Tod am Hamburger Baumwall? – Das Ende des Verlagshauses Gruner + Jahr droht
Dr. Alexander von Paleske —— 5.2. 2023 ——–
Am Mittwoch vergangener Woche standen nach Schätzungen der Gewerkschaft Verdi mehr als zweihundert Journalisten vor dem Gebäude von Gruner + Jahr am Baumwall in Hamburg, pfiffen und hielten Plakate hoch mit Fragen über ihre Zukunft. Antworten gab es keine, wie es mit dem Verlag Gruner + Jahr, der Zeitschriften wie Stern, Geo, Brigitte, PM., Eltern. Art, und andere verlegt, weitergehen soll: weder von Bertelsmann-Chef Thomas Rabe noch von der Familie Mohn, den Bertelsmann- und damit über RTL auch Gruner + Jahr-Eigentümern. Die wollen ihre Entscheidung erst in der kommenden Woche bekanntgeben, und mit dem Schlimmsten für die Redakteure muss gerechnet werden: Dem Ausverkauf der meisten Zeitschriften.
Springer macht es vor
Aehnliches hatte der Axel Springer Konzern bereits im Mai 2014 auf dem Weg in die Digitale Medien-Zukunft vollzogen, und die meisten seiner Printmedien, wie z.B. die einstige Cash Cow Hörzu, an die Funke Mediengruppe verkauft. Ausgenommen davon: das Kampf- und Hetzblatt BILD mit dessen Ablegern, und die chronisch defizitäre Tageszeitung die WELT – wohl weniger aus wirtschaftlichen Gründen, vielmehr weil es des Gründers Axel Springer wichtigste Zeitungen gerade auch zur politischen Einflussnahme waren.
Ein Blick zurück
Das Verlagshaus Gruner + Jahr, von dem Verlegern John Jahr, Gerd Bucerius und dem Druckereibesitzer Richard Gruner 1965 gegründet, sollte dem mächtigen Verleger Axel Springer, der sich auf dem Wege zum marktbeherrschen Verleger Deutschlands befand, Paroli bieten.
Hamburger Dreierbund - John Jahr (l), Gerd Bucerius (m) und Richard Gruner (r)
Es waren die Glanzzeiten der Printmedien, Lizenzen zum Gelddrucken sozusagen, die bis zur Ausbreitung des Internets andauern sollten. Der STERN erreichte in der Spitze eine Auflage von fast 2 Millionen, die BRIGITTE 1 Million. Die Auflagen-Millionen machten die Verleger zu Deutsche-Mark-Milliardären.
Hort des liberalen Journalismus
Aber Gruner + Jahr war weit mehr: es war der Hort des liberalen Journalismus, der nach Kräften seinerzeit die Ost- und Versöhnungspolitik Willy Brandts unterstütze, insbesondere mit seinem Flaggschiff STERN und dessen Chefredakteur Henri Nannen .
Merksatz John Jahrs an seine Redakteure:
“ Ihr könnt schreiben was ihr wollt, aber es muss stimmen“.
Natürlich musste auch die Auflage stimmen, aber bei Gruner + Jahr zu arbeiten war allemal weitaus attraktiver als im Hause Springer als Redakteur sich zu verbreitern – und verbiegen zu lassen, wo der Hausherr die Linie vorgab: die war konservativ bis auf die Knochen und entsprach nicht mehr dem Zeitgeist.
Gruner steigt aus, Bertelsmann ein
1969 stieg Richard Gruner aus und verzog sich, vollbeladen mit Geld, in die USA.Ihm wurde Deutschland zu “linkslastig”. Die Bertelsmänner aus Gütersloh stiegen dafür drei Jahre später ein. John Jahr, und dann dessen Erben, hielten weiterhin 25%,.
Über die Jahre wuchs Gruner + Jahr, mit starken Ablegern insbesondere auch in Frankreich, zum grössten Medienhaus Europas.
Der langsame Abstieg und "Kannibalismus"
Der Abstieg begann aber nicht gestern, sondern bereits in den Nuller Jahren
Eine der letzten grossen Neugründungen des Verlages war zweifellos die Financial Times Deutschland, welche den Markt der Wirtschaftszeitungen aufmischte. Aber es war auch die erste, die nach 12 Jahren wieder vom Markt verschwand, nicht einmal als Internetzeitung wollte der Verlag sie erhalten.
Es drängte sich der Eindruck auf, hier sollte geldmässig nur noch rausgeholt werden, was rauszuholen ging. Statt Visionen, das Internet zukunftweisend in den Medienmarkt zu integrieren, auch wenn dies zunächst mit Kosten verbunden gewesen wäre, ging die „Kannibalisierung“ weiter: Statt Einzelredaktionen Plattformen, die gleich mehrere Druckerzeugnisse beliefern mussten.
