Deutschland den Deutschen?
Michael Schulze von Glaßer – Die Presse überschlägt sich – am 19. August wurden acht indische Männer von etwa 50 Deutschen nach einem Volksfest durch die sächsische Kleinstadt Mügeln gejagt. Die Inder wurden zum Teil schwer im Gesicht verletzt und konnten in letzter Sekunde in eine örtliche Pizzeria fliehen, in der sie sich zusammen mit dem Ladenbesitzer verbarrikadierten. Der wütende Mob schlug indes Scheiben ein und zerstörte ein Auto. Eine halbe Stunde nachdem der Notruf der Inder bei der Polizei eingegangen war, konnte die Polizei die Menge von der Pizzeria abdrängen und beruhigen. Mügeln, eine Kleinstadt voller Rechtsextremisten?
Die genaue Chronik des Abends ist noch unbekannt. Soviel steht fest: Es ist zu Rempeleien zwischen den Indern und anderen Gästen auf dem Volksfest gekommen. Dann gehen die Augenzeugenberichte auseinander. Die einen sprechen Neonazis die gezielt auf die Inder losgingen – die andern sprechen von Messern und abgebrochenen Flaschen, mit der die Inder auf die Gäste des Volksfestes losstürmten.
Die Hetzjagd auf die Inder soll mit den Parolen „Hier regiert der nationale Widerstand!“ und „Ausländer raus!“ begleitet worden sein – eindeutig fremdenfeindliche Parole. Doch wer hat sie gerufen? Viele Augenzeugen sprechen von Glatzköpfen vor dem Festzelt. Auch wenn sich die Neonazi-Szene in Deutschland immer mehr vom ursprünglich unpolitischen Skinhead-Look verabschiedet, laufen noch immer einige Neonazis in Deutschland kahlköpfig herum. Es wäre auch nicht verwunderlich, wenn sich im sächsischen Mügeln Rechtsextremisten herumtreiben würden – immerhin weist Sachsen mit 819 Gewalttaten im Jahr 2006 den höchsten Gewaltstand mit rechtsextremen Hintergrund in der Bundesrepublik auf, zudem stieg die Zahl der rechten Gewalttaten von 2006 zum Vorjahr um 18 Prozent. Doch wurde die Tat wirklich nur von Rechtsextremisten ausgeführt?
Abschiebe Lager Büren
„Mügeln hat sich einen guten Ruf aufgebaut, hier gibt es keine Rechtsextremen.“ Wenn es Rechtsextreme gewesen waren, „dann kamen die Täter nicht aus Mügeln“ sagte der Bürgermeister des 5.000-Seelen Ortes, Gotthard Deuse, im Interview mit dem Fernsehsender N24. Doch wer kann schon in die Köpfe der Mügelner Bürgerinnen und Bürger gucken? „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, erzählte ein junger Mann vom Mügelner Jugendtreff SPIEGEL-Online. „Da waren am Ende alle dabei, von jung bis alt, vom Punk bis zum Skinhead.“ Also nicht nur Rechtsextremisten?
Mit Sicherheit nicht, denn Ausländerfeindlichkeit kommt aus der Mitte der Gesellschaft – man muss kein Rechtsextremist sein, um etwas gegen Ausländer zu haben. „Ausländer raus!“ schreien nicht nur Nazis, sondern auch deutsche Politiker wie beispielsweise der Bayerische Innenminister Günther Beckstein – und diese sind nicht in der NPD. Da passt es doch, dass der FDP-Bürgermeister von Mügeln, Gotthard Deuse, nun auch der Wocheneitung „Junge Freiheit“ ein Interview gab, in dem er beteuert, stolz darauf zu sein, dass er Deutscher ist und Nationalstolz doch etwas Tolles sei. Die FDP-Bundestagspartei und selbsternannte „Partei der Mitte“ sah keinen Grund den Bürgermeister zu bremsen. Sachsens NPD-Vize Holger Apfel frohlockte „Weiter so Deuse!“.
Ausländerfeindlichkeit aus der Mitte der Gesellschaft
Neben Sondergesetzen für Ausländer gelten für diese Menschen selbst die Grundrechte nicht. Auch grundlegende Menschenrechte, wie das Recht sich frei bewegen zu dürfen, gilt für Menschen ohne deutschen Pass nicht. Ausländer können heute ohne etwas verbrochen zu haben ins Gefängnis gesteckt werden. Am Ende einer ganzen Reihe von Diskriminierungen steht die Abschiebung in ein anderes Land gegen den Willen der Menschen.
