World Health Summit in Berlin: Heisse Luft als Antwort auf weltweite Herausforderungen
Dr. Alexander von Paleske ---- 20.10. 2009----- Vom 14-18. Oktober 2009 fand in Berlin der Weltgesundheitsgipfel „World Health Summit“ statt.
Eingeladen hatten die Charite Berlin und die Universität Descartes in Paris. Es kamen 600 Delegierte aus mehr als 60 Ländern. Stark vertreten und Hauptsponsor: die pharmazeutische Industrie.
Schirmherrschaft hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy.
Präsident der Veranstaltung, die in Zukunft jährlich stattfinden soll: Detlev Ganten, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Charite in Berlin, die gleichzeitig ihr 300-jähriges Jubiläum feierte.
„Wir stehen vor enormen medizinischen und strukturellen Herausforderungen“
schwadronierte Ganten
„Wir dürfen nicht nur mit klassischer Medizin an die Probleme der Gesundheit herangehen, sondern müssen die Leute selbstverantwortlich in die Lage versetzen, für ihre eigene Gesundheit mit zu sorgen, so gut wie es das System, in dem sie leben, erlaubt. Gesundheit ist ein Menschenrecht“
Wier Hohn klangen mir diese Worte in den Ohren, als ich, zur gleichen Zeit nach fast 5 Jahren wieder nach Simbabwe besuchsweise kam.
Im Mpilo-Hospital in Bulawayo, dem Zentralkrankenhaus für den Süden Simbabwes mit einer Bevölkerung von etwa 4 Millionen Menschen, gibt es keinen Chirurgen und keinen Orthopäden mehr. Die Abteilungen sind geschlossen.Auch die Strahlentherapie ist geschlossen mangels Personal und Wartung.
Die lokale Zeitung Chronicle vom vergangenen Freitag begrüsste mich mit der Schlagzeite „Expired drugs used at Mpilo-Hospital“. Medikamente kommen also zum Einsatz, deren Verfallsdatum längst abgelaufen ist.
In anderen Ländern Afrikas, wie der Demokratischen Republik Kongo (DRC), sieht es insbesondere im Osten weit schlimmer aus, wie mir kongolesische Ärzte mehrfach berichteten. Von auch nur ansatzweiser breiter medizinischer Basisversorgung kann keine Rede sein.
Immer weniger für immer mehr
Der Nobelpreisträger für Medizin von 2002 , John Sulston, setzte sich immerhin in seiner Ansprache für die Entwicklungsländer ein. Aber er musste eingestehen, dass immer weniger Geld für diese Länder zur Verfügung steht.
Daran wird sich auch in der Zukunft nichts ändern, im Gegenteil!
Die ökonomische Krise hat zu einer drastischen Einschränkung der Entwicklungshilfe geführt, dies führt in Folge dann zu weiterer Verarmung..
Während Hunderte von Millliarden US- Dollar in das marode Bankensystem gepumpt wurden, glitten mehr Menschen in die absolute Armut ab, ein idealer Nährboden für die Ausbreitung von Krankheiten wie z.B. der Tuberkulose.
20 Millionen mehr für 1% weniger
Für jeden Prozentpunkt Absinken des Weltwirtschaftswachstums wird mit 20 Millionen zusätzlichen Armen gerechnet, wie die hochangesehene Medizinzeitung LANCET vorrechnete.
Nicht vergessen werden sollte, dass in 23 Ländern rund 30% und mehr des Budgets für das Gesundheitswesen fremdfinanziert ist, also durch sogenannte „Geberländer", die aber nun ihr Geld vornehmlich in die Banken und in die Wirtschaft pumpen.
Mehr Menschen werden nun nicht in der Lage sein, sich selbst die preiswertesten Medikamente zu leisten.
Was soll da der Appell an „Selbstverantwortung“ ?
Abwerbung von Gesundheitspersonal seit Jahren
Länder wie Grossbritannien, die USA und die Golf-Staaten können es nicht lassen, Gesundheitspersonal, also vorwiegend Schwestern und Ärzte, die unter sehr schwierigen Bedingungen in Dritte Welt Ländern ausgebildet wurden, abzuwerben, und damit die Lage im Gesundheitswesen ihrer Heimatländer weiter zu verschärfen.