Ausserdem bot sich der Verlag als Hersteller von Firmenzeitungen an, was Konflikte mit kritischen Reportagen in anderen Medien hervorrufen musste
Vorwärts – abwärts
Die Auflagen aller Printmedien fielen, einige im steilen Sinkflug. Hinzu kam die Vergreisung der Gesellschaft. Über 60-jährige dürften kaum von der BRIGITTE an den Kiosk gelockt werden. Deren Auflage fiel und fiel und fiel, siehe hier
Anderen Printmedien ging es nicht besser.
Auflagenentwicklung beim STERN siehe hier
Beim STERN konnte keine klare Linie gefunden werden, der häufige Wechsel der Chefredakteure nach dem Abtritt des Gründers und langjährigen Chefredakteurs Henri Nannen erinnerte eher an eine „Reise nach Jerusalem“. Dazu der Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher.
Dass dieser Trend aufgehalten werden kann, zeigt die Auflagenentwicklung des SPIEGEL, siehe hier
Die Anteilseigner liessen sich die Gewinne voll auszahlen, statt risikofreudig zu investieren. Das einzig sichtbare Konzept: Ballast abwerfen durch Kürzen und Sparen. Auch die Grunersche Grossdruckerei (Prinovis) in Itzehoe wurde 30.4. 2014 dichtgemacht. Die Jahr-Erben verkauften ihren 25% Anteil an Bertelsmann.
Der letzte der Mohikaner
Der letzte erfolgreiche Chef bei Gruner und Jahr, Gerd Schulte-Hillen, sagte einstmals:
„Guter Journalismus kann nur entstehen, wenn möglichst viele Ideen von möglichst vielen Journalisten verwirklicht werden, geführt an der langen Leine“.
Und auf einem Management-Meeting im Jahre 1998:
„Gruner und Jahr ist nicht irgendein Unternehmen, wir sind ein journalistisches Haus. Das ist etwas ganz Besonderes. Unser Herz schlägt in den Redaktionen.“
Davon war zunehmend weniger zu spüren. Gründe dafür das Internet, was alle Printmedien traf und trifft, aber keineswegs nur.
„Unterschichtenkanal“ kauft journalistisches Haus
2021 wurde Gruner + Jahr von RTL gekauft, von Synergien war die Rede. Gruner + Jahr und RTL aber passen zusammen eher wie Schnellimbiss oder Würstchenbude und Gourmet-Restaurant.
RTL – von Bertelsmann schrittweise voll übernommen – ein Fernsehkanal in Deutschland mit anspruchslosem “Unterhaltungsschrott” wie seinerzeit die Tutti Frutti-Nackedeis, gefolgt von Big Brother, Dschungelcamp, Bauer sucht Frau, Bachelor in Paradise u.s.w., u.s.w. Dass dies bei den Redakteuren des G+J Verlags, die gewohnt sind, anspruchsvollen Journalismus zu produzieren, keine Freude auslösen würde, kann kaum überraschen.
Verscherbelung statt Zukunftsvision?
Mittlerweile verfolgen die Bertelsmänner aus Gütersloh den “Synergie-Brei” offenbar nicht mehr. Nun fürchten die Mitarbeiter des Verlags, dass die Zeitschriften stattdessen verscherbelt werden sollen. Ein Interessent könnte die Heinrich Bauer Verlagsgruppe in Hamburg sein, die viel Regenbogenpresse verlegt – das Gegenstück zum Qualitätsjournalismus. Die protestierenden Journalisten fürchten, dass von ihrer Unabhängigkeit, die sie im G+J Verlag hatten, wenig übrigbleiben wird, ausserdem würde es wohl zu vielen Entlassungen kommen. Zu viele Journalisten müssen sich ohnehin heutzutage schon als “freie” besser wohl “vogelfreie” Mitarbeiter verdingen.
Fazit:
Wie immer die Entscheidung über Gruner + Jahr ausgeht: von dem einst stolzen Bollwerk des liberalen Journalismus, der insbesondere mit der Zeitschrift STERN aktiv die Ostpolitik der Regierungen Brandt/Scheel und Schmidt/Genscher in den 70er Jahren unterstützte, und notwendiger Bestandteil der “4. Gewalt” und Garant der Meinungsvielfalt, wird wohl wenig, wenn gar nichts, übrigbleiben. Das kann weder dem Journalismus, noch der Demokratie guttun, den betroffenen Journalisten schon gar nicht.
