Grenzabschottung in Mauretanien – Frontex mischt mit
Felix Werdermann - Frontex? Das ist der derzeit „größte institutionalisierte Gegner“ in Europa. Hagen Kopp von der Initiative „kein mensch ist illegal“ spart nicht an Kritik. Am Mittwoch diskutierten in Berlin Aktivistinnen und Aktivisten aus der antirassistischen Bewegung über die Rolle der EU-Grenzschutzagentur und die Folgen der Abschottung Europas. Zu Gast war der mauretanische Menschenrechtsaktivist Amadou M'Bow.
M'Bow befindet sich auf Europa-Reise: Von Amsterdam bis Warschau berichtet er über die Abschottungsmaßnahmen an den EU-Außengrenzen. Er kommt von der Menschenrechts-organisation „Association Mauritanienne des Droits de l`Homme" (AMDH) und wird am Samstag vor der Frontex-Zentrale in Warschau protestieren. Eine „Protest-Belagerung“ soll es vor dem Hauptquartier der 2005 gegründeten Grenzschutzagentur geben, heißt es in dem Aufruf, den unter anderem das No-Borders-Netzwerk Polen unterzeichnet hat.
Aus dem Publikum kommt die Frage, ob man die Situation als „Belagerungszustand“ treffend beschreiben könne. Links: Harald Glöde von den Veranstaltern, Mitte: Amadou M'Bow (AMDH) Rechts: Christopher (Übersetzung)
Um dafür zu mobilisieren hat die Polen-AG der Antirassistischen Initiative (ARI) in den Berliner Mehringhof geladen. Dort erzählte M'Bow von der Situation in Mauretanien, dem Staat mit knapp über 3 Mio. Einwohnern im nordwestlichen Afrika. Mauretanien grenzt an Mali und Senegal, von dort kämen auch die meisten Flüchtlinge, die versuchten, nach Europa einzureisen. Mauretanien sei für viele ein Transit-Land.
Frontex auf mauretanischer See: „Belagerungszustand“
„Die Migration ist so alt wie die Zivilisation selber“, so M'Bow. Er stelle sich die Frage, woher „diese Angst in Europa“ komme, dass zu „so einem Instrument wie Frontex gegriffen wird“. Spanien hat mit Mauretanien ein Grenzschutzabkommen geschlossen, daher sind (europäische) Frontex-Einheiten auf mauretanischer See legal im Einsatz. Aus dem Publikum kommt die Frage, ob man die Situation als „Belagerungszustand“ treffend beschreiben könne. Ja, dem könne er zustimmen, so M'Bow. Die seit der mauretanisch-spanischen Kooperation neu geschaffenen Abschiebelager seien allerdings kein „Guantanamo“, wie dies von anderen Kritikerinnen und Kritikern vorgeworfen wird.
Spanien stellt Mauretanien nicht nur das technische Abschottungs-Equipment zur Verfügung, die spanischen Behörden bildeteten inzwischen auch mauretanische Polizisten aus, berichtet M'Bow. Es könne nicht sein, dass spanische Militärs und Polizisten in einem souveränen Staat wie Mauretanien Grenzkontrollen duchführten. Er forderte ein Ende der Kooperation mit Spanien.
Internationale Anerkennung eingekauft
Das wäre seiner Meinung nach durchaus möglich: Der neue Präsident habe das Abkommen nicht geschlossen, daher gebe es noch „Hoffnung“, dass dieses aufgekündigt werde, wenn auf die Gefahren ausreichend hingewiesen werde. Wie es zu dem Abkommen kam? Dafür sieht M'Bow zwei entscheidende Gründe: Vor allem habe sich die mauretanische Regierung dadurch nach dem Staatsstreich ihre internationale Anerkennung eingekauft. Aber die Kooperation mit den Metropolen des Wohlstands habe auch dazu geführt, dass Mauretanien weniger Schulden abbezahlen musste. 2005 haben die G8-Staaten beschlossen, dem seit 2000 als hochverschuldet eingestuftem Land einen Teil der Schulen zu erlassen.
