Strafgesetzbuch und Sterbehilfe - Eine Nachbemerkung zum Fall der Krebsärztin Dr. Mechthild Bach
Dr. Alexander von Paleske --- 30.1. 2011 --- Am Montag vergangener Woche nahm sich die 61-jährige Internistin und Krebsärztin Mechthild Bach aus Bad Salzdetfurth das Leben. Sie war angeklagt, den Tod von 13 Patienten vorsätzlich herbeigeführt zu haben. Alle Patienten waren offenbar unheilbar an Krebs erkrankt und befanden sich angeblich im Terminalstadium der Erkrankung.
Krankenkasse alarmiert Staatsanwaltschaft
Mechthild Bach geriet im Jahre 2003 durch Ermittlungen der AOK Niedersachsen wegen hohen Morphinverbrauchs in den Verdacht der verbotenen Sterbehilfe. Die Krankenkasse alarmierte die Staatsanwaltschaft, und die Internistin wanderte drei Wochen lang in Untersuchungshaft. Sie wurde dann gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt.
Das Gericht war in einer Zwischenbilanz nach der Beweisaufnahme über 6 der 13 Anklagepunkte davon ausgegangen, dass es erhebliche Anhaltspunkte dafür gebe, die angeklagte Internistin habe den Tod der sechs Patienten durch Gaben von Morphium und Valium herbeigeführt und den vorzeitigen Tod auch gewollt. In keinem Fall hätten sich jedoch Anhaltspunkte dafür ergeben, dies habe dem Willen der Patienten entsprochen..
Nachdem das Gericht den rechtlichen Hinweis gegeben hatte, dass in zwei der angeklagten Todesfälle, statt des angeklagten Totschlags, auch ein Mordvorwurf in Frage käme, nahm sich die Ärztin das Leben.
Die Meinungen sind , wie immer in solchen medizinisch-juristischen Grenzfällen geteilt, gerade dann, wenn Ärzte aus menschlicher Empathie sich in einen strafrechtlich relevanten Bereich vorwagen.
Konkreter: Das, was die Juristen als Tötung auf Verlangen ( § 216 Strafgesetzbuch, StGB) bezeichnen, wenn der Arzt vom Patienten darum gebeten wird, oder Totschlag (§ 212 StGB) , wenn ohne niedrige Beweggründe der Arzt das Leben verkürzt, ohne darum vom Patienten gebeten worden zu sein, oder Mord (§ 211 StGB), wenn niedrige Beweggründe vorliegen, oder die Arglosigkeit bzw. Wehrlosigkeit ausgenutzt wird.
Nicht selten sind es in solchen Fällen Angehörige, die auf eine aktive Sterbehilfe drängen.
...der werfe den ersten Stein
Es gibt wohl kaum einen Krebsarzt, der sich bei stringenter Auslegung der Strafvorschriften nicht bereits strafbar gemacht hat. Ich auch nicht.
Ich erinnere mich gut an den Fall einer Krankenschwester vor 28 Jahren, die an einem hochgradig malignen Lymphom im oberen Mediastinum litt , und schliesslich austherapiert war.
Vor der letzten Chemotherapie, wohl wissend, dass sie keine Aussicht auf Heilung, bestenfalls auf eine bescheidene Lebensverlängerung hatte, nahm sie mir das Versprechen ab, dass, wenn der Zeitpunkt gekommen sei, ich sie nicht an einer Erstickung sterben lassen würde (das Lymphom drückte auf die Luftröhre).
Als sie dann letztmals zur stationären Aufnahme kam, mit Schwierigkeiten, Luft zu bekommen, erinnerte sie mich an mein Versprechen, und ich habe das Versprechen eingelöst und sie an den Morphintropf gehängt.
Die Massnahme hat ihre Lebenszeit nur um bestenfalls wenige Tage verkürzt, aber ihr einen qualvollen Tod erspart. Gleichwohl, bei stringenter Anwendung der Strafgesetze, eine Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB).