Was sich unglaublich anhört, sieht im Detail wie folgt aus:
Ende 2006 lebten etwa 6,7 Millionen Ausländer in Deutschland. Betrug die Zahl der Asylanträge im Jahr 1993 noch 513.561 waren es im Jahr 2006 gerade einmal 30.759. Die Chance auf Asyl in Deutschland beträgt heute nicht einmal mehr 1 Prozent. Von den über 30.000 Asylanträgen im Jahr 2006 wurde gerade einmal 251 angenommen, was 0,8 Prozent entspricht so die Organisation PRO ASYL. Wegen den häufig abgelehnten Asylanträgen versuchen es die meisten Ausländer gar nicht erst einen solchen Antrag zu stellen. Oft sind sie auch nicht in der Lage dazu, denn die Behördengänge und das Behördendeutsch können viele nicht allein bewältigen – selbst Deutsche wären bei den Anträgen überfordert.
Die Ausländer leben in Deutschland also oft in der Illegalität und werden nur „geduldet“, wie die Behörden es nennen. „Geduldete“ müssen generell jederzeit mit ihrer Abschiebung rechnen und dürfen sich daher auch nicht frei bewegen. Die Behörden können die Zeitspanne der „Duldung“ allerdings frei festlegen. So müssen manche Ausländer nur jeden Monat zum örtlichen Ausländeramt, um ihre „Duldung“ zu verlängern; im schlimmsten Fall müssen sie sich jedoch alle 24-Stunden bei der Behörde melden. Wird die Duldung einmal nicht verlängert, droht die konkrete Abschiebung ins vermeintliche Heimatland. Der psychische Stress, der bei jedem Besuch der Ausländerbehörde auf die Menschen wirkt, muss unglaublich sein – viele Menschen brechen wegen der psychischen Belastung zusammen.
Polizisten schotteten den Abschiebeknast Büren bei einer Demonstration gegen Abschiebungen am 2.September 2007 ab
Lebenslanges Asyl wird nur gewährt, wenn den Menschen in ihrem vermeintlichen Heimatland Folter oder Tod droht. Trotzdem werden Menschen auch nach Afghanistan oder in den Irak abgeschoben – die Innenministerkonferenz hatte im November auf dem Gipfel zum Thema „Bleiberecht“ beschlossen, dass Menschen auch in den Irak abgeschoben werden dürfen. Der Irak war das letzte Land, in das bisher nicht abgeschoben werden durfte, nun darf in weltweit jedes Land abgeschoben werden. In Afghanistan sollen deutsche Soldaten die unsichere Lage befrieden, für die nach Deutschland geflüchteten Afghanen soll es dort aber friedlich und sicher genug sein – ebenso im Libanon, für dem regelmäßig Reisewarnungen wegen der schlechten Sicherheitslage vom Auswärtigen Amt ausgesprochen werden.
Was mit den abgeschobenen Menschen nach dem Verlassen des Flugzeuges, mit dem sie abgeschoben wurden, passiert, interessiert die heutige Politik nicht – die Menschen werden aber in den wenigsten Fällen mit offenen Armen empfangen. Oft soll es vorkommen, dass den Abgeschobenen noch am Flughafen die rund 200 Euro, die ihnen der deutsche Staat großzügig als Startkapital in ein neues Leben mitgibt, von Gaunern abgenommen werden. Die Menschen haben Gründe, die Sie zwingen ihr Heimatland zu verlassen. Es ist naiv anzunehmen, sie täten diesen Schritt nur, um Deutschland als „Asylparasit“ zu schaden - wie es einige konservative Politiker behaupten.
Am schlimmsten trifft es – wie so oft – die Kinder. Denn Kinder die in Deutschland geboren wurden und deren Eltern nur „geduldet“ sind, werden ebenfalls abgeschoben. Dies wird mit fortschreitender Zeit zunehmend kritischer. Manche einst ausländische Familien sind schon seit zehn oder mehr Jahren in Deutschland geduldet.
