Brasilien: Oberstes Bundesgericht nimmt Anklagen gegen Vertraute Lulas an
Karl Weiss - Die von einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss angeklagten Politiker der PT Lulas und andere Vertraute des brasilianischen Präsidenten wurden vor dem obersten Bundesgericht angeklagt. Es nahm fast alle Anklagen gegen alle Angeklagten an und wird nun in einem langen Gerichtsverfahren die Schuld zu klären haben.
Vor etwa eineinhalb Jahren (März 2006) wurde ein umfangreiches mafia-gleiches System der Bereicherung aus Steuergeldern, der Korruption und von nicht deklarierten Spendengeldern von Lulas PT in Brasilien mit dem Abschlussbericht eines Untersuchungsausschusses des Parlaments offiziell verurteilt. Der Skandal, der zunächst als „Mensalão“ in die Schlagzeilen kam, dann aber weit über monatliche Korruptionsgelder an verbündete Politiker hinausging, führte zum Rücktritt praktisch der ganzen Führungsspitze der PT mit Ausnahme von Lula selbst.
Der Höhepunkt des Skandals war erreicht, als im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses Super-Minister Palocci zurücktreten musste, der wichtigste Vertraute Lulas, der bei einem Versuch erwischt wurde, seine Verwicklung in eine ähnliches Korruptions-System aus seiner Zeit als Bürgermeister der großen brasilianischen Stadt Ribeirão Preto zu vertuschen, indem er seine Macht missbrauchte, um eventuell belastende Dokumente gegen einen Zeugen zu erlangen, der gegen ihn ausgesagt hatte.
Was die Entlassung des Finanzministers Palocci damals so bedeutsam machte, ist die Tatsache, daß er es war, der ohne Zweifel die Richtlinien der brasilianischen Politik bestimmte. Lula war und ist ein begabter Schauspieler, eine Symbolfigur –ähnlich wie Bush jr. – gut als Darsteller, aber unfähig, eine eigene Politik zu entwickeln. Brasilianische Politik – und das gilt für die meisten Entwicklungsländer - heißt zu bestimmen, wieviel Prozent Zinsen man den imperialistischen Regierungen, Banken und Großkonzernen pro Jahr zahlt. Zahlt man soviel wie von Weltbank und Internationalem Währungsfond gefordert - und das war die Politik Paloccis - bleibt sowieso kaum noch etwas übrig, von dem man noch irgendetwas anderes bezahlen könnte. Wenn sich Politik fast ausschließlich auf Dinge bezieht, die nichts oder fast nichts kosten, z.B. Aussenpolitik, ist das logischerweise etwas spärlich.
Paloccis Politik lautete damals, 18 bis 19 Prozent Zinsen jährlich auf die Milliarden-Schulden zu zahlen. Das war wohlgemerkt der Leitzins (heute bei etwa 11%). Mit anderen Worten, alle internationalen Spekulanten konnten, wenn sie ihr Geld in brasilianischen Regierungsanleihen anlegten, eine phantastische Superverzinsung erreichen, die sonst nur mit extrem riskanten Hedge-Fonds, mit noch riskanteren reinen Spekulationen oder ähnlichen Anlagen möglich ist.
Abzüglich der Inflation, die unter 5 Prozent jährlich lag (und auch heute noch liegt), ergab das um die 13 Prozent Netto-Zinserlöse. Das zahlt nicht die Aktie des profitabelsten Konzerns, nicht der KKR-Hedge-Fond, nicht einmal der Besitz einer Goldmine gibt soviel her. Mehr gibts nur noch, wenn man in illegale Geschäfte einsteigt – was daher von vielen Superreichen auch immer mehr getan wird.
Brasilianische Regierungsanleihen sind natürlich nichts, wo Otto Normalverbraucher Geld anlegen könnte, so er denn welches hat. Allein die Kosten für den Kauf oder Verkauf gehen in die Tausende von Dollar. Das lohnt sich also nur, wenn man im Bereich von zig oder Hunderten von Millionen oder mehr anlegt, dann sind diese Kosten verschwindend.
Der neue Minister Mantega, Nachfolger Paloccis, versicherte denn auch gleich, daß er alles genauso machen würde wie jener. Hätte er das nicht gesagt, hätte es massive Abwertungen des brasilianischen Real gegeben. So war denn auch das einzig Neue, er ging eine Politik der geringfügigen Verminderung der Zinsen an.