Die Mutter der Patientin, der Ehemann und auch der Sohn haben sich in anrührenden Briefen an mich bedankt.
Ich hatte das Glück, nicht mehr in eine solch schwierige Situation zu geraten.
Aktive Sterbehilfe keine Seltenheit
In einer Befragung der Ruhr-Universität in Bochum gaben manche Palliativmediziner zu, den Patienten das Sterben zu erleichtern. Dass sie es manchmal aktiv verkürzen (und sich damit strafbar machen).
Im einzelnen gaben die Mediziner an, den Tod gezielt durch Substanzen herbeigeführt zu haben. In 47 Fällen wurden die Patienten nicht darüber informiert, dass die zugeführten Substanzen auch eine mögliche Lebensverkürzung zur Folge haben könnten, obgleich sie zum betreffenden Zeitpunkt noch voll entscheidungsfähig waren.
Das war möglicherweise auch das strafbare Verhalten im Falle der Ärztin Mechthild Bach.
Die Macht des Arztes
Der Arzt hat gegenüber den Patienten einen enormen Wissensvorteil, der aber mittlerweile durch das Internet kleiner geworden ist. Er weiß, wie es um das Leiden der Patienten steht, welche durchschnittliche Lebenserwartung der Patient noch hat, und auch, unter welchen Qualen er letztlich sterben wird.
Damit besteht die Gefahr, dass der Arzt dann letztlich selbst entscheidet, was dem Patienten „guttut“. Angeblich wohlverstandenes Interesse des Patienten statt klarer Entscheidung seitens des / der Betroffenen.
Und je weniger behandelnde Ärzte gegenüber Kollegen Rechenschaft ablegen müssen, anders als das beispielsweise in Kliniken und Gemeinschaftspraxen in der Regel der Fall ist, umso mehr besteht dann die Gefahr, mehr und mehr aus dem strafrechtlichen-menschlichen Grenzbereich abzudriften. Bis zu dem Punkt, wo der Arzt nach eigenem Gutdünken zur Sterbehilfe schreitet, selbst dann, wenn der Patient in der Lage ist, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen.
Diese Gefahr ist umso grösser, je weniger aufgeklärt der Patient ist, je weniger er also in diesen Entscheidungsprozess mit einbezogen ist.
Die Aufklärung des Patienten muss früh begonnen werden, ohne gleich jegliche Hoffnung zu nehmen. Der Patient sollte informiert sein, welche Aussicht die Behandlung bietet: Heilung, Lebensverlängerung - und wie weit - oder nur Bekämpfung der Symptome (Palliation) mit der Schmerzbekämpfung an erster Stelle.
Defizit: Patientenaufklärung
Gerade in diesem Punkte der offenen Information haben nicht wenige Ärzte die Tendenz, auszuweichen, unbegründeten Optimismus zu heucheln, und somit dem Patienten unberechtigte bzw. unrealistische Hoffnungen zu machen.
Oftmals wissen die Ärzte auch, dass die Patienten in dieser schwierigen Lage, wenn ihnen reiner Wein eingeschenkt wird, in ihrer Panik zu anderen Ärzten laufen, die skrupellos genug sind, unbegründeten Optimismus zu verbreiten.
Mit zunehmender Konkurrenz in der Ärzteschaft wird diese Tendenz des „ungesunden Optimismus“ eher verstärkt als vermindert.
Anders ausgedrückt: je besser der Patient über seine Krankheit und seine Prognose aufgeklärt ist, umso besser kann er all die Fragen, auch die des letzten Weges besprechen.
Eine selbstherrliche Maßnahme des Arztes kann dann vermieden werden.
Rechtliche Regelung der aktiven Sterbehilfe nötig
Das beseitigt jedoch nicht die Strafbarkeit der aktiven, vom Patienten gewollten Sterbehilfe.