Das Kooperationsabkommen ermögliche es, dass kleine Boote von Frontex-Schiffen immer wieder nach Mauretanien zurückgeschickt werden und die Menschen in Abschiebelager gesteckt werden, berichtet M'Bow. Immer noch besser als die Praxis von Mauretanien: Ein Fall sei bekannt geworden, in dem Mauretanien durch Nichteingreifen dafür gesorgt habe, dass ein Schiff mit Flüchtlingen untergegangen sei. 30 Personen hätten dabei ihr Leben verloren.
Festnahmen auf Verdacht
Dies soll sich nun ändern, wenn es nach dem Innenministerium geht: Zumindest ist das die offizielle Rhetorik. Der oberste Sprecher des Ministeriums habe angekündigt, sich ab dem 1. Juni strikt an die Genfer Flüchtlingskonvention zu halten. Vielleicht hören dann die „Festnahmen auf Verdacht“ auf, wie sie M'Bow nennt. In manchen Fällen reiche das Tragen eines Benzinkanisters aus, um der illegalen Boots-Überfahrt nach Europa beschuldigt zu werden.
Mauretanisches Innenministerium: Strikte Einhaltung der Flüchtlingskonvention
Eine Aktivistin aus dem Publikum warf die Frage auf, ob man denn aus antirassistischer Perspektive überhaupt einen positiven Bezug auf die Genfer Flüchtlingskonvention nehmen könne, schließlich mache sie eine „Trennung auf zwischen richtigen und nicht richten Flüchtlingen“. Gemeint ist damit, dass die Konvention nur die Flüchtlinge anerkennt, die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung verfolgt werden. Wer aus Hunger, wirtschaftlicher Not oder anderen Gründen flieht, genießt nicht die Rechte. Außerdem äußerte die Frau aus dem Publikum die Vermutung, dass die offizielle Einhaltung der Konvention „Abschiebungen nach Mauretanien erleichtern“ solle. Die EU übe daher Druck auf andere Länder aus, das Abkommen zu unterzeichnen, das 1951 geschlossen wurde und als Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg verstanden werden kann.
„Kein Grund, dagegen vorzugehen“
M'Bow reagierte auf den Einwand, indem er zugab, dass unklar sei, welches Interesse hinter der Verkündung seitens des Innenministeriums stehe. Er betonte jedoch, dass es in der Vergangenheit Fortschritte gegeben habe durch Deklarationen, auf die sich bezogen werden konnte: „Wir als zivilgesellschaftlicher Akteur versuchen die Einhaltung zu überwachen.“ Harald Glöde von den Veranstaltern sprang M'Bow zur Seite: Aus einer antirassistische „Grundposition“ heraus sei internationaler Flüchtlingsschutz zu befürworten. In Bezug auf die Erklärung des mauretanischen Innenministeriums gebe es „keinen Grund für irgendeine mauretanische Menschenrechts-Organisation, dagegen vorzugehen.“ Stattdessen sei es „unser Problem“, wie die EU das Abkommen nutzt.
Aber hat denn die Zusammenarbeit mit der EU gar keine positiven Effekte? Ein Aktivist aus dem Publikum wollte wissen, ob sich durch die Geldzahlungen der EU nicht die soziale Lage verbessert habe. Nach Einschätzung M'Bows ist dies keineswegs der Fall: Es gebe zwar NGOs, die sich um EU-Gelder bewerben – gar welche, die extra für diesen Zweck gegründet würden – aber das Geld, das bislang geflossen ist, sei „natürlich nicht angekommen bei der Bevölkerung“.
Perspektiven antirassistischer Vernetzung
Antirassistische Perspektiven wurden am Mittwochabend ebenfalls diskutiert: M'Bow erklärte, für dieses Jahr sei eine Konferenz geplant mit Vertreterinnen und Vertretern aus Mali, Senegal und der Elfenbeinküste; man wolle den Austausch und die Zusammenarbeit im antirassistischen Spektrum voranbringen. Auch das Sozialforum der Maghreb-Staaten stehe unter dem Motto „Ein Maghreb ohne Mauern“. In Deutschland werden die Diskussionsrunden eher auf dem antirassistischen Camp in Hamburg weitergeführt, das vom 15. bis zum 24. August stattfindet.