Die brasilianische Ökonomie war in jenem Moment ein reines Finanzspiel. Das Brutto-Sozialprodukt Brasiliens wuchs im Jahr davor (2005) lediglich um 2,3 Prozent. Das sind Zahlen, die in die Nähe des deutschen Wachstums kommen – und das nennt man in Deutschland einen ‚kranken Mann’. Es gab also keinerlei Grund zu frohlocken, die Wirtschaft stottert so vor sich hin. Trotzdem stieg der Wert des Real bis in die Nähe der Grenze von 50 Cents vom US-Dollar – ein völlig absurder Wert (heute liegt er aufgrund der Dollar-Schwäche sogar noch höher).
Dies alles, weil Milliarden und Abermilliarden spekulative Gelder nach Brasilien flossen (und heute noch fliessen) – kein Wunder bei diesen Zinserwartungen (auch wenn die heute etwas geringer sind). Keine wirklichen Gelder, keine Investitionen, nein, volatiles Geld, angelegt in Real und Staatsanleihen, das beim geringsten Anzeichen eines Problems wieder aus dem Land abgezogen wird und dann massive und ebenso absurde Verluste des Wertes der Währung verursacht.
Palocci war nicht gestürzt über die Korruption, auch wenn es wahrscheinlich ist, daß er dort auch verwickelt war, aber man hatte noch nichts wirklich beweisen können. Er war gestürzt, so wie viele Politiker (man erinnere sich nur an den damaligen US-Präsidenten Nixon) über seine Versuche, die Spuren zu verwischen bzw. in diesem Fall einen Zeugen unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Es ging um den Hausmeister einer Villa, der angegeben hatte, Palocci sei auch unter den PT-Politikern gewesen, die in jener Villa ein- und ausgingen, von der man bereits wußte, daß dort die Gelder aus den schwarzen Kassen verteilt – und nebenbei auch Gelage und Feste mit Prostituierten abgehalten wurden.
Na, kommt uns das nicht bekannt vor? Korruption gemischt mit Prostituierten in extra hierzu bereitgestellten Immobilien – und der Chef selbst, Hartz, geht dort auch ein und aus?
Man sollte also nicht zu schnell die Nase über eine südamerikanische Bananerepublik rümpfen, denn all diese Vorgänge haben direkte Parallelen zu der Hartz-VW- und SPD-Korruption und in jenen Teilen, die nicht gemeldete Spendengelder umfassen, auch zu Kohls und Schäubles Geldkoffern, deren Urheber sie nicht nenen wollten und doch nicht verurteilt wurden.
Nun ging es darum, diesem Hausmeister das Maul zu stopfen. Man begann zu suchen, ob da nicht auf seinem Konto bei Brasiliens Bundes-Sparkasse ‚Caixa Económica Federal’ Unregelmässigkeiten zu finden waren. Der Chef der ‚Caixa’ kam rein zufällig auf die Idee, sich einen Kontoauszug von dessen Konto geben zu lassen. Kurz zuvor - so ergaben die Ermittlungen – gab es einen Anruf aus Paloccis Büro bei ihm – Palocci war sein Chef. Mit dem Kontoauszug benachrichtigte er sofort Palocci: Dort waren Geldeingänge gefunden worden waren, die eventuell auf Illegales des Hausmeisters hinweisen könnten. Später stellte sich heraus, alle Geldeingänge waren legal, aber das spielte dann schon keine Rolle mehr.
Palocci hatte diese Information über eventuell illegale Geldeingänge über einen Politker seines Vertrauens an ein Nachrichtenmagazin heraussickern lassen, um die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu untergraben, doch nun kam die Sache heraus.
Einer der Beteiligten ließ im Gegenzug die Information über den Bruch des Bankgeheimnisses ‚aus persönlichen Gründen’ an einen Oppositionspolitiker durchsickern – und schon stand Palocci bis zum Hals im Dreck. Lula konnte nicht mehr anders, als ihn zu entlassen, um nicht selbst mit hineingezogen zu werden.
