Die neue (Un)Sicherheitspolitik Deutschlands (Teil 1) Gefahr wohin man schaut
Michael Schulze von Glaßer – Durch die zunehmende Globalisierung hat sich die Außenpolitik Deutschlands stark gewandelt. Nicht zuletzt die Terroranschläge vom 11. September 2001 und der darauf folgende so genannte „Krieg gegen den Terror“ sind Anzeichen für neue Gefahren, die mit der Globalisierung einhergehen.
Anfang November erschien die neueste Ausgabe des „Weißbuches der Bundeswehr“, das so genannte „Weißbuch 2006 zur Sicherheitspolitik Deutschlands und zur Zukunft der Bundeswehr“. Bundeswehr-Weißbücher erscheinen selten – meist nur zu besonderen Anlässen. Die neue sicherheitspolitische Lage Deutschlands war es denn auch, die den Verteidigungsminister und die Regierung dazu bewegt haben sollen nach über zehn Jahren wieder ein neues Weißbuch heraus zu geben. 1994, als das letzte Weißbuch erschien, waren der Fall des Eisernen Vorhangs und die Auflösung der Sowjetunion der Grund. Heute sind es die sich häufenden Auslandseinsätze der Bundeswehr im Rahmen des „Krieges gegen den Terror“ und das Thema „Terrorismus“ allgemein.
Gleich zu Beginn des Kapitels mit dem Namen „Grundlagen deutscher Sicherheitspolitik“ wird Lesern auf der Seite 20 der neue Hauptfeind deutscher Sicherheit präsentiert:
„Mit der Globalisierung eröffnen sich auch für Deutschland neue Chancen. Zugleich bringt der grundlegende Wandel im Sicherheitsumfeld neue Risiken und Bedrohungen mit sich, die sich nicht nur destabilisierend auf Deutschlands unmittelbare Umgebung auswirken, sondern auch die Sicherheit der gesamten internationalen Gemeinschaft berühren. Die Bewältigung dieser Herausforderungen erfordert den Einsatz eines breiten außen-, sicherheits-, verteidigungs- und sicherheitspolitischen Instrumentariums zur frühzeitigen Konflikterkennung, Prävention und Konfliktlösung.“
Die Globalisierung eröffnete Deutschland, dies verbreitet die Bundeswehr, zwar neue Chancen, doch die Bedrohungen die von Globalisierung ausgehen, scheinen dem gegenüber unberechenbar zu sein. Dass über die Globalisierung vielfach nichts Gutes geschrieben wird - sie nur eine gute „Chance“ sei - wundert kaum, sieht doch die Bundeswehr jedes Land, das nicht mit Deutschland verbündet ist, plump als feindlich an.
Die Bundeswehr stellt sich also gegen Globalisierung und damit gegen die Linie der deutschen Regierung. Dies beweist der zweite, oben zitierte Satz. Demnach sieht die Bundeswehr die Globalsierung nur als Argument für ihr Fortbestehen. Ohne Globalisierung gäbe es folglich keine neuen Gefahren und mutmaßlich auch keine neuen Kriege und ohne Kriege keine Berechtigung für Armeen wie die Bundeswehr. Anstatt aber die Globalisierung interessiert in kritischer Weise zu hinterfragen, folgt die Bundeswehr den oftmals dumpfen Ablehnungen und spricht von neuen Bedrohungen und scheint damit gleich mit allen Geschützen in Stellung zu gehen; die Bundeswehr reagiert auf die Globalisierung nämlich mit Aufrüstung:
Außenpolitik
Die deutsche Außenpolitik wurde nach Ende des Ost-West-Konfliktes zunehmend aggressiver. Dies belegen unter anderem die sich häufenden Auslandseinsätze der Bundeswehr. Die ehemalige „Kasernen-Armee“, die Bundeswehr, wuchs mit dem Einsatz im Kosovo zu einer offensiven Armee heran und nimmt seitdem oft an Einsätzen im Ausland teil. Schon heute sind rund 8.900 deutsche Bundeswehrsoldaten an 10 Auslandseinsätzen beteiligt. Tendenz steigend!