Die Kinder beherrschen oft weder die Sprache des Landes ihrer Eltern und kennen fast nie die Kultur des Heimatlandes ihrer Ahnen – trotzdem werden sie mit ihren Eltern in ein für sie vollkommen fremdes Land abgeschoben. Diese Kinder und Jugendlichen leben in einer rechtlich zwar geregelten aber praktisch doch in einer Grau-Zone, da sie wegen ihrem ausländischen Pass nicht in Deutschland sein dürfen, aber das andere Land – das Heimatland ihrer Eltern – vollkommen fremd ist. Diese Absurdität kommt leider nicht selten vor. Bei der Abschiebung werden Kinder außerdem oft von ihren Eltern getrennt und auch Minderjährige werden in Abschiebehaft genommen.
Vor allem Kinder ausländischer Eltern, die nach Deutschland kommen oder hier geboren wurden, sind meist gut integriert. Der Ruf nach Integration ist zwar in den letzten Jahren laut geworden. Dabei wird jedoch vergessen, dass sich die meisten Flüchtlinge gar nicht integrieren sollen und es ihnen deshalb auch erschwert wird. Wer zu den 200.000 in Deutschland lebenden „geduldeten“ Flüchtlingen gehört, bekommt keine Arbeitserlaubnis. Arbeit ist aber zur Integration besonders wichtig.
Auch dürfen sich die Flüchtlinge nur in einem von der Ausländerbehörde bestimmten Umkreis – im besten Fall im ganzen Bundesland – frei bewegen. Regierungspolitiker fordern also mehr Integration und verbieten es den Ausländern gleichzeitig – verkehrte Welt? Rein rechtlich gesehen nicht. Das Ausländergesetz definiert „Duldung“ als „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“. Die Menschen sollen also abgeschoben werden, doch sie werden es aus verschiedensten Gründen nicht. Oft wird den Menschen aus anderen Ländern daher nahe gelegt, von selbst in ihr Heimatland zurück zukehren, ohne dass es zu einer grausamen Abschiebung bei Nacht und Nebel kommt. Doch wer würde schon freiwillig ausreisen, wenn er es mit Mühe und Not gerade geschafft hat, aus seinem verarmten Land zu fliehen? In der Realität reist nur ein Bruchteil freiwillig aus.
Für Menschen ohne deutschen Pass gelten andere Rechte als für Deutsche. Neben den bundesweiten Regelungen der Ausländergesetzte gibt es in den Landkreisen und Städten noch zusätzlich eigene Bestimmungen. So wird den Ausländern der Umgang mit Geld häufig nicht zugetraut. Stattdessen bekommen diese Warengutscheine. Dies soll auch dazu beitragen das, dass Geld nicht für unnütze Dinge oder für kriminelle Zwecke verwendet wird. Dadurch werden Ausländer unter Generalverdacht gestellt, krumme Geschäfte machen zu wollen.
Integration wird auch bei der Teilnahme an politischen Entscheidungen gezielt verhindert. So dürfen selbst Ausländer, die seit über zehn Jahren in Deutschland leben, nicht an Wahlen teilnehmen. Wie einst Frauen wird noch heute den hier lebenden Ausländern das Wahlrecht verwehrt. Natürlich ist klar wer diese Hürde hochhält – es sind vor allem die nationalistischen Parteien und insbesondere die CDU, denn wenn lange in Deutschland lebende Ausländer wählen dürften, würden sie ihr Kreuzchen sicher nicht bei der Union machen, die sie so diskriminiert. Auch die SPD würde mit Sicherheit nur wenig Stimmen bekommen.
Geheimsache Abschiebung
Abschiebungen finden meist, wie einst bei den Nazis im Hitler-Deutschland, als diese die Juden aus den Städten sammelten, um sie den Konzentrationslagern zuzuführen, in Nacht- und Nebelaktionen statt. Einerseits, um den Überraschungseffekt auszunutzen und die Menschen auch in ihren Wohnungen anzutreffen, da ja immer Fluchtgefahr besteht. Andererseits soll auch die restliche Bevölkerung nicht mitkriegen, dass immer noch Menschen gegen ihren Willen verschleppt werden. Deutsche sollen offenbar nicht wissen, was um sie herum vorgeht.
Die meisten Ausländer und Ausländerinnen werden dann in eine Justizvollzugsanstalt gebracht. Diese speziellen Abschiebeknäste sind jedoch häufig nicht mitten in einer Stadt oder in der Nähe davon, sondern meist an abgelegenen Orten zu finden. Die JVA Büren ist die größte Abschiebehaftanstalt in Deutschland. Das reine Männergefängnis bietet Platz für 560 Menschen. Die Umbaukosten des ehemaligen NATO-Lagers kosteten über 15 Millionen Euro. Das Lager wurde 1994 in Betrieb genommen und mittlerweile teilprivatisiert, was heißt, dass Justizvollzugsbeamte durch privates Sicherheitspersonal ersetzt wurden.
Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist das Gefängnis nicht zu erreichen, es liegt 20 Kilometer südlich von Paderborn und 8 Kilometer von der Stadt Büren entfernt mitten in einem dichten Wald. Bis zu 18 Monate sitzen die Menschen dort ohne richterlichen Beschluss in Haft. Spätestens dann werden die Menschen abgeschoben, also in ihr vermeintliches Heimatland gebracht.
Mitten im nirgendwo – Abschiebelager Büren.
Sechs Meter hohe Betonmauern und modernste Sicherheitstechnik riegeln die JVA-Büren ab. Das Foto entstand auf der Demonstration gegen Abschiebung am 2. September 2007.
Festung Europa
Kriege, Hungersnöte, Armut und nicht zuletzt der Klimawandel lassen Wissenschaftler einen gewaltigen Flüchtlingsstrom in die Industrienationen prognostizieren. Europa rüstet sich gegen die Flüchtlingsschar. Denn sind die Flüchtlinge einmal in der EU, könnten sie ihren Asylantrag stellen und blieben in jedem Fall einige Monate hier. Ziel der Politiker ist es, dies zu verhindern. Kritiker bezeichnen diese Abschottung als „Festung Europa“, die verantwortlichen Politiker als Schutzwall – gemeint sind die Außengrenzen der EU. Seit einigen Jahren spielt eine Unterabteilung der EU bei der Flüchtlingsbekämpfung – denn das ist es, was diese Abteilung macht – eine große Rolle: Frontex.
Die Abteilung ist wie ein Unternehmen aufgebaut und soll die Einreise von Flüchtlingen, die vielleicht sogar eine Chance auf Asyl hätten, mit allen Mitteln verhindern. Dafür werden keine Kosten und Mühen gescheut. Mit Booten patrouilliert Frontex beispielsweise vor Malta, um die Flüchtlingsboote aus Afrika davon abzuhalten die EU zu erreichen. Frontex ist eine eigene EU-Grenzschutzagentur zur Abwehr von Ausländerinnen und Ausländern.
Fazit
Noch immer sitzen in den Köpfen vieler Deutscher die Klischees vom bösen, kriminellen Ausländer, der Deutschland wie eine Parasit aussaugen will. Diese Vorurteile müssen abgebaut werden, denn es ist töricht anzunehmen, die Menschen verließen aus Spaß ihr Ursprungsland. Deutschland und die EU sind strukturell ausländerfeindlich. Menschen, die nicht in einer Industrienation geboren wurden, sind in Deutschland und der EU Menschen dritter Klasse. Die Barrieren in den Köpfen müssen abgebaut werden und Grenzen verschwinden. Es ist reiner Zufall, wo man geboren wird. Nicht die Menschen sind unterschiedlich, sondern ihr Pass. Wer einen „falschen“ Pass hat, ist nicht weniger Wert als andere Menschen und darf auch nicht weniger Rechte besitzen oder anders behandelt werden.
„Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit!“ (Europäische Menschenrechtskonvention von 1950)
Am 2. September 2007 traten 60 Insassen des Abschiebehaftanstalt Büren in einen Hungerstreik gegen Abschiebung und Abschiebelager. Die Inhaftierten wollen mit dem Streik auch auf die miserablen Haftbedingungen in der JVA aufmerksam machen. Heizungen würden oft zu spät angestellt – die Inhaftierten müssten lange Zeit frieren. Außerdem sollen die Preise beim kleinen Lädchen in der JVA überteuert sein und die Menschen müssten teilweise für nur 50 Cent die Stunde arbeiten. In Lippstadt und Münster (beide in NRW) fanden in den letzten Wochen verschiedene Solidaritätsaktionen statt.
Die Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion Sevim Dagdelen besuchte die Inhaftierten und die Grünen stellten im Nordrhein-westfälischen Landtag eine Anfrage zur Situation der streikenden Flüchtlinge. Am 11.September befanden sich immer noch sechs Inhaftierte im Streik, aktuelle Informationen gibt es unter http://www.bueren-demo.de/ wo es auch Informationen zu Protestveranstaltungen zum Thema „Abschiebung“ gibt.
