Gruner und Jahr in Hamburg – die Gründerfamilie Jahr verlässt das Verlagsschiff
Dr. Alexander von Paleske ---- 23.10. 2014 ----
Im nächsten Jahr kann der Hamburger Verlag Gruner und Jahr sein 50 jähriges Jubiläum feiern. Ob es da allerdings viel zu feiern gibt, das muss sich erst noch erweisen. Die Zeichen dafür stehen eher schlecht.
Furioser Start
Der Start des G+J-Verlages war furios: Da schlossen sich zwei Verleger und ein Drucker zusammen: der Hamburger Rechtsanwalt und Verleger Gerd Bucerius, kinderlos, dessen „Kind“ zeitlebens die Wochenzeitschrift ZEIT , und dessen Dukatenesel, um sein „verlustreiches Kind“ über viele Jahre zu „füttern“, die Wochenillustrierte STERN mit seinem Chefredakteur und Gründer Henri Nannen war.
Der zweite im Bunde, der Verleger John Jahr, er gab Zeitschriften wie Brigitte und Constanze heraus.
Der Dritte im Bunde Richard Gruner, der eine Druckerei in Itzehoe geerbt und diese zur grössten Tiefdruckerei Europas ausgebaut hatte.
Ein eitler Herr, der gerne Sakkos mit Goldknöpfen trug, was ihm den Spitznamen Goldknopf-Gruner eintrug.
Hamburger Dreierbund - John Jahr (l), Gerd Bucerius (m) und Richard Gruner (r)
Ein Trio als Springer-Alternative
Diese Trio hatte sich zusammengeschlossen, um dem mächtigen Verleger Axel Springer Paroli zu bieten, der sich auf dem Wege zum marktbeherrschen Verleger Deutschlands befand.
Es waren die Glanzzeiten der Printmedien, Lizenzen zum Gelddrucken sozusagen, die bis zur Ausbreitung des Internets Ende der 90er Jahre andauern sollte. Aus Auflagen-Millionären wurden Deutsche-Mark-Milliardäre.
Hort des liberalen Journalismus
Aber Gruner und Jahr war mehr, es war der Hort des liberalen Journalismus, der nach Kräften seinerzeit die Versöhnungspolitik Willi Brandts unterstütze, insbesondere mit seinem Flaggschiff STERN.
Merksatz John Jahrs an seine Redakteure:
" Ihr könnt schreiben was ihr wollt, aber es muss stimmen".
Natürlich musste auch die Auflage stimmen, aber bei Gruner und Jahr zu arbeiten war allemal attraktiver als im Hause Springer als Redakteur sich zu verbreitern, wo der Hausherr die Linie vorgab, und die war konservativ bis auf die Knochen und entsprach nicht mehr dem Zeitgeist.
Gruner steigt aus, Bertelsmann ein
1969 stieg Richard Gruner aus, ihm wurde Deutschland zu linkslastig, die Bertelsmänner aus Gütersloh stiegen dafür drei Jahre später ein.
John Jahr, und dann dessen Erben, hielten weiterhin 25%, die sie jetzt verkauften.
Über die Jahre wuchs Gruner und Jahr, mit starken Ablegern insbesondere in Frankreich, zum grössten Medienhaus Europas.
Start des Kannibalismus
Eine der letzten grossen Neugründungen des Verlages war zweifellos die Financial Times Deutschland, welche den Markt der Wirtschaftszeitungen aufmischte.
Aber es war auch die erste, die nach 12 Jahren wieder vom Markt verschwand, nicht einmal als Internetzeitung wollte der Verlag sie erhalten.
Es drängte sich der Eindruck auf, hier sollte geldmässig nur noch rausgeholt werden, was rauszuholen ging. Statt Visionen, das Internet zukunftweisend in den Medienmarkt zu integrieren, auch wenn dies zunächst mit Kosten verbunden gewesen wäre, ging die „Kannibalisierung“ weiter: Statt Einzelredaktionen: Plattformen, die gleich mehrere Druckerzeugnisse beliefern mussten.
Ausserdem bot sich der Verlag als Hersteller von Firmenzeitungen an, was Konflikte mit kritischen Reportagen in anderen Medien hervorrufen musste, wir berichteten ausführlich darüber.
Vorwärts - abwärts
Die Auflagen aller Printmedien fielen, einige im steilen Sinkflug. Hinzu kam die Vergreisung der Gesellschaft. Über 60-jährige dürften kaum von der BRIGITTE an den Kiosk gelockt werden.
Deren Auflage - im Jahre 2000 noch bei rund 1 Million - fiel fast auf die Hälfte, auf 585.000.