Aber zuvor geht es noch zur Zentrale der Grenzschutzagentur Frontex in Warschau. Dort findet eine antirassistische Konferenz statt, am folgenden Tag soll der Sitz von Frontex belagert werden. Das soll aber nicht alles sein. In dem Aufruf heißt es: „Machen wir den 6. Juni in Warschau zum powervollen Auftakt einer langfristigen transnationalen Kampagne gegen FRONTEX, gegen das Monster des europäischen Grenzregimes!“
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Um dafür zu mobilisieren hat die Polen-AG der Antirassistischen Initiative (ARI) in den Berliner Mehringhof geladen. Dort erzählte M'Bow von der Situation in Mauretanien, dem Staat mit knapp über 3 Mio. Einwohnern im nordwestlichen Afrika. Mauretanien grenzt an Mali und Senegal, von dort kämen auch die meisten Flüchtlinge, die versuchten, nach Europa einzureisen. Mauretanien sei für viele ein Transit-Land.
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„Die Migration ist so alt wie die Zivilisation selber“, so M'Bow. Er stelle sich die Frage, woher „diese Angst in Europa“ komme, dass zu „so einem Instrument wie Frontex gegriffen wird“. Spanien hat mit Mauretanien ein Grenzschutzabkommen geschlossen, daher sind (europäische) Frontex-Einheiten auf mauretanischer See legal im Einsatz. Aus dem Publikum kommt die Frage, ob man die Situation als „Belagerungszustand“ treffend beschreiben könne. Ja, dem könne er zustimmen, so M'Bow. Die seit der mauretanisch-spanischen Kooperation neu geschaffenen Abschiebelager seien allerdings kein „Guantanamo“, wie dies von anderen Kritikerinnen und Kritikern vorgeworfen wird.
Spanien stellt Mauretanien nicht nur das technische Abschottungs-Equipment zur Verfügung, die spanischen Behörden bildeteten inzwischen auch mauretanische Polizisten aus, berichtet M'Bow. Es könne nicht sein, dass spanische Militärs und Polizisten in einem souveränen Staat wie Mauretanien Grenzkontrollen duchführten. Er forderte ein Ende der Kooperation mit Spanien.
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Das wäre seiner Meinung nach durchaus möglich: Der neue Präsident habe das Abkommen nicht geschlossen, daher gebe es noch „Hoffnung“, dass dieses aufgekündigt werde, wenn auf die Gefahren ausreichend hingewiesen werde. Wie es zu dem Abkommen kam? Dafür sieht M'Bow zwei entscheidende Gründe: Vor allem habe sich die mauretanische Regierung dadurch nach dem Staatsstreich ihre internationale Anerkennung eingekauft. Aber die Kooperation mit den Metropolen des Wohlstands habe auch dazu geführt, dass Mauretanien weniger Schulden abbezahlen musste. 2005 haben die G8-Staaten beschlossen, dem seit 2000 als hochverschuldet eingestuftem Land einen Teil der Schulen zu erlassen.
Das Kooperationsabkommen ermögliche es, dass kleine Boote von Frontex-Schiffen immer wieder nach Mauretanien zurückgeschickt werden und die Menschen in Abschiebelager gesteckt werden, berichtet M'Bow. Immer noch besser als die Praxis von Mauretanien: Ein Fall sei bekannt geworden, in dem Mauretanien durch Nichteingreifen dafür gesorgt habe, dass ein Schiff mit Flüchtlingen untergegangen sei. 30 Personen hätten dabei ihr Leben verloren.
