gratiszeitungen geworfen, in denen die Verlierer als Kompensation zum Kauf unnötiger Dinge verleitet werden sollen. Das System wird freudig als das beste aller Welten abgenickt. Es regiert das grosse „Ja!“
Unter vielen Verlegern hat sich die Meinung eingebürgert, dass Zeitungen ein Produkt wie Wäscheklammern oder Nasenspay seien und einzig dem Profit zu dienen hätten. Redakteure, Kommentatoren oder Reporter werden dabei eher als hinderlich empfunden, zumal ja ringsum ein Ozean von Informationen zu wogen scheint. Daher wird „ausgelagert“. Meist wird das Lokalressort als Herzstücke jeder Zeitung einem spezialisierten Dienstleistungsanbieter übergeben, der keine Tarifverträge kennt und den gekündigten Journalisten zu minimalen Löhnen weitere Beschäftigung anbietet. Spezialisierung von „Ressort-Löwen“ ist nicht mehr möglich. Neue Multifunktionsjournalisten müssen einen Mord ebenso gut recherchieren wie Theaterkritiken schreiben können. Mit umgehängter Kamera sind sie ihre eigenen Bildberichterstatter.
Erst im Jänner dieses Jahres sahen sich zwei Dutzend Redakteure der „Münsterschen Zeitung“ über Nacht freigesetzt. Herausgeber Lambert Lensing-Wolff suchte neue Kräfte für das „bundesweit innovativste Redaktionsteam“. Dieses Team fand sich jenseits der Tarifverträge in der Neugegründeten „Media Service GmbH“ zusammen. Der Verlag wurde in Billigeinheiten ohne einen Hauch von Mitbestimmung zerlegt. Auch bei der „Frankfurter Rundschau“ arbeiten Redakteure und Outgesourcte vom „Pressedienst Frankfurt“ Tisch an Tisch. Wozu soll man sich hochbezahlte Redakteure mit einem Fachwissen in Aussenpolitik und Geschichte halten, wenn die Stummelsätze für die Kurzfassung des Weltgeschehens auch von Mittelschülern aus dem Internet destilliert werden können?
Eine Entprofessionalisierung eines ganzen Berufsstandes
Der besondere Status des Journalismus kommt den Verlegern zugute. Denn kaum ein Beruf ist unter der jüngeren Generation so begehrt wie der eines Journalisten. Ohne lästige Kenntnisse eines guten Stils oder eines Fachbereiches tappen die multifunktionellen Reporter auch für Löhne wie in Somalia in die Tasten. Es kommt bei immer stärkerer Konzernbildung der Heuschreckenpresse zu einer Entprofessionalisierung eines ganzen Berufsstandes.
Anfang 2006 hatte der britische Investor David Montgomery nach der „Berliner Zeitung“ und dem „Berliner Kurier“ auch die „Hamburger Morgenpost“ gekauft. In drei Jahren will Montgomery den Profit aller drei Blätter vervierfacht haben. Dementsprechend wird „outgesourct“. Die „Rhein Zeitung“ hat ihre Lokalredaktion ausgelagert. Eine Presseagentur „Funk“ liefert ihr nun komplette Lokalseiten zu Dumpingpreisen.
Auch in Österreich hat Anfang März die Tageszeitung „Standard“ die Hälfte aller Angestellten in die Tochterfirma „Standard Service“ zu schlechteren Bedingungen umgesiedelt. Doch dieser outgesourcte Journalismus vergisst auf die grosse Enthüllungsgeschichte und auf den Solo-Aufriss. Seine Geschichten sind immer in der Nähe der PR und der Politik angesiedelt. Eine Beliebigkeit wird zur Titelgeschichte erhoben. Eine Selbstverständlichkeit erzeugt Schlagzeilen. Fast immer tauchen am Rande Politiker, Parteien, Organisationen und Konzerne als Sponsoren auf. Der Multijournalist enthüllt nicht mehr, sondern er sucht die PR in ihrer Nacktheit irgendwie zu verhüllen.
