Nach der Afghanistankonferenz - Dr. Werner Kilian im Interview
Dr. Alexander von Paleske 30.1. 2010-- Vorgestern fand in London die Afghanistan-Konferenz statt. Es ging um die Aufstockung der Truppen, aber auch um eine neue Politik in diesem kriegszerrütteten Land.
Ich befragte erneut den Botschafter a.D. Dr. Werner Kilian. Er war zu Beginn seiner diplomatischen Karriere drei Jahre als politischer Botschaftsrat und stellvertretender Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Afghanistan.
Botschafter a.D. Dr. Werner Kilian
Dr. Kilian, die Londoner-Afghanistan- Konferenz ist vorbei, war das mehr eine Politshow? Sehen Sie handfeste Ergebnisse?
Die Show-Elemente überwogen. Man neigt heute ohnehin mehr und mehr zu Gipfelkonferenzen, bei denen die Staats- und Regierungschefs ihre sorgfältig ausgearbeiteten Reden vorlesen, sie in Kurzform einer Pressekonferenz vortragen und dann nach einem gemeinsamen Bankett möglichst rasch wieder abfliegen. Die Diskussion der Sachfragen überlässt man aus Zeitmangel und wegen begrenzter Detailkenntnisse den Experten in der zweiten Reihe.
Die Ergebnisse waren nicht gerade handfest. Es überwogen die Absichtserklärungen und die Erneuerung der guten Vorsätze, aus Afghanistan möglichst bald einen friedlichen Staat mit Wohlstandsperspektiven zu machen. Aber immerhin sind die NATO-Partner jetzt darin einig, dass der Rückzug ihrer Truppen schneller erfolgen soll. Man spricht nicht mehr von 10 oder 20 Jahren sondern von 3 oder 5.
Ferner ist man einig, dass es keine Lösung ohne die Taliban geben kann. Beides ist schon ein grosser Fortschritt.
Man will jetzt angeblich mehr Entwicklungshilfe leisten, und dies nach knapp 9 Jahren in Afghanistan. Die Agrarhilfe der USA für die verarmte Bevölkerung Afghanistans betrug bisher 1% der Militärkosten. Für die Bevölkerung hat sich die soziale Lage in den vergangenen neun Jahren praktisch nicht verbessert. Das anfangs möglicherweise vorhandene Vertrauen dürfte weitgehend verspielt sein. Sind die nun angekündigten Massnahmen geeignet, das Vertrauen wiederherzustellen? Oder ist das Vertrauen irreparabel zerstört, auch durch die Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung, einschliesslich Folter aber auch durch die Verletzung ihrer religiösen Gefühle?
Die Afghanen haben jahrzehntelang Krieg und Not erdulden müssen. Sie werden Hilfe von allen Seiten annehmen ohne wählerisch zu sein. Sie haben früher auch Entwicklungshilfe von den Briten angenommen, obwohl sie mit ihnen drei Kriege geführt hatten.
Lassen sich Taliban- Kämpfer durch Geld einfach abwerben? Widerspricht das nicht dem Stolz der Paschtunen?
An diesem Plan der Taliban-Abwerbung, der wohl noch nicht bis in die Details ausgereift ist, hängen viele Fragezeichen. Wer wird sich melden? In erster Linie wohl die arbeitslosen jungen Leute aus den Städten, die sich als Taliban ausgeben werden. In den ländlichen Bezirken dagegen wird es für die jungen Mitläufer der Talibangruppen sehr viel schwerer sein, sich aus der dörflichen Struktur mit den fanatischen Kampfgruppen zu lösen. Wie also will man an die "richtigen" Taliban herankommen? Man braucht an allen Ecken und Enden dieses Programms die loyale Mitarbeit afghanischer Regierungsstellen. Wie will man Begünstigung und Unterschlagung verhindern? Wie will man verhindern, dass angeblich reuige Taliban das Geld kassieren und sofort wieder zur Taliban-Truppe zurückkehren?
Werden wir jemals eine Bestrafung der Verantwortlichen für Tötungen von Zivilisten sehen?
Wohl nur bei militärischen Gewaltexzessen in der Art des My Lai-Massakers. Bei der Bombardierung der Tanklastwagen am Kundusfluss wie bei der Erschiessung von Autofahrern, die Kontrollpunkte missachten, wird man wohl eine Putativnotwehr zugrundelegen und die Frage der Fahrlässigkeit zugunsten der Angeklagten beurteilen.
Warum sollten die Taliban jetzt einem Waffenstillstand zustimmen? Könnte ihnen nicht daran gelegen sein, eine demütigende Niederlage den Alliierten zuzufügen?
