Der Fall Claas Relotius, oder: die “Hitler Tagebücher” des SPIEGEL
Dr.Alexander von Paleske > —- 22.12. 2018 —-
Der Mit-Gründer des Gruner und Jahr Verlages, John Jahr Sen., gab seinen Redakteuren einst mit auf den Weg:
“Ihr könnt schreiben was ihr wollt, aber es muss stimmen”.
Hierbei handelte es sich keineswegs um eine freundliche Empfehlung, sondern um das Essential einer ernstzunehmenden Zeitung/Zeitschrift. Sie lebt von der Glaubwürdigkeit, die lange zum Aufbau braucht, und sehr schnell durch Falschinformationen zerstört werden kann.
Die Hitler-Tagebücher
Im Jahre 1983 bekam die Redaktion des STERN, die ebenfalls im Gruner und Jahr Verlag erscheint, die angeblichen Hitler-Tagebücher angeboten, und kaufte sie für 9,3 Millionen DM .
Sie waren allesamt total gefälscht. Aber so gross war die Gier nach diesem angeblichen Sensationsfund, dem Schein-Scoop, dass alle ernsten Bedenken gegen eine mögliche Fälschung beiseite geschoben, und eine wirklich umfassende Prüfung unterlassen wurde.
Hervorragende Reportagen
Der STERN hatte sich im Nachkriegsdeutschland durch hervorragende Reportagen über Jahrzehnte eine Reputation der absoluten Glaubwürdigkeit erworben. Nicht zu vergessen der tollkühne Flug des Bildjournalisten Fred Ihrt über die KZ-Insel der giechischen Obristen 1967.
Alle Welt druckte die von Ihrt gemachten Bilder nach.
Der Tagebücher-Skandal
Doch dann 1983 der Reinfall mit den Hitler Tagebüchern. Sie wurden gedruckt, jedenfalle in einer ersten Ausgabe, bis schliesslich der Schwindel aufflog. Die Glaubwördigkeit des STERN nahm enormen Schaden, und das auf lange Zeit.
Was bei der BILD-Zeitung über Jahrzehnte dazugehörte, nämlich Falschmeldungen und Uebertreibungen,
Motto: Forget the facts, push the story
so dass man sich sagen musste, wenn man den Aufmacher las: “das gibt es doch gar nicht “ – gab es ja auch oft genug nicht – so galt das für den STERN erst ab der Veroeffentlichung des Hitler Tagebücher: Stimmt das auch?
Ein derartiger Skandal blieb dem SPIEGEL erspart, daran änderte auch der “Waterkantgate”- Bericht über Uwe Barschel nichts – weil vor allem die Ressortleiter, die Chefredakteure, und der Herausgeber bis 2002, Rudolf Augstein, durch eingebaute mehrfache Sicherungen darüber wachten, dass Falschmeldungen und lügenhafte Reportagen nicht ihren Weg ins Blatt fanden.
Glaubwürdigkeits-Schaden
Das ist nun mit dem Fall des Claas Relotius vorbei. Schliesslich war es nicht nur ein gefälschter Artikel, sondern insgesamt wohl gleich Dutzende. Mehr noch: reagiert wurde zunächst auch nicht, als ein langjähriger SPIEGEL- Redakteur ernsthafte Bedenken am Wahrheitsgehalt der Relolotius-Reportagen anmeldete. Aber diese beanstandeten Reportagen klangen so gut, trafen so sehr den Zeitgeist, auch festsitzende Vorurteile, dass offenbar die Ressorleiter sie ohne genauere Prüfung einfach durchwinkten
.
Keine Ueberraschung
Aber eigentlich können diese Ereignisse nicht überraschen: nicht nur die Auflage des Print-SPIEGEL geht seit Jahren zurück, sondern auch dessen Qualität.
Auflage des SPIEGEL
Das “Sturmgeschütz der Demokratie”, wie Augstein sein Blatt einst nannte, mutierte, nein, degenerierte zu einem Lifestyle-Magazin unter dem damaligen Chefredakteur Stefan Aust, der mittlerweile – keine Ueberraschung – beim Axel Springer- Verlag gelandet ist, und durchaus Lobendes selbst über die BILD-Zeitung, eine “Fehlgeburt des Journalismus”, zu berichten wusste.
Glatt vorbei
Die grossen Enthüllungsskandale der letzten Jahre, wie die Panama-Papiere und die Paradise-Papiere gingen deshalb am SPIEGEL glatt vorbei. Federführend hier die Süddeutsche Zeitung, der NDR und ein Konsortium investigativer Journalisten.