.Eine Regelung dieses Graubereichs ist dringender denn je, denn das Urteil des Bundesgerichtshofs vom vergangenen Jahr zur Straflosigkeit der Sterbehilfe betraf den Abbruch lebensverlängernder Massnahmen, nicht jedoch Massnahmen, die neben der Erleichterung des Sterbens auch eine (unbedeutende) Lebensverkürzung mit sich bringen.
Der Verfasser ist leitender Arzt und ehemaliger Rechtsanwalt.
E-Mail: avpaleske@botsnet.bw
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Das Gericht war in einer Zwischenbilanz nach der Beweisaufnahme über 6 der 13 Anklagepunkte davon ausgegangen, dass es erhebliche Anhaltspunkte dafür gebe, die angeklagte Internistin habe den Tod der sechs Patienten durch Gaben von Morphium und Valium herbeigeführt und den vorzeitigen Tod auch gewollt. In keinem Fall hätten sich jedoch Anhaltspunkte dafür ergeben, dies habe dem Willen der Patienten entsprochen..
Nachdem das Gericht den rechtlichen Hinweis gegeben hatte, dass in zwei der angeklagten Todesfälle, statt des angeklagten Totschlags, auch ein Mordvorwurf in Frage käme, nahm sich die Ärztin das Leben.
Die Meinungen sind , wie immer in solchen medizinisch-juristischen Grenzfällen geteilt, gerade dann, wenn Ärzte aus menschlicher Empathie sich in einen strafrechtlich relevanten Bereich vorwagen.
Konkreter: Das, was die Juristen als Tötung auf Verlangen ( § 216 Strafgesetzbuch, StGB) bezeichnen, wenn der Arzt vom Patienten darum gebeten wird, oder Totschlag (§ 212 StGB) , wenn ohne niedrige Beweggründe der Arzt das Leben verkürzt, ohne darum vom Patienten gebeten worden zu sein, oder Mord (§ 211 StGB), wenn niedrige Beweggründe vorliegen, oder die Arglosigkeit bzw. Wehrlosigkeit ausgenutzt wird.
Nicht selten sind es in solchen Fällen Angehörige, die auf eine aktive Sterbehilfe drängen.
...der werfe den ersten Stein
Es gibt wohl kaum einen Krebsarzt, der sich bei stringenter Auslegung der Strafvorschriften nicht bereits strafbar gemacht hat. Ich auch nicht.
Ich erinnere mich gut an den Fall einer Krankenschwester vor 28 Jahren, die an einem hochgradig malignen Lymphom im oberen Mediastinum litt , und schliesslich austherapiert war.
Vor der letzten Chemotherapie, wohl wissend, dass sie keine Aussicht auf Heilung, bestenfalls auf eine bescheidene Lebensverlängerung hatte, nahm sie mir das Versprechen ab, dass, wenn der Zeitpunkt gekommen sei, ich sie nicht an einer Erstickung sterben lassen würde (das Lymphom drückte auf die Luftröhre).
Als sie dann letztmals zur stationären Aufnahme kam, mit Schwierigkeiten, Luft zu bekommen, erinnerte sie mich an mein Versprechen, und ich habe das Versprechen eingelöst und sie an den Morphintropf gehängt.
Die Massnahme hat ihre Lebenszeit nur um bestenfalls wenige Tage verkürzt, aber ihr einen qualvollen Tod erspart. Gleichwohl, bei stringenter Anwendung der Strafgesetze, eine Tötung auf Verlangen (§ 216 StGB).
Die Mutter der Patientin, der Ehemann und auch der Sohn haben sich in anrührenden Briefen an mich bedankt.
Ich hatte das Glück, nicht mehr in eine solch schwierige Situation zu geraten.
Aktive Sterbehilfe keine Seltenheit
In einer Befragung der Ruhr-Universität in Bochum gaben manche Palliativmediziner zu, den Patienten das Sterben zu erleichtern. Dass sie es manchmal aktiv verkürzen (und sich damit strafbar machen).
