26.09.1983: Der Tag, an dem die Welt
um Haaresbreite einem Atomkrieg entging
World Content News - Unter dem Titel "1983: The Brink of Apocalypse" strahlt der britische Sender Channel 4 an diesem Wochenende eine 90-minütige Dokumentationssendung aus, die uns vor Augen führen wird, wie knapp wir in der Hochphase des Kalten Krieges an einem weltweiten atomaren Holocaust vorbeigeschrammt sind. Sie haben davon noch nie etwas gehört? Da sind Sie nicht der Einzige! WCN hat sich schon mal vorsichtig an das heiße Eisen herangetastet, das später als Serpukhov-15-Vorfall tituliert wurde.
Beinahe-Apokalypse: Sendetermin Sa., 05.01.08, 19:30 Uhr, Channel 4
Serpukhov (bzw. Serpuchov)-15 ist der Name einer Frühwarnstation für den Anflug ballistischer Raketen in der Nähe von Moskau. Am 26.09.1983, etwa 30 Minuten nach Mitternacht, meldete der Computer dass feindliche Atomraketen im Anflug wären. Zuerst war es nur eine, dann plötzlich kletterte der Zahl auf 2, 3, 4 und 5. Fälschlicherweise, wie sich erst später herausstellte, der Grund soll meteorologisch außergewöhnliche Höhenwolken gewesen sein.
Es war der wohl bisher gefährlichste Moment in der Geschichte des Kalten Krieges, denn eigentlich sahen die Vorschriften vor, dass für eine solche Situation der Vergeltungsschlag des Warschauer Paktes hätte starten müssen. Dass dies nicht geschah, lag einzig an der Reaktion des diensthabenden Offiziers Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow: Er tat nichts, er wartete einfach nur ab, lies die wenigen Minuten verstreichen, in denen ein Zweitschlag "erfolgversprechend" gewesen wäre.
Es war aber beileibe nicht der einzige, bereits etwas mehr als einen Monat später, begann die NATO-Übung "Able Archer", die einen Atomkrieg mit der Sowjet-Union simulieren sollte, und aufgrund von Missverständnissen ähnliche Gefahren heraufbeschwor.
Stanislav Petrov, der Mann der die Welt rettete:
"Im Zweifel für den Angeklagten"
Eine der wenigen Veröffentlichungen, die die Geschehnisse des 26.09. beschreiben, stammt ursprünglich aus dem Magazin "Freiraum", ein Projekt der Friedens- und Begegnungsstätte Mutlangen e.V. (2006):
Stanislav Petrov – der Mann, der den Atomkrieg verhinderte
Oberstleutnant Stanislav Petrov war der diensthabende Offizier im sowjetischen Kontrollzentrum für Atomwaffen in der Septembernacht 1983, in der der sowjetische Spionagesatellit Kosmos 1382 plötzlich den Abschuss 5 amerikanischer Atomraketen in Richtung Sow jetunion meldete. Der Oberstleutnant musste eine Entscheidung treffen.
„Der kalte Krieg war 1983 eiskalt“, erinnert sich Petrov. US-Präsident Reagan nannte die Sowjets „Evil Empire“ (Reich des Bösen). Das russische Militär hatte drei Wochen vor dem Vorfall ein koreanisches Passagierflugzeug abgeschossen, und die Führung in Moskau war nervös. Die USA und die NATO planten die Stationierung von Pershing II Raketen in Europa. In der Nacht auf den 26.9.1983 hatte Oberstleutnant Stanislav Petrov die Vertretung für einen Kollegen übernommen. So kam es, dass er Dienst hatte im obersten Kontrollzentrum für Atomwaffen der Sowjetunion, Serpukhov-15. Plötzlich leuchtete mitten in der Nacht auf dem „roten Knopf“ das Signal „Start“.