Festnahmen auf Verdacht
Dies soll sich nun ändern, wenn es nach dem Innenministerium geht: Zumindest ist das die offizielle Rhetorik. Der oberste Sprecher des Ministeriums habe angekündigt, sich ab dem 1. Juni strikt an die Genfer Flüchtlingskonvention zu halten. Vielleicht hören dann die „Festnahmen auf Verdacht“ auf, wie sie M'Bow nennt. In manchen Fällen reiche das Tragen eines Benzinkanisters aus, um der illegalen Boots-Überfahrt nach Europa beschuldigt zu werden.
Mauretanisches Innenministerium: Strikte Einhaltung der Flüchtlingskonvention
Eine Aktivistin aus dem Publikum warf die Frage auf, ob man denn aus antirassistischer Perspektive überhaupt einen positiven Bezug auf die Genfer Flüchtlingskonvention nehmen könne, schließlich mache sie eine „Trennung auf zwischen richtigen und nicht richten Flüchtlingen“. Gemeint ist damit, dass die Konvention nur die Flüchtlinge anerkennt, die wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung verfolgt werden. Wer aus Hunger, wirtschaftlicher Not oder anderen Gründen flieht, genießt nicht die Rechte. Außerdem äußerte die Frau aus dem Publikum die Vermutung, dass die offizielle Einhaltung der Konvention „Abschiebungen nach Mauretanien erleichtern“ solle. Die EU übe daher Druck auf andere Länder aus, das Abkommen zu unterzeichnen, das 1951 geschlossen wurde und als Lehre aus dem Zweiten Weltkrieg verstanden werden kann.
„Kein Grund, dagegen vorzugehen“
M'Bow reagierte auf den Einwand, indem er zugab, dass unklar sei, welches Interesse hinter der Verkündung seitens des Innenministeriums stehe. Er betonte jedoch, dass es in der Vergangenheit Fortschritte gegeben habe durch Deklarationen, auf die sich bezogen werden konnte: „Wir als zivilgesellschaftlicher Akteur versuchen die Einhaltung zu überwachen.“ Harald Glöde von den Veranstaltern sprang M'Bow zur Seite: Aus einer antirassistische „Grundposition“ heraus sei internationaler Flüchtlingsschutz zu befürworten. In Bezug auf die Erklärung des mauretanischen Innenministeriums gebe es „keinen Grund für irgendeine mauretanische Menschenrechts-Organisation, dagegen vorzugehen.“ Stattdessen sei es „unser Problem“, wie die EU das Abkommen nutzt.
Aber hat denn die Zusammenarbeit mit der EU gar keine positiven Effekte? Ein Aktivist aus dem Publikum wollte wissen, ob sich durch die Geldzahlungen der EU nicht die soziale Lage verbessert habe. Nach Einschätzung M'Bows ist dies keineswegs der Fall: Es gebe zwar NGOs, die sich um EU-Gelder bewerben – gar welche, die extra für diesen Zweck gegründet würden – aber das Geld, das bislang geflossen ist, sei „natürlich nicht angekommen bei der Bevölkerung“.
Perspektiven antirassistischer Vernetzung
Antirassistische Perspektiven wurden am Mittwochabend ebenfalls diskutiert: M'Bow erklärte, für dieses Jahr sei eine Konferenz geplant mit Vertreterinnen und Vertretern aus Mali, Senegal und der Elfenbeinküste; man wolle den Austausch und die Zusammenarbeit im antirassistischen Spektrum voranbringen. Auch das Sozialforum der Maghreb-Staaten stehe unter dem Motto „Ein Maghreb ohne Mauern“. In Deutschland werden die Diskussionsrunden eher auf dem antirassistischen Camp in Hamburg weitergeführt, das vom 15. bis zum 24. August stattfindet.
Aber zuvor geht es noch zur Zentrale der Grenzschutzagentur Frontex in Warschau. Dort findet eine antirassistische Konferenz statt, am folgenden Tag soll der Sitz von Frontex belagert werden. Das soll aber nicht alles sein. In dem Aufruf heißt es: „Machen wir den 6. Juni in Warschau zum powervollen Auftakt einer langfristigen transnationalen Kampagne gegen FRONTEX, gegen das Monster des europäischen Grenzregimes!“
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sfux - 7. Jun, 07:22 Article 4197x read