Es gibt sicherlich einen radikalen Flügel der Taliban, der nichts weniger als den Sieg über die gottlosen Angloamerikaner und ihre Helfershelfer propagiert. Aber wie wir aus den Meldungen ueber Geheimtreffen in Saudi-Arabien und neuerdings in Dubai entnehmen können, gibt es andere Kräfte - wahrscheinlich wird man sie eher als Paschtunen mit Verbindungen zu den Taliban bezeichnen müssen - die an einem Waffenstillstand und darüberhinaus an einer friedlichen Lösung der afghanischen Staatskrise interessiert sind. Dahinter mögen Meldungen über eine zunehmende Kriegsmüdigkeit in den paschtunischen Gebieten stecken, in denen einige Dörfer bereits die Talibankrieger entwaffnet oder verjagt haben.
Ich halte es für wahrscheinlicher, dass auf diesen stillen Verhandlungswegen die Waffen der Taliban und damit auch die Waffen der NATO zum Schweigen kommen als durch das Herauskaufen von Taliban-Mitläufern.
Was soll man der Familie eines in Afghanistan getöteten Bundeswehrsoldaten sagen: Gestorben für einen völlig sinnlosen Krieg?
Was konnten sie einer Kriegerwitwe 1918 oder 1945 sagen? Welcher Krieg ist schon sinnvoll
Dr. Werner Kilian wurde 1932 in Mainz geboren und studierte Jura in Bonn und Berlin sowie Völkerrecht und Politik in Genf. Es folgten Tätigkeiten als Assessor und die Dissertation im internationalen Seerecht. Von 1961-1997 war Dr. Kilian im Bonner Auswärtigen Dienst mit Auslandsstationen in Paris, London, Kabul, Bukarest, Harare. Zuletzt war er Leiter der Ausbildungsstätte des Auswärtigen Amtes im Treptower Park für Jungdiplomaten aus den Staaten des ehemaligen Ostblocks.
Veröffentlichungen von Dr. Werner Kilian
- Adenauers Reise nach Moskau. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2005
- Die Hallstein-Doktrin. Der diplomatische Krieg zwischen der BRD und der DDR 1955-1973. Aus den Akten der beiden deutschen Außenministerien. Duncker und Humboldt Verlag, Berlin 2001
Schrecken ohne Ende? - Ein Interview mit Botschafter a.D. Dr. Werner Kilian
Afghanistan: Milliarden für den Krieg, Peanuts zur Bekämpfung von Hunger und Unterernährung
Verteidigung westlicher Kulturwerte am Hindukusch oder: So fröhlich ist das Söldnerleben in Afghanistan
Keine Strafverfolgung deutscher Soldaten in Afghanistan?
Unsere kanadischen Folterfreunde in Afghanistan
Justiz in der Krise oder Krisenjustiz?
Ich befragte erneut den Botschafter a.D. Dr. Werner Kilian. Er war zu Beginn seiner diplomatischen Karriere drei Jahre als politischer Botschaftsrat und stellvertretender Botschafter der Bundesrepublik Deutschland in Afghanistan.
Botschafter a.D. Dr. Werner Kilian
Dr. Kilian, die Londoner-Afghanistan- Konferenz ist vorbei, war das mehr eine Politshow? Sehen Sie handfeste Ergebnisse?
Die Show-Elemente überwogen. Man neigt heute ohnehin mehr und mehr zu Gipfelkonferenzen, bei denen die Staats- und Regierungschefs ihre sorgfältig ausgearbeiteten Reden vorlesen, sie in Kurzform einer Pressekonferenz vortragen und dann nach einem gemeinsamen Bankett möglichst rasch wieder abfliegen. Die Diskussion der Sachfragen überlässt man aus Zeitmangel und wegen begrenzter Detailkenntnisse den Experten in der zweiten Reihe.
Die Ergebnisse waren nicht gerade handfest. Es überwogen die Absichtserklärungen und die Erneuerung der guten Vorsätze, aus Afghanistan möglichst bald einen friedlichen Staat mit Wohlstandsperspektiven zu machen. Aber immerhin sind die NATO-Partner jetzt darin einig, dass der Rückzug ihrer Truppen schneller erfolgen soll. Man spricht nicht mehr von 10 oder 20 Jahren sondern von 3 oder 5.
Ferner ist man einig, dass es keine Lösung ohne die Taliban geben kann. Beides ist schon ein grosser Fortschritt.
Man will jetzt angeblich mehr Entwicklungshilfe leisten, und dies nach knapp 9 Jahren in Afghanistan. Die Agrarhilfe der USA für die verarmte Bevölkerung Afghanistans betrug bisher 1% der Militärkosten. Für die Bevölkerung hat sich die soziale Lage in den vergangenen neun Jahren praktisch nicht verbessert. Das anfangs möglicherweise vorhandene Vertrauen dürfte weitgehend verspielt sein. Sind die nun angekündigten Massnahmen geeignet, das Vertrauen wiederherzustellen? Oder ist das Vertrauen irreparabel zerstört, auch durch die Gewalt gegenüber der Zivilbevölkerung, einschliesslich Folter aber auch durch die Verletzung ihrer religiösen Gefühle?