Anderen Printmedien ging es nicht besser. Beim STERN konnte keine klare Linie gefunden werden, der häufige Wechsel der Chefredakteure nach dem Abtritt Henri Nannens erinnerte eher an eine "Reise nach Jerusalem". Der vorläufig letzte, Dominik Wichmann, wurde schon nach einem Jahr gegangen.
Das einzig sichtbare Konzept: Ballast abwerfen durch Kürzen und Sparen, auch die Grossdruckerei in Itzehoe kommt nicht ungeschoren davon. Am 30.4. 2014 wurde sie dichtgemacht, 1000 Mitarbeiter verloren ihren Job.
Die Anteilseigner liessen sich die Gewinne voll auszahlen, statt risikofreudig zu investieren.
Der letzte der Mohikaner
Der letzte erfolgreiche Chef bei Gruner und Jahr, Gerd Schulte-Hillen, sagte einstmals:
"Guter Journalismus kann nur entstehen, wenn möglichst viele Ideen von möglichst vielen Journalisten verwirklicht werden, geführt an der langen Leine".
Und auf einem Management-Meeting im Jahre 1998:
"Gruner und Jahr ist nicht irgendein Unternehmen, wir sind ein journalistisches Haus. Das ist etwas ganz Besonderes. Unser Herz schlägt in den Redaktionen."
Davon ist herzlich wenig noch zu spüren.
Nun also steigt die letzte der Gründerfamilien aus. Verlegerische Visionen hatte die offenbar auch schon lange nicht mehr.
Eine "Tweakerin" als Retterin?
Jetzt also soll es Vorstand Julia Jäkel richten, der nachgesagt wird, vor allem vom Zutragen neuer Ideen durch andere Mitarbeiter zu leben, ihre Qualität also in dem rechtzeitigen Erkennen solcher Genies und Visionäre bestehe, "Tweaker" ein anderes Wort dafür.
Julia Jäkel ...Eine Tweakerin als Vorstand.
Aber ohne Blattmacher und Visionäre vom Schlage eines Henri Nannen, der, als Lokomotive, immer unter Dampf, nicht nur den STERN -Zug, sondern den ganzen Bahnhof zog, oder eine Anne Volk, auf der Kommandobrücke der BRIGITTE für viele Jahre, dürfte es weiterlaufen wie bisher – abwärts versteht sich.
Julia Jäkel, die Tweakerin als Retterin? Schon manch einer, der als Retter antrat, endete als Abdecker bzw. Konkursanmelder, wie z.B. Thomas Middelhoff, auch der war einst Star-Manager bei Gruner und Jahr-Eigentümer Bertelsmann, bevor er als Retter bei Karstadt-Quelle antrat, und mit der Firma dann in die Insolvenz segelte.
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Ein eitler Herr, der gerne Sakkos mit Goldknöpfen trug, was ihm den Spitznamen Goldknopf-Gruner eintrug.
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Es waren die Glanzzeiten der Printmedien, Lizenzen zum Gelddrucken sozusagen, die bis zur Ausbreitung des Internets Ende der 90er Jahre andauern sollte. Aus Auflagen-Millionären wurden Deutsche-Mark-Milliardäre.
Hort des liberalen Journalismus
Aber Gruner und Jahr war mehr, es war der Hort des liberalen Journalismus, der nach Kräften seinerzeit die Versöhnungspolitik Willi Brandts unterstütze, insbesondere mit seinem Flaggschiff STERN.
Merksatz John Jahrs an seine Redakteure:
" Ihr könnt schreiben was ihr wollt, aber es muss stimmen".
Natürlich musste auch die Auflage stimmen, aber bei Gruner und Jahr zu arbeiten war allemal attraktiver als im Hause Springer als Redakteur sich zu verbreitern, wo der Hausherr die Linie vorgab, und die war konservativ bis auf die Knochen und entsprach nicht mehr dem Zeitgeist.
Gruner steigt aus, Bertelsmann ein
1969 stieg Richard Gruner aus, ihm wurde Deutschland zu linkslastig, die Bertelsmänner aus Gütersloh stiegen dafür drei Jahre später ein.
John Jahr, und dann dessen Erben, hielten weiterhin 25%, die sie jetzt verkauften.
Über die Jahre wuchs Gruner und Jahr, mit starken Ablegern insbesondere in Frankreich, zum grössten Medienhaus Europas.
Start des Kannibalismus
Eine der letzten grossen Neugründungen des Verlages war zweifellos die Financial Times Deutschland, welche den Markt der Wirtschaftszeitungen aufmischte.
Aber es war auch die erste, die nach 12 Jahren wieder vom Markt verschwand, nicht einmal als Internetzeitung wollte der Verlag sie erhalten.
