Krankenkassen im Goldrausch, Neurodermitiskranke im Bezahldrama
Dr. Alexander von Paleske -- 8.3. 2012 ---
Es sind zwei Meldungen, die auf den ersten Blick gar nichts miteinander zu tun haben:
Meldung 1: Krankenkassen im Goldrausch. Seit Wochen wurde diskutiert, nun ist es amtlich: Die Krankenkassen haben im vergangenen Jahr Überschüsse von vier Milliarden Euro erwirtschaftet - und das trotz gestiegener Ausgaben. Nun geht die Diskussion um die Mittel in die heiße Phase.
Meldung 2:. Neurodermitis-Kranke müssen ihre rezeptfreien Medikamente nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts weiter selbst bezahlen.
Die Krankenversicherung habe es zu Recht abgelehnt, die Kosten für Fettsalben oder Ölbäder wie "Linola" oder "Balneum Hermal F" zu übernehmen, teilte das Gericht am Dienstag in Kassel mit.
Eine Krankheit namens Neurodermitis
Neurodermitis ist eine Krankheit, eine Hautkrankheit, eine entzündliche Krankheit, nicht lediglich eine banale Gesundheitsstörung, das ist unbestritten.
Die Krankheit geht mit quälendem Juckreiz einher, der erheblich die Lebensqualität beeinträchtigt., Oftmals treten nach dem Kratzen der Haut Sekundärinfektionen auf.
Die Krankheit, gerade bei Erwachsenen, ist durch Sebostase gekennzeichnet, also ungenügende Talgabsonderung , und gerade da setzt die Therapie mit Fettsalben und fettenden Badeölen an. In schweren Fällen müssen Kortikoidsalben aufgetragen werden oder Kortikoide eingenommen werden.
(Die Kalzineurinantagonisten - Tacrolimus und Pimecrolimus - in Salbenform sind hinsichtlich der Langzeitfolgen völlig ungeklärt).
Unbestritten wirksame Therapie
Dass diese Badezusätze und fettenden Salben eine Therapie darstellen, eine Therapie, die das Leiden nicht heilt – das tun auch die rezeptpflichtigen Kortikoide nicht - aber deutlich die Krankheitssymptome mildert, ist nach dem Erkenntnissen der Wissenschaft ebenfalls völlig unbestritten.
Dass für Geringverdiener der notwendige tägliche Gebrauch dieser Mittel schnell ein Ausmass erreicht, das die Finanzkraft der Patienten übersteigt, leuchtet ebenfalls ein.
Kasse sollte zahlen
Es sollte eigentlich kein Zweifel daran bestehen, dass derartige Heilmittel von der Krankenkasse bezahlt werden müssen.
Dem steht nun das „Modernisierungsgesetz“ für die gesetzliche Krankenkassen aus dem Jahre 2004 entgegen, also aus der Zeit der rot-grünen Regierung mit der SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, wonach rezeptfreie Arzneimittel von der Kassenerstattung ausgeschlossen sind.
Eine Patientin mit geringem Einkommen, die an schwerer Neurodermitis leidet, hatte nun auf Kostenerstattung geklagt. Die Klage wurde jedoch in allen drei Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit, also nun auch vom Bundessozialgericht abgewiesen.
Zutreffend ist, dass einer Kostenerstattung das Gesetz entgegensteht.. Allerdings begegnet dieses Gesetz erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Verstoss gegen Verfassungsgrundsätze
Einmal verstösst diese Vorschrift gegen das Sozialstaatsprinzip, und zum anderen gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Die Abgrenzung zwischen rezeptfreien und rezeptpflichtigen Arzneien und Heilmitteln ist willkürlich.
Der Sinn der Regelung war es, banale Heil-und Hilfsmittel von der Kostenerstattungspflicht auszuschliessen, weil diese zwar insgesamt die Kassen belasten, aber unter dem Strich keine Dauerbelastung des Patienten darstellen.
Hinzu kommt noch, dass bei vielen dieser rezeptfreien Mittel oftmals mehr der Glaube als die angepriesene Wirksamkeit hilft.
Davon kann aber gerade hier im Fall der Neurodermitis keine Rede sein. Der Gesetzgeber hat somit völlig ungleiche Fallgestaltungen gleich behandelt. Ein glatter Verstoss gegen das Gleichheitsprinzip (Artikel 3 Grundgesetz). Er hätte sachgerechte Ausnahmen zulassen müssen.
Es ist zu hoffen, dass die Entscheidung vor dem Bundesverfassungsgericht angefochten wird.
Allerdings haben es sich die Sozialgerichte aller Instanzen leicht gemacht: Anstatt das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, haben sie einfach auf die Gesetzeslage verwiesen. Wie schön.
Geradezu erbärmlich ist das alles vor dem Hintergrund der Milliarden, welche die Kassen, gerade auch dank solcher Entlastungsgesetze wie dem „Modernisierungsgesetz“ jetzt auf die hohe Kante legen können. Und Patienten wie die Klägerin nicht wissen, woher sie das Geld für ihre notwendige Behandlung nehmen sollen.