Petrov erinnert sich: „Es fühlte sich an wie ein Schlag in mein Nervensystem. Auf der Kontrollkarte sah ich, dass eine Militärbasis an der US-Ostküste blinkte als Signal dafür, dass von dort eine Rakete auf uns abgefeuert worden war. Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie sich der Deckel vor dem Raketensilo wegschob und der Silo durch das Feuer der abgeschossenen Rakete zerstört wurde. Die Silos wurden nicht dafür gebaut, mehr als ein Mal benutzt zu werden, denn es würde keiner übrigbleiben, um sie je noch einmal mit einer Rakete zu bestücken. Ich dachte: „In 40 Minuten ist sie hier.“ Und dann dachte ich: „Aber wenn sie nur eine schicken, dann ist noch kein Atomkrieg.“
In dem Moment blinkte wieder der Startknopf, und dann nochmals und nochmals. Insgesamt wurde der Abschuss von fünf interkontinentalen ballistischen Atomraketen registriert. Petrov wusste, dass auch die Kommandozentrale automatisch den Bericht erhalten hatte. Er rief dort an und stotterte: „Das ist verrückt“, noch bevor die Stimme am anderen Ende befahl: „Ich kann sie sehen. Bleiben Sie ruhig; tun Sie Ihre Pflicht.“
Petrov und seine Truppe hatten 8-10 Minuten um zu entscheiden, ob es ein falscher Alarm war oder nicht. “Ich handelte nach dem Prinzip: Im Zweifel für den Angeklagten.“ sagt Petrov. „Die Amerikaner wussten, dass ein atomarer Angriff auf uns bedeuten würde, mindestens die Hälfte ihrer eigenen Bevölkerung auszulöschen. Ich erinnere mich daran, dass ich dachte: So ein großer Idiot ist noch nicht geboren, nicht mal in den USA, und dann nahm ich das Telefon und meldete einen falschen Alarm an die Kommandostation.“
Wenn Petrov einen Gegenangriff ausgelöst hätte, hätte dies den Beginn eines verheerenden 3. Weltkriegs bedeutet.
Nach quälenden Minuten erwies sich Petrov’s Entscheidung als richtig. Es war ein Computerirrtum, der den US-Angriff signalisiert hatte.
Zwar gab es auch auf amerikanischer Seite mehrere Fehlalarme, in denen zum Beispiel Zugvögelschwärme mit Atomraketen verwechselt wurden. Bruce Blair, Präsident des amerikanischen Zentrums für Verteidigungsinformation, sagt jedoch: „Ich denke, dies war der Fall, in dem wir einem „versehentlichen Atomkrieg“ am nahesten gekommen sind.“
Oberst Petrov bekam eine Rüge für sein nicht ordnungsgemäßes Handeln und wurde nach einigen Jahren mit einer kaum für das Leben ausreichenden Pension aus der Armee entlassen. Seine Gesundheit verschlechterte sich wegen des hohen Stresses während des Vorfalls. Seine Frau starb an Krebs, und er lebt heute mit seinem Sohn in einer kleinen heruntergekommenen Wohnung in einem Wohnblock bei Moskau.
2004 erhielt Petrov den World Citizen Award
Daraufhin bekam er die Einladung, im Januar 2006 im Dag Hammarskjöld Auditorium bei der UNO in New York zu sprechen.
Petrov weist darauf hin, dass Tausende Atomraketen aus dem Kalten Krieg heute noch genau dort stationiert sind, wo sie damals waren. Viele von ihnen befinden sich nach wie vor in höchster Alarmbereitschaft. Er sagt: „Früher hätte ich gerne eine Würdigung dessen gehabt, was ich tat. Aber jetzt ist es zu lang her und heute ist alles in mir emotional ausgebrannt. Es ist nett, dass sie mich für einen Helden halten. Ich weiß nicht, ob ich einer bin. Da ich der Einzige bin, der in diesem Land je in diese Situation kam, ist es schwierig zu sagen, wie andere reagieren würden.“ Hoffentlich wird die Welt es nie herausfinden.