Sicherheitspolitik
Die Sicherheitspolitik der Bundesrepublik zeichnet sich vor allem durch Abschreckung und stetige Aufrüstung aus. Auch wenn die Bundeswehr (noch) keine Atomwaffen besitzt, hat sie durch Bündnisse wie die NATO und die EU ein hohes Abschreckungspotential. Trotzdem rüstet die Bundeswehr unbeirrt weiter auf. Neben neuen Kampfjets vom Typ „Eurofighter“ gibt es noch neue Hubschrauber („Tiger“ und „NH-90“), Radfahrzeuge („Fennek“ und „Boxer“), Panzer („Puma“), Transportflugzeuge („Airbus A 400 M“), Abwehrraketen („MEADS-System“), U-Boote („Klasse A 212“) und sogar ein neues 6 Milliarden Euro teures internes Kommunikationssystem namens „Herkules“!
Verteidigungspolitik
Die Bundeswehr setzt bei der Verteidigung des Heimatlandes vor allem auf Prävention, und sie schreckt nicht davor zurück die neu erworbenen Technologien auch einzusetzen. So werden selbst ein paar Mohn anbauende islamistische Fundamentalisten im 4.800 Kilometer entfernten Afghanistan (Berlin-Kabul)) zu einer Bedrohung Deutschlands. Doch Prävention wird nicht nur im Ausland betrieben - auch im Inland soll die Armee bald mehr sein dürfen. Nach der Erhöhung der Mehrwertsteuer will Bundesinnenminister Schäuble den „Mehrwert“ für die Bundeswehr: Zur Freude deutscher Militärs will er die Bundeswehr auch im Inland einsetzen. Doch dazu muss er das Grundgesetz ändern. Allein schafft er es aber nicht - nicht nach dem in der Verfassung festgelegten demokratischen Reglement. Auch der farblose Bundesverteidigungsminister Franz-Josef Jung wird ihm dabei keine große Unterstützung sein können. Vielleicht deshalb versucht sich die Bundeswehr schon jetzt im Innern Deutschlands, klammheimlich in Bereich, die eigentlich für die Bundeswehr tabu sein sollten – so wird von Teilen der Opposition vermutet.
Von den drei deutschen Geheimdiensten, dem Auslandsgeheimdienst BND (Bundesnachrichtendienst), dem Inlandsgeheimdienst BfVS (Bundesamt für Verfassungsschutz) und dem MAD (Militärischer Abschirmdienst) gehört letzterer, wie der Name schon verrät, zur Bundeswehr. Der MAD soll nun stärker mit den anderen beiden Geheimdiensten vernetzt werden – die Priorität dabei liegt zwar bei der Vernetzung mit dem BND, und dies intensiver als es erscheinen könnte, aber auch eine bessere Zusammenarbeit mit dem BfVS soll es geben.
Nicht umsonst wird der Bundeswehr im Grundgesetz der Einsatz im Innern verweigert: Die Erfahrungen während des Nazi-Regimes in Deutschland lehrten, welchen Schaden das Militär im Innern oder viel mehr die damit einhergehende Verschmelzung von Polizei, Geheimdiensten und Armee mit sich bringen kann. „Gegen Demokraten helfen nur Soldaten“ hieß es 1848/1849 bei Aufständen. Freikorps waren es, die 1918/1919 die Revolution niederschlugen. Die so genannte Reichswehr ging 1920 gegen die Arbeiterbewegung an, was drei Jahre später zur so genannten Reichsexekution gegen die SPD-KPD-Regierungen in Sachsen und Thüringen führte.
Könnte die Bundeswehr im Innern zu jeder Zeit und nicht nur bei Katastrophenfällen, Gedenkfeiern und Gelöbnissen, wie es heute der Fall ist, eingesetzt werden, so wäre dies ein großer Schritt in Richtung Totalitarismus – ein krasser Rückschritt.
Die Behauptung, die Bundeswehr und damit das Militär sei bei der Fußball- Weltmeisterschaft 2006 nicht zum Einsatz gekommen, zählt wohl zur Verschleierungspropaganda des Bundesinnenministeriums, denn 2.000 Soldaten haben rund 112 Unterstützungsanfragen von Ländern und Kommunen erfüllt; für den Fall eines Terroranschlags standen 5.000 Soldaten in den Kasernen stets bereit. Eine Zusammenarbeit, so genannte Amtshilfe, gab es auch bei der Polizei – die Bundeswehr stellte den Polizisten 6.000 Schlafplätze zur Verfügung und sorgte sich um deren leibliches Wohl. AWACS-Flugzeuge der NATO kreisten zu WM-Zeiten über Deutschland um „Sicherheit“ zu gewährleisten.