Es drängte sich der Eindruck auf, hier sollte geldmässig nur noch rausgeholt werden, was rauszuholen ging. Statt Visionen, das Internet zukunftweisend in den Medienmarkt zu integrieren, auch wenn dies zunächst mit Kosten verbunden gewesen wäre, ging die „Kannibalisierung“ weiter: Statt Einzelredaktionen: Plattformen, die gleich mehrere Druckerzeugnisse beliefern mussten.
Ausserdem bot sich der Verlag als Hersteller von Firmenzeitungen an, was Konflikte mit kritischen Reportagen in anderen Medien hervorrufen musste, wir berichteten ausführlich darüber.
Vorwärts - abwärts
Die Auflagen aller Printmedien fielen, einige im steilen Sinkflug. Hinzu kam die Vergreisung der Gesellschaft. Über 60-jährige dürften kaum von der BRIGITTE an den Kiosk gelockt werden.
Deren Auflage - im Jahre 2000 noch bei rund 1 Million - fiel fast auf die Hälfte, auf 585.000.
Anderen Printmedien ging es nicht besser. Beim STERN konnte keine klare Linie gefunden werden, der häufige Wechsel der Chefredakteure nach dem Abtritt Henri Nannens erinnerte eher an eine "Reise nach Jerusalem". Der vorläufig letzte, Dominik Wichmann, wurde schon nach einem Jahr gegangen.
Das einzig sichtbare Konzept: Ballast abwerfen durch Kürzen und Sparen, auch die Grossdruckerei in Itzehoe kommt nicht ungeschoren davon. Am 30.4. 2014 wurde sie dichtgemacht, 1000 Mitarbeiter verloren ihren Job.
Die Anteilseigner liessen sich die Gewinne voll auszahlen, statt risikofreudig zu investieren.
Der letzte der Mohikaner
Der letzte erfolgreiche Chef bei Gruner und Jahr, Gerd Schulte-Hillen, sagte einstmals:
"Guter Journalismus kann nur entstehen, wenn möglichst viele Ideen von möglichst vielen Journalisten verwirklicht werden, geführt an der langen Leine".
Und auf einem Management-Meeting im Jahre 1998:
"Gruner und Jahr ist nicht irgendein Unternehmen, wir sind ein journalistisches Haus. Das ist etwas ganz Besonderes. Unser Herz schlägt in den Redaktionen."
Davon ist herzlich wenig noch zu spüren.
Nun also steigt die letzte der Gründerfamilien aus. Verlegerische Visionen hatte die offenbar auch schon lange nicht mehr.
Eine "Tweakerin" als Retterin?
Jetzt also soll es Vorstand Julia Jäkel richten, der nachgesagt wird, vor allem vom Zutragen neuer Ideen durch andere Mitarbeiter zu leben, ihre Qualität also in dem rechtzeitigen Erkennen solcher Genies und Visionäre bestehe, "Tweaker" ein anderes Wort dafür.
Julia Jäkel ...Eine Tweakerin als Vorstand.
Aber ohne Blattmacher und Visionäre vom Schlage eines Henri Nannen, der, als Lokomotive, immer unter Dampf, nicht nur den STERN -Zug, sondern den ganzen Bahnhof zog, oder eine Anne Volk, auf der Kommandobrücke der BRIGITTE für viele Jahre, dürfte es weiterlaufen wie bisher – abwärts versteht sich.
Julia Jäkel, die Tweakerin als Retterin? Schon manch einer, der als Retter antrat, endete als Abdecker bzw. Konkursanmelder, wie z.B. Thomas Middelhoff, auch der war einst Star-Manager bei Gruner und Jahr-Eigentümer Bertelsmann, bevor er als Retter bei Karstadt-Quelle antrat, und mit der Firma dann in die Insolvenz segelte.
Gruner und Jahr Verlag: Trübe Aussichten, finanziell und journalistisch
Die neue Gruner und Jahr Story oder: Von Gruner und Jahr zu Anzeigen und Spar
Zum Axel Springer Verlag
Grosse Feier beim Axel Springer-Verlag: Blatt- Plattmachers 100. Geburtstag
Zur Krise beim SPIEGEL, an dem Gruner und Jahr 25,1% der Anteile hält
Wird die BILD-Zeitung zur Journalistenschmiede? – Noch ein BILD-Mann zum SPIEGEL
SPIEGEL-Chefredaktion: der nächste bitte?
Ober-Grüner und "Steuerspar-Fachmann" Anton Hofreiter, Blackwater (Academi)-Söldner in der Ukraine, Günter Wallraff und ein Nachrichtenmagazin namens SPIEGEL
Der SPIEGEL: Vom Aufdecker zum Abdecker?
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onlinedienst - 23. Okt, 21:12 Article 4863x read