Nach Austs Abgang gaben sich die Chefredakteure die Klinke in die Hand, Unruhe kam ins Haus, auch der Umzug in den “Palazzo Prozzi” in der Hafencity, statt Dezentralisierung taten nicht gut.
Nicht nur der SPIEGEL
Nicht nur der SPIEGEL verlor an Qualität, auch die ZEIT. Erinnert sei beispielsweise an die jämmerlich einseitigen und parteiergreifenden Artikel der mittlerweile ins Chefredakteurs-Gremium aufgestiegenen Sabine Rückert über den Kachelmann-Prozess, oder letztlich im Juni diesen Jahres ein langer hochpositiver Artikel eines ZEIT-Mitarbeiters über eine aufgemotzte Sex-Rammelbude, auch Swinger Club genannt.
Selbst Chefredakteur Giovanni di Lorenzo hatte sich wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert, als er die Missetaten des Plagiateur und Doktor-Arbeit-Betrügers, des Freiherrn Karl-Theodor zu Guttenberg, zu verharmlosen suchte, mit dem Ziel, dessen politische Rückkehr zu erleichtern. Motto: Alles gar nicht so schlimm.
Kontrollmechanismen versagt
Der Fall Claas Relotius, der Unwille, berechtigten Zweifeln eines langjährigen Redakteurs sofort nachzugehen, zeigen überdeutlich, dass die Sicherheitsmechanismen beim SPIEGEL nicht funktionieren: konkret: Ressortleiter und Chefredakteur nicht nur einmal, sondern gleich dutzendfach versagt haben. So schlimm, dass mittlerweile der US- Präsident und Medienhasser Donald Trump – diesmal ausnahmsweise allerdings zu Recht – von Fake News reden konnte.
Die Leser werden den SPIEGEL in einer ohnehin für Printmedien schwierigen Zeit wohl abstrafen. Es wird lange dauern – ähnlich wie auch beim STERN seinerzeit, bis dieser Schaden repariert , also Vertrauen wiederhergestellt ist. Der Hitler- Tagebuch- Skandal wirkte lange nach – bis heute.
Der Mit-Gründer des Gruner und Jahr Verlages, John Jahr Sen., gab seinen Redakteuren einst mit auf den Weg:
“Ihr könnt schreiben was ihr wollt, aber es muss stimmen”.
Hierbei handelte es sich keineswegs um eine freundliche Empfehlung, sondern um das Essential einer ernstzunehmenden Zeitung/Zeitschrift. Sie lebt von der Glaubwürdigkeit, die lange zum Aufbau braucht, und sehr schnell durch Falschinformationen zerstört werden kann.
Die Hitler-Tagebücher
Im Jahre 1983 bekam die Redaktion des STERN, die ebenfalls im Gruner und Jahr Verlag erscheint, die angeblichen Hitler-Tagebücher angeboten, und kaufte sie für 9,3 Millionen DM .
Sie waren allesamt total gefälscht. Aber so gross war die Gier nach diesem angeblichen Sensationsfund, dem Schein-Scoop, dass alle ernsten Bedenken gegen eine mögliche Fälschung beiseite geschoben, und eine wirklich umfassende Prüfung unterlassen wurde.
Hervorragende Reportagen
Der STERN hatte sich im Nachkriegsdeutschland durch hervorragende Reportagen über Jahrzehnte eine Reputation der absoluten Glaubwürdigkeit erworben. Nicht zu vergessen der tollkühne Flug des Bildjournalisten Fred Ihrt über die KZ-Insel der giechischen Obristen 1967.
Alle Welt druckte die von Ihrt gemachten Bilder nach.
Der Tagebücher-Skandal
Doch dann 1983 der Reinfall mit den Hitler Tagebüchern. Sie wurden gedruckt, jedenfalle in einer ersten Ausgabe, bis schliesslich der Schwindel aufflog. Die Glaubwördigkeit des STERN nahm enormen Schaden, und das auf lange Zeit.
Was bei der BILD-Zeitung über Jahrzehnte dazugehörte, nämlich Falschmeldungen und Uebertreibungen,
Motto: Forget the facts, push the story
so dass man sich sagen musste, wenn man den Aufmacher las: “das gibt es doch gar nicht “ – gab es ja auch oft genug nicht – so galt das für den STERN erst ab der Veroeffentlichung des Hitler Tagebücher: Stimmt das auch?
