Die Presse und die Missbrauchsfälle in Schulen und Internaten
Dr. Alexander von Paleske ---12.4. 2010 --- Das Ausmass der Misshandlungen, einschliesslich der sexuellen Misshandlungen, an Jugendlichen in Schulen und Internaten wird jetzt erst langsam in seinem vollen Ausmass erkennbar, nachdem mehr und mehr ehemalige Schüler sich mit ihren bedrückenden Erlebnissen gemeldet haben.
Die Wochenzeitumg Die ZEIT vom 25.3. 2010 hat diesem Problem ein ausgezeichnetes Dossier gewidmet ,„Das Schweigen der Männer“ das in beachtlicher Weise auch das Versagen der Presse aufzeigt.
Immerhin spielten sich z.B. die Vorgänge in der Odenwaldschule und in anderen Einrichtungen nicht nur über Jahrzehnte ab, sondern es gelangten offenbar auch Printmedien in den Besitz von brisanten Informationen, insbesondere über die Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule.
Nach der Enthüllung die Funkstille
Die Frankfurter Rundschau schrieb in einem explosiven Artikel am 17. November 1999 auf Seite 3 „Der Lack ist ab“ erstmalig über die schweren Vorwürfe gegen den damaligen Leiter Gerold Becker.
Der SPIEGEL begann daraufhin ebenfalls zu recherchieren, gab aber schnell auf, da eine neue Skandalstory lockte: Ein neuer Parteispendenskandal.
Nun trat eine völlige Funkstille in Sachen "Skandal an der UNESCO- gesponserten Odenwaldschule" ein. Und dies obgleich z.B. ein Schüler offenbar insgesamt rund 400 mal von dem damaligen Schulleiter Becker sexuell missbraucht worden war. Auch Schläge und Mobbing gab es wohl reichlich.
Aber Ex-Leiter Becker, auch Lebensgefährte des Reformpädagogik-Professors Hartmut von Hentig, genoss offenbar Schutz.
Ein Freund mit Beziehungen
Hentig war unter anderem ein enger Freund der ZEIT-Herausgeberin und vormaligen Chefredakteurin Marion Dönhoff und des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker , dessen Sohn Andreas ebenfalls die Odenwaldschule besuchte.
Beide, und nicht nur sie, bewunderten das Reformwerk und die Thesen Hentigs, und wie das alles von dessen Lebensgefährten an der Odenwaldschule umgesetzt wurde - allerdings in offenbar perverser Weise.
Eine Mauer des Schweigens
Den Skandalvorwürfen der Frankfurter Rundschau wurde nicht weiter nachgegangen, selbst in der Rundschau waren sie in den darauffolgenden Wochen, Monaten und Jahren kein Thema mehr.
Die Betroffenen mussten jetzt offensichtlich realisieren, dass sie alleingelassen worden waren, und gegen die Mauer des Schweigens es einfach kein Ankommen gab.
Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wurden zögerlich betrieben, schliesslich eingestellt. Aussage stand gegen Aussage, zumal bei einer ganzen Reihe von strafbaren Vorfällen die Verjährung eingetreten war.
Opfer wurden im Stich gelassen
Es drängt sich der Eindruck auf , hier wurden auch und gerade von der Presse die Missbrauchsopfer im Stich gelassen. Denn Becker tourte nun weiter von Vortrag zu Vortrag und konnte Thesen vertreten, die er selbst höchstpersönlich dauernd und nachhaltig ad absurdum geführt hatte.
Jeder Vortrag war damit auch eine Verhöhnung der Opfer, und so empfanden diese das wohl auch.
Die Journalisten bzw. die verantwortlichen Chefredakteure sind ihrer Verantwortung ganz offensichtlich nicht gerecht geworden. Denn selbst wenn strafbares Verhalten verjährt war, Skandale als solche kennen keine Verjährung, und mit der Veröffentlichung des Skandals wäre den Opfern auch ein Teil Genugtuung widerfahren zumal damit auch Beckers Vortragstourismus ein Ende bereitet worden wäre.
Kumpanei statt Recherche?
Aber es gab damals keine rückhaltlose Aufklärung, und so bleibt der Verdacht der Kumpanei. Der Kumpanei auch bei der Wochenzeitung Die ZEIT, die unabhängig von der Frankfurter Rundschau die informationen erhielt und nicht weiterrecherchierte.