Links:
Gegenabschiebehaft
Bueren Demo
Graswurzel
Abgeschoben
Sehr empfehlenswert ist die preisgekrönte Dokumentation „Abschiebung im Morgengrauen“ und hier von Regisseur Michael Richter.
Die genaue Chronik des Abends ist noch unbekannt. Soviel steht fest: Es ist zu Rempeleien zwischen den Indern und anderen Gästen auf dem Volksfest gekommen. Dann gehen die Augenzeugenberichte auseinander. Die einen sprechen Neonazis die gezielt auf die Inder losgingen – die andern sprechen von Messern und abgebrochenen Flaschen, mit der die Inder auf die Gäste des Volksfestes losstürmten.
Die Hetzjagd auf die Inder soll mit den Parolen „Hier regiert der nationale Widerstand!“ und „Ausländer raus!“ begleitet worden sein – eindeutig fremdenfeindliche Parole. Doch wer hat sie gerufen? Viele Augenzeugen sprechen von Glatzköpfen vor dem Festzelt. Auch wenn sich die Neonazi-Szene in Deutschland immer mehr vom ursprünglich unpolitischen Skinhead-Look verabschiedet, laufen noch immer einige Neonazis in Deutschland kahlköpfig herum. Es wäre auch nicht verwunderlich, wenn sich im sächsischen Mügeln Rechtsextremisten herumtreiben würden – immerhin weist Sachsen mit 819 Gewalttaten im Jahr 2006 den höchsten Gewaltstand mit rechtsextremen Hintergrund in der Bundesrepublik auf, zudem stieg die Zahl der rechten Gewalttaten von 2006 zum Vorjahr um 18 Prozent. Doch wurde die Tat wirklich nur von Rechtsextremisten ausgeführt?
Abschiebe Lager Büren
„Mügeln hat sich einen guten Ruf aufgebaut, hier gibt es keine Rechtsextremen.“ Wenn es Rechtsextreme gewesen waren, „dann kamen die Täter nicht aus Mügeln“ sagte der Bürgermeister des 5.000-Seelen Ortes, Gotthard Deuse, im Interview mit dem Fernsehsender N24. Doch wer kann schon in die Köpfe der Mügelner Bürgerinnen und Bürger gucken? „So etwas habe ich noch nicht erlebt“, erzählte ein junger Mann vom Mügelner Jugendtreff SPIEGEL-Online. „Da waren am Ende alle dabei, von jung bis alt, vom Punk bis zum Skinhead.“ Also nicht nur Rechtsextremisten?
Mit Sicherheit nicht, denn Ausländerfeindlichkeit kommt aus der Mitte der Gesellschaft – man muss kein Rechtsextremist sein, um etwas gegen Ausländer zu haben. „Ausländer raus!“ schreien nicht nur Nazis, sondern auch deutsche Politiker wie beispielsweise der Bayerische Innenminister Günther Beckstein – und diese sind nicht in der NPD. Da passt es doch, dass der FDP-Bürgermeister von Mügeln, Gotthard Deuse, nun auch der Wocheneitung „Junge Freiheit“ ein Interview gab, in dem er beteuert, stolz darauf zu sein, dass er Deutscher ist und Nationalstolz doch etwas Tolles sei. Die FDP-Bundestagspartei und selbsternannte „Partei der Mitte“ sah keinen Grund den Bürgermeister zu bremsen. Sachsens NPD-Vize Holger Apfel frohlockte „Weiter so Deuse!“.
Ausländerfeindlichkeit aus der Mitte der Gesellschaft
Neben Sondergesetzen für Ausländer gelten für diese Menschen selbst die Grundrechte nicht. Auch grundlegende Menschenrechte, wie das Recht sich frei bewegen zu dürfen, gilt für Menschen ohne deutschen Pass nicht. Ausländer können heute ohne etwas verbrochen zu haben ins Gefängnis gesteckt werden. Am Ende einer ganzen Reihe von Diskriminierungen steht die Abschiebung in ein anderes Land gegen den Willen der Menschen.