Ein derartiger Skandal blieb dem SPIEGEL erspart, daran änderte auch der “Waterkantgate”- Bericht über Uwe Barschel nichts – weil vor allem die Ressortleiter, die Chefredakteure, und der Herausgeber bis 2002, Rudolf Augstein, durch eingebaute mehrfache Sicherungen darüber wachten, dass Falschmeldungen und lügenhafte Reportagen nicht ihren Weg ins Blatt fanden.
Glaubwürdigkeits-Schaden
Das ist nun mit dem Fall des Claas Relotius vorbei. Schliesslich war es nicht nur ein gefälschter Artikel, sondern insgesamt wohl gleich Dutzende. Mehr noch: reagiert wurde zunächst auch nicht, als ein langjähriger SPIEGEL- Redakteur ernsthafte Bedenken am Wahrheitsgehalt der Relolotius-Reportagen anmeldete. Aber diese beanstandeten Reportagen klangen so gut, trafen so sehr den Zeitgeist, auch festsitzende Vorurteile, dass offenbar die Ressorleiter sie ohne genauere Prüfung einfach durchwinkten
.
Keine Ueberraschung
Aber eigentlich können diese Ereignisse nicht überraschen: nicht nur die Auflage des Print-SPIEGEL geht seit Jahren zurück, sondern auch dessen Qualität.
Auflage des SPIEGEL
Das “Sturmgeschütz der Demokratie”, wie Augstein sein Blatt einst nannte, mutierte, nein, degenerierte zu einem Lifestyle-Magazin unter dem damaligen Chefredakteur Stefan Aust, der mittlerweile – keine Ueberraschung – beim Axel Springer- Verlag gelandet ist, und durchaus Lobendes selbst über die BILD-Zeitung, eine “Fehlgeburt des Journalismus”, zu berichten wusste.
Glatt vorbei
Die grossen Enthüllungsskandale der letzten Jahre, wie die Panama-Papiere und die Paradise-Papiere gingen deshalb am SPIEGEL glatt vorbei. Federführend hier die Süddeutsche Zeitung, der NDR und ein Konsortium investigativer Journalisten.
Nach Austs Abgang gaben sich die Chefredakteure die Klinke in die Hand, Unruhe kam ins Haus, auch der Umzug in den “Palazzo Prozzi” in der Hafencity, statt Dezentralisierung taten nicht gut.
Nicht nur der SPIEGEL
Nicht nur der SPIEGEL verlor an Qualität, auch die ZEIT. Erinnert sei beispielsweise an die jämmerlich einseitigen und parteiergreifenden Artikel der mittlerweile ins Chefredakteurs-Gremium aufgestiegenen Sabine Rückert über den Kachelmann-Prozess, oder letztlich im Juni diesen Jahres ein langer hochpositiver Artikel eines ZEIT-Mitarbeiters über eine aufgemotzte Sex-Rammelbude, auch Swinger Club genannt.
Selbst Chefredakteur Giovanni di Lorenzo hatte sich wahrlich nicht mit Ruhm bekleckert, als er die Missetaten des Plagiateur und Doktor-Arbeit-Betrügers, des Freiherrn Karl-Theodor zu Guttenberg, zu verharmlosen suchte, mit dem Ziel, dessen politische Rückkehr zu erleichtern. Motto: Alles gar nicht so schlimm.
Kontrollmechanismen versagt
Der Fall Claas Relotius, der Unwille, berechtigten Zweifeln eines langjährigen Redakteurs sofort nachzugehen, zeigen überdeutlich, dass die Sicherheitsmechanismen beim SPIEGEL nicht funktionieren: konkret: Ressortleiter und Chefredakteur nicht nur einmal, sondern gleich dutzendfach versagt haben. So schlimm, dass mittlerweile der US- Präsident und Medienhasser Donald Trump – diesmal ausnahmsweise allerdings zu Recht – von Fake News reden konnte.
Die Leser werden den SPIEGEL in einer ohnehin für Printmedien schwierigen Zeit wohl abstrafen. Es wird lange dauern – ähnlich wie auch beim STERN seinerzeit, bis dieser Schaden repariert , also Vertrauen wiederhergestellt ist. Der Hitler- Tagebuch- Skandal wirkte lange nach – bis heute.
onlinedienst - 22. Dez, 23:49 Article 2430x read