Nicht besser verfuhren der damalige Heimleiter und Nachfolger Beckers, Wolfgang Harder, und das Mitglied des Trägervereins, der damalige SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Conradi. „Unter den Teppich“ war offenbar ihre Devise.
Die Betroffenen mussten weitere 11 Jahre warten, bis das Thema – endlich – wieder hochkam. Diesmal allerdings nicht unmittelbar von der Odenwaldschule, sondern mittelbar über die Vergehen katholischer Priester im In- und Ausland.
Diese Tragödie zeigt mit aller Deutlichkeit, dass unabhängiger Journalismus nicht an der Freundschaft , sei es mit Einzelpersonen oder Staaten, haltmachen darf, wenn er wirklich seiner Verantwortung gerecht werden will.
Was wäre wenn
Man muss sich nun auch noch die Frage stellen, ob dieses ausgezeichnete Dossier auch so abgefasst worden wäre, wenn z.B. die 2002 verstorbene Marion Dönhoff heute noch leben würde.
Allein dass diese Frage gestellt werden muss, ist bedauerlich genug. Aber es sind ernsthafte Zweifel angebracht, .
Die schiefe Betrachtung des Nahostkonflikts und teilweise auch des Kriegs in Afghanistan in dieser führenden liberalen Wochenzeitung sind ein weiteres Indiz , wir berichteten mehrfach darüber.
Und jetzt versuchen der ZEIT-Herausgeber Josef Joffe und der ZEIT-VERLAG auch noch mit Hilfe ihrer Anwälte eine hier veröffentlichte unbequeme Satire, die diese Haltung aufs Korn nimmt, löschen zu lassen
Die weitere Frage, die sich stellt
Würde sich Vergleichbares von Nachrichtenmissachtung, Stichwort: „Was nicht sein darf auch nicht sein kann“, bzw. das Fehlen investigativen Journalismus heute wieder so abspielen? Vermutlich nicht. Nicht etwa, weil der Journalismus heute qualitativ besser geworden ist, als er noch vor 10 oder 20 Jahren war, ganz im Gegenteil.
Das Rauswerfen von Journalisten, und damit zwangsläufig die Abnahme der Qualität, ist weiter in vollem Gange, in vielen grossen und kleinen Verlagen, nicht nur bei der Frankfurter Rundschau, sondern wie sich gerade jetzt z.B. beim Jahreszeitenverlag zeigt (Für Sie, Merian etc).
Journalisten werden ausserdem mehr und mehr zu Contentmanagern, neuerdings werden sie auch zentral zu „Plattformen“ zusammengefasst, die gleich mehrere Zeitungen oder Zeitschriften mit Artikeln „füttern“ müssen, oder es wird vermehrt auf miserabel bezahlte freie Journalisten zurückgegriffen.
Die Meinungshoheit der Chefredakteure und der Herausgeber ist auch keineswegs geringer geworden.
Die Rolle des Internets
Es ist das Internet, welches eine derartige Wiederholung unwahrscheinlich macht. Ein gewisser Trost, wenn auch nicht für die bisherigen Opfer.
Bei allen Problemen, die es durch die Ueberflutung von Informationen mit sich gebracht hat, so hat doch gerade das Netz zur gewaltigen Demokratisierung des Zugangs zu, und der Verbreitung von unzensierten Informationen geführt, und gerade von den Medien missachtete Nachrichten den freien Zugang zur Oeffentlichkeit ermöglicht.
Einen wesentlichen Anteil daran haben auch und gerade die Blogger.Zwar werden z.B. jede Menge absurder Verschwörungstheorien in Umlauf gesetzt, und auch die erbärmlichen AIDS-Leugner machen sich dort breit.
Aber ein derartiger Bericht, wie der in der Frankfurter Rundschau über die Odenwaldschule im Jahre 1999, hätte heute eine Flut von zumindest anonymen Berichten auf Blogs ausgelöst, die dann auch von der Presse nicht mehr hätten unter Verschluss gehalten werden können, auf die hätte reagiert werden müssen.
Ein positiver Lichtblick.