In Deutschland hat die Politik rechtzeitig Schritte gegen so genannte „Gratiszeitungen“ unternommen, denen per Gesetz die Bezeichnung „Zeitung“ verweigert wurde. Sie durften sich nur mehr „Anzeigenblätter“ nennen und konnten kein grösseres Publikum erreichen. Ganz anders verlief die Entwicklung in Österreich und der Schweiz, wo man langsam in einem Berg kostenloser Massenblätter versinkt, die sich alle aus den Anzeigeneinnahmen finanzieren. Sie kommen mit wenig Personal aus.
Sie produzieren entbehrliche Informationen bis hin zu blossem Gewäsch. Die vielen kostenlosen Printorgane scheinen alle die „Kronenzeitung“ zu imitieren. Dieses Blatt mit einer Auflage von rund einer Million Exemplaren hat bei einer Bevölkerung von acht Millionen Menschen eine nahezu obszöne Reichweite von drei Millionen Lesern. Die Moser-Holding gibt der „Krone“ nachempfundene, wöchentliche Gratiszeitungen in den Bundesländern Tirol, Salzburg, Burgenland und Niederösterreich heraus, während die Styria-Verlagsgruppe die Bundesländer Steiermark und Kärnten abdeckt.
Im wuchernden Livestyle-Ressort durchgekaut
Die „Kronenzeitung“ im Eigentum des Verlegers Hans Dichand und der deutschen WAZ entdeckte die Wiener U-Bahn als Absatzlokal. Seit September 2004 liegt nun in eigenen Entnahmeboxen die Gratis-Tageszeitung „Heute“ auf, als deren Herausgeberin die Schwiegertochter Dichands agiert. Eva Dichand hat wenig Kosten für das Personal aufzubringen, da sich das Blatt grossteils von Abfällen der „Kronenzeitung“ nährt. Da „Heute“ in die grossen Städte Graz und Linz zu expandieren suchte, sind dort in grosser Eile ähnliche Produkte auf den Markt gekommen. Seit Mai 2006 bewirft in Graz der Styria-Verlag alle Massenverkehrsmittel mit dem Produkt „OK“, während in Linz „Die Neue“ unentgeltlich zu haben ist.
Da die Expansion von „Heute“ nicht ganz gelang, wird in den Entnahmeboxen der Wiener U-Bahn ab März jeden Freitag eine achtzig Seiten starke Hochglanzillustrierte „Live“ zu holen sein. Gleichzeitig wird auch aus Linz ein ähnliches Produkt unter dem Titel „Weekend“ nach Wien geworfen. Schon seit Monaten mischt die Fast-Gratiszeitung „Österreich“ der Brüder Fellner auf dem überfüllten Markt mit. Das in der Produktion teuer gemachte Blatt wird für 50 Cents abgegeben und zu einem gewissen Prozentsatz auch glatt verschenkt. „Österreich“ sucht in dicken Schlagzeilen zu randalieren und unterhält mehrere, der deutschen Sprache nicht mächtige Prominente als Kommentatoren.
All diese bunt glänzenden und adipösen Blätter unterbieten einander in Qualität. Es schien mit der „Kronenzeitung“ schon die unterste Grenze erreicht zu sein, doch zeigte sich, dass die Qualität nach unten kaum Grenzen zu kennen scheint. Dabei sind es auf immer die gleichen oder die ähnlichen Themen, die im wuchernden Livestyle-Ressort durchgekaut werden: Was Prominente so tun und lassen? Womit sich Prominente bekleiden? Was Prominente so essen?
Peinlich vermieden werden alle Berichte, die die herrschende Ordnung hinterfragen oder kritisieren würden. Der Raubtierkapitalismus in seiner gegenwärtigen Phase will, dass Gewinner und Verlierer im System genau und streng unterschieden werden. Daher dürfen die Gewinner auf wachsenden Flächen in Print und TV ihre Zähne blecken und grinsen. In die Lücke zwischen redaktionellen Text und Werbung werden Gratiszeitungen geworfen, in denen die Verlierer als Kompensation zum Kauf unnötiger Dinge verleitet werden sollen. Das System wird freudig als das beste aller Welten abgenickt. Es regiert das grosse „Ja!“
sfux - 7. Mär, 08:00 Article 3588x read