Wikipedia – Lügen mit System?
Dr. Alexander von Paleske —– 9.2. 2020 —
In der Welt am Sonntag vom 19.1. 2020 findet sich ein langer Artikel über Wikipedia, ausgebreitet über vier Seiten.
Titel: „Lexikon der Lügen“ auf Seite 1.
Der Artikel selbst hat die Ueberschrift “Lügen mit System”
Und später heist es:
“Die Texte sind häufig das Werk von Manipulateuren Aktivisten, Lügnern, und das Problem wird immer grösser.”
Im Detail versucht der Artikel mit vielen Beispielen seine Behauptungen zu untermauern. Aber trägt der Inhalt des Artikels das, was er zu Beginn behauptet?
Leben von der Schwarmintelligenz
Wikipedia lebt von der Schwarmintelligenz, der freiwilligen, unbezahlten. Idealerweise sollen viele, sehr viele Menschen ihr Wissen hier einbringen, die Wikimedia-Gemeinde überprüft das, korrigiert, entweder direkt im Artikel oder macht Vorschläge, oder aber äussert Kritik auf der Diskussionsseite mit dem Ziel, Anstoss zu einer Ergänzung/Aenderung zu geben.
Was für ein Wissen mittlereile zusammengekommen ist! Mehrheitlich genau, aber nicht selten auch nicht ganz so genau, trotzdem beeindruckend. Wissen, das vor Wikipedia nur in Bibliotheken und Archiven – wenn überhaupt – zu finden war.
In der Politik hatten vor allem der SPIEGEL und der Gruner und Jahr Verlag Archive, auf die aber vor allem Redakteure exklusiv zurückgreifen konnten, und, wie bei Gruner und Jahr, nicht kostenlos.
Demokratisierungs des Zugangs zu Infos
Mit der Exklusivität ist es seit Wikipedia vorbei, eine Demokratisierung des Wissens sozusagen, das Wissen steht jetzt allen Interessierten frei zur Verfügung. Ein Riesenfortschritt, aber eben kein vollständiger.
Probleme gibt es, weil eben nicht nur Wissen eingebracht wird, sondern auch Halbwissen, Ueberzeugungen, Vorurteile, und Ideologie.
Am einfachsten, sollte man meinen, ist es mit naturwissenschaftlichen Themen, z.B. HIV/AIDS, SARS, Hepatitis, etc. Hier liegen absolut gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse vor.
Nun gibt es aber Virusleugner, Aids-Leugner, Verschwörungstheoretiker und Anhänger der Homöopathie, die versuchen, sich Einfluss zu verschaffen, und völlig abgesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse in Frage stellen. Also wird korrigiert, gelöscht, wieder korrigiert, wieder gelöscht, das, was als Edit-war bezeichnet wird.
Dann Firmen, die sich im besten Licht darstellen wollen, und Politiker, die ihre Biografie verschönern möchten. Das habe ich selbst im Falle der ehemaligen SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt erlebt. Diese Dame stritt im Parlament ab, je Mitglied einer kommunistischen Partei, konkret des kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) gewesen zu sein. Dann began auf Wikipedia ein „Kampf um die richtige Wahrheit“, ein Edit-war, dabei war es klar, dass sie zwar nicht Mitglied des KBW war, wohl aber einer Organisation des KBW, der Gesellschaft zur Unterstützung der Volkskämpfe (GUV). Monatelang zog sich das hin.
Ich habe damals selbst eingegriffen und das klargestellt. Diese Auseinandersetzungen finden auf der Diskussionsseite zu dem jeweiligen Artikel statt. dort wird auch nichts gelöscht, bestenfalls archiviert.
Mehr als Artikel lesen
Ein Artikel auf Wikipedia sollte daher immer auch mit der Diskussionsseite gelesen werden
Und natürlich sollten auch ggf. die Quellen und Links angesehen werden, die sich unten im Artikel befinden.
Aber auch mit der Auswahl der Quellen, und der weiterführenden Literatur, gibt es zum Teil Probleme, wie ich selbst erfahren habe.
Beispielsweise im Zusammenhang mit dem ehemaligen Chef der Hypo-Adria Bank, Wolfgang Kulterer.
Ich hatte recht frühzeitg den Hypo-Alpe-Adria Bank-Skandal recherchiert, eine Verlinkung zu meinen Artikeln wurde jedoch unterdrückt, das kann man heute noch in der Diskussionsseite zu Wolfgang Kulterer nachlesen.
Anderes Beispiel: Der Artikel über Gerhard Merz, der an dem versuchten Putsch in dem ölreichen afrikanischen Staat Aequatorial Guinea im Jahre 2004 beteiligt war. Obwohl meine monatelangen Recherchen, und meine Artikel für dann weiterführende Artikel die Hauptquelle waren: keinerlei Verlinkung. Auch hier gibt die Diskussionsseite zu Gerhard Merz Auskunft.
Nach der Masse die Klasse?