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Immerhin spielten sich z.B. die Vorgänge in der Odenwaldschule und in anderen Einrichtungen nicht nur über Jahrzehnte ab, sondern es gelangten offenbar auch Printmedien in den Besitz von brisanten Informationen, insbesondere über die Missbrauchsfälle an der Odenwaldschule.
Nach der Enthüllung die Funkstille
Die Frankfurter Rundschau schrieb in einem explosiven Artikel am 17. November 1999 auf Seite 3 „Der Lack ist ab“ erstmalig über die schweren Vorwürfe gegen den damaligen Leiter Gerold Becker.
Der SPIEGEL begann daraufhin ebenfalls zu recherchieren, gab aber schnell auf, da eine neue Skandalstory lockte: Ein neuer Parteispendenskandal.
Nun trat eine völlige Funkstille in Sachen "Skandal an der UNESCO- gesponserten Odenwaldschule" ein. Und dies obgleich z.B. ein Schüler offenbar insgesamt rund 400 mal von dem damaligen Schulleiter Becker sexuell missbraucht worden war. Auch Schläge und Mobbing gab es wohl reichlich.
Aber Ex-Leiter Becker, auch Lebensgefährte des Reformpädagogik-Professors Hartmut von Hentig, genoss offenbar Schutz.
Ein Freund mit Beziehungen
Hentig war unter anderem ein enger Freund der ZEIT-Herausgeberin und vormaligen Chefredakteurin Marion Dönhoff und des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker , dessen Sohn Andreas ebenfalls die Odenwaldschule besuchte.
Beide, und nicht nur sie, bewunderten das Reformwerk und die Thesen Hentigs, und wie das alles von dessen Lebensgefährten an der Odenwaldschule umgesetzt wurde - allerdings in offenbar perverser Weise.
Eine Mauer des Schweigens
Den Skandalvorwürfen der Frankfurter Rundschau wurde nicht weiter nachgegangen, selbst in der Rundschau waren sie in den darauffolgenden Wochen, Monaten und Jahren kein Thema mehr.
Die Betroffenen mussten jetzt offensichtlich realisieren, dass sie alleingelassen worden waren, und gegen die Mauer des Schweigens es einfach kein Ankommen gab.
Staatsanwaltschaftliche Ermittlungen wurden zögerlich betrieben, schliesslich eingestellt. Aussage stand gegen Aussage, zumal bei einer ganzen Reihe von strafbaren Vorfällen die Verjährung eingetreten war.
Opfer wurden im Stich gelassen
Es drängt sich der Eindruck auf , hier wurden auch und gerade von der Presse die Missbrauchsopfer im Stich gelassen. Denn Becker tourte nun weiter von Vortrag zu Vortrag und konnte Thesen vertreten, die er selbst höchstpersönlich dauernd und nachhaltig ad absurdum geführt hatte.
Jeder Vortrag war damit auch eine Verhöhnung der Opfer, und so empfanden diese das wohl auch.
Die Journalisten bzw. die verantwortlichen Chefredakteure sind ihrer Verantwortung ganz offensichtlich nicht gerecht geworden. Denn selbst wenn strafbares Verhalten verjährt war, Skandale als solche kennen keine Verjährung, und mit der Veröffentlichung des Skandals wäre den Opfern auch ein Teil Genugtuung widerfahren zumal damit auch Beckers Vortragstourismus ein Ende bereitet worden wäre.
Kumpanei statt Recherche?
Aber es gab damals keine rückhaltlose Aufklärung, und so bleibt der Verdacht der Kumpanei. Der Kumpanei auch bei der Wochenzeitung Die ZEIT, die unabhängig von der Frankfurter Rundschau die informationen erhielt und nicht weiterrecherchierte.
Nicht besser verfuhren der damalige Heimleiter und Nachfolger Beckers, Wolfgang Harder, und das Mitglied des Trägervereins, der damalige SPD-Bundestagsabgeordnete Peter Conradi. „Unter den Teppich“ war offenbar ihre Devise.
Die Betroffenen mussten weitere 11 Jahre warten, bis das Thema – endlich – wieder hochkam. Diesmal allerdings nicht unmittelbar von der Odenwaldschule, sondern mittelbar über die Vergehen katholischer Priester im In- und Ausland.
Diese Tragödie zeigt mit aller Deutlichkeit, dass unabhängiger Journalismus nicht an der Freundschaft , sei es mit Einzelpersonen oder Staaten, haltmachen darf, wenn er wirklich seiner Verantwortung gerecht werden will.
