G8-Foto-Tagebuch - 6. Juni 2007
Bastian Graupner - Der erste Tag des G8-Gipfels brach mit warmen Sonnenstrahlen an, und schon früh morgens machten sich die Demonstranten auf den Weg nach Heiligendamm. Einige hatten Breschen in die Mohn- und Getreidefelder getrommelt.
Am Wegrand standen erschöpfte und frustrierte Polizisten. Etliche schliefen auch in ihren Einsatzfahrzeugen. Zwei Blockaden hatten die rund 2.000 Aktivisten schon aus Rostock kommend mit der „Fünf-Finger-Taktik“ ausgetrickst. Diese aus der Anti-Atomkraft bekannte Taktik hat zum Ziel, die Reihen der Polizei soweit zu dehnen bis sie löchrig werden. Eine gleichgroße Anzahl von Demonstranten lief dazu einer von fünf verschieden farbigen Fahnen hinterher. So wurde die „Frontlinie“ auf bis zu drei Kilometer Länge, über Felder und sogar durch Wälder, gezogen – zu lang für die Polizei – irgendwann brachen die Demonstranten durch die Löcher zwischen den Polizisten.
Wo die Polizei die Straße versperrt, gingen die Demonstranten einfach querfeldein.
Die Süddeutsche Zeitung bemerkte treffend, dass sich ein Bild wie bei mittelalterlichen Schlachten bot – nur blieb es dabei relativ friedlich. Der nun leicht versprengte Tross von G8-Gegnern umging so zahlreiche Straßensperren der Polizei und traf um 13 Uhr in dem kleinen Dorf „Rethwisch-Börgerende“ ein. Dort befand sich eine Notzufahrtsstraße nach Heiligendamm für den Fall, dass die beiden Eingangstore, West- und Osttor, blockiert würden. Ganz Heiligendamm war nämlich durch einen hohen Zaun von der Außenwelt abgetrennt. Pech für die Organisatoren des G8-Gipfels: An diesem Tag war neben den beiden Eingangstoren auch noch die Notzufahrtsstraße und sogar die historische Schmalspurbahnlinie „Molli“ nach Heiligendamm gänzlich von G8-Gegnern blockiert worden. Keiner der G8-Gegner hatte vor diesem Augenblick wohl nur im Traum daran gedacht, dass es wirklich gelingt die Zufahrtsstraßen zum G8-Gipfel vollkommen zu blockieren. Die Polizei bekam die Lage einfach nicht unter Kontrolle. Hubschrauber kreisten derweilen über der Blockade in „Rethwisch-Börgerende“, zu der immer mehr Demonstranten stießen. Rund 2.000 Menschen blockierten die Straße oder saßen am Wegrand.
Gute Stimmung herrschte auf der Blockade bei „Rethwisch-Börgerende“. Ein Haus wurde mit Transparenten der G8-Gegner behangen.
Immer wieder wurde ein Plenum einberufen, bei der jede Bezugsgruppe einen Vertreter schickt, um sich zu beraten.
Bezugsgruppen wurden von den Aktivisten vorher gebildet, sie bestehen aus etwa fünf Personen, die während der Demonstration aufeinander aufpassen. Das Plenum beschloss, erst einmal an Ort und Stelle zu verweilen – das Ziel den G8-Gipfel von den Landstraßen abzuschneiden, war schließlich erreicht worden.
Nun warteten die Gipfelgegner gespannt auf die Reaktion der Polizei. Immer wieder flogen Hubschrauberkonvois von etwa acht Maschinen über die Blockade. Ein Helikopter des deutschen Bundesheeres kreiste zeitweise über der Blockade – der Bundeswehr Einsatz im Innern war Realität.
Um 18 Uhr erging bei den Blockierern die erste Durchsage der Polizei und eine Androhung die Straße zu räumen. Schnell rückten die Demonstranten zusammen, um die Blockade im Fall einer Räumung zusammenzuhalten.
Als die Polizei drohte die Blockade von der Straße zu räumen, rückten die Menschen schnell zusammen und packten Planen und Folien gegen einen möglichen Einsatz des Wasserwerfers aus.