Was sich unglaublich anhört, sieht im Detail wie folgt aus:
Ende 2006 lebten etwa 6,7 Millionen Ausländer in Deutschland. Betrug die Zahl der Asylanträge im Jahr 1993 noch 513.561 waren es im Jahr 2006 gerade einmal 30.759. Die Chance auf Asyl in Deutschland beträgt heute nicht einmal mehr 1 Prozent. Von den über 30.000 Asylanträgen im Jahr 2006 wurde gerade einmal 251 angenommen, was 0,8 Prozent entspricht so die Organisation PRO ASYL. Wegen den häufig abgelehnten Asylanträgen versuchen es die meisten Ausländer gar nicht erst einen solchen Antrag zu stellen. Oft sind sie auch nicht in der Lage dazu, denn die Behördengänge und das Behördendeutsch können viele nicht allein bewältigen – selbst Deutsche wären bei den Anträgen überfordert.
Die Ausländer leben in Deutschland also oft in der Illegalität und werden nur „geduldet“, wie die Behörden es nennen. „Geduldete“ müssen generell jederzeit mit ihrer Abschiebung rechnen und dürfen sich daher auch nicht frei bewegen. Die Behörden können die Zeitspanne der „Duldung“ allerdings frei festlegen. So müssen manche Ausländer nur jeden Monat zum örtlichen Ausländeramt, um ihre „Duldung“ zu verlängern; im schlimmsten Fall müssen sie sich jedoch alle 24-Stunden bei der Behörde melden. Wird die Duldung einmal nicht verlängert, droht die konkrete Abschiebung ins vermeintliche Heimatland. Der psychische Stress, der bei jedem Besuch der Ausländerbehörde auf die Menschen wirkt, muss unglaublich sein – viele Menschen brechen wegen der psychischen Belastung zusammen.
Polizisten schotteten den Abschiebeknast Büren bei einer Demonstration gegen Abschiebungen am 2.September 2007 ab
Lebenslanges Asyl wird nur gewährt, wenn den Menschen in ihrem vermeintlichen Heimatland Folter oder Tod droht. Trotzdem werden Menschen auch nach Afghanistan oder in den Irak abgeschoben – die Innenministerkonferenz hatte im November auf dem Gipfel zum Thema „Bleiberecht“ beschlossen, dass Menschen auch in den Irak abgeschoben werden dürfen. Der Irak war das letzte Land, in das bisher nicht abgeschoben werden durfte, nun darf in weltweit jedes Land abgeschoben werden. In Afghanistan sollen deutsche Soldaten die unsichere Lage befrieden, für die nach Deutschland geflüchteten Afghanen soll es dort aber friedlich und sicher genug sein – ebenso im Libanon, für dem regelmäßig Reisewarnungen wegen der schlechten Sicherheitslage vom Auswärtigen Amt ausgesprochen werden.
Was mit den abgeschobenen Menschen nach dem Verlassen des Flugzeuges, mit dem sie abgeschoben wurden, passiert, interessiert die heutige Politik nicht – die Menschen werden aber in den wenigsten Fällen mit offenen Armen empfangen. Oft soll es vorkommen, dass den Abgeschobenen noch am Flughafen die rund 200 Euro, die ihnen der deutsche Staat großzügig als Startkapital in ein neues Leben mitgibt, von Gaunern abgenommen werden. Die Menschen haben Gründe, die Sie zwingen ihr Heimatland zu verlassen. Es ist naiv anzunehmen, sie täten diesen Schritt nur, um Deutschland als „Asylparasit“ zu schaden - wie es einige konservative Politiker behaupten.
Am schlimmsten trifft es – wie so oft – die Kinder. Denn Kinder die in Deutschland geboren wurden und deren Eltern nur „geduldet“ sind, werden ebenfalls abgeschoben. Dies wird mit fortschreitender Zeit zunehmend kritischer. Manche einst ausländische Familien sind schon seit zehn oder mehr Jahren in Deutschland geduldet.
Die Kinder beherrschen oft weder die Sprache des Landes ihrer Eltern und kennen fast nie die Kultur des Heimatlandes ihrer Ahnen – trotzdem werden sie mit ihren Eltern in ein für sie vollkommen fremdes Land abgeschoben. Diese Kinder und Jugendlichen leben in einer rechtlich zwar geregelten aber praktisch doch in einer Grau-Zone, da sie wegen ihrem ausländischen Pass nicht in Deutschland sein dürfen, aber das andere Land – das Heimatland ihrer Eltern – vollkommen fremd ist. Diese Absurdität kommt leider nicht selten vor. Bei der Abschiebung werden Kinder außerdem oft von ihren Eltern getrennt und auch Minderjährige werden in Abschiebehaft genommen.