Schwarmintelligenz kann nur bis zu einem gewissen Grade Wissen herstellen, quantitatives Wissen mit all den oben genannten Problemen.
Der hohe Qualitätsstandard in herkömmlichen Lexika, die dank Wikipedia mittlerweile das Zeitliche gesegnet haben, lässt sich nur über ausgewiesene Fachleute erreichen.
Google hat das versucht mit Google Knol – und ist gescheitert.
Wikipedia koennte es prinzipiell schaffen, und die Redigierung der vorhandenen Artikel in die Hand von ausgewiesenen Fachleuten legen. Und jede darüber hinausgehende Redigierung nur nach Auseinandersetzung auf der Diskussionsseite zulassen. Aber Vorsicht auch mit Fachleuten: In der Historikerzunft gibt es z.B. unter den Fachleuten heftigste Auseinandersetzungen, wie sich im Historikerstreit, und im Streit um die Unterstützung der NSDAP und Hitlers durch die Nachfahren des letzten Deutschen Kaisers zeigte und zeigt.
Ein paar Fachleute – viel zu wenige – hatte Wikipedia angelockt, z.B. den Mediziner Gleiberg, aber der hat, wie viele andere auch, nach ständigen Auseinandersetzungen mit Besserwissern, Halbinformierten und Ideologen, längst das das Handtuch geworfen
Rauhes Klima
Das Klima auf der Deutschen Wikipedia ist nicht selten rauh, nicht jeder verspürt Lust, das über sich ergehen zu lassen.
Der Sprung von der Quantität zur hieb- und stichfesten Qualität, die Wikipedia auch in der Wissenschaft zitierfähig macht, und es zu mehr macht, als nur zu einem Einstieg in das Thema, steht noch aus. Ob es je dazu kommen wird, bleibt fraglich, weil das Fachleute-Konzept ja der Schwarmintelligenz widerspricht, und vermutlich eine ganze Reihe von Wikipedianern auf die Palme treiben würde.
Der Artikel in der Welt am Sonntag ist jedoch miserabel und enthält zudem auch keinerlei Verbesserungsvorschläge.
Dass Journalisten die Zeiten zurücksehnen, wo sie allein den Wissenszugriff und die Deutungshoheit hatten, und nicht in Konkurrenz mit Bürgerjournalisten treten mussten, ist zwar verständlich, rechtfertigt jedoch nicht diese Form von Kritik.
Wikipedia ist absolut notwenig, eine Alternative nicht in Sicht, bleibt aber gegenwärtig eine Einrichtung mit den genannten Beschränkungen.
In der Welt am Sonntag vom 19.1. 2020 findet sich ein langer Artikel über Wikipedia, ausgebreitet über vier Seiten.
Titel: „Lexikon der Lügen“ auf Seite 1.
Der Artikel selbst hat die Ueberschrift “Lügen mit System”
Und später heist es:
“Die Texte sind häufig das Werk von Manipulateuren Aktivisten, Lügnern, und das Problem wird immer grösser.”
Im Detail versucht der Artikel mit vielen Beispielen seine Behauptungen zu untermauern. Aber trägt der Inhalt des Artikels das, was er zu Beginn behauptet?
Leben von der Schwarmintelligenz
Wikipedia lebt von der Schwarmintelligenz, der freiwilligen, unbezahlten. Idealerweise sollen viele, sehr viele Menschen ihr Wissen hier einbringen, die Wikimedia-Gemeinde überprüft das, korrigiert, entweder direkt im Artikel oder macht Vorschläge, oder aber äussert Kritik auf der Diskussionsseite mit dem Ziel, Anstoss zu einer Ergänzung/Aenderung zu geben.
Was für ein Wissen mittlereile zusammengekommen ist! Mehrheitlich genau, aber nicht selten auch nicht ganz so genau, trotzdem beeindruckend. Wissen, das vor Wikipedia nur in Bibliotheken und Archiven – wenn überhaupt – zu finden war.
In der Politik hatten vor allem der SPIEGEL und der Gruner und Jahr Verlag Archive, auf die aber vor allem Redakteure exklusiv zurückgreifen konnten, und, wie bei Gruner und Jahr, nicht kostenlos.
Demokratisierungs des Zugangs zu Infos
Mit der Exklusivität ist es seit Wikipedia vorbei, eine Demokratisierung des Wissens sozusagen, das Wissen steht jetzt allen Interessierten frei zur Verfügung. Ein Riesenfortschritt, aber eben kein vollständiger.
Probleme gibt es, weil eben nicht nur Wissen eingebracht wird, sondern auch Halbwissen, Ueberzeugungen, Vorurteile, und Ideologie.
Am einfachsten, sollte man meinen, ist es mit naturwissenschaftlichen Themen, z.B. HIV/AIDS, SARS, Hepatitis, etc. Hier liegen absolut gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse vor.
Nun gibt es aber Virusleugner, Aids-Leugner, Verschwörungstheoretiker und Anhänger der Homöopathie, die versuchen, sich Einfluss zu verschaffen, und völlig abgesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse in Frage stellen. Also wird korrigiert, gelöscht, wieder korrigiert, wieder gelöscht, das, was als Edit-war bezeichnet wird.