Die zweite geplatzte Bombe damals war der Abschlussbericht jenes Untersuchungsausschuß des Parlaments, der zunächst wegen bestimmter Unregelmässigkeiten bei der in Brasilien immer noch staatlichen Post eingerichtet worden war. Dieser Ausschuß hatte im vorhergehenden Jahr, als die ersten Korruptionsanklagen gegen Lulas PT aufkamen, diesen Komplex an sich gezogen und ermittelt. Sein Verdikt wäre ausreichend, um unter normalen Umständen jede beliebige betroffene Partei zur Bedeutungslosigkeit zu verurteilen. Nicht so die PT Lulas.
Der Bericht bestätigt die Hauptanklage, daß nämlich die ganze Direktion der PT (mit Ausnahme Lulas) ein Schema entwickelt und dann durchgezogen habe, wie man Gelder aus staatlichen Unternehmen herausholt und dann (zusammen mit nicht gemeldeten Spenden) über eine Art von Geldwaschanlage zu PT-Geld macht, das für die Wahl-Fonds der Kandidaten verwendet wird, wobei die Kandidaten allerdings keinerlei Rechenschaft darüber abzugeben hatten. Auch die Verbündeten wurden bedacht. Angeklagt (und damit der weiteren Behandlung durch die Staatsanwälte anheimgestellt) wurden 122 Personen.
Hier nur die Haupt-Anklagepunkte und die wichtigsten angeklagten Personen des Berichts:
José Dirceu, damaliger Kabinett-Chef und ‚rechte Hand Lulas’ (in Wirklichkeit war Lula seine linke Hand; er mußte bereits Mitte vorhergehenden Jahres zurücktreten), angeklagt der aktiven Bestechung;
Luiz Gushiken, ein anderer damaliger Minister (ebenfalls schon lange zurückgetreten), soll der Hauptakteur innerhalb der PT gewesen sein, angeklagt wegen aktiver Bestechung und Machtmißbrauch;
José Genoino, damals Vorsitzender der PT (auch er schon ein halbes Jahr aus dem Amt), angeklagt der Geldwäsche, Unterschriftsfälschung, aktiver Bestechung und Wahlvergehen;
Delúbio Soares, damaliger Schatzmeister der PT, angeklagt der Unterschriftsfälschung, Geldwäsche, aktiver Bestechung, Untreue und Wahlvergehen;
Marcos Valério, Unternehmer und „Berater" Lulas, er soll die Geldwäsche und die Geldverteilung über zig Konten koordiniert haben, angeklagt insgesamt neun krimineller Taten, darunter Geldwäsche, Machtmißbrauch und Unterschriftsfälschung; die Geldflüsse waren so hoch, dass man dafür in Anlehnung an den Begriff Aquädukt den Namen Valerio-dukt erfand;
Roberto Jefferson, vom Koalitionspartner der PT, der PTB; er hatte den Stein ins Rollen gebracht; er war in die ursprünglich zu untersuchenden Unregelmäßigkeiten bei der Post verwickelt; als er merkte, daß er nicht davon kommen würde, beschloß er, die ganze Regierung mit in den Skandal zu ziehen und legte die ganzen Korruptionsschemata dar; angeklagt der passiven Bestechung, der Steuerhinterziehung und von Wahlvergehen;
Eduardo Azeredo, nicht von der PT, sondern früherer Präsident deren ärgster Gegner PSDB (des vorherigen Präsidenten Cardoso), angeklagt der passiven Bestechung und des Wahlvergehens. Sein Fall macht deutlich: es handelt sich keineswegs nur um eine PT-Mafia, vielmehr sind diese kriminellen Machenschaften schon lange fester Bestandteil jeglicher brasilianischen Politik.
Dazu wurden eine Reihe von damaligen Präsidenten und Direktoren von Staatsbetrieben der Untreue angeklagt. Zwei Politiker waren außerdem angeklagt, weil sie Dokumente der Kommission übergeben hatten, die sich später als gefälscht herausstellten.
Der Duchschnittsbrasilianer sieht in solchen Fällen meist schwarz: Es wird am Ende doch niemand verurteilt. In Brasilien gebraucht man hierfür das Bild der Pizza: Alle Beteiligten gehen in die Pizzeria, bestellen eine Pizza und alles bleibt unter dem Teppich.