siehe auch:
September 26th, 1983: The day the world almost died
(Daily Mail, 29.12.2007)
The day we nearly died (greengalloway, 30.12.2007)
Megatons and Memory Holes (freezerbox.com, 14.12.2007)
Kurz vor dem Atomkrieg (Junge Welt, 22.11.2007)
Film:
1983: The Brink of Apocalypse
Samstag, 05.01.2008, 19:30 Uhr
Channel 4 (UK)
Dokumentation, 90 Minuten
Von: Henry Chancellor
Dieser Artikel erschien erstmalig bei World Content News
Beinahe-Apokalypse: Sendetermin Sa., 05.01.08, 19:30 Uhr, Channel 4
Serpukhov (bzw. Serpuchov)-15 ist der Name einer Frühwarnstation für den Anflug ballistischer Raketen in der Nähe von Moskau. Am 26.09.1983, etwa 30 Minuten nach Mitternacht, meldete der Computer dass feindliche Atomraketen im Anflug wären. Zuerst war es nur eine, dann plötzlich kletterte der Zahl auf 2, 3, 4 und 5. Fälschlicherweise, wie sich erst später herausstellte, der Grund soll meteorologisch außergewöhnliche Höhenwolken gewesen sein.
Es war der wohl bisher gefährlichste Moment in der Geschichte des Kalten Krieges, denn eigentlich sahen die Vorschriften vor, dass für eine solche Situation der Vergeltungsschlag des Warschauer Paktes hätte starten müssen. Dass dies nicht geschah, lag einzig an der Reaktion des diensthabenden Offiziers Stanislaw Jewgrafowitsch Petrow: Er tat nichts, er wartete einfach nur ab, lies die wenigen Minuten verstreichen, in denen ein Zweitschlag "erfolgversprechend" gewesen wäre.
Es war aber beileibe nicht der einzige, bereits etwas mehr als einen Monat später, begann die NATO-Übung "Able Archer", die einen Atomkrieg mit der Sowjet-Union simulieren sollte, und aufgrund von Missverständnissen ähnliche Gefahren heraufbeschwor.
Stanislav Petrov, der Mann der die Welt rettete:
"Im Zweifel für den Angeklagten"
Eine der wenigen Veröffentlichungen, die die Geschehnisse des 26.09. beschreiben, stammt ursprünglich aus dem Magazin "Freiraum", ein Projekt der Friedens- und Begegnungsstätte Mutlangen e.V. (2006):
Stanislav Petrov – der Mann, der den Atomkrieg verhinderte
Oberstleutnant Stanislav Petrov war der diensthabende Offizier im sowjetischen Kontrollzentrum für Atomwaffen in der Septembernacht 1983, in der der sowjetische Spionagesatellit Kosmos 1382 plötzlich den Abschuss 5 amerikanischer Atomraketen in Richtung Sow jetunion meldete. Der Oberstleutnant musste eine Entscheidung treffen.
„Der kalte Krieg war 1983 eiskalt“, erinnert sich Petrov. US-Präsident Reagan nannte die Sowjets „Evil Empire“ (Reich des Bösen). Das russische Militär hatte drei Wochen vor dem Vorfall ein koreanisches Passagierflugzeug abgeschossen, und die Führung in Moskau war nervös. Die USA und die NATO planten die Stationierung von Pershing II Raketen in Europa. In der Nacht auf den 26.9.1983 hatte Oberstleutnant Stanislav Petrov die Vertretung für einen Kollegen übernommen. So kam es, dass er Dienst hatte im obersten Kontrollzentrum für Atomwaffen der Sowjetunion, Serpukhov-15. Plötzlich leuchtete mitten in der Nacht auf dem „roten Knopf“ das Signal „Start“.