Gerade liegt dem Kongress der USA ein Gesetz vor, das die Immigration von Gesundheitspersonal erleichtern soll. 60.000 Krankenschwestern und 15.000 Ärzten soll die Einreise erleichtert werden. Menschenrechtsorganisationen haben sich an US-Präsident Obama mit der Bitte gewandt, das Gesetz zu stoppen wegen der zu erwartenden Auswirkungen im Gesundheitssektor in Dritte Welt Ländern, wie die Medizinzeitung LANCET am 26.9. 2009 berichtete
.
Bildung, Bildung, Bildung
Das war das grosse Thema des Kongresses. Wer besser gebildet ist, der kümmert sich angeblich besser um seine Gesundheit. Der Arzt soll zum Ratgeber werden. Als wenn er das nicht ohnehin längst ist.
Dass die sozialen Probleme dabei vor der Tür gelassen wurden, also insbesondere die mit der Weltwirtschaftskrise verbundene Zunahme der Arbeitslosigkeit und deren Folgen, versteht sich von selbst.
Frau Merkel dürfte der Kongress mehr als gelegen gekommen sein, liefert er doch die Argumente dafür, die Verantwortung für Krankheiten und damit letztlich die Kosten auf die Bevölkerung abzuwälzen.
Der nächste logische Schritt ist dann wohl bei Verletzung dieser „Eigenverantwortlichkeit“ die „Selbstzahlung“ oder zumindest Kostenbeteiligung .
Z.B. Diabetes
Im Jahre 1985 litten 30 Millionen Menschen weltweit daran, zur Zeit 180 Millionen und im Jahre 2030 wird die Zahl nach Schätzungen der WHO bei 360 Millionen liegen. Fettsucht und Diabetes würde dann als Folge von Verantwortungslosigkeit eingestuft.
Diese „Eigenverantwortlichkeit“ klingt geradezu wie Hohn für Länder der Dritten Welt, die von Malaria, Dengue, Tuberkulose und Durchfallerkrankungen heimgesucht werden. Krankheiten, die sich mit der Klimaveränderung ausbreiten und damit weiter zunehmen werden.
Die Gefahren der Resistenzentwicklung gegen Antiinfektiva, darauf haben wir gerade in einem ausführlichen Artikel hingewiesen, und das zu fordernde Verbot der Massentierhaltung, spielten selbstverständlich keine Rolle auf diesem Berliner Gipfel . Zu diesem wirklich brennenden Thema hatten Detlev Ganten & Co wirklich nichts substantiell beizutragen.
Alternativkongress als Lichtblick
Aber es gab etwas Erfreuliches zu vermelden.
Bei so viel geheuchelter bzw. in eine Sackgasse gerichteter Aufbruchstimmung gab es eigentlich aus der Perspektive der Dritten Welt gesehen einen Lichtblick: Die Alternativkonferenz, die auch am vergangenen Freitag stattfand.
„Ein Gesundheitsgipfel, der diesen Namen verdiene, müsse das Streben nach sozialer Gerechtigkeit und demokratischer Partizipation als Grundvoraussetzung für Gesundheit in den Vordergrund stellen und eine Forschung fördern, die an den Gesundheitsbedürfnissen der Menschen ausgerichtet ist“
hiess es in der gemeinsamen Erklärung der Veranstalter.
Teilnehmer waren Organisationen wie Medico International und die Gewerkschaften.
„Noch immer könne sich 1/3 der Weltbevölkerung nicht einmal lebensnotwendige Medikamente leisten.
Rund 90% der Ausgaben für Forschung und Entwicklung entfielen auf Arzneimittel die 10% der Weltbevölkerung benötigen.
Von 1500 neuen Wirkstoffen, die die zwischen 1975 und 2004 entwickelt wurden, wirken lediglich 18 gegen Tropenkrankheiten und drei gegen Tuberkulose.
Wohl wahr. Das kann ich, aus der Perspektive eines Landes der Dritten Welt gesehen, nur unterschreiben.
World Health Summit: Ein anmassender und irreführender Name.
Die Fortsetzung dieses Spektakels soll im Oktober nächsten Jahres wieder in Berlin stattfinden. Die Berliner Gastronomie wird‘s freuen.
Für uns in der Dritten Welt ein bedeutungsloses Ereignis.
Die Zukunft heisst Resistenz? – Antiinfektiva verlieren ihre Wirksamkeit
Hilflos bei Infektionen - Antibiotika verlieren ihre Wirksamkeit
Tierfabriken, Schweineviren und die Zukunft
Welt-Tuberkulose Tag - eine Krankheit weiter auf dem Vormarsch
Cancer surge overwhelms AIDS-struck Botswana
Bittere Pillen für die Dritte Welt
Eingeladen hatten die Charite Berlin und die Universität Descartes in Paris. Es kamen 600 Delegierte aus mehr als 60 Ländern. Stark vertreten und Hauptsponsor: die pharmazeutische Industrie.
