Erinnerungen einer Auswanderin wider Willen
Dr. Alexander von Paleske 1.5. 2010 -- Bei meinem letzten Umzug im Oktober vergangenen Jahres fielen mir die schriftlichen Erinnerungen einer deutschstämmigen Patientin namens Gisela Gutzeit wieder in die Hände.
Ich hatte den Ordner mit ihren Aufzeichnungen im Jahre 2001, als ich von Simbabwe nach Botswana umzog, mitgenommen, verstaut und vergessen.
Gisela (Name geändert) kam im Jahre 1995 zu mir zur Behandlung. Sie litt an einem aggressivem Lymphom, einem Lymphdrüsenkrebs. Nach drei Behandlungszyklen hatte sie genug von der Chemotherapie mit ihren Nebenwirkungen und sagte mir, dass irgendwann eben Schluss sein müsse, das hätte man in ihrem Alter, sie war 81, zu respektieren.
Das Lymphom war dank der Chemotherapie in Remission, also fürs erste nicht mehr nachweisbar, aber es würde eben, nach nur drei Behandlungszyklen, keine Heilung erreicht werden können.
Ich verstand und respektierte ihre Entscheidung und versuchte erst gar nicht, sie zur Fortsetzung der Chemotherapie , deren Nebenwirkungen vor allem Uebelkeit und Appetitlosigkeit waren, die ihr ziemlich zusetzten, zu überreden, zumal die Heilungschancen in ihrem Alter ohnehin nicht allzu gut waren.
Ich bot ihr von meinem Christstollen an, den mir meine Mutter aus Deutschland, wie jedes Jahr, pünktlich zum Weihnachtsfest geschickt hatte, und so sassen wir noch eine Weile zusammen, und sie begann von ihrer Kindheit in Deutschland zu erzählen, der Weihnachtszeit mit Christstollen und Weihnachtsgebäck..
Nach 1 ½ jahren war das Lymphom zurückgekehrt und wir einigten uns auf eine milde Chemotherapie, die ihr dann noch eine bescheidene Lebensverlängerung ermöglichte. Sie starb 1997.
Drei Jahre später meldete sich eine ihrer Töchter bei mir. Sie brachte Post aus Deutschland mit, und bat mich um Uebersetzung. Es stellte sich heraus, dass Giselas Mutter seinerzeit ein unbebautes Grundstück in der sächsischen Schweiz besessen hatte, das jetzt, nach der Wiedervereinigung Deutschlands, an die Erben zurückgefallen war.
Giselas Tochter hatte aber auch Aufzeichnungen ihrer Mutter dabei, die sie vor ihrem ihrem Tode angefangen hatte, aber nicht zu Ende bringen komnnte. Sie sind in Englisch abgefasst, aber leider nur fragmentarisch. Gleichwohl beleuchten sie das Schicksal einer deutschen Auswandererfamilie in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts,.
Da sie vielleicht auf Interesse stossen, stelle ich sie übersetzt online, aus Zeitmangel in Fortsetzungen.
Eine Kindheit in Deutschland
Ich , Gisela Gutzeit, wurde im August 1914, also in dem Monat, in dem der 1. Weltkrieg ausbrach, in einem kleinen Ort namens Blixen in der Nähe von Nordenham geboren.
Mein Vater war Ingenieur bei der Deutschen Werft, damals eine der grössten Werften in Deutschland.
Meine erste Erinnerung habe ich, als ich etwa 4 Jahre alt war, und ich meine jüngere Schwester in den Rinnstein schubste und eine Ohrfeige dafür bekam.
Gisela mit Geschwister und Eltern, Blixen, ca 1917
Nach dem Ende des 1. Weltkriegs zog unsere Familie nach Hamburg um, wir wohnten in der Sierichstrasse 72 . Wir Kinder besuchten alle die Schule dort. Das waren harte Zeiten, ein Laib Brot kostete damals 100 Millionen Reichsmark.
Wegen der Wirtschaftskrise sanken auch die Aufträge für die Werften und so sah mein Vater sich nach einer anderen Stelle um. 1924 wurde ihm schliesslich eine Arbeit in Spanien angeboten. Er wurde mit dem Aufbau von drei Schiffswerften in Spanien betraut, und so zog unsere Familie nach Madrid um. Diese Madrider Zeit ist mir als besonders schön in Erinnerung geblieben. Im Urlaub fuhren wir an die Mittelmeerküste oder sogar nach Mallorca.