So kam es dann auch zum Pizza-Tanz. Im März 2006 war u.a. einem der PT-Abgeordneten, die monatliche hohe Zahlungen bekommen hatten, vom Plenum des Bundestages sein Mandat nicht aberkannt worden. Eine Kollegin von ihm war nach der Absolution so erfreut, daß sie von ihrem Abgeordnetensitz aufstand und ein kleines Samba-Tänzchen hinlegte, das man in allen Fernseh-Nachrichten sehen konnte und dann sofort die Bezeichnung Pizza-Tanz bekam.
Nun also, was unerhört ist in der brasilianischen Politik: Die Angeklagten des Mafia-Schemas, die das Recht haben, nicht vor normalen Gerichten angeklagt zu werden, weil sie zur Zeit der Taten hohe staatliche Würdenträger waren, wurden von der Bundesanwaltschaft vor dem Obersten Gerichtshof angeklagt und der nahm Anklagen gegen alle Angeklagten an, insgesamt 29 „Würdenträger“.
Wahrscheinlich wird sich der Prozess nun Jahre hinziehen. Selbst wenn sie in erster Instanz verurteilt werden, haben die Mafia-Politkrer noch das Recht auf eine Berufung, wiederum beim Obersten Gerichtshof. Mit ein wenig geschickter Prozess-Verzögerung wird wohl schon keiner von ihnen mehr am Leben sein, wenn ein nicht mehr anfechtbares Urteil vorliegen würde.
Trotzdem ist es immerhin ein kaum glaubliches Ereignis, nicht nur für Brasilien, sondern international: Die gesamte Führung einer Regierungspartei, mit der einzigen Ausnahme des Staatspräsidenten, musste zurücktreten und ist einer Reihe von Verbrechen angeklagt, ohne dass dies Auswirkungen auf die tatsächlichen Wahlaussichten dieser Partei hat. Es sei daran erinnert: Lula wurde nach diesen Veröffentlichungen, als er bereits eine neue Equipe hatte, mit grosser Mehrheit in Direktwahl vom Volk wiedergewählt.
Palocci allerdings ist bis heute nicht angeklagt worden wegen seiner eigenwilligen Auslegung des Bankgeheimnisses, um einen Zeugen gegen ihn unglaubwürdig machen zu können.
Die brasilianische Bevölkerung nimmt all dies mit ziemlich stoischer Ruhe hin und geht dem schweren Tagewerk in einem Entwicklungsland nach. Die Politiker dürften aber unterschätzen, wieviel Wut auf sie und ihre Machenschaften sich da im Bauch eines ganzen Volkes ansammelt.
Vor etwa eineinhalb Jahren (März 2006) wurde ein umfangreiches mafia-gleiches System der Bereicherung aus Steuergeldern, der Korruption und von nicht deklarierten Spendengeldern von Lulas PT in Brasilien mit dem Abschlussbericht eines Untersuchungsausschusses des Parlaments offiziell verurteilt. Der Skandal, der zunächst als „Mensalão“ in die Schlagzeilen kam, dann aber weit über monatliche Korruptionsgelder an verbündete Politiker hinausging, führte zum Rücktritt praktisch der ganzen Führungsspitze der PT mit Ausnahme von Lula selbst.
Der Höhepunkt des Skandals war erreicht, als im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit dem Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses Super-Minister Palocci zurücktreten musste, der wichtigste Vertraute Lulas, der bei einem Versuch erwischt wurde, seine Verwicklung in eine ähnliches Korruptions-System aus seiner Zeit als Bürgermeister der großen brasilianischen Stadt Ribeirão Preto zu vertuschen, indem er seine Macht missbrauchte, um eventuell belastende Dokumente gegen einen Zeugen zu erlangen, der gegen ihn ausgesagt hatte.
Was die Entlassung des Finanzministers Palocci damals so bedeutsam machte, ist die Tatsache, daß er es war, der ohne Zweifel die Richtlinien der brasilianischen Politik bestimmte. Lula war und ist ein begabter Schauspieler, eine Symbolfigur –ähnlich wie Bush jr. – gut als Darsteller, aber unfähig, eine eigene Politik zu entwickeln. Brasilianische Politik – und das gilt für die meisten Entwicklungsländer - heißt zu bestimmen, wieviel Prozent Zinsen man den imperialistischen Regierungen, Banken und Großkonzernen pro Jahr zahlt. Zahlt man soviel wie von Weltbank und Internationalem Währungsfond gefordert - und das war die Politik Paloccis - bleibt sowieso kaum noch etwas übrig, von dem man noch irgendetwas anderes bezahlen könnte. Wenn sich Politik fast ausschließlich auf Dinge bezieht, die nichts oder fast nichts kosten, z.B. Aussenpolitik, ist das logischerweise etwas spärlich.