Schirmherrschaft hatten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy.
Präsident der Veranstaltung, die in Zukunft jährlich stattfinden soll: Detlev Ganten, ehemaliger Vorstandsvorsitzender der Charite in Berlin, die gleichzeitig ihr 300-jähriges Jubiläum feierte.
„Wir stehen vor enormen medizinischen und strukturellen Herausforderungen“
schwadronierte Ganten
„Wir dürfen nicht nur mit klassischer Medizin an die Probleme der Gesundheit herangehen, sondern müssen die Leute selbstverantwortlich in die Lage versetzen, für ihre eigene Gesundheit mit zu sorgen, so gut wie es das System, in dem sie leben, erlaubt. Gesundheit ist ein Menschenrecht“
Wier Hohn klangen mir diese Worte in den Ohren, als ich, zur gleichen Zeit nach fast 5 Jahren wieder nach Simbabwe besuchsweise kam.
Im Mpilo-Hospital in Bulawayo, dem Zentralkrankenhaus für den Süden Simbabwes mit einer Bevölkerung von etwa 4 Millionen Menschen, gibt es keinen Chirurgen und keinen Orthopäden mehr. Die Abteilungen sind geschlossen.Auch die Strahlentherapie ist geschlossen mangels Personal und Wartung.
Die lokale Zeitung Chronicle vom vergangenen Freitag begrüsste mich mit der Schlagzeite „Expired drugs used at Mpilo-Hospital“. Medikamente kommen also zum Einsatz, deren Verfallsdatum längst abgelaufen ist.
In anderen Ländern Afrikas, wie der Demokratischen Republik Kongo (DRC), sieht es insbesondere im Osten weit schlimmer aus, wie mir kongolesische Ärzte mehrfach berichteten. Von auch nur ansatzweiser breiter medizinischer Basisversorgung kann keine Rede sein.
Immer weniger für immer mehr
Der Nobelpreisträger für Medizin von 2002 , John Sulston, setzte sich immerhin in seiner Ansprache für die Entwicklungsländer ein. Aber er musste eingestehen, dass immer weniger Geld für diese Länder zur Verfügung steht.
Daran wird sich auch in der Zukunft nichts ändern, im Gegenteil!
Die ökonomische Krise hat zu einer drastischen Einschränkung der Entwicklungshilfe geführt, dies führt in Folge dann zu weiterer Verarmung..
Während Hunderte von Millliarden US- Dollar in das marode Bankensystem gepumpt wurden, glitten mehr Menschen in die absolute Armut ab, ein idealer Nährboden für die Ausbreitung von Krankheiten wie z.B. der Tuberkulose.
20 Millionen mehr für 1% weniger
Für jeden Prozentpunkt Absinken des Weltwirtschaftswachstums wird mit 20 Millionen zusätzlichen Armen gerechnet, wie die hochangesehene Medizinzeitung LANCET vorrechnete.
Nicht vergessen werden sollte, dass in 23 Ländern rund 30% und mehr des Budgets für das Gesundheitswesen fremdfinanziert ist, also durch sogenannte „Geberländer", die aber nun ihr Geld vornehmlich in die Banken und in die Wirtschaft pumpen.
Mehr Menschen werden nun nicht in der Lage sein, sich selbst die preiswertesten Medikamente zu leisten.
Was soll da der Appell an „Selbstverantwortung“ ?
Abwerbung von Gesundheitspersonal seit Jahren
Länder wie Grossbritannien, die USA und die Golf-Staaten können es nicht lassen, Gesundheitspersonal, also vorwiegend Schwestern und Ärzte, die unter sehr schwierigen Bedingungen in Dritte Welt Ländern ausgebildet wurden, abzuwerben, und damit die Lage im Gesundheitswesen ihrer Heimatländer weiter zu verschärfen.
Gerade liegt dem Kongress der USA ein Gesetz vor, das die Immigration von Gesundheitspersonal erleichtern soll. 60.000 Krankenschwestern und 15.000 Ärzten soll die Einreise erleichtert werden. Menschenrechtsorganisationen haben sich an US-Präsident Obama mit der Bitte gewandt, das Gesetz zu stoppen wegen der zu erwartenden Auswirkungen im Gesundheitssektor in Dritte Welt Ländern, wie die Medizinzeitung LANCET am 26.9. 2009 berichtete
.