Gisela (ganz links im Bild) mit Familie, Madrid 1926
Meine Mutter war eine aussergewöhnliche Frau. Sie hatte in Berlin Gesang studiert und konnte auch hervorragend Klavier spielen. Ganze Opernarien sang sie. In Madirid hatte sie einen Zirkel von Musikern um sich versammelt, die sich jeden Mittwoch bei uns im Hause trafen, darunter ein Violonist und ein Cellist. Sie selbst spielte am Klavier und sang . So kam ich schon früh mit der klassischen Musik in Berührung, und fing an, Geige zu spielen .
Wir Kinder gingen alle in Madrid zur Schule und bald konnte ich fliessend Spanisch sprechen.
Der Vertrag meines Vaters kam mit der Fertigstellung der Werften 1929 zum Ende, aber mein Vater wollte nicht nach Deutschland zurück, einmal weil es keine Stellenangebote gab, zum anderen, weil Hitlers NSDAP stärker und stärker wurde.
Meine Mutter traf jemanden, der ihr riet, sie sollten doch nach Tanganjika gehen. Das Land würde gute Lebensbedingungen offerieren.
Und so beschlossen meine Eltern nach langer Ueberlegung nach Tanganjika (heute: Tansania) auszuwandern.
Wir schifften uns auf dem Passagierschiff „Nyassa" ein, das uns nach Dar-es -Salaam brachte, wo wir die ersten Tage auf dem afrikanischen Kontinent verbrachten. Von dort ging es weiter per Bahn nach Dodoma. Es war eine schreckliche Fahrt. Die schwarze Bevölkerung erschien mir fremd und ich sehnte mich nach Spanien zurück.
Die Dampflok wurde mit Holz befeuert, und wenn der Lok-Führer betrunken war, oder einschlief, wurde kein Holz nachgeworfen, mit der Folge, dass der Zug irgendwo auf der Strecke zum Stehen kam.
.Wir konnten vom Zug aus Löwen sehen und Giraffen mit ihren langen Hälsen, aber ich weinte die ganze Zeit.
Fortsetzung hier
Ich hatte den Ordner mit ihren Aufzeichnungen im Jahre 2001, als ich von Simbabwe nach Botswana umzog, mitgenommen, verstaut und vergessen.
Gisela (Name geändert) kam im Jahre 1995 zu mir zur Behandlung. Sie litt an einem aggressivem Lymphom, einem Lymphdrüsenkrebs. Nach drei Behandlungszyklen hatte sie genug von der Chemotherapie mit ihren Nebenwirkungen und sagte mir, dass irgendwann eben Schluss sein müsse, das hätte man in ihrem Alter, sie war 81, zu respektieren.
Das Lymphom war dank der Chemotherapie in Remission, also fürs erste nicht mehr nachweisbar, aber es würde eben, nach nur drei Behandlungszyklen, keine Heilung erreicht werden können.
Ich verstand und respektierte ihre Entscheidung und versuchte erst gar nicht, sie zur Fortsetzung der Chemotherapie , deren Nebenwirkungen vor allem Uebelkeit und Appetitlosigkeit waren, die ihr ziemlich zusetzten, zu überreden, zumal die Heilungschancen in ihrem Alter ohnehin nicht allzu gut waren.
Ich bot ihr von meinem Christstollen an, den mir meine Mutter aus Deutschland, wie jedes Jahr, pünktlich zum Weihnachtsfest geschickt hatte, und so sassen wir noch eine Weile zusammen, und sie begann von ihrer Kindheit in Deutschland zu erzählen, der Weihnachtszeit mit Christstollen und Weihnachtsgebäck..
Nach 1 ½ jahren war das Lymphom zurückgekehrt und wir einigten uns auf eine milde Chemotherapie, die ihr dann noch eine bescheidene Lebensverlängerung ermöglichte. Sie starb 1997.
Drei Jahre später meldete sich eine ihrer Töchter bei mir. Sie brachte Post aus Deutschland mit, und bat mich um Uebersetzung. Es stellte sich heraus, dass Giselas Mutter seinerzeit ein unbebautes Grundstück in der sächsischen Schweiz besessen hatte, das jetzt, nach der Wiedervereinigung Deutschlands, an die Erben zurückgefallen war.