Was wäre wenn
Man muss sich nun auch noch die Frage stellen, ob dieses ausgezeichnete Dossier auch so abgefasst worden wäre, wenn z.B. die 2002 verstorbene Marion Dönhoff heute noch leben würde.
Allein dass diese Frage gestellt werden muss, ist bedauerlich genug. Aber es sind ernsthafte Zweifel angebracht, .
Die schiefe Betrachtung des Nahostkonflikts und teilweise auch des Kriegs in Afghanistan in dieser führenden liberalen Wochenzeitung sind ein weiteres Indiz , wir berichteten mehrfach darüber.
Und jetzt versuchen der ZEIT-Herausgeber Josef Joffe und der ZEIT-VERLAG auch noch mit Hilfe ihrer Anwälte eine hier veröffentlichte unbequeme Satire, die diese Haltung aufs Korn nimmt, löschen zu lassen
Die weitere Frage, die sich stellt
Würde sich Vergleichbares von Nachrichtenmissachtung, Stichwort: „Was nicht sein darf auch nicht sein kann“, bzw. das Fehlen investigativen Journalismus heute wieder so abspielen? Vermutlich nicht. Nicht etwa, weil der Journalismus heute qualitativ besser geworden ist, als er noch vor 10 oder 20 Jahren war, ganz im Gegenteil.
Das Rauswerfen von Journalisten, und damit zwangsläufig die Abnahme der Qualität, ist weiter in vollem Gange, in vielen grossen und kleinen Verlagen, nicht nur bei der Frankfurter Rundschau, sondern wie sich gerade jetzt z.B. beim Jahreszeitenverlag zeigt (Für Sie, Merian etc).
Journalisten werden ausserdem mehr und mehr zu Contentmanagern, neuerdings werden sie auch zentral zu „Plattformen“ zusammengefasst, die gleich mehrere Zeitungen oder Zeitschriften mit Artikeln „füttern“ müssen, oder es wird vermehrt auf miserabel bezahlte freie Journalisten zurückgegriffen.
Die Meinungshoheit der Chefredakteure und der Herausgeber ist auch keineswegs geringer geworden.
Die Rolle des Internets
Es ist das Internet, welches eine derartige Wiederholung unwahrscheinlich macht. Ein gewisser Trost, wenn auch nicht für die bisherigen Opfer.
Bei allen Problemen, die es durch die Ueberflutung von Informationen mit sich gebracht hat, so hat doch gerade das Netz zur gewaltigen Demokratisierung des Zugangs zu, und der Verbreitung von unzensierten Informationen geführt, und gerade von den Medien missachtete Nachrichten den freien Zugang zur Oeffentlichkeit ermöglicht.
Einen wesentlichen Anteil daran haben auch und gerade die Blogger.Zwar werden z.B. jede Menge absurder Verschwörungstheorien in Umlauf gesetzt, und auch die erbärmlichen AIDS-Leugner machen sich dort breit.
Aber ein derartiger Bericht, wie der in der Frankfurter Rundschau über die Odenwaldschule im Jahre 1999, hätte heute eine Flut von zumindest anonymen Berichten auf Blogs ausgelöst, die dann auch von der Presse nicht mehr hätten unter Verschluss gehalten werden können, auf die hätte reagiert werden müssen.
Ein positiver Lichtblick.
Die ZEIT – eine führende Wochenzeitung auf dem Weg zum „Musikdampfer“?
Medien-Rapallo auf der CEBIT
Frankfurter Rundschau: "Kastration" als Überlebensprinzip
Umsonst ist nicht angemessen? - oder: Ist das Zeitungssterben aufzuhalten?
Nach den Banken nun die Zeitungen?
Gruner und Jahr Verlag: Trübe Aussichten, finanziell und journalistisch
Die neue Gruner und Jahr Story oder: Von Gruner und Jahr zu Anzeigen und Spar
Darfs ein bisschen weniger sein? Oder: Neues zum Niedergang des Qualitätsjournalismus
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Alles frei?– oder: Der Streit um das Urheberrecht und seine Vergütung
Ein Bankenskandal, die Presse und Wikipedia
onlinedienst - 12. Apr, 21:13 Article 6052x read