Bildung, Bildung, Bildung
Das war das grosse Thema des Kongresses. Wer besser gebildet ist, der kümmert sich angeblich besser um seine Gesundheit. Der Arzt soll zum Ratgeber werden. Als wenn er das nicht ohnehin längst ist.
Dass die sozialen Probleme dabei vor der Tür gelassen wurden, also insbesondere die mit der Weltwirtschaftskrise verbundene Zunahme der Arbeitslosigkeit und deren Folgen, versteht sich von selbst.
Frau Merkel dürfte der Kongress mehr als gelegen gekommen sein, liefert er doch die Argumente dafür, die Verantwortung für Krankheiten und damit letztlich die Kosten auf die Bevölkerung abzuwälzen.
Der nächste logische Schritt ist dann wohl bei Verletzung dieser „Eigenverantwortlichkeit“ die „Selbstzahlung“ oder zumindest Kostenbeteiligung .
Z.B. Diabetes
Im Jahre 1985 litten 30 Millionen Menschen weltweit daran, zur Zeit 180 Millionen und im Jahre 2030 wird die Zahl nach Schätzungen der WHO bei 360 Millionen liegen. Fettsucht und Diabetes würde dann als Folge von Verantwortungslosigkeit eingestuft.
Diese „Eigenverantwortlichkeit“ klingt geradezu wie Hohn für Länder der Dritten Welt, die von Malaria, Dengue, Tuberkulose und Durchfallerkrankungen heimgesucht werden. Krankheiten, die sich mit der Klimaveränderung ausbreiten und damit weiter zunehmen werden.
Die Gefahren der Resistenzentwicklung gegen Antiinfektiva, darauf haben wir gerade in einem ausführlichen Artikel hingewiesen, und das zu fordernde Verbot der Massentierhaltung, spielten selbstverständlich keine Rolle auf diesem Berliner Gipfel . Zu diesem wirklich brennenden Thema hatten Detlev Ganten & Co wirklich nichts substantiell beizutragen.
Alternativkongress als Lichtblick
Aber es gab etwas Erfreuliches zu vermelden.
Bei so viel geheuchelter bzw. in eine Sackgasse gerichteter Aufbruchstimmung gab es eigentlich aus der Perspektive der Dritten Welt gesehen einen Lichtblick: Die Alternativkonferenz, die auch am vergangenen Freitag stattfand.
„Ein Gesundheitsgipfel, der diesen Namen verdiene, müsse das Streben nach sozialer Gerechtigkeit und demokratischer Partizipation als Grundvoraussetzung für Gesundheit in den Vordergrund stellen und eine Forschung fördern, die an den Gesundheitsbedürfnissen der Menschen ausgerichtet ist“
hiess es in der gemeinsamen Erklärung der Veranstalter.
Teilnehmer waren Organisationen wie Medico International und die Gewerkschaften.
„Noch immer könne sich 1/3 der Weltbevölkerung nicht einmal lebensnotwendige Medikamente leisten.
Rund 90% der Ausgaben für Forschung und Entwicklung entfielen auf Arzneimittel die 10% der Weltbevölkerung benötigen.
Von 1500 neuen Wirkstoffen, die die zwischen 1975 und 2004 entwickelt wurden, wirken lediglich 18 gegen Tropenkrankheiten und drei gegen Tuberkulose.
Wohl wahr. Das kann ich, aus der Perspektive eines Landes der Dritten Welt gesehen, nur unterschreiben.
World Health Summit: Ein anmassender und irreführender Name.
Die Fortsetzung dieses Spektakels soll im Oktober nächsten Jahres wieder in Berlin stattfinden. Die Berliner Gastronomie wird‘s freuen.
Für uns in der Dritten Welt ein bedeutungsloses Ereignis.
Die Zukunft heisst Resistenz? – Antiinfektiva verlieren ihre Wirksamkeit
Hilflos bei Infektionen - Antibiotika verlieren ihre Wirksamkeit
Tierfabriken, Schweineviren und die Zukunft
Welt-Tuberkulose Tag - eine Krankheit weiter auf dem Vormarsch
Cancer surge overwhelms AIDS-struck Botswana
Bittere Pillen für die Dritte Welt
onlinedienst - 20. Okt, 18:04 Article 4434x read