Petrov erinnert sich: „Es fühlte sich an wie ein Schlag in mein Nervensystem. Auf der Kontrollkarte sah ich, dass eine Militärbasis an der US-Ostküste blinkte als Signal dafür, dass von dort eine Rakete auf uns abgefeuert worden war. Vor meinem geistigen Auge sah ich, wie sich der Deckel vor dem Raketensilo wegschob und der Silo durch das Feuer der abgeschossenen Rakete zerstört wurde. Die Silos wurden nicht dafür gebaut, mehr als ein Mal benutzt zu werden, denn es würde keiner übrigbleiben, um sie je noch einmal mit einer Rakete zu bestücken. Ich dachte: „In 40 Minuten ist sie hier.“ Und dann dachte ich: „Aber wenn sie nur eine schicken, dann ist noch kein Atomkrieg.“
In dem Moment blinkte wieder der Startknopf, und dann nochmals und nochmals. Insgesamt wurde der Abschuss von fünf interkontinentalen ballistischen Atomraketen registriert. Petrov wusste, dass auch die Kommandozentrale automatisch den Bericht erhalten hatte. Er rief dort an und stotterte: „Das ist verrückt“, noch bevor die Stimme am anderen Ende befahl: „Ich kann sie sehen. Bleiben Sie ruhig; tun Sie Ihre Pflicht.“
Petrov und seine Truppe hatten 8-10 Minuten um zu entscheiden, ob es ein falscher Alarm war oder nicht. “Ich handelte nach dem Prinzip: Im Zweifel für den Angeklagten.“ sagt Petrov. „Die Amerikaner wussten, dass ein atomarer Angriff auf uns bedeuten würde, mindestens die Hälfte ihrer eigenen Bevölkerung auszulöschen. Ich erinnere mich daran, dass ich dachte: So ein großer Idiot ist noch nicht geboren, nicht mal in den USA, und dann nahm ich das Telefon und meldete einen falschen Alarm an die Kommandostation.“
Wenn Petrov einen Gegenangriff ausgelöst hätte, hätte dies den Beginn eines verheerenden 3. Weltkriegs bedeutet.
Nach quälenden Minuten erwies sich Petrov’s Entscheidung als richtig. Es war ein Computerirrtum, der den US-Angriff signalisiert hatte.
Zwar gab es auch auf amerikanischer Seite mehrere Fehlalarme, in denen zum Beispiel Zugvögelschwärme mit Atomraketen verwechselt wurden. Bruce Blair, Präsident des amerikanischen Zentrums für Verteidigungsinformation, sagt jedoch: „Ich denke, dies war der Fall, in dem wir einem „versehentlichen Atomkrieg“ am nahesten gekommen sind.“
Oberst Petrov bekam eine Rüge für sein nicht ordnungsgemäßes Handeln und wurde nach einigen Jahren mit einer kaum für das Leben ausreichenden Pension aus der Armee entlassen. Seine Gesundheit verschlechterte sich wegen des hohen Stresses während des Vorfalls. Seine Frau starb an Krebs, und er lebt heute mit seinem Sohn in einer kleinen heruntergekommenen Wohnung in einem Wohnblock bei Moskau.
2004 erhielt Petrov den World Citizen Award
Daraufhin bekam er die Einladung, im Januar 2006 im Dag Hammarskjöld Auditorium bei der UNO in New York zu sprechen.
Petrov weist darauf hin, dass Tausende Atomraketen aus dem Kalten Krieg heute noch genau dort stationiert sind, wo sie damals waren. Viele von ihnen befinden sich nach wie vor in höchster Alarmbereitschaft. Er sagt: „Früher hätte ich gerne eine Würdigung dessen gehabt, was ich tat. Aber jetzt ist es zu lang her und heute ist alles in mir emotional ausgebrannt. Es ist nett, dass sie mich für einen Helden halten. Ich weiß nicht, ob ich einer bin. Da ich der Einzige bin, der in diesem Land je in diese Situation kam, ist es schwierig zu sagen, wie andere reagieren würden.“ Hoffentlich wird die Welt es nie herausfinden.
siehe auch:
September 26th, 1983: The day the world almost died
(Daily Mail, 29.12.2007)
The day we nearly died (greengalloway, 30.12.2007)
Megatons and Memory Holes (freezerbox.com, 14.12.2007)
Kurz vor dem Atomkrieg (Junge Welt, 22.11.2007)
Film:
1983: The Brink of Apocalypse
Samstag, 05.01.2008, 19:30 Uhr
Channel 4 (UK)
Dokumentation, 90 Minuten
Von: Henry Chancellor
Dieser Artikel erschien erstmalig bei World Content News
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