Giselas Tochter hatte aber auch Aufzeichnungen ihrer Mutter dabei, die sie vor ihrem ihrem Tode angefangen hatte, aber nicht zu Ende bringen komnnte. Sie sind in Englisch abgefasst, aber leider nur fragmentarisch. Gleichwohl beleuchten sie das Schicksal einer deutschen Auswandererfamilie in der ersten Hälfte des vorigen Jahrhunderts,.
Da sie vielleicht auf Interesse stossen, stelle ich sie übersetzt online, aus Zeitmangel in Fortsetzungen.
Eine Kindheit in Deutschland
Ich , Gisela Gutzeit, wurde im August 1914, also in dem Monat, in dem der 1. Weltkrieg ausbrach, in einem kleinen Ort namens Blixen in der Nähe von Nordenham geboren.
Mein Vater war Ingenieur bei der Deutschen Werft, damals eine der grössten Werften in Deutschland.
Meine erste Erinnerung habe ich, als ich etwa 4 Jahre alt war, und ich meine jüngere Schwester in den Rinnstein schubste und eine Ohrfeige dafür bekam.
Gisela mit Geschwister und Eltern, Blixen, ca 1917
Nach dem Ende des 1. Weltkriegs zog unsere Familie nach Hamburg um, wir wohnten in der Sierichstrasse 72 . Wir Kinder besuchten alle die Schule dort. Das waren harte Zeiten, ein Laib Brot kostete damals 100 Millionen Reichsmark.
Wegen der Wirtschaftskrise sanken auch die Aufträge für die Werften und so sah mein Vater sich nach einer anderen Stelle um. 1924 wurde ihm schliesslich eine Arbeit in Spanien angeboten. Er wurde mit dem Aufbau von drei Schiffswerften in Spanien betraut, und so zog unsere Familie nach Madrid um. Diese Madrider Zeit ist mir als besonders schön in Erinnerung geblieben. Im Urlaub fuhren wir an die Mittelmeerküste oder sogar nach Mallorca.
Gisela (ganz links im Bild) mit Familie, Madrid 1926
Meine Mutter war eine aussergewöhnliche Frau. Sie hatte in Berlin Gesang studiert und konnte auch hervorragend Klavier spielen. Ganze Opernarien sang sie. In Madirid hatte sie einen Zirkel von Musikern um sich versammelt, die sich jeden Mittwoch bei uns im Hause trafen, darunter ein Violonist und ein Cellist. Sie selbst spielte am Klavier und sang . So kam ich schon früh mit der klassischen Musik in Berührung, und fing an, Geige zu spielen .
Wir Kinder gingen alle in Madrid zur Schule und bald konnte ich fliessend Spanisch sprechen.
Der Vertrag meines Vaters kam mit der Fertigstellung der Werften 1929 zum Ende, aber mein Vater wollte nicht nach Deutschland zurück, einmal weil es keine Stellenangebote gab, zum anderen, weil Hitlers NSDAP stärker und stärker wurde.
Meine Mutter traf jemanden, der ihr riet, sie sollten doch nach Tanganjika gehen. Das Land würde gute Lebensbedingungen offerieren.
Und so beschlossen meine Eltern nach langer Ueberlegung nach Tanganjika (heute: Tansania) auszuwandern.
Wir schifften uns auf dem Passagierschiff „Nyassa" ein, das uns nach Dar-es -Salaam brachte, wo wir die ersten Tage auf dem afrikanischen Kontinent verbrachten. Von dort ging es weiter per Bahn nach Dodoma. Es war eine schreckliche Fahrt. Die schwarze Bevölkerung erschien mir fremd und ich sehnte mich nach Spanien zurück.
Die Dampflok wurde mit Holz befeuert, und wenn der Lok-Führer betrunken war, oder einschlief, wurde kein Holz nachgeworfen, mit der Folge, dass der Zug irgendwo auf der Strecke zum Stehen kam.
.Wir konnten vom Zug aus Löwen sehen und Giraffen mit ihren langen Hälsen, aber ich weinte die ganze Zeit.
Fortsetzung hier
onlinedienst - 1. Mai, 22:08 Article 3636x read