Dann Firmen, die sich im besten Licht darstellen wollen, und Politiker, die ihre Biografie verschönern möchten. Das habe ich selbst im Falle der ehemaligen SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt erlebt. Diese Dame stritt im Parlament ab, je Mitglied einer kommunistischen Partei, konkret des kommunistischen Bundes Westdeutschland (KBW) gewesen zu sein. Dann began auf Wikipedia ein „Kampf um die richtige Wahrheit“, ein Edit-war, dabei war es klar, dass sie zwar nicht Mitglied des KBW war, wohl aber einer Organisation des KBW, der Gesellschaft zur Unterstützung der Volkskämpfe (GUV). Monatelang zog sich das hin.
Ich habe damals selbst eingegriffen und das klargestellt. Diese Auseinandersetzungen finden auf der Diskussionsseite zu dem jeweiligen Artikel statt. dort wird auch nichts gelöscht, bestenfalls archiviert.
Mehr als Artikel lesen
Ein Artikel auf Wikipedia sollte daher immer auch mit der Diskussionsseite gelesen werden
Und natürlich sollten auch ggf. die Quellen und Links angesehen werden, die sich unten im Artikel befinden.
Aber auch mit der Auswahl der Quellen, und der weiterführenden Literatur, gibt es zum Teil Probleme, wie ich selbst erfahren habe.
Beispielsweise im Zusammenhang mit dem ehemaligen Chef der Hypo-Adria Bank, Wolfgang Kulterer.
Ich hatte recht frühzeitg den Hypo-Alpe-Adria Bank-Skandal recherchiert, eine Verlinkung zu meinen Artikeln wurde jedoch unterdrückt, das kann man heute noch in der Diskussionsseite zu Wolfgang Kulterer nachlesen.
Anderes Beispiel: Der Artikel über Gerhard Merz, der an dem versuchten Putsch in dem ölreichen afrikanischen Staat Aequatorial Guinea im Jahre 2004 beteiligt war. Obwohl meine monatelangen Recherchen, und meine Artikel für dann weiterführende Artikel die Hauptquelle waren: keinerlei Verlinkung. Auch hier gibt die Diskussionsseite zu Gerhard Merz Auskunft.
Nach der Masse die Klasse?
Schwarmintelligenz kann nur bis zu einem gewissen Grade Wissen herstellen, quantitatives Wissen mit all den oben genannten Problemen.
Der hohe Qualitätsstandard in herkömmlichen Lexika, die dank Wikipedia mittlerweile das Zeitliche gesegnet haben, lässt sich nur über ausgewiesene Fachleute erreichen.
Google hat das versucht mit Google Knol – und ist gescheitert.
Wikipedia koennte es prinzipiell schaffen, und die Redigierung der vorhandenen Artikel in die Hand von ausgewiesenen Fachleuten legen. Und jede darüber hinausgehende Redigierung nur nach Auseinandersetzung auf der Diskussionsseite zulassen. Aber Vorsicht auch mit Fachleuten: In der Historikerzunft gibt es z.B. unter den Fachleuten heftigste Auseinandersetzungen, wie sich im Historikerstreit, und im Streit um die Unterstützung der NSDAP und Hitlers durch die Nachfahren des letzten Deutschen Kaisers zeigte und zeigt.
Ein paar Fachleute – viel zu wenige – hatte Wikipedia angelockt, z.B. den Mediziner Gleiberg, aber der hat, wie viele andere auch, nach ständigen Auseinandersetzungen mit Besserwissern, Halbinformierten und Ideologen, längst das das Handtuch geworfen
Rauhes Klima
Das Klima auf der Deutschen Wikipedia ist nicht selten rauh, nicht jeder verspürt Lust, das über sich ergehen zu lassen.
Der Sprung von der Quantität zur hieb- und stichfesten Qualität, die Wikipedia auch in der Wissenschaft zitierfähig macht, und es zu mehr macht, als nur zu einem Einstieg in das Thema, steht noch aus. Ob es je dazu kommen wird, bleibt fraglich, weil das Fachleute-Konzept ja der Schwarmintelligenz widerspricht, und vermutlich eine ganze Reihe von Wikipedianern auf die Palme treiben würde.
Der Artikel in der Welt am Sonntag ist jedoch miserabel und enthält zudem auch keinerlei Verbesserungsvorschläge.
Dass Journalisten die Zeiten zurücksehnen, wo sie allein den Wissenszugriff und die Deutungshoheit hatten, und nicht in Konkurrenz mit Bürgerjournalisten treten mussten, ist zwar verständlich, rechtfertigt jedoch nicht diese Form von Kritik.
Wikipedia ist absolut notwenig, eine Alternative nicht in Sicht, bleibt aber gegenwärtig eine Einrichtung mit den genannten Beschränkungen.
onlinedienst - 9. Feb, 18:12 Article 472x read