Paloccis Politik lautete damals, 18 bis 19 Prozent Zinsen jährlich auf die Milliarden-Schulden zu zahlen. Das war wohlgemerkt der Leitzins (heute bei etwa 11%). Mit anderen Worten, alle internationalen Spekulanten konnten, wenn sie ihr Geld in brasilianischen Regierungsanleihen anlegten, eine phantastische Superverzinsung erreichen, die sonst nur mit extrem riskanten Hedge-Fonds, mit noch riskanteren reinen Spekulationen oder ähnlichen Anlagen möglich ist.
Abzüglich der Inflation, die unter 5 Prozent jährlich lag (und auch heute noch liegt), ergab das um die 13 Prozent Netto-Zinserlöse. Das zahlt nicht die Aktie des profitabelsten Konzerns, nicht der KKR-Hedge-Fond, nicht einmal der Besitz einer Goldmine gibt soviel her. Mehr gibts nur noch, wenn man in illegale Geschäfte einsteigt – was daher von vielen Superreichen auch immer mehr getan wird.
Brasilianische Regierungsanleihen sind natürlich nichts, wo Otto Normalverbraucher Geld anlegen könnte, so er denn welches hat. Allein die Kosten für den Kauf oder Verkauf gehen in die Tausende von Dollar. Das lohnt sich also nur, wenn man im Bereich von zig oder Hunderten von Millionen oder mehr anlegt, dann sind diese Kosten verschwindend.
Der neue Minister Mantega, Nachfolger Paloccis, versicherte denn auch gleich, daß er alles genauso machen würde wie jener. Hätte er das nicht gesagt, hätte es massive Abwertungen des brasilianischen Real gegeben. So war denn auch das einzig Neue, er ging eine Politik der geringfügigen Verminderung der Zinsen an.
Die brasilianische Ökonomie war in jenem Moment ein reines Finanzspiel. Das Brutto-Sozialprodukt Brasiliens wuchs im Jahr davor (2005) lediglich um 2,3 Prozent. Das sind Zahlen, die in die Nähe des deutschen Wachstums kommen – und das nennt man in Deutschland einen ‚kranken Mann’. Es gab also keinerlei Grund zu frohlocken, die Wirtschaft stottert so vor sich hin. Trotzdem stieg der Wert des Real bis in die Nähe der Grenze von 50 Cents vom US-Dollar – ein völlig absurder Wert (heute liegt er aufgrund der Dollar-Schwäche sogar noch höher).
Dies alles, weil Milliarden und Abermilliarden spekulative Gelder nach Brasilien flossen (und heute noch fliessen) – kein Wunder bei diesen Zinserwartungen (auch wenn die heute etwas geringer sind). Keine wirklichen Gelder, keine Investitionen, nein, volatiles Geld, angelegt in Real und Staatsanleihen, das beim geringsten Anzeichen eines Problems wieder aus dem Land abgezogen wird und dann massive und ebenso absurde Verluste des Wertes der Währung verursacht.
Palocci war nicht gestürzt über die Korruption, auch wenn es wahrscheinlich ist, daß er dort auch verwickelt war, aber man hatte noch nichts wirklich beweisen können. Er war gestürzt, so wie viele Politiker (man erinnere sich nur an den damaligen US-Präsidenten Nixon) über seine Versuche, die Spuren zu verwischen bzw. in diesem Fall einen Zeugen unglaubwürdig erscheinen zu lassen. Es ging um den Hausmeister einer Villa, der angegeben hatte, Palocci sei auch unter den PT-Politikern gewesen, die in jener Villa ein- und ausgingen, von der man bereits wußte, daß dort die Gelder aus den schwarzen Kassen verteilt – und nebenbei auch Gelage und Feste mit Prostituierten abgehalten wurden.
Na, kommt uns das nicht bekannt vor? Korruption gemischt mit Prostituierten in extra hierzu bereitgestellten Immobilien – und der Chef selbst, Hartz, geht dort auch ein und aus?