Um 18.16 Uhr setzten sich die Polizisten, ausgerüstet mit Helm und Knüppel, in Bewegung. Aufruhr ging durch die Blockade. Das Ziel der Beamten war jedoch nicht die Blockade, sondern ein im Bau befindliches Haus am Straßenrand an dem die Protestler Banner angebracht hatten.
Einer der Polizisten sprach davon, dass der Bauherr Strafanzeige gegen die Demonstranten gestellt hatte und die Polizei sich deswegen genötigt sah Unruhe in die Situation zu bringen.
Ein Krankenwagen wurde - von Polizisten begleitet - durch die Blockade gelotst. Hinter dem Wagen konnten sich die Aktivisten jedoch wieder hinsetzen - bei einer anderen Blockade soll die Polizei auch hinter dem Krankenwagen hergelaufen sein, um zu verhindern, dass sich die Blockierer wieder auf die Straße setzen konnten.
Schließlich erging am Abend die erlösende Verlautbarung der Polizei über den Lautsprecherwagen und führte zu großem Jubel unter den Blockierern - die Polizei sieht von einer Räumung ab, schneidet die Blockade jedoch von der Infrastruktur ab. Von der „Infrastruktur abschneiden“ hieß in diesem Fall, dass dem örtlichen Wirt verboten wurde etwas an die Demonstranten zu verkaufen, außerdem wurde die mobile Volksküche nicht zur Blockade durchgelassen.
Die Absicht der Polizei zielte natürlich darauf ab den G8-Gegnern zu zeigen, dass die Nacht sehr hart werden würde und sie alle besser nach Hause gehen sollten – dann hätte sich die Blockade quasi von selbst aufgelöst.
Zum Unglück der Polizei entschlossen sich nur wenige zu gehen. Ein Großteil sprang nicht auf die Verlautbarungen der Beamten an. Der Lautsprecherwagen der Demonstranten, ein alter Volkswagen-Bulli, der wohl einmal ein Feuerwehrfahrzeug war, spielte munter Musik zur Unterhaltung der menschlichen Blockade. Die Polizisten nahmen die Helme ab, die Besatzung des Wasserwerfers, der vor den Demonstranten stand, stieg aus ihrem Fahrzeug aus und viele Polizeifahrzeuge fuhren neben der blockierten Straße über die Grasnabe und entfernten sich von der Blockade.
Die Demonstranten spielten derweil Fußball, übten das Jonglieren oder bereiteten sich auf die Nacht vor. Immer wieder brach Jubel aus – die Volksküche kam zwar mit ihrem Fahrzeug nicht bis zur Blockade durch, doch kochte die mobile Großküche stattdessen ein paar Kilometer weiter an einer Polizeisperre und Demonstranten brachten das Essen einfach in großen Gefäßen zur Blockade. Anwohner des kleinen Dorfes freuten sich über die Demonstranten und unterstützten sie zum Argwohn der Polizei mit Wasser und anderer Verpflegung.
Die Taktik der Polizei ging nicht auf .
Essen gab es im Überfluss und die fahrenden Demonstranten hinterließen den Bleibenden ihre Decken und Schlafsäcke. Die Blockaden waren gelebte Solidarität.
Den größten Jubel gab es wohl bei einer Durchsage eines Aktivisten: Dieser hatte mit dem Bauern, dessen Feld zuvor von den Demonstranten in Mitleidenschaft gezogen worden war, gesprochen und wiederholte nun dessen Worte: Es sei nicht schlimm, dass die Demonstranten sein Feld zertrampelten.
Immerhin hätte die Polizei die Aktivisten auch einfach über die Straße gehen lassen können. Anschließend wurden unter den G8-Gegnern Spenden für den Bauer gesammelt – da war es auch schon Nacht.
Am Abend: Was die zum größten Teil aus dem Rostocker Anti-G8-Camp kommenden Menschen bei der Blockade nicht wussten – um etwa 20 Uhr hatte die Polizei ihr Camp im Rostocker Gewerbegebiet Bramow, in dem immerhin 5.000 Personen hausten, umstellt.