Vor allem Kinder ausländischer Eltern, die nach Deutschland kommen oder hier geboren wurden, sind meist gut integriert. Der Ruf nach Integration ist zwar in den letzten Jahren laut geworden. Dabei wird jedoch vergessen, dass sich die meisten Flüchtlinge gar nicht integrieren sollen und es ihnen deshalb auch erschwert wird. Wer zu den 200.000 in Deutschland lebenden „geduldeten“ Flüchtlingen gehört, bekommt keine Arbeitserlaubnis. Arbeit ist aber zur Integration besonders wichtig.
Auch dürfen sich die Flüchtlinge nur in einem von der Ausländerbehörde bestimmten Umkreis – im besten Fall im ganzen Bundesland – frei bewegen. Regierungspolitiker fordern also mehr Integration und verbieten es den Ausländern gleichzeitig – verkehrte Welt? Rein rechtlich gesehen nicht. Das Ausländergesetz definiert „Duldung“ als „vorübergehende Aussetzung der Abschiebung“. Die Menschen sollen also abgeschoben werden, doch sie werden es aus verschiedensten Gründen nicht. Oft wird den Menschen aus anderen Ländern daher nahe gelegt, von selbst in ihr Heimatland zurück zukehren, ohne dass es zu einer grausamen Abschiebung bei Nacht und Nebel kommt. Doch wer würde schon freiwillig ausreisen, wenn er es mit Mühe und Not gerade geschafft hat, aus seinem verarmten Land zu fliehen? In der Realität reist nur ein Bruchteil freiwillig aus.
Für Menschen ohne deutschen Pass gelten andere Rechte als für Deutsche. Neben den bundesweiten Regelungen der Ausländergesetzte gibt es in den Landkreisen und Städten noch zusätzlich eigene Bestimmungen. So wird den Ausländern der Umgang mit Geld häufig nicht zugetraut. Stattdessen bekommen diese Warengutscheine. Dies soll auch dazu beitragen das, dass Geld nicht für unnütze Dinge oder für kriminelle Zwecke verwendet wird. Dadurch werden Ausländer unter Generalverdacht gestellt, krumme Geschäfte machen zu wollen.
Integration wird auch bei der Teilnahme an politischen Entscheidungen gezielt verhindert. So dürfen selbst Ausländer, die seit über zehn Jahren in Deutschland leben, nicht an Wahlen teilnehmen. Wie einst Frauen wird noch heute den hier lebenden Ausländern das Wahlrecht verwehrt. Natürlich ist klar wer diese Hürde hochhält – es sind vor allem die nationalistischen Parteien und insbesondere die CDU, denn wenn lange in Deutschland lebende Ausländer wählen dürften, würden sie ihr Kreuzchen sicher nicht bei der Union machen, die sie so diskriminiert. Auch die SPD würde mit Sicherheit nur wenig Stimmen bekommen.
Geheimsache Abschiebung
Abschiebungen finden meist, wie einst bei den Nazis im Hitler-Deutschland, als diese die Juden aus den Städten sammelten, um sie den Konzentrationslagern zuzuführen, in Nacht- und Nebelaktionen statt. Einerseits, um den Überraschungseffekt auszunutzen und die Menschen auch in ihren Wohnungen anzutreffen, da ja immer Fluchtgefahr besteht. Andererseits soll auch die restliche Bevölkerung nicht mitkriegen, dass immer noch Menschen gegen ihren Willen verschleppt werden. Deutsche sollen offenbar nicht wissen, was um sie herum vorgeht.
Die meisten Ausländer und Ausländerinnen werden dann in eine Justizvollzugsanstalt gebracht. Diese speziellen Abschiebeknäste sind jedoch häufig nicht mitten in einer Stadt oder in der Nähe davon, sondern meist an abgelegenen Orten zu finden. Die JVA Büren ist die größte Abschiebehaftanstalt in Deutschland. Das reine Männergefängnis bietet Platz für 560 Menschen. Die Umbaukosten des ehemaligen NATO-Lagers kosteten über 15 Millionen Euro. Das Lager wurde 1994 in Betrieb genommen und mittlerweile teilprivatisiert, was heißt, dass Justizvollzugsbeamte durch privates Sicherheitspersonal ersetzt wurden.