Man sollte also nicht zu schnell die Nase über eine südamerikanische Bananerepublik rümpfen, denn all diese Vorgänge haben direkte Parallelen zu der Hartz-VW- und SPD-Korruption und in jenen Teilen, die nicht gemeldete Spendengelder umfassen, auch zu Kohls und Schäubles Geldkoffern, deren Urheber sie nicht nenen wollten und doch nicht verurteilt wurden.
Nun ging es darum, diesem Hausmeister das Maul zu stopfen. Man begann zu suchen, ob da nicht auf seinem Konto bei Brasiliens Bundes-Sparkasse ‚Caixa Económica Federal’ Unregelmässigkeiten zu finden waren. Der Chef der ‚Caixa’ kam rein zufällig auf die Idee, sich einen Kontoauszug von dessen Konto geben zu lassen. Kurz zuvor - so ergaben die Ermittlungen – gab es einen Anruf aus Paloccis Büro bei ihm – Palocci war sein Chef. Mit dem Kontoauszug benachrichtigte er sofort Palocci: Dort waren Geldeingänge gefunden worden waren, die eventuell auf Illegales des Hausmeisters hinweisen könnten. Später stellte sich heraus, alle Geldeingänge waren legal, aber das spielte dann schon keine Rolle mehr.
Palocci hatte diese Information über eventuell illegale Geldeingänge über einen Politker seines Vertrauens an ein Nachrichtenmagazin heraussickern lassen, um die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu untergraben, doch nun kam die Sache heraus.
Einer der Beteiligten ließ im Gegenzug die Information über den Bruch des Bankgeheimnisses ‚aus persönlichen Gründen’ an einen Oppositionspolitiker durchsickern – und schon stand Palocci bis zum Hals im Dreck. Lula konnte nicht mehr anders, als ihn zu entlassen, um nicht selbst mit hineingezogen zu werden.
Die zweite geplatzte Bombe damals war der Abschlussbericht jenes Untersuchungsausschuß des Parlaments, der zunächst wegen bestimmter Unregelmässigkeiten bei der in Brasilien immer noch staatlichen Post eingerichtet worden war. Dieser Ausschuß hatte im vorhergehenden Jahr, als die ersten Korruptionsanklagen gegen Lulas PT aufkamen, diesen Komplex an sich gezogen und ermittelt. Sein Verdikt wäre ausreichend, um unter normalen Umständen jede beliebige betroffene Partei zur Bedeutungslosigkeit zu verurteilen. Nicht so die PT Lulas.
Der Bericht bestätigt die Hauptanklage, daß nämlich die ganze Direktion der PT (mit Ausnahme Lulas) ein Schema entwickelt und dann durchgezogen habe, wie man Gelder aus staatlichen Unternehmen herausholt und dann (zusammen mit nicht gemeldeten Spenden) über eine Art von Geldwaschanlage zu PT-Geld macht, das für die Wahl-Fonds der Kandidaten verwendet wird, wobei die Kandidaten allerdings keinerlei Rechenschaft darüber abzugeben hatten. Auch die Verbündeten wurden bedacht. Angeklagt (und damit der weiteren Behandlung durch die Staatsanwälte anheimgestellt) wurden 122 Personen.
Hier nur die Haupt-Anklagepunkte und die wichtigsten angeklagten Personen des Berichts:
José Dirceu, damaliger Kabinett-Chef und ‚rechte Hand Lulas’ (in Wirklichkeit war Lula seine linke Hand; er mußte bereits Mitte vorhergehenden Jahres zurücktreten), angeklagt der aktiven Bestechung;
Luiz Gushiken, ein anderer damaliger Minister (ebenfalls schon lange zurückgetreten), soll der Hauptakteur innerhalb der PT gewesen sein, angeklagt wegen aktiver Bestechung und Machtmißbrauch;
José Genoino, damals Vorsitzender der PT (auch er schon ein halbes Jahr aus dem Amt), angeklagt der Geldwäsche, Unterschriftsfälschung, aktiver Bestechung und Wahlvergehen;
Delúbio Soares, damaliger Schatzmeister der PT, angeklagt der Unterschriftsfälschung, Geldwäsche, aktiver Bestechung, Untreue und Wahlvergehen;
Marcos Valério, Unternehmer und „Berater" Lulas, er soll die Geldwäsche und die Geldverteilung über zig Konten koordiniert haben, angeklagt insgesamt neun krimineller Taten, darunter Geldwäsche, Machtmißbrauch und Unterschriftsfälschung; die Geldflüsse waren so hoch, dass man dafür in Anlehnung an den Begriff Aquädukt den Namen Valerio-dukt erfand;
Roberto Jefferson, vom Koalitionspartner der PT, der PTB; er hatte den Stein ins Rollen gebracht; er war in die ursprünglich zu untersuchenden Unregelmäßigkeiten bei der Post verwickelt; als er merkte, daß er nicht davon kommen würde, beschloß er, die ganze Regierung mit in den Skandal zu ziehen und legte die ganzen Korruptionsschemata dar; angeklagt der passiven Bestechung, der Steuerhinterziehung und von Wahlvergehen;
Eduardo Azeredo, nicht von der PT, sondern früherer Präsident deren ärgster Gegner PSDB (des vorherigen Präsidenten Cardoso), angeklagt der passiven Bestechung und des Wahlvergehens. Sein Fall macht deutlich: es handelt sich keineswegs nur um eine PT-Mafia, vielmehr sind diese kriminellen Machenschaften schon lange fester Bestandteil jeglicher brasilianischen Politik.