Nach Augenzeugenberichten kreiste ein Hubschrauber der Bundespolizei nur hundert Meter über dem Camp. Begründung der Polizei: Sie wollten nachschauen, ob sich Kriminelle im Camp befinden: "Call 122 80".
Am Wegrand standen erschöpfte und frustrierte Polizisten. Etliche schliefen auch in ihren Einsatzfahrzeugen. Zwei Blockaden hatten die rund 2.000 Aktivisten schon aus Rostock kommend mit der „Fünf-Finger-Taktik“ ausgetrickst. Diese aus der Anti-Atomkraft bekannte Taktik hat zum Ziel, die Reihen der Polizei soweit zu dehnen bis sie löchrig werden. Eine gleichgroße Anzahl von Demonstranten lief dazu einer von fünf verschieden farbigen Fahnen hinterher. So wurde die „Frontlinie“ auf bis zu drei Kilometer Länge, über Felder und sogar durch Wälder, gezogen – zu lang für die Polizei – irgendwann brachen die Demonstranten durch die Löcher zwischen den Polizisten.
Wo die Polizei die Straße versperrt, gingen die Demonstranten einfach querfeldein.
Die Süddeutsche Zeitung bemerkte treffend, dass sich ein Bild wie bei mittelalterlichen Schlachten bot – nur blieb es dabei relativ friedlich. Der nun leicht versprengte Tross von G8-Gegnern umging so zahlreiche Straßensperren der Polizei und traf um 13 Uhr in dem kleinen Dorf „Rethwisch-Börgerende“ ein. Dort befand sich eine Notzufahrtsstraße nach Heiligendamm für den Fall, dass die beiden Eingangstore, West- und Osttor, blockiert würden. Ganz Heiligendamm war nämlich durch einen hohen Zaun von der Außenwelt abgetrennt. Pech für die Organisatoren des G8-Gipfels: An diesem Tag war neben den beiden Eingangstoren auch noch die Notzufahrtsstraße und sogar die historische Schmalspurbahnlinie „Molli“ nach Heiligendamm gänzlich von G8-Gegnern blockiert worden. Keiner der G8-Gegner hatte vor diesem Augenblick wohl nur im Traum daran gedacht, dass es wirklich gelingt die Zufahrtsstraßen zum G8-Gipfel vollkommen zu blockieren. Die Polizei bekam die Lage einfach nicht unter Kontrolle. Hubschrauber kreisten derweilen über der Blockade in „Rethwisch-Börgerende“, zu der immer mehr Demonstranten stießen. Rund 2.000 Menschen blockierten die Straße oder saßen am Wegrand.
Gute Stimmung herrschte auf der Blockade bei „Rethwisch-Börgerende“. Ein Haus wurde mit Transparenten der G8-Gegner behangen.
Immer wieder wurde ein Plenum einberufen, bei der jede Bezugsgruppe einen Vertreter schickt, um sich zu beraten.
Bezugsgruppen wurden von den Aktivisten vorher gebildet, sie bestehen aus etwa fünf Personen, die während der Demonstration aufeinander aufpassen. Das Plenum beschloss, erst einmal an Ort und Stelle zu verweilen – das Ziel den G8-Gipfel von den Landstraßen abzuschneiden, war schließlich erreicht worden.
Nun warteten die Gipfelgegner gespannt auf die Reaktion der Polizei. Immer wieder flogen Hubschrauberkonvois von etwa acht Maschinen über die Blockade. Ein Helikopter des deutschen Bundesheeres kreiste zeitweise über der Blockade – der Bundeswehr Einsatz im Innern war Realität.
Um 18 Uhr erging bei den Blockierern die erste Durchsage der Polizei und eine Androhung die Straße zu räumen. Schnell rückten die Demonstranten zusammen, um die Blockade im Fall einer Räumung zusammenzuhalten.
Als die Polizei drohte die Blockade von der Straße zu räumen, rückten die Menschen schnell zusammen und packten Planen und Folien gegen einen möglichen Einsatz des Wasserwerfers aus.
Um 18.16 Uhr setzten sich die Polizisten, ausgerüstet mit Helm und Knüppel, in Bewegung. Aufruhr ging durch die Blockade. Das Ziel der Beamten war jedoch nicht die Blockade, sondern ein im Bau befindliches Haus am Straßenrand an dem die Protestler Banner angebracht hatten.