Mit öffentlichen Verkehrsmitteln ist das Gefängnis nicht zu erreichen, es liegt 20 Kilometer südlich von Paderborn und 8 Kilometer von der Stadt Büren entfernt mitten in einem dichten Wald. Bis zu 18 Monate sitzen die Menschen dort ohne richterlichen Beschluss in Haft. Spätestens dann werden die Menschen abgeschoben, also in ihr vermeintliches Heimatland gebracht.
Mitten im nirgendwo – Abschiebelager Büren.
Sechs Meter hohe Betonmauern und modernste Sicherheitstechnik riegeln die JVA-Büren ab. Das Foto entstand auf der Demonstration gegen Abschiebung am 2. September 2007.
Festung Europa
Kriege, Hungersnöte, Armut und nicht zuletzt der Klimawandel lassen Wissenschaftler einen gewaltigen Flüchtlingsstrom in die Industrienationen prognostizieren. Europa rüstet sich gegen die Flüchtlingsschar. Denn sind die Flüchtlinge einmal in der EU, könnten sie ihren Asylantrag stellen und blieben in jedem Fall einige Monate hier. Ziel der Politiker ist es, dies zu verhindern. Kritiker bezeichnen diese Abschottung als „Festung Europa“, die verantwortlichen Politiker als Schutzwall – gemeint sind die Außengrenzen der EU. Seit einigen Jahren spielt eine Unterabteilung der EU bei der Flüchtlingsbekämpfung – denn das ist es, was diese Abteilung macht – eine große Rolle: Frontex.
Die Abteilung ist wie ein Unternehmen aufgebaut und soll die Einreise von Flüchtlingen, die vielleicht sogar eine Chance auf Asyl hätten, mit allen Mitteln verhindern. Dafür werden keine Kosten und Mühen gescheut. Mit Booten patrouilliert Frontex beispielsweise vor Malta, um die Flüchtlingsboote aus Afrika davon abzuhalten die EU zu erreichen. Frontex ist eine eigene EU-Grenzschutzagentur zur Abwehr von Ausländerinnen und Ausländern.
Fazit
Noch immer sitzen in den Köpfen vieler Deutscher die Klischees vom bösen, kriminellen Ausländer, der Deutschland wie eine Parasit aussaugen will. Diese Vorurteile müssen abgebaut werden, denn es ist töricht anzunehmen, die Menschen verließen aus Spaß ihr Ursprungsland. Deutschland und die EU sind strukturell ausländerfeindlich. Menschen, die nicht in einer Industrienation geboren wurden, sind in Deutschland und der EU Menschen dritter Klasse. Die Barrieren in den Köpfen müssen abgebaut werden und Grenzen verschwinden. Es ist reiner Zufall, wo man geboren wird. Nicht die Menschen sind unterschiedlich, sondern ihr Pass. Wer einen „falschen“ Pass hat, ist nicht weniger Wert als andere Menschen und darf auch nicht weniger Rechte besitzen oder anders behandelt werden.
„Jeder Mensch hat das Recht auf Freiheit!“ (Europäische Menschenrechtskonvention von 1950)
Am 2. September 2007 traten 60 Insassen des Abschiebehaftanstalt Büren in einen Hungerstreik gegen Abschiebung und Abschiebelager. Die Inhaftierten wollen mit dem Streik auch auf die miserablen Haftbedingungen in der JVA aufmerksam machen. Heizungen würden oft zu spät angestellt – die Inhaftierten müssten lange Zeit frieren. Außerdem sollen die Preise beim kleinen Lädchen in der JVA überteuert sein und die Menschen müssten teilweise für nur 50 Cent die Stunde arbeiten. In Lippstadt und Münster (beide in NRW) fanden in den letzten Wochen verschiedene Solidaritätsaktionen statt.
Die Bundestagsabgeordnete der Linksfraktion Sevim Dagdelen besuchte die Inhaftierten und die Grünen stellten im Nordrhein-westfälischen Landtag eine Anfrage zur Situation der streikenden Flüchtlinge. Am 11.September befanden sich immer noch sechs Inhaftierte im Streik, aktuelle Informationen gibt es unter http://www.bueren-demo.de/ wo es auch Informationen zu Protestveranstaltungen zum Thema „Abschiebung“ gibt.
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Gegenabschiebehaft
Bueren Demo
Graswurzel
Abgeschoben
Sehr empfehlenswert ist die preisgekrönte Dokumentation „Abschiebung im Morgengrauen“ und hier von Regisseur Michael Richter.
sfux - 19. Sep, 08:01 Article 5292x read