Gruner und Jahr Verlag: Trübe Aussichten, finanziell und journalistisch
Die neue Gruner und Jahr Story oder: Von Gruner und Jahr zu Anzeigen und Spar
Am Mittwoch vergangener Woche standen nach Schätzungen der Gewerkschaft Verdi mehr als zweihundert Journalisten vor dem Gebäude von Gruner + Jahr am Baumwall in Hamburg, pfiffen und hielten Plakate hoch mit Fragen über ihre Zukunft. Antworten gab es keine, wie es mit dem Verlag Gruner + Jahr, der Zeitschriften wie Stern, Geo, Brigitte, PM., Eltern. Art, und andere verlegt, weitergehen soll: weder von Bertelsmann-Chef Thomas Rabe noch von der Familie Mohn, den Bertelsmann- und damit über RTL auch Gruner + Jahr-Eigentümern. Die wollen ihre Entscheidung erst in der kommenden Woche bekanntgeben, und mit dem Schlimmsten für die Redakteure muss gerechnet werden: Dem Ausverkauf der meisten Zeitschriften.
Springer macht es vor
Aehnliches hatte der Axel Springer Konzern bereits im Mai 2014 auf dem Weg in die Digitale Medien-Zukunft vollzogen, und die meisten seiner Printmedien, wie z.B. die einstige Cash Cow Hörzu, an die Funke Mediengruppe verkauft. Ausgenommen davon: das Kampf- und Hetzblatt BILD mit dessen Ablegern, und die chronisch defizitäre Tageszeitung die WELT – wohl weniger aus wirtschaftlichen Gründen, vielmehr weil es des Gründers Axel Springer wichtigste Zeitungen gerade auch zur politischen Einflussnahme waren.
Ein Blick zurück
Das Verlagshaus Gruner + Jahr, von dem Verlegern John Jahr, Gerd Bucerius und dem Druckereibesitzer Richard Gruner 1965 gegründet, sollte dem mächtigen Verleger Axel Springer, der sich auf dem Wege zum marktbeherrschen Verleger Deutschlands befand, Paroli bieten.
Hamburger Dreierbund - John Jahr (l), Gerd Bucerius (m) und Richard Gruner (r)
Es waren die Glanzzeiten der Printmedien, Lizenzen zum Gelddrucken sozusagen, die bis zur Ausbreitung des Internets andauern sollten. Der STERN erreichte in der Spitze eine Auflage von fast 2 Millionen, die BRIGITTE 1 Million. Die Auflagen-Millionen machten die Verleger zu Deutsche-Mark-Milliardären.
Hort des liberalen Journalismus
Aber Gruner + Jahr war weit mehr: es war der Hort des liberalen Journalismus, der nach Kräften seinerzeit die Ost- und Versöhnungspolitik Willy Brandts unterstütze, insbesondere mit seinem Flaggschiff STERN und dessen Chefredakteur Henri Nannen .
Merksatz John Jahrs an seine Redakteure:
“ Ihr könnt schreiben was ihr wollt, aber es muss stimmen“.
Natürlich musste auch die Auflage stimmen, aber bei Gruner + Jahr zu arbeiten war allemal weitaus attraktiver als im Hause Springer als Redakteur sich zu verbreitern – und verbiegen zu lassen, wo der Hausherr die Linie vorgab: die war konservativ bis auf die Knochen und entsprach nicht mehr dem Zeitgeist.
Gruner steigt aus, Bertelsmann ein
1969 stieg Richard Gruner aus und verzog sich, vollbeladen mit Geld, in die USA.Ihm wurde Deutschland zu “linkslastig”. Die Bertelsmänner aus Gütersloh stiegen dafür drei Jahre später ein. John Jahr, und dann dessen Erben, hielten weiterhin 25%,.
Über die Jahre wuchs Gruner + Jahr, mit starken Ablegern insbesondere auch in Frankreich, zum grössten Medienhaus Europas.
Der langsame Abstieg und "Kannibalismus"
Der Abstieg begann aber nicht gestern, sondern bereits in den Nuller Jahren
Eine der letzten grossen Neugründungen des Verlages war zweifellos die Financial Times Deutschland, welche den Markt der Wirtschaftszeitungen aufmischte. Aber es war auch die erste, die nach 12 Jahren wieder vom Markt verschwand, nicht einmal als Internetzeitung wollte der Verlag sie erhalten.
Es drängte sich der Eindruck auf, hier sollte geldmässig nur noch rausgeholt werden, was rauszuholen ging. Statt Visionen, das Internet zukunftweisend in den Medienmarkt zu integrieren, auch wenn dies zunächst mit Kosten verbunden gewesen wäre, ging die „Kannibalisierung“ weiter: Statt Einzelredaktionen Plattformen, die gleich mehrere Druckerzeugnisse beliefern mussten.