Einer der Polizisten sprach davon, dass der Bauherr Strafanzeige gegen die Demonstranten gestellt hatte und die Polizei sich deswegen genötigt sah Unruhe in die Situation zu bringen.
Ein Krankenwagen wurde - von Polizisten begleitet - durch die Blockade gelotst. Hinter dem Wagen konnten sich die Aktivisten jedoch wieder hinsetzen - bei einer anderen Blockade soll die Polizei auch hinter dem Krankenwagen hergelaufen sein, um zu verhindern, dass sich die Blockierer wieder auf die Straße setzen konnten.
Schließlich erging am Abend die erlösende Verlautbarung der Polizei über den Lautsprecherwagen und führte zu großem Jubel unter den Blockierern - die Polizei sieht von einer Räumung ab, schneidet die Blockade jedoch von der Infrastruktur ab. Von der „Infrastruktur abschneiden“ hieß in diesem Fall, dass dem örtlichen Wirt verboten wurde etwas an die Demonstranten zu verkaufen, außerdem wurde die mobile Volksküche nicht zur Blockade durchgelassen.
Die Absicht der Polizei zielte natürlich darauf ab den G8-Gegnern zu zeigen, dass die Nacht sehr hart werden würde und sie alle besser nach Hause gehen sollten – dann hätte sich die Blockade quasi von selbst aufgelöst.
Zum Unglück der Polizei entschlossen sich nur wenige zu gehen. Ein Großteil sprang nicht auf die Verlautbarungen der Beamten an. Der Lautsprecherwagen der Demonstranten, ein alter Volkswagen-Bulli, der wohl einmal ein Feuerwehrfahrzeug war, spielte munter Musik zur Unterhaltung der menschlichen Blockade. Die Polizisten nahmen die Helme ab, die Besatzung des Wasserwerfers, der vor den Demonstranten stand, stieg aus ihrem Fahrzeug aus und viele Polizeifahrzeuge fuhren neben der blockierten Straße über die Grasnabe und entfernten sich von der Blockade.
Die Demonstranten spielten derweil Fußball, übten das Jonglieren oder bereiteten sich auf die Nacht vor. Immer wieder brach Jubel aus – die Volksküche kam zwar mit ihrem Fahrzeug nicht bis zur Blockade durch, doch kochte die mobile Großküche stattdessen ein paar Kilometer weiter an einer Polizeisperre und Demonstranten brachten das Essen einfach in großen Gefäßen zur Blockade. Anwohner des kleinen Dorfes freuten sich über die Demonstranten und unterstützten sie zum Argwohn der Polizei mit Wasser und anderer Verpflegung.
Die Taktik der Polizei ging nicht auf .
Essen gab es im Überfluss und die fahrenden Demonstranten hinterließen den Bleibenden ihre Decken und Schlafsäcke. Die Blockaden waren gelebte Solidarität.
Den größten Jubel gab es wohl bei einer Durchsage eines Aktivisten: Dieser hatte mit dem Bauern, dessen Feld zuvor von den Demonstranten in Mitleidenschaft gezogen worden war, gesprochen und wiederholte nun dessen Worte: Es sei nicht schlimm, dass die Demonstranten sein Feld zertrampelten.
Immerhin hätte die Polizei die Aktivisten auch einfach über die Straße gehen lassen können. Anschließend wurden unter den G8-Gegnern Spenden für den Bauer gesammelt – da war es auch schon Nacht.
Am Abend: Was die zum größten Teil aus dem Rostocker Anti-G8-Camp kommenden Menschen bei der Blockade nicht wussten – um etwa 20 Uhr hatte die Polizei ihr Camp im Rostocker Gewerbegebiet Bramow, in dem immerhin 5.000 Personen hausten, umstellt.
Nach Augenzeugenberichten kreiste ein Hubschrauber der Bundespolizei nur hundert Meter über dem Camp. Begründung der Polizei: Sie wollten nachschauen, ob sich Kriminelle im Camp befinden: "Call 122 80".
onlineredaktion - 20. Jun, 07:30 Article 2688x read