Die Afghanen haben jahrzehntelang Krieg und Not erdulden müssen. Sie werden Hilfe von allen Seiten annehmen ohne wählerisch zu sein. Sie haben früher auch Entwicklungshilfe von den Briten angenommen, obwohl sie mit ihnen drei Kriege geführt hatten.
Lassen sich Taliban- Kämpfer durch Geld einfach abwerben? Widerspricht das nicht dem Stolz der Paschtunen?
An diesem Plan der Taliban-Abwerbung, der wohl noch nicht bis in die Details ausgereift ist, hängen viele Fragezeichen. Wer wird sich melden? In erster Linie wohl die arbeitslosen jungen Leute aus den Städten, die sich als Taliban ausgeben werden. In den ländlichen Bezirken dagegen wird es für die jungen Mitläufer der Talibangruppen sehr viel schwerer sein, sich aus der dörflichen Struktur mit den fanatischen Kampfgruppen zu lösen. Wie also will man an die "richtigen" Taliban herankommen? Man braucht an allen Ecken und Enden dieses Programms die loyale Mitarbeit afghanischer Regierungsstellen. Wie will man Begünstigung und Unterschlagung verhindern? Wie will man verhindern, dass angeblich reuige Taliban das Geld kassieren und sofort wieder zur Taliban-Truppe zurückkehren?
Werden wir jemals eine Bestrafung der Verantwortlichen für Tötungen von Zivilisten sehen?
Wohl nur bei militärischen Gewaltexzessen in der Art des My Lai-Massakers. Bei der Bombardierung der Tanklastwagen am Kundusfluss wie bei der Erschiessung von Autofahrern, die Kontrollpunkte missachten, wird man wohl eine Putativnotwehr zugrundelegen und die Frage der Fahrlässigkeit zugunsten der Angeklagten beurteilen.
Warum sollten die Taliban jetzt einem Waffenstillstand zustimmen? Könnte ihnen nicht daran gelegen sein, eine demütigende Niederlage den Alliierten zuzufügen?
Es gibt sicherlich einen radikalen Flügel der Taliban, der nichts weniger als den Sieg über die gottlosen Angloamerikaner und ihre Helfershelfer propagiert. Aber wie wir aus den Meldungen ueber Geheimtreffen in Saudi-Arabien und neuerdings in Dubai entnehmen können, gibt es andere Kräfte - wahrscheinlich wird man sie eher als Paschtunen mit Verbindungen zu den Taliban bezeichnen müssen - die an einem Waffenstillstand und darüberhinaus an einer friedlichen Lösung der afghanischen Staatskrise interessiert sind. Dahinter mögen Meldungen über eine zunehmende Kriegsmüdigkeit in den paschtunischen Gebieten stecken, in denen einige Dörfer bereits die Talibankrieger entwaffnet oder verjagt haben.
Ich halte es für wahrscheinlicher, dass auf diesen stillen Verhandlungswegen die Waffen der Taliban und damit auch die Waffen der NATO zum Schweigen kommen als durch das Herauskaufen von Taliban-Mitläufern.
Was soll man der Familie eines in Afghanistan getöteten Bundeswehrsoldaten sagen: Gestorben für einen völlig sinnlosen Krieg?
Was konnten sie einer Kriegerwitwe 1918 oder 1945 sagen? Welcher Krieg ist schon sinnvoll
Dr. Werner Kilian wurde 1932 in Mainz geboren und studierte Jura in Bonn und Berlin sowie Völkerrecht und Politik in Genf. Es folgten Tätigkeiten als Assessor und die Dissertation im internationalen Seerecht. Von 1961-1997 war Dr. Kilian im Bonner Auswärtigen Dienst mit Auslandsstationen in Paris, London, Kabul, Bukarest, Harare. Zuletzt war er Leiter der Ausbildungsstätte des Auswärtigen Amtes im Treptower Park für Jungdiplomaten aus den Staaten des ehemaligen Ostblocks.
Veröffentlichungen von Dr. Werner Kilian
- Adenauers Reise nach Moskau. Herder Verlag, Freiburg im Breisgau 2005
- Die Hallstein-Doktrin. Der diplomatische Krieg zwischen der BRD und der DDR 1955-1973. Aus den Akten der beiden deutschen Außenministerien. Duncker und Humboldt Verlag, Berlin 2001
Schrecken ohne Ende? - Ein Interview mit Botschafter a.D. Dr. Werner Kilian
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Verteidigung westlicher Kulturwerte am Hindukusch oder: So fröhlich ist das Söldnerleben in Afghanistan
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onlinedienst - 30. Jan, 14:22 Article 8204x read