Ausserdem bot sich der Verlag als Hersteller von Firmenzeitungen an, was Konflikte mit kritischen Reportagen in anderen Medien hervorrufen musste
Vorwärts – abwärts
Die Auflagen aller Printmedien fielen, einige im steilen Sinkflug. Hinzu kam die Vergreisung der Gesellschaft. Über 60-jährige dürften kaum von der BRIGITTE an den Kiosk gelockt werden. Deren Auflage fiel und fiel und fiel, siehe hier
Anderen Printmedien ging es nicht besser.
Auflagenentwicklung beim STERN siehe hier
Beim STERN konnte keine klare Linie gefunden werden, der häufige Wechsel der Chefredakteure nach dem Abtritt des Gründers und langjährigen Chefredakteurs Henri Nannen erinnerte eher an eine „Reise nach Jerusalem“. Dazu der Skandal um die gefälschten Hitler-Tagebücher.
Dass dieser Trend aufgehalten werden kann, zeigt die Auflagenentwicklung des SPIEGEL, siehe hier
Die Anteilseigner liessen sich die Gewinne voll auszahlen, statt risikofreudig zu investieren. Das einzig sichtbare Konzept: Ballast abwerfen durch Kürzen und Sparen. Auch die Grunersche Grossdruckerei (Prinovis) in Itzehoe wurde 30.4. 2014 dichtgemacht. Die Jahr-Erben verkauften ihren 25% Anteil an Bertelsmann.
Der letzte der Mohikaner
Der letzte erfolgreiche Chef bei Gruner und Jahr, Gerd Schulte-Hillen, sagte einstmals:
„Guter Journalismus kann nur entstehen, wenn möglichst viele Ideen von möglichst vielen Journalisten verwirklicht werden, geführt an der langen Leine“.
Und auf einem Management-Meeting im Jahre 1998:
„Gruner und Jahr ist nicht irgendein Unternehmen, wir sind ein journalistisches Haus. Das ist etwas ganz Besonderes. Unser Herz schlägt in den Redaktionen.“
Davon war zunehmend weniger zu spüren. Gründe dafür das Internet, was alle Printmedien traf und trifft, aber keineswegs nur.
„Unterschichtenkanal“ kauft journalistisches Haus
2021 wurde Gruner + Jahr von RTL gekauft, von Synergien war die Rede. Gruner + Jahr und RTL aber passen zusammen eher wie Schnellimbiss oder Würstchenbude und Gourmet-Restaurant.
RTL – von Bertelsmann schrittweise voll übernommen – ein Fernsehkanal in Deutschland mit anspruchslosem “Unterhaltungsschrott” wie seinerzeit die Tutti Frutti-Nackedeis, gefolgt von Big Brother, Dschungelcamp, Bauer sucht Frau, Bachelor in Paradise u.s.w., u.s.w. Dass dies bei den Redakteuren des G+J Verlags, die gewohnt sind, anspruchsvollen Journalismus zu produzieren, keine Freude auslösen würde, kann kaum überraschen.
Verscherbelung statt Zukunftsvision?
Mittlerweile verfolgen die Bertelsmänner aus Gütersloh den “Synergie-Brei” offenbar nicht mehr. Nun fürchten die Mitarbeiter des Verlags, dass die Zeitschriften stattdessen verscherbelt werden sollen. Ein Interessent könnte die Heinrich Bauer Verlagsgruppe in Hamburg sein, die viel Regenbogenpresse verlegt – das Gegenstück zum Qualitätsjournalismus. Die protestierenden Journalisten fürchten, dass von ihrer Unabhängigkeit, die sie im G+J Verlag hatten, wenig übrigbleiben wird, ausserdem würde es wohl zu vielen Entlassungen kommen. Zu viele Journalisten müssen sich ohnehin heutzutage schon als “freie” besser wohl “vogelfreie” Mitarbeiter verdingen.
Fazit:
Wie immer die Entscheidung über Gruner + Jahr ausgeht: von dem einst stolzen Bollwerk des liberalen Journalismus, der insbesondere mit der Zeitschrift STERN aktiv die Ostpolitik der Regierungen Brandt/Scheel und Schmidt/Genscher in den 70er Jahren unterstützte, und notwendiger Bestandteil der “4. Gewalt” und Garant der Meinungsvielfalt, wird wohl wenig, wenn gar nichts, übrigbleiben. Das kann weder dem Journalismus, noch der Demokratie guttun, den betroffenen Journalisten schon gar nicht.
Gruner und Jahr Verlag: Trübe Aussichten, finanziell und journalistisch
Die neue Gruner und Jahr Story oder: Von Gruner und Jahr zu Anzeigen und Spar
onlinedienst - 5. Feb, 20:00 Article 822x read