Dazu wurden eine Reihe von damaligen Präsidenten und Direktoren von Staatsbetrieben der Untreue angeklagt. Zwei Politiker waren außerdem angeklagt, weil sie Dokumente der Kommission übergeben hatten, die sich später als gefälscht herausstellten.
Der Duchschnittsbrasilianer sieht in solchen Fällen meist schwarz: Es wird am Ende doch niemand verurteilt. In Brasilien gebraucht man hierfür das Bild der Pizza: Alle Beteiligten gehen in die Pizzeria, bestellen eine Pizza und alles bleibt unter dem Teppich.
So kam es dann auch zum Pizza-Tanz. Im März 2006 war u.a. einem der PT-Abgeordneten, die monatliche hohe Zahlungen bekommen hatten, vom Plenum des Bundestages sein Mandat nicht aberkannt worden. Eine Kollegin von ihm war nach der Absolution so erfreut, daß sie von ihrem Abgeordnetensitz aufstand und ein kleines Samba-Tänzchen hinlegte, das man in allen Fernseh-Nachrichten sehen konnte und dann sofort die Bezeichnung Pizza-Tanz bekam.
Nun also, was unerhört ist in der brasilianischen Politik: Die Angeklagten des Mafia-Schemas, die das Recht haben, nicht vor normalen Gerichten angeklagt zu werden, weil sie zur Zeit der Taten hohe staatliche Würdenträger waren, wurden von der Bundesanwaltschaft vor dem Obersten Gerichtshof angeklagt und der nahm Anklagen gegen alle Angeklagten an, insgesamt 29 „Würdenträger“.
Wahrscheinlich wird sich der Prozess nun Jahre hinziehen. Selbst wenn sie in erster Instanz verurteilt werden, haben die Mafia-Politkrer noch das Recht auf eine Berufung, wiederum beim Obersten Gerichtshof. Mit ein wenig geschickter Prozess-Verzögerung wird wohl schon keiner von ihnen mehr am Leben sein, wenn ein nicht mehr anfechtbares Urteil vorliegen würde.
Trotzdem ist es immerhin ein kaum glaubliches Ereignis, nicht nur für Brasilien, sondern international: Die gesamte Führung einer Regierungspartei, mit der einzigen Ausnahme des Staatspräsidenten, musste zurücktreten und ist einer Reihe von Verbrechen angeklagt, ohne dass dies Auswirkungen auf die tatsächlichen Wahlaussichten dieser Partei hat. Es sei daran erinnert: Lula wurde nach diesen Veröffentlichungen, als er bereits eine neue Equipe hatte, mit grosser Mehrheit in Direktwahl vom Volk wiedergewählt.
Palocci allerdings ist bis heute nicht angeklagt worden wegen seiner eigenwilligen Auslegung des Bankgeheimnisses, um einen Zeugen gegen ihn unglaubwürdig machen zu können.
Die brasilianische Bevölkerung nimmt all dies mit ziemlich stoischer Ruhe hin und geht dem schweren Tagewerk in einem Entwicklungsland nach. Die Politiker dürften aber unterschätzen, wieviel Wut auf sie und ihre Machenschaften sich da im Bauch eines ganzen Volkes ansammelt.
sfux - 6. Okt, 19:54 Article 4086x read