Seit geraumer Zeit versuchen der Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und der Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU) Gesetze auf den Weg zu bringen, um die Bundeswehr noch stärker im Inland einsetzen zu dürfen; mit einem Gesetz, das es der Luftwaffe erlauben soll mutmaßlich entführte zivile Flugzeuge über deutschem Boden abzuschießen: Für zivile Passagierflugzeuge und deren Passagiere wie auch überall in Deutschland am Boden sich aufhaltende Menschen brächte ein solches Gesetz mehr Unsicherheit und vor allem Lebensgefahr.
Die beiden „Schreibtisch-Helden“ scheiterten vor dem Bundesverfassungsgericht. Das Verfassungsgericht lehnte das Gesetz wegen Verstoßes gegen die Menschenwürde ab. Doch Schäuble und Jung geben nichts auf das „Luftsicherheitsgesetz“ sowie auf den richtungsweisen Entscheid des Bundesverfassungsgerichts. Es fällt schwer, so denke ich, sie nicht für Politiker mit notorischem Hang zu Diktatur zu halten, denn sie wollen das Grundgesetz nach ihren Willen dahingehend ändern, dass der von ihnen gewünschte Abschußbefehl gegeben werden kann - „Mord per Gesetz“ sagen dazu ihre Kritiker.
Entwicklungspolitik
Auch wenn es so aussieht als passe dieser Punkt nicht in das Spektrum der neuen Bundeswehraufgaben, wird die Entwicklungspolitik in Zeiten der Globalisierung immer wichtiger. Die Entwicklungspolitik fällt unter die zivil-militärischen Aufgaben, wie sie beispielsweise in Nord-Afghanistan von etwa 3.000 Bundeswehr Soldaten durchgeführt wird. Dabei arbeitet die Bundeswehr eng mit dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zusammen.
Bei zivil-militärischen Einsätzen geht es vor allem um den Wiederaufbau eines Landes, um die „Herzen der Menschen“ zu gewinnen. Diese Strategie scheint besonders in Afghanistan aufzugehen. Dort baute die Bundeswehr bisher rund 120 Kilometer Straßen, Strom und Wasserversorgungen für mehrere Städte und zwei Krankenhäuser. Die Kosten für die Projekte werden teilweise von der Bundeswehr selbst aber auch größtenteils von Geldern aus der allgemeinen Entwicklungshilfe finanziert.
Dass die „Entwicklungshilfe“ in Ländern der so genannten Dritten Welt vorangetrieben wird, ist sehr erfreulich. Doch dergleichen geht auch ohne den Einsatz bewaffneter Soldaten. Anstatt teurer Auslandseinsätze sollte das Geld besser direkt in die Entwicklung von Ländern gesteckt werden. Durch Entwicklungshilfe macht man sich Freunde in aller Welt – nicht durch Waffen.
Diktatorische und undemokratische Regime sollten jedoch nicht unterstützt werden – wie es schon häufiger vorkam.
Im Haushalt der Bundesrepublik konkurrieren Entwicklungshilfe und Verteidigungsausgaben miteinander. Die Verteidigungsausgaben für den Bundeshaushalt 2007 sind 6,3-mal so hoch wie die Ausgaben für Entwicklungshilfe. Die Verteidigungsausgaben stiegen im Haushalt 2007 auf 28,4 Milliarden Euro (+1,9 Prozent). Durch weitere Beteiligungen an Einrichtungen der Weltbankgruppe sowie für den Europäischen Entwicklungsfonds stiegen die Ausgaben für Entwicklung jedoch auch um 7,8 Prozent auf 4,5 Milliarden Euro. Die große Differenz zwischen den Beträgen zeigt deutlich, wo momentan die Prioritäten der Bundesregierung liegen.
© by Michael Schulze von Glaßer
Die mehrteilige Serie wird morgen weitergeführt
sfux - 8. Jan, 08:09 Article 3981x read