Ein schöner Sozialstaat ist das
Der Verfasser ist leitender Arzt und ehemaliger Rechtsanwalt
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Zur merkwürdigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts
Seltene Krankheiten - Teure Medikamente (oder gar keine)
Es sind zwei Meldungen, die auf den ersten Blick gar nichts miteinander zu tun haben:
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Meldung 2:. Neurodermitis-Kranke müssen ihre rezeptfreien Medikamente nach einer Entscheidung des Bundessozialgerichts weiter selbst bezahlen.
Die Krankenversicherung habe es zu Recht abgelehnt, die Kosten für Fettsalben oder Ölbäder wie "Linola" oder "Balneum Hermal F" zu übernehmen, teilte das Gericht am Dienstag in Kassel mit.
Eine Krankheit namens Neurodermitis
Neurodermitis ist eine Krankheit, eine Hautkrankheit, eine entzündliche Krankheit, nicht lediglich eine banale Gesundheitsstörung, das ist unbestritten.
Die Krankheit geht mit quälendem Juckreiz einher, der erheblich die Lebensqualität beeinträchtigt., Oftmals treten nach dem Kratzen der Haut Sekundärinfektionen auf.
Die Krankheit, gerade bei Erwachsenen, ist durch Sebostase gekennzeichnet, also ungenügende Talgabsonderung , und gerade da setzt die Therapie mit Fettsalben und fettenden Badeölen an. In schweren Fällen müssen Kortikoidsalben aufgetragen werden oder Kortikoide eingenommen werden.
(Die Kalzineurinantagonisten - Tacrolimus und Pimecrolimus - in Salbenform sind hinsichtlich der Langzeitfolgen völlig ungeklärt).
Unbestritten wirksame Therapie
Dass diese Badezusätze und fettenden Salben eine Therapie darstellen, eine Therapie, die das Leiden nicht heilt – das tun auch die rezeptpflichtigen Kortikoide nicht - aber deutlich die Krankheitssymptome mildert, ist nach dem Erkenntnissen der Wissenschaft ebenfalls völlig unbestritten.
Dass für Geringverdiener der notwendige tägliche Gebrauch dieser Mittel schnell ein Ausmass erreicht, das die Finanzkraft der Patienten übersteigt, leuchtet ebenfalls ein.
Kasse sollte zahlen
Es sollte eigentlich kein Zweifel daran bestehen, dass derartige Heilmittel von der Krankenkasse bezahlt werden müssen.
Dem steht nun das „Modernisierungsgesetz“ für die gesetzliche Krankenkassen aus dem Jahre 2004 entgegen, also aus der Zeit der rot-grünen Regierung mit der SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt, wonach rezeptfreie Arzneimittel von der Kassenerstattung ausgeschlossen sind.
Eine Patientin mit geringem Einkommen, die an schwerer Neurodermitis leidet, hatte nun auf Kostenerstattung geklagt. Die Klage wurde jedoch in allen drei Instanzen der Sozialgerichtsbarkeit, also nun auch vom Bundessozialgericht abgewiesen.
Zutreffend ist, dass einer Kostenerstattung das Gesetz entgegensteht.. Allerdings begegnet dieses Gesetz erheblichen verfassungsrechtlichen Bedenken.
Verstoss gegen Verfassungsgrundsätze
Einmal verstösst diese Vorschrift gegen das Sozialstaatsprinzip, und zum anderen gegen den Gleichheitsgrundsatz.
Die Abgrenzung zwischen rezeptfreien und rezeptpflichtigen Arzneien und Heilmitteln ist willkürlich.
Der Sinn der Regelung war es, banale Heil-und Hilfsmittel von der Kostenerstattungspflicht auszuschliessen, weil diese zwar insgesamt die Kassen belasten, aber unter dem Strich keine Dauerbelastung des Patienten darstellen.
Hinzu kommt noch, dass bei vielen dieser rezeptfreien Mittel oftmals mehr der Glaube als die angepriesene Wirksamkeit hilft.
Davon kann aber gerade hier im Fall der Neurodermitis keine Rede sein. Der Gesetzgeber hat somit völlig ungleiche Fallgestaltungen gleich behandelt. Ein glatter Verstoss gegen das Gleichheitsprinzip (Artikel 3 Grundgesetz). Er hätte sachgerechte Ausnahmen zulassen müssen.
Es ist zu hoffen, dass die Entscheidung vor dem Bundesverfassungsgericht angefochten wird.
Allerdings haben es sich die Sozialgerichte aller Instanzen leicht gemacht: Anstatt das Verfahren auszusetzen und eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts einzuholen, haben sie einfach auf die Gesetzeslage verwiesen. Wie schön.
Geradezu erbärmlich ist das alles vor dem Hintergrund der Milliarden, welche die Kassen, gerade auch dank solcher Entlastungsgesetze wie dem „Modernisierungsgesetz“ jetzt auf die hohe Kante legen können. Und Patienten wie die Klägerin nicht wissen, woher sie das Geld für ihre notwendige Behandlung nehmen sollen.
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onlinedienst - 8. Mär, 17:06 Article 3220x read