Im einzelnen gaben die Mediziner an, den Tod gezielt durch Substanzen herbeigeführt zu haben. In 47 Fällen wurden die Patienten nicht darüber informiert, dass die zugeführten Substanzen auch eine mögliche Lebensverkürzung zur Folge haben könnten, obgleich sie zum betreffenden Zeitpunkt noch voll entscheidungsfähig waren.
Das war möglicherweise auch das strafbare Verhalten im Falle der Ärztin Mechthild Bach.
Die Macht des Arztes
Der Arzt hat gegenüber den Patienten einen enormen Wissensvorteil, der aber mittlerweile durch das Internet kleiner geworden ist. Er weiß, wie es um das Leiden der Patienten steht, welche durchschnittliche Lebenserwartung der Patient noch hat, und auch, unter welchen Qualen er letztlich sterben wird.
Damit besteht die Gefahr, dass der Arzt dann letztlich selbst entscheidet, was dem Patienten „guttut“. Angeblich wohlverstandenes Interesse des Patienten statt klarer Entscheidung seitens des / der Betroffenen.
Und je weniger behandelnde Ärzte gegenüber Kollegen Rechenschaft ablegen müssen, anders als das beispielsweise in Kliniken und Gemeinschaftspraxen in der Regel der Fall ist, umso mehr besteht dann die Gefahr, mehr und mehr aus dem strafrechtlichen-menschlichen Grenzbereich abzudriften. Bis zu dem Punkt, wo der Arzt nach eigenem Gutdünken zur Sterbehilfe schreitet, selbst dann, wenn der Patient in der Lage ist, eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen.
Diese Gefahr ist umso grösser, je weniger aufgeklärt der Patient ist, je weniger er also in diesen Entscheidungsprozess mit einbezogen ist.
Die Aufklärung des Patienten muss früh begonnen werden, ohne gleich jegliche Hoffnung zu nehmen. Der Patient sollte informiert sein, welche Aussicht die Behandlung bietet: Heilung, Lebensverlängerung - und wie weit - oder nur Bekämpfung der Symptome (Palliation) mit der Schmerzbekämpfung an erster Stelle.
Defizit: Patientenaufklärung
Gerade in diesem Punkte der offenen Information haben nicht wenige Ärzte die Tendenz, auszuweichen, unbegründeten Optimismus zu heucheln, und somit dem Patienten unberechtigte bzw. unrealistische Hoffnungen zu machen.
Oftmals wissen die Ärzte auch, dass die Patienten in dieser schwierigen Lage, wenn ihnen reiner Wein eingeschenkt wird, in ihrer Panik zu anderen Ärzten laufen, die skrupellos genug sind, unbegründeten Optimismus zu verbreiten.
Mit zunehmender Konkurrenz in der Ärzteschaft wird diese Tendenz des „ungesunden Optimismus“ eher verstärkt als vermindert.
Anders ausgedrückt: je besser der Patient über seine Krankheit und seine Prognose aufgeklärt ist, umso besser kann er all die Fragen, auch die des letzten Weges besprechen.
Eine selbstherrliche Maßnahme des Arztes kann dann vermieden werden.
Rechtliche Regelung der aktiven Sterbehilfe nötig
Das beseitigt jedoch nicht die Strafbarkeit der aktiven, vom Patienten gewollten Sterbehilfe.
.Eine Regelung dieses Graubereichs ist dringender denn je, denn das Urteil des Bundesgerichtshofs vom vergangenen Jahr zur Straflosigkeit der Sterbehilfe betraf den Abbruch lebensverlängernder Massnahmen, nicht jedoch Massnahmen, die neben der Erleichterung des Sterbens auch eine (unbedeutende) Lebensverkürzung mit sich bringen.
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onlinedienst - 30. Jan, 17:46 Article 4456x read